6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Die Eröffnung des Kanales von Sues.
Am 17. November 1869 war die Feier angesetzt worden, an
welcher die Eröffnung des Kanales von Sues in pomphafter Weise
vor sich gehen sollte. Es lag die Absicht vor, ein Fürsten-
und Völkerfest herzuzaubern, wie seinesgleichen auf der Welt
nie dagewesen war. Rechtzeitig waren die Einladungen an die
regierenden Fürsten Europas erlassen worden, nicht weniger an
eine Reihe hervorragender Personen der europäischen
Gesellschaft, und ebenso hatte man es nicht vergessen, die
Herren der Großmacht »Presse« durch eine besondere Einladung
auszuzeichnen. Kosten wurden den Reisenden unter keinen
Umständen auferlegt, denn Eisenbahnen, Dampfschiffe, Wagen,
Hotels, mit einem Worte, alles stand zu ihrer Verfügung, wobei
die Verpflegung bis zu den feinsten Weinen hin als wahrhaft
königlich bezeichnet werden konnte. Die verfallenen Bauten aus
alter und junger Zeit in Alexandrien, Kairo und an sonstigen
von den Reisenden gewöhnlich besuchten Punkten im Lande waren
auf Befehl des Vizekönigs neu auflackiert worden, um den
Ankömmlingen einen ergötzlichen Anblick zu bieten, und mein
»Wesir des Wissens«, der sich als großer Kenner arabischer
Architektur aufspielte, war wochenlang damit beschäftigt
gewesen, die wundervollen Moscheen und baulichen Anlagen aus
der älteren arabischen Zeit Ägyptens iu fürchterlichster Weise
zu verhunzen. Die Flächen der herrlichen Denkmäler wurden
nämlich mit weißen, roten, blauen, grünen und schwarzen
Streifen wie mit farbigen Notenlinien bedeckt, deren Anblick,
wie es nicht anders sein konnte, einen abscheulichen Eindruck
hervorrief. Bei der Ankunft der eingeladenen Gäste in Kairo
entrang sich ein Schrei der Entrüstung dem Munde der Wanderer,
und man wollte es nicht glauben, daß ein Wesir der Aufklärung
eine Ehre darin setzen konnte, das monumentale Kairo von oben
bis nuten mit Hilfe eines Mauerpinsels anstreichen zu lassen.
In den Hotels war kein Plätzchen mehr zu haben, denn die
Regierung hatte jeden verfügbaren Raum zu hohen Preisen
gemietet, um die ankommenden Gäste in würdigster Weise
aufzunehmen. Zahllose Dampfer lagen geheizt auf dem Flusse
oder in den Häfen von Alexandrien und Pork-Sajid, gewärtig des
Augenblicks, die eingeladenen Gäste zu empfangen. Alles, was
sich nur bewegen konnte, war auf den Beinen, um dem großen
Feste von Sues entgegen zueilen oder sich unter falscher
Flagge mitten unter die große Schar der Festgenossen
einzudrängen.
Je näher der große Tag kam, je mehr wuchs die Aufregung,
besonders als die ersten Fremden wie Wandervögel angeflogen
kamen. Diejenigen, die ihren Weg nach Alexandrien genommen
hatten, wurden von hier aus nach Osten hin weiter geschafft,
und mir selber ward bei solchem Geschäft der Auftrag, die
deutschen und österreichischen Gäste auf einem ägyptischen
Kriegsschiffe nach Port-Sajid zu geleiten und sie den Kanal
seiner ganzen Länge nach durchziehen zu lassen. Es war in der
Nacht vom 15. zum 16. November, als das mit der kostbaren
lebendigen Ware beladene Schiff längs der ägyptischen
Meeresküste auf sehr bewegter Wasserstraße dahinzog, denn die
See war unruhig und das Wetter ließ sich ziemlich trübe an.
