3. Meine Reise nach Ägypten
Besucher in Serapeum.
Beinahe täglich trafen Besucher aus der Stadt ein und nur,
wenn die heiße brennende Sonne des Sommers über unseren
Häuptern stand, wurde es einsam in der ganzen Umgebung des
Serapeums. Der Mehrzahl nach gehörten die Ankömmlinge zu den
Reisenden, die begierig waren, Herrn Mariette und seine
aufgedeckten Apisgräber in den unterirdischen Krypten der
Wüste zu sehen. Waren es Bekannte oder besonders empfohlene
Personen, so strahlten die gewaltigen Gänge, an deren beiden
Seiten sich mehr als sechzig offene Grabkammern mit riesigen
Sarkophagen aus Granit für das heilige Rindvieh befanden, im
Lichtglanz von Hunderten von Kerzen wieder und niemals
verfehlte der Anblick einen unbeschreiblichen Eindruck auf die
Besucher auszuüben. In stummer Bewunderung durchschritt man
die ausgedehnten Bogengänge, um zum Ausgang zurückgekehrt im
blendenden Tageslichte der Sonne dem Entdecker in den
schmeichelhaftesten Worten für den gebotenen Genuß zu danken.
Daß es vor allem seine französischen Landsleute waren, die
nach dem Serapeum pilgerten (der Weg, damals nur auf
Eselsrücken zurückzulegen, nahm von Alt Kairo aus vier volle
Stunden in Anspruch) und sich der zuvorkommendsten
Gastfreundschaft im Marietteschen Hause erfreuten, darf nicht
in Verwunderung setzen, denn die Söhne Frankreichs waren auf
ihren Bruder stolz, und die französische Presse hat alles dazu
beigetragen, in Bild und Wort seine Entdeckungen zu
verherrlichen. Den bekanntesten Journalisten und berühmten
Schriftstellern seiner Nation, in erster Linie zähle ich
Edmond About dazu, erwies deshalb Mariette die erdenklichsten
Höflichkeiten, wobei ich regelmäßig die Beobachtung machte,
daß sein eifersüchtiges Gefühl es nicht verwinden konnte, mich
anders als mit den Worten: »Mon ami Monsieur Br. de Berlin«
vorzustellen. Ich war klug genug, meine ägyptische Weisheit
unter den Scheffel zu stellen und ihm die verdiente Ehre des
Tages zu überlassen, denn ich wußte daß, im Grunde genommen,
er mich von Herzen lieb hatte. Sagte man mir: Ah! Monsieur est
Prussien, so antwortete er umgehend: Certainement! mais
Prussien de mon cœur, wie er mich gleichfalls in seinen vielen
an mich gerichteten Briefen zu bezeichnen pflegte.
An einem heißen Sommertage des Monats Mai, der in Ägypten
nichts weniger als den Wonnemonat bedeutet, denn die glühend
heißen Chamsin-Winde pflegen während seiner Dauer zu blasen,
langte eine kleine Eselskarawane im Serapeum an, der vier
Franzosen und ihre Begleiter angehörten. Der Vornehmste unter
ihnen stellte sich als Herr de Lesseps vor, der später als
Gründer des Suezkanals von aller Welt hoch gefeiert wurde und
heute zu tage eine so beklagenswerte Rolle in der
Panama-Tragödie zu spielen verdammt ist. Er war damals ein
rüstiger Mann in den Vierzigern, von kleiner, aber gedrungener
Gestalt, mit einem runden Vollgesichte und kurzem schwarzen
Barte über den Lippen, aus dessen Augen und Zügen die
vollendetste Gutmütigkeit herausstrahlte. Ohne ihn näher zu
kennen, konnte man aus diesen Zügen herauslesen, daß ihr
Träger nicht fähig war, jemand wissentlich zu täuschen, aber
um so fähiger, getäuscht und ausgebeutet zu werden. Obgleich
er später in einer für mich verhängnisvollen Angelegenheit die
harte Äußerung niederschrieb: »Le dernier Français vaut mille
fois mieux que le premier Allemand« so bin ich weit entfernt,
ihm deshalb zu zürnen, da er im Übereifer seines französischen
Nationalstolzes, zehn Jahre nach Sedan, die so bedenklichen
Worte an einen morgenländischen Fürsten gerichtet hatte. Die
Eigenschaften eines Mannes von hohem Geiste besaß er nicht,
dagegen eine gewisse Schlagfertigkeit und den seinen
französischen Witz, der die gesellige Unterhaltung mit seinem
Salze würzt. Höflich und zuvorkommend in seinem Auftreten,
bezauberte er außerdem durch seine liebenswürdigen Formen und
verriet auch darin den Vorzug, der besonders Diplomaten durch
Geburt, Erziehung und Stellung eigen zu sein pflegt.
