Mahomet

Mahomet
Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire

Siehe: Mahomet der Prophet

Übersetzt von Johann Wolfgang von Goethe

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Zweiter Aufzug - Erster Auftritt

Seide. Palmire.

Palmire

Führt dich ein Gott in mein Gefängnis? soll
Mein Jammer enden? seh' ich dich, Seide!

Seide

O süßer Anblick! Freude meines Lebens!
Palmire, meiner Schmerzen einz'ger Trost!
Wie viele Tränen hast du mich gekostet,
Seit jenem Tag des Schreckens, da der Feind
Dich meinem blutgefärbten Arm entriß.
Vergebens widerstand ich seiner Macht,
Die in das Heiligste des Lagers drang;
Vergebens stürzt' ich mich den Räubern nach;
Nur einen Augenblick errang ich dich.
Bald lag ich unter Toten hingestreckt
Am Saibar, verzweifelnd; mein Geschrei,
Das dich nicht mehr erreichte, rief den Tod.
Er hörte nicht. In welchen Abgrund stürzte,
Geliebteste Palmire, dein Verlust
Mein armes Herz. Mit jammervollen Sorgen
Bedacht' ich die Gefahren um dich her.
Entbrannt von Wut irrt' ich und schalt, verwegen,
Der Rache Zaudern, stürzte mich im Geist
Auf diese Mauern. Ich beschleunigte
Den Tag des Bluts, des Mordes, und schon flammte,
Von meinen Händen angezündet, der Bezirk,
Der deinen Jammer eingekerkert hält.
Vergebens! Meine rege Phantasie
Verschwand in Finsternis. Ich war allein.
Nun aber handelt Mahomet. Wer darf
In seiner Plane Göttertiefe spähen?
Er sendet Omar fort, nach Mekka, hör' ich,
Um einen heil'gen Stillstand einzugehen;
Ich eil' ihm nach, am Tor erreich' ich ihn,
Man fordert Geiseln, und ich bin bereit.
Man nimmt mich an, man läßt mich ein, und hier
Bleib' ich bei dir, gefangen oder tot.

Palmire

Du kommst mich von Verzweiflung zu erretten!
In dieser Stunde warf ich mich, bewegt,
Zu meines Räubers Füßen flehend hin.
O kenne, rief ich aus, mein ganzes Herz!
Mein Leben ist im Lager. Wie du mich von dort
Entführtest, sende mich zurück und gib
Das einz'ge Gut, das du geraubt, mir wieder!
Vergebens flossen meine Tränen, hart
Versagt' er meine Bitten, mir verschwand
Des Tages Licht; mein Herz, beklemmt und kalt,
Von keiner Hoffnung mehr belebt, es schien
Auf ewig nun zu stocken; alles war
Für mich verloren, und Seide kommt.

Seide

Und wer kann deinen Tränen widerstehn?

Palmire

Sopir. Er schien gerührt von meinem Jammer;
Doch bald, verhärtet und verstockt, erklärt er,
Es sei umsonst, er gebe mich nicht los.

Seide

Du irrst, Barbar! dir drohet Mahomet
Und Omar; auch Seide darf sich nennen
Nach diesen großen Namen. Liebe,
Vertrauen, Hoffnung, Glaube, Mut befeuern
Den Jüngling, der nach Heldenruhm sich sehnte,
Und dem nun hier die schönste Palme winkt.
Wir brechen deine Ketten, trocknen deine Tränen!
Gott Mahomets! Beschützer unsrer Waffen!
Du, dessen heiliges Panier ich trug,
Der du Medinens Mauern niederrissest;
Auch Mekka stürze nieder, uns zu Füßen!
Omar ist in der Stadt. Geruhig sieht
Das Volk ihn an, nicht mit Entsetzen,
Wie Feinde feindlich den Besieger sehn.
Ihn sendet Mahomet zu großen Zwecken.

Palmire

Uns liebet Mahomet, befreiet mich,
Verbindet uns, zwei Herzen, die ihm ganz
Gehören; aber ach! er ist entfernt,
Wir sind in Ketten.

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