Nadel und Kamm
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Das Seltsamste, was ich auf Reisen sah,
war, was in
Mearret Elnoman geschah,
wo sich stellte dem Richter dar
ein streitendes Paar,
ein Alter mit gestumpftem Zahne
und
ein Jüngling, frisch wie ein Zweig der Myrobalane.
Der Alte
sprach: Walte Gottes Gnad' hie,
halt und erhalte den Kadi,
daß er recht walte
und gerecht verwalte,
sich recht
verhalte
und das Recht erhalte!
Ich hatte eine feine
allerliebste kleine,
glatte, nette, niedliche,
spitzige,
doch friedliche,
schlanke, blanke, flinke, unermüdliche,
eine dienstfertige Dirne,
die sich lenken ließ an einem
Zwirne;
zierlich, manierlich,
behend, hantierlich,
aus
und ein schlüpfend,
hin und her hüpfend,
alles mit Fleiß
verknüpfend;
die überall säumte,
doch nichts versäumte,
die überall steckte und stickte,
und der alles fleckte, was
sie flickte.
Daß ihr Herz war stählern,
rechnete ich ihr
nicht zu den Fehlern,
noch daß sie liebte Fehden
und
führte Stichelreden.
Denn zwar unbiegsam,
war sie mir doch
schmiegsam;
spitzzüngig wie ein Schlängelchen,
doch still
und fromm wie ein Engelchen.
Sie hätte nur wandeln sollen
auf Seiden
und an geblümten Borten weiden;
doch sie erging
sich, vergnügt und bescheiden,
auf meiner Armut kahlen
Heiden.
Nackt blieb sie, um Nacktheit zu bekleiden;
doch
wo sie zog durch die Steppe,
da zog sie hinter sich her eine
lange Schleppe.
Dieser Jüngling nun hat sich nach ihr
gesehnt,
und ich habe sie ihm gelehnt,
sie sich zu nutz zu
machen,
doch zu schonen der Schwachen
und keine
Unbilligkeit
zuzumuten ihrer Willigkeit,
sie nicht
anzustrengen über ihre Kräfte
und sie nicht zu
missbrauchen
im Geschäfte.
Da bringt er sie zurück mir itzt,
und sie
ist geschlitzt;
und vom Ersatz, den er mir bietet,
wird
mein Schaden nicht gegütet.
Der Jüngling sprach: Es ist gegründet,
was der Alte
verkündet.
Doch schlecht hat sie sich aufgeführt;
ich
hatte nur schief sie angerührt,
und mein Finger war ohne
Hut,
da biß sie mich drein und leckte mein Blut.
Doch er
hat von mir im Versatz
einen Schatz,
ein barsches
Bürschchen,
als wie ein Hirschchen,
mit Zinken und Zacken
und elfenbeinblinkendem Nacken;
mutwillig und eitel,
will jedem über die Scheitel,
Jungen die Locken krausen,
Alten die Borsten zausen.
Er liebt Putzen und Zieren,
durch Wälder zu spazieren,
und fürchtet nicht den Weg zu
verlieren,
bricht durch dünn und dicht,
und was sich
sträubt, das macht er schlicht.
Den gab ich zum Unterpfande
dem Alten,
doch der hat ihn nicht wohl gehalten;
ich weiß
nicht, was mein Bürschlein hat verbrochen,
er hat einen Zahn
ihm ausgebrochen.
Da sprach der Richter: Erkläret euch näher ihr Streiter,
oder scheret euch weiter.
Und der Jüngling sprang auf und
sang:
Es verdient bemerkt zu werden, dass Hariri hier
und in ähnlichen Fällen gerade da mit den Versen anhebt, wo
die Poesie des Gegenstandes zu Ende geht, gleichsam um durch
die neue und höhere Form der Darstellung einen neuen und
höheren Schwung zu geben. Ohne diesen Kunstgriff würde die
folgende Auflösung des Rätselstreites höchst langweilig
geworden sein, statt dass sie uns jetzt durch das komische
Pathos, womit die Bettlerlumpen aufgestutzt werden, gar
anmutig vorkommt.
Eine Nadel, abgestumpft und abgenutzt,
Schwarz gerostet und von keinem Nutze,
Lieh er mir zu übler Kleider Besserung,
Dass sie alte Lappen neu aufstutze.
Brach sie aus Gebrechlichkeit, so ist kein Grund,
Dass er ein Verbrechen mir aufmutze.