In dem Hafen von Port-Sajid ankerten Kriegsschiffe aller
Nationen, die Fürstlichkeiten ersten Ranges von ihren
Heimatsländern nach Ägyptens Küste getragen hatten, und an den
Tauen und Raen flatterten Hunderte und Aberhunderte bunter
Flaggen zum seemännischen Ausdruck des Grußes und der höchsten
festlichen Stimmung. Die Kaiserin Eugenie der Franzosen und
der Kaiser Franz Josef von Österreich-Ungarn standen an der
Spitze der gekrönten Gäste, während es meinem preußischen
Herzen wohl that, in dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm,
unserem späteren Kaiser Friedrich III., den Vertreter meiner
deutschen Heimat begrüßen zu dürfen. Er war nach Ägypten
gekommen, nicht bloß um durch seine Gegenwart. die geplante
Feier der Kanaleröffnung verherrlichen zu helfen, sondern
zugleich in der Absicht, trotz der kurz zugemessenen Zeit die
Kalifenstadt Kairo und das Wunderland Oberägypten durch
Augenschein kennen zu lernen. Als Begleiter und Führer durch
das monumentale Oberland hatten sich dem fürstlichen Helden
die Professoren Lepsius und Dümichen angeschlossen, die indes
auf der gewöhnlichen Reisestraße ihren Weg nach Kairo
eingeschlagen hatten. Dem Kronprinzen, dem ich aus früheren
Zeiten her hinlänglich bekannt war, machte es sichtlich
Vergnügen, durch einen preußischägyptischen Beamten die ersten
Grüße des Vizekönigs zu empfangen und sich mit mir über die in
den nächsten Tagen kommenden Dinge unterhalten zu können.
Es kann mir nicht einfallen, die Leser durch eine
Darstellung der Feierlichkeiten in der Stadt Ismaïlia und an
anderen Punkten des Sues-Kanales zu ermüden. Durch einen
mohammedanischen, katholischen, evangelischen und jüdischen
Geistlichen wurde der Kanal eingesegnet, die Kanonen
donnerten, die eingeladenen Gäste stießen ihre Freudenrufe
aus, mit einem Worte, die Feier wurde in der glanzvollsten
Weise programmmäßig ausgeführt. Nächst dem Vizekönig erregte
der alte Lesseps, wie er schon damals genannt wurde, allseitig
die höchste Aufmerksamkeit. Man drängte sich um ihn,
schüttelte ihm die Hände und beglückwünschte ihn zu dem großen
Erfolge seines gelungenen Werkes. Ich hielt ihn damals für den
gefeiertsten Friedenshelden unserer Zeit und dachte nicht an
das Solonische Wort, daß niemand vor seinem Tode glücklich zu
preisen sei. Die Panama-Skandale haben auch seinen Namen
befleckt, wenn auch angenommen werden muß, daß er ohne nähere
Prüfung der Geldlage in das Blaue hinein wirtschaftete, nur um
Zeit zu gewinnen, die Kanalangelegenheit in die Länge zu
ziehen. Er machte es wie der Vogel Strauß, der nach der Sage
den Kopf in den Sand steckt, um eine drohende Gefahr zu
übersehen.
Die Fürstlichkeiten und die sonstigen eingeladenen Gäste
wurden in die Schlösser, Privatgebäude oder in Zelte
einquartiert, auf das köstlichste bewirtet und durch
Vergnügungen aller Art, als Ball, Feuerwerk, öffentliche Tänze
bis in die späte Nacht hinein unterhalten. Ich sah bei dieser
Gelegenheit die Kaiserin Eugenie in Begleitung der
österreichischen Fürstin Metternich vor einem geöffneten Zelte
stehen, in welchem arabische Tänzerinnen den sogenannten
Bienentanz aufführten, ohne an dem nichts weniger als für
Damen geeigneten Anblick den geringsten Anstoß zu nehmen.
Im übrigen bestand die ganze vielköpfige Gesellschaft,
insofern es sich um die Europäer handelte, aus zwei beinahe
gleichstarken Hälften. Die eine davon wurde bedient, die
andere übernahm das Geschäft des Bedienens. Die Angestellten
des vizeköniglichen Hofes hatten bei weitem nicht ausgereicht,
für den Fremdendienst die erforderlichen Kräfte zu bieten, man
hatte deshalb zu dem Hilfsmittel gegriffen, alle nur
einigermaßen tauglichen Europäer in Alexandrien und Kairo in
Uniformen oder in schwarze Fracks und weiße Binden zu stecken.
