Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter

Die Weltausstellung in Wien.

In den ersten siebziger Jahren nahm meine Schule trotz meiner häufigen Abwesenheit dennoch einen ersprießlichen Fortgang und meine Schüler beeiferten sich, die ihnen gebotenen Mittel zur Erweiterung ihrer Kenntnisse und zur Bildung ihres Geistes nach europäischer Methode auf das beste auszunützen. Da trat wider Erwarten eine Auflösung der ganzen Schule ein und zwar infolge einer Aufgabe, mit welcher mich der Vizekönig urplötzlich betraut hatte. Im Jahre 1873 sollte eine große Weltausstellung in Wien ins Leben gerufen werden. An die ägyptische Regierung war die Einladung ergangen, an derselben teilnehmen und sie in möglichst glänzender Weise beschicken zu wollen. Nubar-Pascha, der damals allmächtige Wesir der Wesire im modernen Reich der Pharaonen, wurde zum Präsidenten der Ausstellungskommission ernannt und mir zu meinem eigenen Erstaunen die Stellung eines Generalkommissars übertragen. Mir wurde einigermaßen ängstlich dabei zu Mute, denn wenn auch das alte Wort, wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand, einen gewissen Trost gewährte, so erforderte dennoch die neue Würde eine Menge von Kenntnissen praktischer und technischer Art, die mir meiner Überzeugung nach vollständig abgingen. Ich verhehlte dem Vizekönig meine Besorgnisse in keiner Weise, aber lächelnd machte er mir den Vorwurf, nur ein halber Morgenländer geworden zu sein; ich müßte sonst wissen, daß ein Mann von Verstand und Kenntnissen in einem Fache sich auch für alle Berufe eigne, da er bald die nötige Einsicht gewinnen würde, um ihm aufgetragene Pläne auszuführen und beispielsweise eine Ausstellung zu organisieren.

Das hatte ich freilich schon längst gewußt, aber ich erinnerte mich dabei der bedenklichen Folgen eines Generalverstandes und seiner Verwertung. Ein alter Freund von mir, Kassim-Pascha (Katzenpascha nannten ihn alles Ernstes unsere deutschen Arbeiter in Kairo), bekleidete zu derselben Zeit das Amt eines Kriegsministers. Der Vizekönig beauftragte ihn eines schönen Tages mit der Anlage und dem Aufbau eines vizeköniglichen Palastes mitten in der Wüste. Der alte Pascha zog mit einem Bleistift auf einem großen Blatt Papier Linien in die Kreuz und in die Quer, ließ durch seine Soldaten den Bau nach diesem Grundplane ausführen, und »als das Schloß nun fertig war«

und vom Vizekönig besichtigt werden sollte, da ging es zufälligerweise in hellem Brand auf. Bei der Rückkehr von der Brandstätte rief mir der Vizekönig auf der Straße aus seinem Wagen die Worte entgegen: »Denken Sie sich, er hat mich ausgeräuchert.« Auf Zureden des Vizekönigs lebte ich mich in meine neue Aufgabe ein, schlug für die einzelnen Abteilungen der ägyptischen Ausstellung Kommissare vor, die ich aus deutschen, französischen und arabischen Beamten der Regierung wählte, und faßte den mir vom Vizekönig gegebenen Auftrag näher ins Auge, Musterbauten im arabischen Stile auf der Arena der Weltausstellung in Wien ausführen zu lassen. Es war sein Wunsch, daß keine Kosten gescheut werden sollten, um durch dieselben eine außerordentliche Wirkung zu erzielen. Monseigneur wünschte sich die österreichische Regierung dadurch verbindlich zu machen, um ihre damals noch fehlende Zustimmung zur Stiftung des internationalen Tribunals in Ägypten zu erlangen. Ein Kredit von einer Million Franken wurde mir dazu in Aussicht gestellt.