Doch er hält dafür in seiner Haft zurück
Meinen Kamm,
Statt des Kammes ist im Original ein
Gegenstand, dem die erforderliche doppelsinnige Beschreibung
auf eine für uns anschauliche Weise nicht abzugewinnen war,
nämlich der Augensalbestift, Mil genannt, d. i. dasjenige
Instrument, womit die im Orient gebräuchliche schwarze
Schminke an die Wimpern und Augenränder gebracht wird; ein
ebenso notwendiges Toilettenstück jener Gegenden, wie bei uns
der Kamm. Der Kamm ist nun freilich nicht ganz im Kostüm,
wenigstens der Männer, die dort glatt geschoren sind und
nichts zu kämmen haben. Doch bliebe auch bei diesen etwa noch
eine Zuflucht für den Kamm der Bart. Aber unser Kamm gehört
einem jungen Bürschchen zu, und diese tragen dort allerdings
auch langes Haar, wie die Mädchen; zumal die von der Klasse
der verrufenen Lieblinge halten ganz besonders auf diese
weibliche Zierde.
der mir gedient zum Putze.
Sieh des Alten schmutz'gen Geiz, durch dessen Schuld
Liegen muß mein junges Haar im Schmutze!
Und daraus schließ auf den großen Druck der Not,
Die Erleichtrung hofft von deinem Schutze.
Da sprach der Kadi zum Alten:
Rück heraus ohne Umschweif'
und Falten.
und er hob an:
Bei der Wallfahrt und der Anhöh' Chaif Mina,
Diese Anhöhe Mina, unweit Mekka, worauf ein Bethaus oder Mesgid errichtet ist, nimmt auf der Wallfahrtsscene eine
Hauptstelle ein. Hier wird der Teufel gesteinigt, das Opfer
geschlachtet und zuletzt das Haar geschoren, das während der
Wallfahrt hat wachsen müssen. Doch wir haben es hier nur mit
dem ersten Gebrauch zu thun. Nachdem das Pilgerheer zwei Tage
vor dem Opferfeste feierlich aus Mekka ausgezogen ist, die
erste folgende Nacht schon in Mina zugebracht hat, sodann,
nach dem Betstand auf Arafat, die zweite Nacht in Musdelife,
zieht es am dritten Tag, am ersten selbst des Festes, wieder
nach Mina, und hier dann, beim Weggehen von der Station, ist
es, wo jeder Pilger gegen eine Stelle hin, die Gemret elakaba,
d. i. der kleine Kiesel des beschwerlichen Aufstieges, heißt,
sieben Steine wirft mit den Worten: Im Namen Gottes! Gott ist
groß! Zum Verdruß des Teufels und seiner Engel! u. s. w.
Dieser Gebrauch ist eingesetzt zum Gedächtnis an den Stifter
der Wallfahrt, Abraham, der, als er über diese Örter ging, um
seinen Sohn zu opfern, den Teufel, der ihm eingab, Gott nicht
zu gehorchen, mit Steinwürfen abtrieb. Die Steine aber, die
der Pilger wirft, sollen nicht größer als eine Bohne sein, um
durch das schwache Geschoß mehr Verachtung gegen den Feind zu
bezeigen und auch um den Schaden zu verhüten, der bei der
großen Menge der Pilgrime entstehen könnte. Man legt den Stein
auf die innere Fläche des Daumens und schleudert ihn mit dem
kleinen Finger. Man darf statt der Steine nichts anderes
werfen, nicht etwa goldene oder silberne Münzen, um nicht die
Gläubigen zu versuchen, sie aufzulesen. Nach diesem
Steinwerfen kann der Pilger sein Opfer schlachten, sich
scheren lassen, und nach Mekka zurückkehren, um dort andere
Gebräuche zu verrichten. Aber am folgenden Tage, dem zweiten
des Festes, muß er wieder nach Mina gehen und, wann sich die
Sonne geneigt hat, das Steinwerfen erneuern, und zwar muß er
dann dreimal sieben Steine werfen, je sieben an jeder der drei
Stellen, die den gemeinschaftlichen Namen Gemret führen,
zuletzt bei der Hauptstelle Gemret elakaba. Am dritten Tage
wird dies wiederholt, und ebenso am vierten, dem letzten des
Festes, nur diesmal früher, ehe der Tag sich neigt. An diesen
vier Tagen wirft also jeder Pilgrim siebzig Steine, nämlich
sieben am ersten Tag, und an jedem folgenden einundzwanzig.
Man glaubt, daß alle Steinchen, die ein Gläubiger, der seine
Wallfahrt würdig vollbringt, geworfen hat, sogleich von Engeln
aufgehoben werden; und ohne dieses beständige Wunder wäre aus
den Gemren gar nicht mehr fortzukommen, vor der Menge von
Steinen, von den Pilgern seit so vielen Jahrhunderten dahin
geworfen.