Ich entdeckte eine Menge deutscher Handwerker darunter, wie
beispielsweise einen Schuster aus Potsdam, der in größter
Würdigkeit aus einer Champagnerflasche den Gästen die Gläser
füllte, während eine Zweite mit dem Silberkopfe aus seiner
Fracktasche verräterisch hervorlugte. Ich habe dem Manne die
stille Champagnerlust gar nicht übel genommen, denn selbst
mancher geehrte Gast folgte demselben Beispiel, und ich freute
mich nicht wenig darüber, wenn ich sah, wie dies und jenes
Mitglied der eingeladenen Gesellschaft sich in den Hintergrund
eines Büffettzeltes begab, um den Inhalt einer Kiste echter
Havannazigarren in seine Taschen verschwinden zu lassen. Der
Mensch ist eben in gewissen Fällen ein gieriges Raubtier,
selbst wenn es keine Jungen zu nähren hat.
Es kann nicht Wunder nehmen, daß die Kosten des Festes sich
später als recht erhebliche herausstellten. Wenn ich die Zahl
von hundert Millionen Mark an führe, so bin ich noch weit
hinter der Wahrheit geblieben, aber natürlich kann auch etwa
nur ein Drittel dieser Summe als wirkliche Ausgabe betrachtet
werden. Das andere, wie man zu sagen pflegt, ging nebenher
darauf, wobei ohne Unterschied der Religion und der Abstammung
der Diebstahl in seiner vollsten Blüte stand.
Meine Fahrt auf dem Sues-Kanal, auf welcher ich meinen
Wohnsitz und meine Schlafstelle unterhalb des Geschützrohrs
eines ägyptischen Kanonenbootes aufgeschlagen hatte – denn
mein Fremdenschiff war stecken geblieben –, meine Ankunft in
Sues und meine Rückkehr nach Kairo ging glücklich von statten.
Die Glanzpunkte während dieser schnellen Wanderungen war das
Wiedersehen von lieben Bekannten und Freunden aus der Heimat.
Dazu gehörte L. Pietsch, der damals in die Wasser des Roten
Meeres gefallen und glücklich wieder herausgezogen war, der
schneidige Dragonerrittmeister Baron von Korff und der heutige
Unterstaatssekretär Excellenz von Stephan, der nach seiner
Rückkehr in die Heimat ein ganz vortreffliches und viel
gelesenes Buch über Ägypten geschrieben hat.
Schon in Port-Sajid hatte mich ein Freund, der
österreichische Generalkonsul von Schreiner, in allen Ecken
und Winkeln aufgesucht, um mir eine wichtige Mitteilung zu
machen. Als er meiner habhaft wurde, rief er mir schon von
weitem zu: »Der Kaiser will dich haben, er wünscht dich als
Begleiter während seines Aufenthaltes in Ägypten.« Auf meine
telegraphische Anfrage beim Vizekönig ward mir die Genehmigung
zu diesem Ehrendienste erteilt, und so ward mir die
unerwartete Auszeichnung, zu den täglichen Begleitern des
Beherrschers Österreich-Ungarns zu gehören, so lange er auf
ägyptischen Boden weilte. Ich hatte Gelegenheit, die
liebenswürdige Einfachheit seines Wesens zu bewundern, und
durch seine Arbeitskraft – er erhob sich regelmäßig des
Morgens um 4 Uhr – geradezu beschämt zu werden. Seine
Unterhaltungen mit meiner Wenigkeit waren von echt
österreichischer Gemütlichkeit, oft durch witzige Bemerkungen
gewürzt, die das Berliner Kind dem mächtigen Kaiser, wenn auch
in aller Bescheidenheit, nie schuldig blieb. Besonders war es
das von mir erfundene kurze Wort »lackiert!« welches den
Kaiser höchlichst amüsierte.
