Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

Zum Inhaltsverzeichnis

3. Meine Reise nach Ägypten

Besucher in Serapeum.

Beinahe täglich trafen Besucher aus der Stadt ein und nur, wenn die heiße brennende Sonne des Sommers über unseren Häuptern stand, wurde es einsam in der ganzen Umgebung des Serapeums. Der Mehrzahl nach gehörten die Ankömmlinge zu den Reisenden, die begierig waren, Herrn Mariette und seine aufgedeckten Apisgräber in den unterirdischen Krypten der Wüste zu sehen. Waren es Bekannte oder besonders empfohlene Personen, so strahlten die gewaltigen Gänge, an deren beiden Seiten sich mehr als sechzig offene Grabkammern mit riesigen Sarkophagen aus Granit für das heilige Rindvieh befanden, im Lichtglanz von Hunderten von Kerzen wieder und niemals verfehlte der Anblick einen unbeschreiblichen Eindruck auf die Besucher auszuüben. In stummer Bewunderung durchschritt man die ausgedehnten Bogengänge, um zum Ausgang zurückgekehrt im blendenden Tageslichte der Sonne dem Entdecker in den schmeichelhaftesten Worten für den gebotenen Genuß zu danken.

Daß es vor allem seine französischen Landsleute waren, die nach dem Serapeum pilgerten (der Weg, damals nur auf Eselsrücken zurückzulegen, nahm von Alt Kairo aus vier volle Stunden in Anspruch) und sich der zuvorkommendsten Gastfreundschaft im Marietteschen Hause erfreuten, darf nicht in Verwunderung setzen, denn die Söhne Frankreichs waren auf ihren Bruder stolz, und die französische Presse hat alles dazu beigetragen, in Bild und Wort seine Entdeckungen zu verherrlichen. Den bekanntesten Journalisten und berühmten Schriftstellern seiner Nation, in erster Linie zähle ich Edmond About dazu, erwies deshalb Mariette die erdenklichsten Höflichkeiten, wobei ich regelmäßig die Beobachtung machte, daß sein eifersüchtiges Gefühl es nicht verwinden konnte, mich anders als mit den Worten: »Mon ami Monsieur Br. de Berlin« vorzustellen. Ich war klug genug, meine ägyptische Weisheit unter den Scheffel zu stellen und ihm die verdiente Ehre des Tages zu überlassen, denn ich wußte daß, im Grunde genommen, er mich von Herzen lieb hatte. Sagte man mir: Ah! Monsieur est Prussien, so antwortete er umgehend: Certainement! mais Prussien de mon cœur, wie er mich gleichfalls in seinen vielen an mich gerichteten Briefen zu bezeichnen pflegte.

An einem heißen Sommertage des Monats Mai, der in Ägypten nichts weniger als den Wonnemonat bedeutet, denn die glühend heißen Chamsin-Winde pflegen während seiner Dauer zu blasen, langte eine kleine Eselskarawane im Serapeum an, der vier Franzosen und ihre Begleiter angehörten. Der Vornehmste unter ihnen stellte sich als Herr de Lesseps vor, der später als Gründer des Suezkanals von aller Welt hoch gefeiert wurde und heute zu tage eine so beklagenswerte Rolle in der Panama-Tragödie zu spielen verdammt ist. Er war damals ein rüstiger Mann in den Vierzigern, von kleiner, aber gedrungener Gestalt, mit einem runden Vollgesichte und kurzem schwarzen Barte über den Lippen, aus dessen Augen und Zügen die vollendetste Gutmütigkeit herausstrahlte. Ohne ihn näher zu kennen, konnte man aus diesen Zügen herauslesen, daß ihr Träger nicht fähig war, jemand wissentlich zu täuschen, aber um so fähiger, getäuscht und ausgebeutet zu werden. Obgleich er später in einer für mich verhängnisvollen Angelegenheit die harte Äußerung niederschrieb: »Le dernier Français vaut mille fois mieux que le premier Allemand« so bin ich weit entfernt, ihm deshalb zu zürnen, da er im Übereifer seines französischen Nationalstolzes, zehn Jahre nach Sedan, die so bedenklichen Worte an einen morgenländischen Fürsten gerichtet hatte. Die Eigenschaften eines Mannes von hohem Geiste besaß er nicht, dagegen eine gewisse Schlagfertigkeit und den seinen französischen Witz, der die gesellige Unterhaltung mit seinem Salze würzt. Höflich und zuvorkommend in seinem Auftreten, bezauberte er außerdem durch seine liebenswürdigen Formen und verriet auch darin den Vorzug, der besonders Diplomaten durch Geburt, Erziehung und Stellung eigen zu sein pflegt.