Ein wütender Chamsin-Sturm trat kurz nach der Ankunft der
vier Herren ein, so daß der Aufenthalt im Hause geradezu
unerträglich ward. Ungeheure Sandmassen bedeckten in einer
Sekunde alles Lebende und Tote und die Sonnenscheibe zeigte
eine vollständig rotbraune Farbe. Hitze und Staub steigerten
sich von Minute zu Minute, aber Mariette ließ nicht die
geringste Verlegenheit erkennen, im Gegenteil pries er den
Zufall, die schönste Gelegenheit gewonnen zu haben, das
bereitete Mittagsessen in den kühlen Räumen der unterirdischen
Grabstätten der Apisstiere einzunehmen. Zwischen den glühenden
Sandhügeln wanderten wir sämtlich nach den Gräbern in den
unterirdischen Krypten. Zu unserem unglaublichsten Erstaunen
wurden wir eingeladen, auf einer Holzleiter in einen der
größten Sargkolosse eines heiligen Stieres hinabzusteigen, um
an einem gedeckten und mit Speisen besetzten Tische auf sechs
Stühlen unseren Platz einzunehmen. Niemand fand den Raum
beengt und wir verlebten die angenehmsten Stunden in der
steinernen Truhe. Wenn ich gelegentlich erzählt habe,
gemeinschaftlich mit fünf Gästen in einem Sarge eine
Mittagsmahlzeit eingenommen zu haben, so lächelte man darüber
oder schüttelte ungläubig den Kopf. Und doch ist es
thatsächlich geschehen.
Übrigens sollte mir das beschriebene Mittagsmahl recht
schlecht bekommen. Ich hatte die Unbesonnenheit begangen,
gegen Sonnenuntergang nach aufgehobener Tafel den Weg nach dem
Dorfe Sakkarah in einer Entfernung von einer kleinen Stunde zu
Fuß zurückzulegen. Mariette besaß mitten im Dorfe ein Haus,
wie alle übrigen aus schwarzen Nilschlammziegeln aufgeführt,
in welchem wir während der heißen Sommernächte zu schlafen
pflegten, und dahin lenkte ich meine Schritte, um eine Arbeit,
die mich fesselte, zu erledigen. Urplötzlich brach der Chamsin
mit neuer Heftigkeit los und warf mir ganze Sandlagen in die
Augen. Ich verirrte mich zuletzt in der Wüste und traf erst
spät am Abend nach zweistündigem Marsche an Ort und Stelle
ein. Zum Tode erschöpft warf ich mich auf das Bett, das ich
während voller drei Wochen nicht zu verlassen vermochte. Ich
war von den Windpocken erfaßt und erst Dr. Bilharz ärztlichem
Beistande, der aus Kairo herbeigeeilt war, gelang es, mich
wieder herzustellen. Während meines Krankenlagers hatte ich
die Überraschung des Besuches eines deutschen Landsmannes, des
Grafen Schlieffen von Schlieffenberg, der bereits seit
mehreren Jahren Ägypten und Nubien bereiste, um von der in
seiner Familie erblichen Schwindsucht befreit zu werden. Er
war der letzte und jüngste von mehreren Brüdern, die der
schrecklichen Krankheit auf europäischer Erde erlegen waren.
Auf ärztlichen Rat trat er in Begleitung seiner betagten
würdigen Mutter die Reise nach Ägypten noch vor Beginn der
winterlichen Jahreszeit an, und beide schreckten nicht davor
zurück, ihren Weg bis nach der Provinz Dongola, im Norden von
Chartum, auszudehnen und monatelang wie verschollen in diesen
unwirtsamen und von Europäern selten besuchten warmen Gegenden
zu weilen. Den jungen Grafen, einen hochauf geschossenen
Jüngling im Alter von zwanzig und einigen Jahren, hatte die
herrliche Mutter dem Leben erhalten und damit einen neuen
Beweis geliefert, daß einem Mutterherzen kein Opfer zu groß
erscheint, wenn es sich um das Dasein eines geliebten Kindes
handelt. Ich habe später die Ehre gehabt, ihr in Kairo
vorgestellt zu werden und ihr frommes Gemüt und die Klugheit
ihres Verstandes in vollstem Maße schätzen zu lernen. Bei
dieser Gelegenheit bleibe es nicht unerwähnt, daß der junge
Graf eine historisch wichtige und aus den Zeiten des
Äthiopenreiches herrührende Steininschrift in Dongola zu
entdecken das Glück hatte, die von gewaltigem Umfange ist und
gegenwärtig einen der wichtigsten Schätze des Berliner Museums
bildet. Ihr Transport nilabwärts durch die schlimmen
Wasserfälle Nubiens gelang in der glücklichsten Weise.