In seiner Umgebung befanden sich Männer, deren
geschichtliche Bedeutung mir eine gewisse Ehrfurcht einflößte,
wenn es mir auch gestattet war, mit ihnen gemeinschaftlich im
engsten Kreise zu verkehren. Es waren besonders drei
Persönlichkeiten, die mich anzogen und deren Namen ich nur
auszusprechen brauche, um ihre Bedeutung erkennen zu lassen.
Der Minister Andrassy, ein vorzüglicher Reiter und ungarischer
Kavalier, wie er im Buche steht, der sächsische, damals in
österreichischen Diensten befindliche Minister von Beust, der
eigentlich den Eindruck eines alten Schulmeisters auf mich
machte und sich, in einen blauseidenen mit Gold gestickten
arabischen Burnus gehüllt, auf einem ägyptischen Eselein über
Land befördern ließ, und drittens der Admiral von Tegetthoff
ruhmreichen Angedenkens als Sieger in der Seeschlacht von
Lissa, der auf allen Ausflügen sich des Dromedares als
Reittier zu bedienen pflegte. Ich habe selten einen
afrikanischen Beduinen gesehen, der wie der österreichische
Admiral mit gleicher Leichtigkeit und Eleganz auf dem Schiffe
der Wüste oft mit Windesschnelle seine Straße dahinzog, so daß
er das allgemeine Erstaunen selbst bei den Eingeborenen
erregte.
Der Kaiser hatte es abgelehnt, aus Rücksicht auf seine
beschränkte Zeit, eine Reise nach Oberägypten zu unternehmen,
umsomehr als man nicht sicher war, ob die stürmische
Jahreszeit der schnellen Bewegung seiner Kriegsdampfer während
der bevorstehenden Rückreise nach Triest kein Hindernis
entgegenstellen würde. Schon auf der Hinreise nach Ägypten
hatten rasende Stürme auf der See getobt, so daß Herr von
Beust, welcher sich auf dem zweiten Kriegsschiffe befand, auf
die Frage des Kaisers nach seinem Wohlbefinden durch
Flaggensignale die Antwort gab: »Morituri te salutant,
Caesar«. Umgehend erfolgte die Rückantwort des Cäsar: »Requiescant
in pace«.
Zu den Ausflügen, die mir in der Erinnerung lebendig
vorschweben, gehörte ein Abstecher nach Sakkara und die
Besteigung der größten Pyramide von Giseh.
Der Kaiser bewohnte während seines ägyptischen Aufenthaltes
das reizende Palais von Gcsireh, am westlichen Nilufer und dem
alten Museum von Bulak gegenüber inmitten eines wunderhübschen
Gartens gelegen. An einem Morgen um sechs Uhr bestieg er mit
allen seinen Begleitern einen der schönsten vizeköniglichen
Nildampfer, der am Gartenkai ankerte, um den hohen Reisenden
zu empfangen. Der Nil wogte in schwerer Fülle der
Überschwemmungswasser, die Morgenluft war kalt und windig,
aber man blieb auf dem Deck des Schiffes um linker Hand die
Wasserseite Kairos, die Bauten Alt-Kairos mit der Zitadelle im
Hintergrunde und den Höhenzug des Mokkatam mit seinen schon im
Altertum ausgehöhlten Steinbrüchen in Augenschein zu nehmen
und auf der rechten Seite die ganze Reihe der Pyramiden, über
dem gelben Wüstenstreifen im Hintergrunde, und die grünen
Getreidefelder, Kleewiesen und Palmenwälder im Vordergrunde
mit den Blicken zu verfolgen. Trotzdem der Dampfer zu den
Schnellläufern des Vizekönigs gehörte, so waren drei Stunden
vollauf notwendig, um die Fluten der Nilschwelle bis zum
Zeitpunkt unserer Ankunft an der Landungsstelle bei dem Dorfe
Bedrescheïn zu durchschneiden. Pferde, Dromedare und Esel
standen schön geschirrt und gesattelt in der Nähe der
Hafenstelle, und ein weißes Zelt war aufgeschlagen, um dem
hohen Reisenden und seinem Gefolge noch vor dem Ritte einen
Morgenimbiß zu bieten. Aber die darin aufgestellten Tische
zeigten nur ihre blanken Holzflächen, denn der Dampfer mit dem
Frühstück hatte sich verspätet, und da selbst ein
halbstündiges Warten seine Ankunft nicht herbeiführte, so
befahl der Kaiser die Pferde zu besteigen, um den
zweistündigen Weg nach Sakkara zunächst auf den Dämmen, welche
das Gebiet der Ruinen von Memphis durchziehen, in schnellem
Tempo zurückzulegen.
