6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Das Ende vom Liede.
Die Dinge nahmen indes ihren weiteren Gang, und es wurden
zunächst Maßregeln getroffen, um ein Sparsamkeitssystem zu
schaffen, durch das eine große Zahl angestellter Europäer auf
das härteste getroffen wurde. Gegen eine kleine Entschädigung
gab man ihnen den Abschied. Man verminderte zugleich das Heer
der ägyptischen Beamten oder strich von dem bisher gezahlten
Solde einen erklecklichen Teil ab.
Auch meine Person blieb von den neuen Maßregeln nicht
verschont. Ich muß die Bemerkung voranschicken, daß nach
meinen in Wien zu Gunsten der ägyptischen Regierung erreichten
großen Erfolgen der Khedive mich auf das dringendste
aufgefordert hatte, in seinen Diensten zu bleiben. Mein
fünfjähriger kaiserlicher Urlaub war abgelaufen und mein
Entschluß stand fest, nach Göttingen zurückzukehren und meine
Vorlesungen von neuem wieder aufzunehmen. Der Vizekönig war so
wenig mit meinem Entschlusse einverstanden, daß er mich
ersuchte, sofort und auf seine Kosten nach der Heimat zu
eilen, um dem Kaiser Wilhelm I. mein Gesuch um Verlängerung
des Urlaubes auf unbestimmte Zeit zu Füßen zu legen.
Bei meiner Ankunft im Vaterlande befanden sich beide
Majestäten, der Kaiser und die Kaiserin, in Koblenz. Ich nahm
meinen Weg nach dem Rhein, hatte die Auszeichnung, empfangen
und zur Tafel gezogen zu werden, und ergriff die Gelegenheit,
meinem kaiserlichen Herren die Wünsche des Khedive in Bezug
auf meine bescheidene Person zum Ausdruck zu bringen. »Ich
wünsche es selber,« so lautete die Antwort aus seinem Munde, »daß
meine Unterthanen auch im Morgenlande und im Dienste
orientalischer Fürsten den deutschen Namen zur Geltung
bringen. Bleiben Sie beim Khedive, so lange es die
Verhältnisse gestatten.« Im weiteren Verlaufe des Gesprächs
mußte ich mich tief beschämt fühlen, als mein Kaiser und Herr
in seiner bekannten Herzensgüte mit lächelndem Munde die
Bemerkung fallen ließ: »Ich habe beinahe Angst, mich mit Ihnen
zu unterhalten. Ich bin nur Soldat und Sie ein grundgelehrter
Mann.« Ich glaube, daß ich blutrot geworden bin. Mir, dem
Sohne eines einfachen Soldaten, war, als sollte ich dem
Heldenkaiser zu Füßen fallen und iu tiefster Rührung und
Dankbarkeit seine Hände küssen. Hatte ich, der Geringsten
einer, eine solche Anerkennung des großmütigen Herrschers
verdient, zu dem die ganze Welt mit Bewunderung aufschaute?
Ich kehrte nach Ägypten zurück, nachdem ich in Göttingen
meine Wirtschaft aufgelöst und meine feste Hausburg aus freier
Hand verkauft hatte. Zum Sommeraufenthalte meiner
kinderreichen Familie hatte ich mir Graz, die Hauptstadt der
an landschaftlichen Schönheiten so reichen österreichischen
Provinz Steiermark ausersehen, aus dem besonderen Grunde, weil
der Reiseweg von und nach Ägypten um ein bedeutendes verkürzt
ward. Ich bezog das sogenannte Hallerschlößl am Ruckerlberge
außerhalb der Stadt, da der geforderte Mietspreis mäßig war
und die Rundschau von den Altanen des weitläufigen Gebäudes
über die Gebirgswelt geradezu entzückte.
Die Nachteile meiner europäischen Wohnstätte sollte meine
Familie im Laufe der nächsten Zeit mit aller Gründlichkeit
kennen lernen. Im Sommer wechselten die stärksten Gewitter und
abkühlende Regengüsse mit der sengendsten Hitze im
Handumdrehen ab. Im Winter trat die bitterste Kälte ein und
meterhoch lag der gefallene Schnee im Schloßgarten und auf der
Landstraße daneben. Die Lebensmittel, die aus der Stadt
bezogen wurden, mußten an der»Mauth«, dicht vor dem
Grundstücke, versteuert werden, und was der Übel mehr waren.
Dafür bot mir Graz, das österreichische Pensionopolis, nicht
die geringsten geistigen Genüsse dar; aber der »Tratsch« stand
in vollster Blüte und niemand fühlte sich vor der Zunge seines
nächsten Nachbarn sicher. Dem Berliner kam es außerdem hart
an, nirgends auf einen Landsmann zu stoßen und heimatliche
Laute zu hören. Der steierische Dialekt konnte mir trotz
seiner Urwüchsigkeit keine Entschädigung bieten und kam ich
mit dem Landvolk ins Gedränge, so konnte ich ihren Worten
nicht das geringste Verständnis abgewinnen. Mir war's als
hörte ich eine unbekannte Negersprache.