Ein wütender Chamsin-Sturm trat kurz nach der Ankunft der vier Herren ein, so daß der Aufenthalt im Hause geradezu unerträglich ward. Ungeheure Sandmassen bedeckten in einer Sekunde alles Lebende und Tote und die Sonnenscheibe zeigte eine vollständig rotbraune Farbe. Hitze und Staub steigerten sich von Minute zu Minute, aber Mariette ließ nicht die geringste Verlegenheit erkennen, im Gegenteil pries er den Zufall, die schönste Gelegenheit gewonnen zu haben, das bereitete Mittagsessen in den kühlen Räumen der unterirdischen Grabstätten der Apisstiere einzunehmen. Zwischen den glühenden Sandhügeln wanderten wir sämtlich nach den Gräbern in den unterirdischen Krypten. Zu unserem unglaublichsten Erstaunen wurden wir eingeladen, auf einer Holzleiter in einen der größten Sargkolosse eines heiligen Stieres hinabzusteigen, um an einem gedeckten und mit Speisen besetzten Tische auf sechs Stühlen unseren Platz einzunehmen. Niemand fand den Raum beengt und wir verlebten die angenehmsten Stunden in der steinernen Truhe. Wenn ich gelegentlich erzählt habe, gemeinschaftlich mit fünf Gästen in einem Sarge eine Mittagsmahlzeit eingenommen zu haben, so lächelte man darüber oder schüttelte ungläubig den Kopf. Und doch ist es thatsächlich geschehen.

Übrigens sollte mir das beschriebene Mittagsmahl recht schlecht bekommen. Ich hatte die Unbesonnenheit begangen, gegen Sonnenuntergang nach aufgehobener Tafel den Weg nach dem Dorfe Sakkarah in einer Entfernung von einer kleinen Stunde zu Fuß zurückzulegen. Mariette besaß mitten im Dorfe ein Haus, wie alle übrigen aus schwarzen Nilschlammziegeln aufgeführt, in welchem wir während der heißen Sommernächte zu schlafen pflegten, und dahin lenkte ich meine Schritte, um eine Arbeit, die mich fesselte, zu erledigen. Urplötzlich brach der Chamsin mit neuer Heftigkeit los und warf mir ganze Sandlagen in die Augen. Ich verirrte mich zuletzt in der Wüste und traf erst spät am Abend nach zweistündigem Marsche an Ort und Stelle ein. Zum Tode erschöpft warf ich mich auf das Bett, das ich während voller drei Wochen nicht zu verlassen vermochte. Ich war von den Windpocken erfaßt und erst Dr. Bilharz ärztlichem Beistande, der aus Kairo herbeigeeilt war, gelang es, mich wieder herzustellen. Während meines Krankenlagers hatte ich die Überraschung des Besuches eines deutschen Landsmannes, des Grafen Schlieffen von Schlieffenberg, der bereits seit mehreren Jahren Ägypten und Nubien bereiste, um von der in seiner Familie erblichen Schwindsucht befreit zu werden. Er war der letzte und jüngste von mehreren Brüdern, die der schrecklichen Krankheit auf europäischer Erde erlegen waren. Auf ärztlichen Rat trat er in Begleitung seiner betagten würdigen Mutter die Reise nach Ägypten noch vor Beginn der winterlichen Jahreszeit an, und beide schreckten nicht davor zurück, ihren Weg bis nach der Provinz Dongola, im Norden von Chartum, auszudehnen und monatelang wie verschollen in diesen unwirtsamen und von Europäern selten besuchten warmen Gegenden zu weilen. Den jungen Grafen, einen hochauf geschossenen Jüngling im Alter von zwanzig und einigen Jahren, hatte die herrliche Mutter dem Leben erhalten und damit einen neuen Beweis geliefert, daß einem Mutterherzen kein Opfer zu groß erscheint, wenn es sich um das Dasein eines geliebten Kindes handelt. Ich habe später die Ehre gehabt, ihr in Kairo vorgestellt zu werden und ihr frommes Gemüt und die Klugheit ihres Verstandes in vollstem Maße schätzen zu lernen. Bei dieser Gelegenheit bleibe es nicht unerwähnt, daß der junge Graf eine historisch wichtige und aus den Zeiten des Äthiopenreiches herrührende Steininschrift in Dongola zu entdecken das Glück hatte, die von gewaltigem Umfange ist und gegenwärtig einen der wichtigsten Schätze des Berliner Museums bildet. Ihr Transport nilabwärts durch die schlimmen Wasserfälle Nubiens gelang in der glücklichsten Weise.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de