Noch zeigten sich die Reste der letzten Überschwemmung in
Gestalt größerer und kleinerer Seen, an deren Rändern sich ein
zahlloses Vogelvolk niedergelassen hatte. Den Kaiser wandelte
sofort die Luft zur Jagd an, er ließ sich ein Gewehr reichen
und Schuß auf Schuß wurde in die Luft gefeuert, aus welcher
die getroffenen Körper des Geflügels herniederfielen. Die Jagd
mochte eine Stunde gedauert haben, als der Kaiser mir klagte,
wie er vom unglaublichsten Hunger heimgesucht sei, da er noch
keinen Bissen genossen habe. Lächelnd griff ich in die Tasche
meines Überrocks, zog das Kantenstück eines schwarzen Brotes
hervor, das mir der Vorsicht halber meine Frau in die Tasche
gesteckt hatte. Dankend griff er nach dem Brotstück und brach
es in zwei gleiche Hälften durch, von denen er mir die eine
zurückreichte. Nachdem er seinen Anteil aufgezehrt hatte,
beteuerte er mir aufrichtig, daß ihm niemals ein Stückchen
Brot im Leben so gut geschmeckt habe. Meine eigene Hälfte
Brotes wurde gleich darauf in weitere drei Stücke geteilt, von
denen Graf Andrassy das eine, Admiral Tegetthoff das andere
und ich selber das dritte mit wahrem Wolfshunger verspeisten.
Für unsere Ankunft im Serapeum von Memphis, auf welchem
jetzt die ägyptische Flagge aufgezogen war, – denn die
französische Trikolore hatte ihren Abschied erhalten seit
Mariettes Eintritt in vizekönigliche Dienste – war natürlich
alles in würdigster Weise vorbereitet worden, um dem Kaiser
die unterirdischen Wunder der Wüste in ihrer magischen
Beleuchtung vor Augen zu führen. Ein opulentes Frühstück wurde
inzwischen aufgetragen, nachdem die französischen Lakaien des
Vizekönigs ihre Verspätung wieder dadurch gut gemacht hatten,
daß sie mit Kisten und Kästen bereitstehende Dromedare
bestiegen und im schnellsten Trabe ihren Weg nach der Wüste
nahmen. Auf meinen Vorschlag, noch eine halbe Stunde nach
eingenom menem Essen zu warten, bevor der Ritt fortgesetzt
werden sollte, da eine Wanderung in glühender Sonne bei vollem
Magen in Ägypten häufig Veranlassung zu Sonnenstichen gäbe,
trat eine Reisepause ein, nach deren Verlauf von neuem die
Pferde bestiegen wurden.
Der Ritt von den Pyramiden von Sakkara zu denen von Giseh
im Norden nimmt gewöhnlich eine Zelt von drei Stunden in
Anspruch. Er führt mitten durch uralte Gräberanlagen in
Gestalt offener oder zugeschütteter Brunnen durch das wellige
Gelände der Wüste, um sich später am Rande derselben, nach dem
bebauten Lande zu, auf weniger sandigem Boden fortzusetzen.
Trotz meiner Warnung führte der Kaiser sein Pferd im
schnellsten Trabe und Galopp durch das gefährliche Gebiet der
Brunnen hindurch, nicht selten die gähnenden Öffnungen mit
einem Satze überspringend. Mir standen, offen gesagt, die
Haare zu Berge, doch nahm ich alle Kraft zusammen, um ihm zur
Seite zu bleiben und die Spuren der Fußpfade von Beduinen im
Sande zu verfolgen. Gegen 5 Uhr, nach kaum einstündigem Ritt,
langte die Gesellschaft vor den Pyramiden von Giseh an,
woselbst auf der Höhe des Plateaus und unmittelbar am Fuße der
größten Pyramide die für den Kaiser bestimmte Anzahl
vizeköniglicher Wagen sowie eine schaulustige Menge aus der
Stadt sich aufgestellt hatte.