Wo der Frommen Herr den Satan steinigt!
Wäre nicht das Glück mir karg, ich hätte wohl
Meine Großmut an dem Feind bescheinigt,
Hätt', ohn' auf Ersatz der Nadel zu bestehn,
Seines Kamms Herausgab' ihm beschleunigt.
Doch vom Bogen des Geschicks fliegt Pfeil um Pfeil,
Einer trifft, die Furcht des andern peinigt.
Beide, die wir hier als Widersacher stehn,
Durch der Armut Band sind wir vereinigt:
Er, aus Dürftigkeit, kann nicht befrein sein Pfand,
Ich, aus Mangel, kann es lassen frei nicht.
Dieser Schicksalsknoten ist dir vorgelegt;
Löse mild, und hau ihn streng entzwei nicht.
Als der Kadi das angehört,
ward er ganz verstört,
und
als wie bethört,
warf er ihnen hin einen Dinar.
Den
erschnappte der Alte wie ein Aar;
und als er seinen Raub
verschlungen,
sprach er zum Jungen:
Die eine Hälfte ist
mein Anteil am Schatz,
die andere Hälfte nehm' ich an deinem
Platz,
als Schadenersatz
für die zerbrochene Nadel,
so
behalt' ich das Ganze ohne Tadel;
komm nun und nimm in
Empfang deinen Kamm,
auf daß bestehe des Rechtes Stamm.
Da
stand der Junge wie ein verkauftes Lamm.
Doch der Kadi, den
sein Thaler verdross,
gab seinem Mitleid noch einen Stoß
und warf, um den Jungen zu trösten,
ihm ein paar Münzen hin,
nicht von den größten.
Dann sprach er: Nun geht und
vertraget euch
und solcher Fehden entschlaget euch.
Ein
Richter hat nicht dazu die Kassen,
um von den Parteien sie
leeren zu lassen.
Darauf gingen sie bedächtiglich
miteinander einträchtiglich,
laut preisend des Richters
Gütigkeit,
Großmut und Edelmütigkeit.
Er aber konnte noch
nicht verschmerzen
den Thaler, der ihm gerissen war von dem
Herzen;
er ächzte beweglich
und krächzte kläglich,
als
steck' ihm die Brust voll Dolche,
und sprach zu seinem
Gefolge:
Es ahnet mir
und gemahnet mir,
dass die beiden
nicht zwei Parteien,
sondern eine, und zwei Betrüger seien.
Wer kann ein Licht mir zünden,
ihre Heimlichkeit zu
ergründen?
Da sprach sein Hauptspürer
und Obermeuteführer:
Es gibt kein besseres Verständnis,
als ihr eigenes
Geständnis
und kein sichreres Erkenntnis,
als ihr eigenes
Bekenntnis.
Da ward ein Häscher, einer von den raschen,
gesandt, sie einzuhaschen.
Und als sie wieder vor dem Kadi
erschienen,
sprach er zu ihnen mit ernsten Mienen:
Nun
schenket mir reinen Wein aus dem Krug ein,
und geschenkt
soll euch euer Betrug sein!
Da prallte zurück der Junge,
doch der Alte trat vor mit kühner Zunge:
Ich bin der Seruger, und das ist mein Sohn.
Es artet in Zeiten der Welf nach dem Leuen.
In unserem Schatz ist nicht Nadel noch Kamm,
In unserem Haus nichts zu kau'n noch zu käuen.
Den Kummer der Armut, der Dürftigkeit Schutt
Verwenden wir kunstreich zu Dichtungsgebäuen.
Wir locken die Gab' aus geschlossener Hand,
So gut wie aus offner, die Geben mag freuen.
Wir tauschen Geschenk' ein für Täuschung mit Lust,
Dass selbst nicht den Tausch die Getäuschten bereuen.
Und wen, so wie uns, Not im Rücken bedroht,
Der scheut nicht Gefahr, die ins Antlitz mag dräuen.
Der Tod ist das Ende der Mühsal, und wen
Er heut trifft, der braucht ihn nicht morgen zu scheuen.
Da rief der Kadi: Gottes Segen dem Wohlduft, den deine Rede
haucht,
und Heil dir, wäre dein Sinn nicht in Trug getaucht.
Doch ich werde vor dir mich wahren
und warne dich selber
vor Gefahren.
Laß künftig die Richter ohne Beschwerden;
mancher verträgt es nicht, gefoppt zu werden.
Denke des
zeitlichen und des ewigen Verderbes
und befleißige dich
redlichen Gewerbes!
Das versprach ihm der Alte und schied,
und die Tücke saß ihm auf dem Augenlid.