Dem Faß wurde vollends der Boden ausgestoßen, als ich in
einer Grazer Gesellschaft besten Stiles als Br. Bey aus
Ägypten einem Professor der Geschichte vorgestellt wurde, aus
dessen Feder manches gelehrte Buch historischen Inhalts
geflossen ist. Beim Tischgespräch brachte er die Rede zufällig
auf den ägyptischen König Ramses II. mit dem Beinamen des
Großen. Als ich mir die Freiheit nahm, einige seiner kühnsten
Aussagen zu berichtigen, war er augenscheinlich betroffen und
sah mich groß an. Bei meinem Hinweis auf eigene geschichtliche
Untersuchungen auf altägyptischem Gebiete und auf Grund meiner
hieroglyphischen Erfahrungen schien er ganz aus dem Häuschen
zu sein. »Was! Sie haben sich damit beschäftigt und wohl gar
darüber geschrieben?« – »Ihnen zu dienen, Herr Professor, da
ich selber Universitäts-Professor bin.« – Sein Staunen war so
außerordentlich, daß er mich um meine nähere Bekanntschaft
bat, um von meinen Arbeiten Genaueres zu hören.
Als ich das gastliche Haus verließ und kaum aus dem
Hausthor herausgetreten war, richtete ich an meine Frau die
ernsthafte Frage: »Ist es dir recht, wenn wir Pensionopolis
verlassen?« – Aber warum, lieber Mann? – »Darum!« – Und wohin?
– »Nach der Stadt der Intelligenz, nach Berlin! In Graz bin
ich bei lebendigem Leibe ein toter Mann.«
Nach meiner Ankunft in Kairo, um den Faden meiner Erzählung
an rechter Stelle wieder anzuknüpfen, fand ich den Vizekönig
in bester Laune vor, und er versprach es mir feierlich, dem
Kaiser von Deutschland seinen Dank für die huldvolle
Bewilligung meines unbeschränkten Urlaubs schriftlich zu
bezeugen. Ich selber gehörte fortan dem Hofe des Khedive an,
wenn auch meine Besoldungen aus der Kasse des
Unterrichtsministeriums flossen.
Die nächsten paar Jahre verstrichen in ruhiger,
wissenschaftlicher Thätigkeit, bis die Stunde gekommen war, in
der auch mein Name dem britischen Prüfungskommissar in die
Augen fiel und über meine zukünftige Verwendung ein Beschluß
gefaßt wurde. Ich erhielt die höfliche Aufforderung, mich dem
Ministerium der Finanzen als zukünftiger Beamter zur Verfügung
zu stellen. Herr Wilson schien von meinen geäußerten Bedenken
über meine Befähigung zu einem Finanzbeamten wenig erbaut zu
sein. Nachdem ich ihm das ehrliche Bekenntnis abgelegt hatte,
daß ich so gut wie nichts davon verstände, entspann sich
zwischen uns ein Dialog, der für mich kein erbauliches Ende
nahm. Aus der Erinnerung zitiere ich seine Kraftstellen.
»Was sind Sie eigentlich?«
– Ein getreuer Unterthan Seiner Majestät des Kaisers von
Deutschland.
»Nein, ich meine, was Sie gelernt haben, wozu Sie im
Dienste der Regierung tauglich sind?«
– Ich bin ein Gelehrter und in meiner Heimat
Universitäts-Professor.
– »Können wir hier nicht brauchen, Leute von Ihren
Kenntnissen giebt es zu Hunderten in England.«
Ich empfand diese Äußerung wie einen Stich in das Herz,
denn ihr Urheber offenbarte so wenig die Höflichkeit eines
englischen Gentleman, wie sie mir überall auf meinen Reisen
von seinen Landsleuten erwiesen war, daß ich fast daran
zweifelte, in ihm einen echten Sohn Albions zu erkennen. Mir
blieb nichts weiter übrig als mich zu empfehlen, nach Hause zu
eilen, sofort meinen Abschied aus ägyptischen Diensten
schriftlich einzureichen und die Vorbereitungen für meine
Übersiedlung aus Ägypten nach Europa zu treffen. Meine
Wirtschaft ließ ich in sicherem Gewahrsam zurück, nahm mir auf
dem nächsten Lloyddampfer meinen Platz und verließ mit den
bittersten Gefühlen Ägypten, das mir in den Tagen Ismails zur
zweiten Heimat geworden war.
Nach meiner Abreise brach das Unglück über den Khedive
herein. Sein ältester Sohn Mohammed Tewfik wurde nach dem
veränderten Erbrecht zu seinem Nachfolger ernannt und eine
neue, wenn auch schwere Zeit sollte bald darauf über das Land
einbrechen.