Die Besteigung des mächtigen Stufenbaues, den König Cheops
über seiner Grabkammer hatte auftürmen lassen, ist weder
leicht noch besonders angenehm. Zwei Beduinen pflegen den
Hinaufkletternden von Stufe zu Stufe an den Händen
emporzuziehen, während ein dritter den Körper des Steigers von
hinten nachschiebt, so daß man eigentlich gehoben und
geschoben wird, ohne selber die Thätigkeit des Ersteigens nach
eigenem Willen auszuführen. Der österreichische Kaiser
verweigerte es hartnäckig, die beduinische Unterstützung
anzunehmen, da er, wie er mir es versicherte, ein guter
Bergsteiger sei und in Tirol auf der Gemsjagd als einer der
besten Kletterer bekannt sei. Thatsächlich gelangte der
kaiserliche Herr bis etwa zur Hälfte der Höhe, ohne auch nur
die geringste Hilfe angenommen zu haben, erklärte mir aber
dann, er habe jetzt genug und wolle die Rückkehr antreten. Ich
machte den Kaiser darauf aufmerksam, daß von der Spitze der
Pyramide aus sich eine herrliche Umschau über die Wüste und
das bebaute Land darstelle und daß es geraten sei, um
schneller zum Ziele zu kommen, die Hilfe der Beduinen nicht
zurückzuweisen. Fast zu gleicher Zeit gelangten wir beide bis
zur Spitze, worauf sich bald hernach der Minister Andrassy und
der Admiral Tegetthoff zu uns gesellten. Beim Anblick der
vielen Wagen am Fuße der Pyramiden wandte sich Andrassy an den
Kaiser mit der scherzhaften Bemerkung in französischer Sprache
»Sire, quarante voitures vous regardent d'en bas de cette
pyramide,« eine Anspielung auf die bekannten Worte des
Generals Napoleon Bonaparte, die er seinen Soldaten bei dem
Angriff der Mameluken bei Embabe am Fuße der Pyramiden mit
lauter Stimme zurief: »Soldats, quarante siècles vous
regardent du haut de cette pyramide.« Allgemeine Heiterkeit
folgte der launigen Äußerung des Ministers.
Wenige Jahre später stand ich an derselben Stelle neben
einem zweiten Kaiser, der trotz seines Alters die Mühe
nicht.gescheut hatte, die Stufen des Grabberges zu ersteigen,
um von der Höhe aus einen Blick in die Tiefe und nach der
Umgegend zu werfen. Kaum hatte er damit angefangen sein Auge
nach dem östlichen Horizont zu richten, als eine wahre
Seeschlange amerikanischer Damen sich bis zur Spitze emporwand,
– es waren mindestens ihrer zwanzig, – von denen eine jede ein
Album aus der Reisetasche zog und dem Kaiser die Bitte
ausdrückte, sich gütigst einschreiben zu wollen. Lächelnd nahm
er seinen Bleistift und schrieb auf ein Bla tt eines jeden
Albums die Worte ein: »Dom Pedro d'Alcantara«. Es war niemand
anders als der Kaiser von Brasilien.
Nach der Abreise des Kaisers Franz Josef aus Ägypten traf
unser Kronprinz Friedrich Wilhelm in Kairo ein, nachdem er auf
einem Dampfer des Vizekönigs seine oberägyptische Reise
glücklich und zu seiner höchsten Befriedigung zurückgelegt
hatte. Der Kronprinz konnte nur wenige Tage in der
Kalifenstadt verweilen, aber die zugemessene Zeit reichte
vollständig aus, um ihre Sehenswürdigkeiten und die
Merkwürdigkeiten ihrer Umgebung in Augenschein zu nehmen und
durch seine Gegenwart der Grundsteinlegung der evangelischen
Kirche in Kairo eine patriotische Weihe zu verleihen. Der
deutsche Verein, damals aus Handwerkern und Kaufleuten
bestehend, ließ es sich nicht nehmen, den Kronprinzen durch
einen Fackelzug zu ehren und Worte der ehrfurchtvollsten
Begrüßung an den gefeierten Helden zu richten. Die
Unterhaltung des Kronprinzen mit einzelnen Handwerkern
entbehrte nicht eines humoristischen Anstrichs. Ich erinnere
mich, daß die damals sehr bekannte Gestalt »des Schusters« auf
die Frage nach seiner Geburtsstätte dem Fürsten die Antwort
gab: »Wir sind Landsleute«. – Inwiefern? – »Wir sind ja beide
Potsdamer«. – Na ich danke Ihnen! der Kronprinz lachte hell
auf.
War es ein Wunder, daß bei den Masseneinladungen zur
Eröffnungsfeier des Kanals von Sues diese oder jene
litterarische Größe sich verletzt fühlte, übergangen worden zu
sein und keine Freikarte erhalten zu haben? Selbst den
Vizekönig ließen einzelne Gönner von Übersehenen später diese
Nachlässigkeit merken mit einer leisen Andeutung, sie wieder
nachträglich gut zu machen, d.h. die betreffende
Persönlichkeit durch eine Extraeinladung zu beehren. Die
Mittel und Wege, welche die Vergessenen einschlugen, um ihre
Klagen und ihre Wünsche bis an die letzte Adresse gelangen zu
lassen, gehen mich nichts an und ich habe kein Recht, selbst
heute noch über das Gerade oder Krumme derselben ein Urteil zu
fällen. Nur ein besonderer Fall schwebt mir in der Erinnerung
vor.
Eines Tages, als ich in einer Audienz vom Vizekönig
empfangen wurde, legte er mir die Frage vor, ob mir die
Deutsche George Sand bekannt wäre, ei ne berühmte
Schriftstellerin, die man bei den Einladungen vergessen zu
haben scheine und die ihm besonders empfohlen worden sei, um
die begangene Sünde wieder gut zu machen. Ich gestand offen
meine Unkenntnis in Bezug auf eine George Sand in Deutschland
ein, bis der Vizekönig endlich ihren Namen hervorstotterte mit
der Äußerung: »Jl s'agit d'une Madame Mulbaque.«
Nun wußte ich mit einem Male, woran ich war. »Die Person
des Schreibers steht so hoch,« bemerkte mir der Vizekönig, »daß
ich thatsächlich die gewünschte Einladung habe ergehen lassen
müssen. Die Dame wird in den nächsten Tagen eintreffen und
ihren Winteraufenthalt hier nehmen.«
Und sie traf richtig ein mit Sack und Pack und in
Begleitung ihrer »rehängigen« Tochter und der zugehörigen
Dienerschaft, um auf vizekönigliche Kosten in dem ersten Hotel
Kairos ihren sechsmonatlichen Aufenthalt zu nehmen, wobei ihr
die schönsten Wagen des Vizekönigs und sonstige den vornehmen
Reisenden erwiesene Ehrungen zur Verfügung gestellt wurden.
Ich erhielt zu meiner Überraschung den ersten Besuch von
meiner berühmten schriftstellernden Landsmännin, einer
wohlbeleibten Dame, die etwa in der Mitte der Fünfziger stand
und an ihren Armbändern mehrere große goldne Medaillen für
Kunst und Wissenschaft zur Schau trug. In leutseligster Weise
entwickelte sie mir ihre Pläne, einen langen, natürlich
»historischen« Roman niederzuschreiben, welcher die Familie
Mehemmed Alis zu seinem Gegenstande haben würde und der ihre
ägyptische Reise überhaupt ins Leben gerufen habe. Da sie
wenig bekannt mit den Sitten und Gewohnheiten der Morgenländer
aber auch der arabischen Sprache nicht mächtig sei, so
ersuchte sie mich ihr die notwendigen Notizeil darüber zu
geben, um sie vor möglichen Irrungen zu schützen. Ich
bedauerte aufrichtig, mich nicht vollständig zu ihrer
Verfügung stellen zu können, da mein Amt meine ganze Zeit in
Anspruch nehme und ich des Abends meiner Familie angehöre.