Ich eilte nach Graz zu meiner Familie und führte
unverzüglich meinen vorher gefaßten Entschluß aus, meinen
festen Wohnsitz nach Berlin zu verlegen, um inmitten meiner
Landsleute die Unbill zu vergessen, die mir durch einen
englischen Kommissar in Kairo widerfahren war. Mit meinem
ganzen Volke zog ich nach Norden und atmete erst freier auf,
als der Zug von Wien aus in den Anhaltischen Bahnhof einbog
und die ersten heimatlichen Laute an mein Ohr schlugen.
Rührten sie auch von Gepäckträgern her, immerhin empfand ich
das Gefühl, unter den Meinen zu sein, und mit wahrer Wonne
schüttelte ich den Staub von meinen Füßen.
Aber welch' ein verändertes Bild bot mir mein liebes Berlin
dar! Aus meiner alten Vaterstadt mit ihren beschränkten und
beengten Verhältnissen, mit ihrem holprigen Steinpflaster und
duftenden Rinnsteinen, mit ihren bescheidenen glattwändigen
Häusern und schmucklosen Marktplätzen, mit ihren mir so wohl
bekannten Straßenzeilen samt ihren steifen altväterischen
Thoren, welche die halb verfallene Ringmauer durchbrachen, mit
ihren Steuerhäusern und Thorwachen, und nicht zum letzten mit
ihren alten Berlinern, unter denen mir so manches bekannte
Gesicht auf meinen Gängen in den Wurf kam mit all' jenen
Erinnerungen, wie sie von der Jugendzeit her unauslöschlich in
meinem Gedächtnis haften geblieben waren, – aus dieser meiner
Vaterstadt war nicht nur die Hauptstadt des Deutschen Reiches
und die Residenz eines deutschen Kaisers geworden, sondern
eine wahrhafte Weltstadt entstanden, die angefangen hatte mit
Paris und London um den Ruf der Größe und Schönheit in den
Wettkampf einzutreten. Alles fand ich verändert im
zielbewußten Sturmlauf nach dem Vollkommenen und in riesig
steigender Zunahme einer Bevölkerung, der die stetige
Einwanderung von außen von Monat zu Monat eine fast
unglaubliche Mehrung zuführte. Die Ringmauer war gefallen,
Berlin wurde es zu eng im alten Bereiche, neue Straßen wuchsen
wie durch Zauber auf dem Boden der ehemaligen Vorörter hervor,
wobei dem Westen der Löwenanteil gebührte, mit einem Worte,
Berlin war dem Phönix gleich aus der Asche des alten
hervorgewachsen, nur größer, schöner als der Vater gewesen
war. Schienenwege, mitten durch die Stadt und rings um
dieselbe gezogen, und ein vielverzweigtes Netz von
Straßenbahnen und Omnibuslinien war gleichsam über Nacht
geschaffen worden, um den Verkehr in der jüngsten Weltstadt zu
erleichtern und ihre Bewohner in kürzester Zeit an die
entlegensten Punkte zu versetzen. Eine Millionenstadt voller
Reichtum, Wohlleben und Luxus hatte eben ihre Auferstehung
gefeiert, und wenn auch der echte Berliner bis zum witzigen
Schusterjungen hin in der Bevölkerung nur noch der Minderheit
angehörte, den Zugezogenen war das Berlinertum in das Fleisch
und Blut übergegangen und der Berliner Geist vererbte sich
selbst auf die Fremden.
Man frage nicht, ob ich mich wohl in meiner Vaterstadt
fühlte. Ich hatte, im Auslande lange Jahre lebend, ihren Wert
in seinem ganzen Umfange zu schätzen gelernt, und ich empfand
es wie einen Lohn, nach den Kämpfen in drei Weltteilen wieder
unter meinen Landsleuten als eiuer der ihrigen weilen zu
dürfen. Freilich waren von meinen älteren Freunden viele in
den Hafen eingezogen, der keine Rückkehr gestaltet, auch meine
eigene liebe Mutter hatte gleich nach meiner Übersiedlung
diese Zeitlichkeit gesegnet, glücklich, im Vaterlande ihre
letzte Ruhestätte zu finden, aber mir ward es nicht mehr bange
ums Herz, nachdem ich mein Heim an den Ufern der Spree aufs
neue gegründet hatte. Ich siedelte mich in Charlottenburg an,
besaß mein eigenes Haus mit einem Gärtchen dahinter und in
ungestörter Ruhe pflanzte ich meinen Kohl, d.h. ich öffnete
meine Kisten, um meine altägyptischen papiernen Schätze
hervorzuholen und meine Studien mit jugendlicher Begeisterung
wieder aufzunehmen und vor allem mein großes Wörterbuch zu
Ende zu führen. Da erreichte mich ein Brief aus Frankreich,
von der Hand meines Freundes Mariette geschrieben. Er fühlte
sich dem Tode nahe und flehte mich an, nach Paris oder Ägypten
zu kommen, um mit ihm wichtige Dinge zu besprechen.