Nach einem Aufenthalte von sechs Monaten verließ die
Deutsche George Sand Ägypten, überhäuft von
Liebenswürdigkeiten des Khedive, dem sie nebenbei eine
Rechnung überreichte, um für den Verlust ihrer kostbaren Zeit
bei dem Niederschreiben ihres historisch-ägyptischen Romanes
einigermaßen entschädigt zu werden. Der Vizekönig ließ die
Summe durch den französischen Bankier Oppenheim auszahlen und
Madame M. kehrte im folgenden Jahre wieder, ihre Hofhaltung
durch einen deutschen Stenographen vermehrt, um die
Gastfreundschaft des Vizekönigs aufs neue in Anspruch zu
nehmen und ihren Roman handschriftlich zu vollenden. Die
Abreise war mit einer nenen Forderung verbunden, der wiederum
der klingende Betrag zu teil wurde. Als im dritten Jahre
Madame von neuem einen Brief an den Vizekönig richtete, um ihr
zu gestatten nach Ägypten zurückzukehren, war der in seiner
Güte so mißbrauchte Fürst klug genug, ihr die kurze
Drahtantwort zukommen zu lassen, daß der Vizekönig niemand
verwehre, eine Reise nach seinem Lande zu unternehmen.
Ich habe nichts von ihrem ägyptischen historischen Werke
weder gesehen noch gelesen, nur aus ihren »Reisebriefen aus
Ägypten«, die zu Jena im Jahre 1871 erschienen sind, erwuchs
mir in den Stunden der Ruhe manche Belehrung und manches
Vergnügen. Wie wahr ist beispielsweise ihre Behauptung in
Betreff Ägyptens: »Das Geld liegt wirklich auf der Straße, wer
es nur zu suchen versteht, der findet es auch,« und dann drei
Zeilen darauf: »das Geld liegt außerdem auch in der Erde
vergraben von uralten Zeiten her. Die wandernden Stämme,
welche einst vor den Tagen der Pyramiden und der Pharaonen
noch das Land durchzogen, pflegten, um sich gegen die
räuberischen Nachbarn und Gefährten zu sichern, ihr Gold und
Silber zu vergraben. Sie meinten es wieder zu finden, wenn sie
von irgend einer Wanderung heimkehrten; aber dann war der Wind
der Wüste über sie hingezogen oder das Wasser des Nils hatte
mit seinem Schlamm die Stätte bedeckt, oder, da die ungeheuren
Steppen sich hier so ganz ähnlich sind und durch nichts
unterscheiden, konnten sie selber die Stätte nicht wieder
finden, wo sie ihren Schatz gelassen.« Nun weiß man doch, wo
das viele liebe Geld des Vizekönigs herkommt, aber damit noch
lange nicht, wohin es wandert. um vor dem Wiederfinden
gesichert zu sein.
Die Reisebriefe der Deutschen George Sand haben, aufrichtig
gesagt, eine so untergeordnete litterarische Bedeutung, daß
kein Mensch davon spricht, ja zur Zeit ihres Erscheinens
hatten sie außerdem für die Verfasserin die unangenehme Folge,
daß sie genötigt wurde gewisse ehrenrührige Behauptungen
öffentlich zu widerrufen, um einer Anklage wegen Verleumdung
zu entgehen.
Es fehlte auch sonst nicht an einzelnen deutschen
Nachzüglern, die fast nur mit einem Regenschirm in der Hand in
Ägypten landeten, um mit schriftlichen Empfehlungen versehen,
sich der ausgebreitetsten Gastfreundschaft des Vizekönigs in
die Arme zu werfen. Bei ihren bescheidenen Ansprüchen ward es
mir ein Leichtes den Vizekönig zu bewegen, ihre Hotelrechnung
und die Kosten ihrer Hin- und Herreise zu begleichen, wofür
ich von seiten der Einwanderer, auch ein Dichter war darunter,
als wirklicher Retter gepriesen wurde.