Dem Vizekönig war daran gelegen, Aufrisse der geplanten Bauten in wenigen Tagen zur Ansicht zu erhalten. Es war guter Rat teuer. Ich wandte mich in meiner Not an einen von Frau Mühlbach verherrlichten Deutschen, der sich vom Hauslehrer zu einem Privatbaumeister emporgeschwungen hatte und in der Meinung lebte, die ganze arabische Baukunst im Sack zu haben. Der Vizekönig, welchem ich die Leistung vorlegte, würdigte sie kaum eines Blickes und er fertigte mich kurz mit der Bemerkung ab, daß sie eine Stümperei und keine arabische Baukunst sei.

Wenn die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten, und ein geborener Böhme war mein Retter. Schmoranz, so hieß der Treffliche, ein österreichischer Architekt, befand sich seit mehreren Jahren in Kairo, um von Grund aus an den noch erhaltenen Moscheen die altarabische Baukunst zu studieren. Er entwickelte in der glücklichen Auffassung des uns fremdartigen arabischen Baustiles mit ihrer erdrückenden Fülle dekorativer Einzelheiten ein so feines Gefühl und ein so tiefes Verständnis, daß ich nicht anstehe, ihn als den größten Meister auf diesem Gebiete zu bezeichnen. Seine Kopien arabischer Denkmäler vom Konstruktiven an bis zum buntfarbigen Ornamente waren von einer Vollendung, die alle bisherigen Leistungen in den tiefsten Schatten stellten. Mein armer Freund, der später zum Direktor der Gewerbeschule in Prag ernannt wurde, hat sein Leben vor wenigen Jahren eingebüßt. Ich weiß es nicht, wohin die architektonischen Schätze gekommen sind, die seine fleißige und geschickte Hand auf das Papier gezaubert hatte.

Die Pläne, welche Schmoranz entworfen hatte: zwei Moscheen, ein ägyptisches vornehmes Wohnhaus mit einem Hof im Innern und ein arabisches Fellachendorf, fanden die vollste Anerkennung des Vizekönigs, und so begaben wir uns beide bereits im Jahre 1872 nach Wien, um die Vorarbeiten zu beginnen, und für die Ausführung der geplanten Bauten die nötigen Kräfte zu gewinnen und Kontrakte abzuschließen. Den Kommissaren in Ägypten hatte ich gleichzeitig die Weisung erteilt, für die einzelnen Abteilungen der Ausstellung selber die nötigen Gegenstände, teils Bodenprodukte, teils Leistungen der einheimischen Kunst und Industrie zu einem lehrreichen Ganzen zu vereinigen. Jeder hatte vollauf zu thun, und die Monate flossen wie Wochen da hin, bis im Mai des Jahres 1873 die ägyptische Ausstellung in alter Pracht und Herrlichkeit nach dem eigenen Wunsche des Vizekönigs ihre Vollendung erreicht hatte. Was der eigentlichen Ausstellung ein besonderes Gepräge verlieh, das waren die Gegenstände des häuslichen Lebens von den Trachten an bis zu dem unscheinbarsten Topfe hin, welche die Pioniere des Khedive aus den Ländern des oberen Niles nach Kairo gesendet hatten, und die in ihrer Vollständigkeit kaum etwas zu wünschen übrig ließen. Zu den Kuriosa gehörte außerdem eine Kartoffel, welche sich am sandigen Ufer des Kanals von Suez zu einer Größe von einem halben Meter im Durchmesser entwickelt hatte. Das Monstrum erregte die allseitigste Aufmerksamkeit und bildete damals den Gegenstand wissenschaftlicher Besprechungen.

Der Erfolg der ägyptischen Ausstellung war durchschlagend. Der kaiserliche Hof in Wien war geradezu entzückt von ihrer Schönheit, und die Vertreter der Baukunst vor allem fanden in den Bauten des Architekten Schmoranz einen Stoff für Studien, wie er niemals bisher in Europa in so plastischer Form dem Kennerauge geboten war. Mir wurde bei dieser Gelegenheit die unverdiente Ehre zu teil, die gekrönten Häupter und fürstlichen Personen, welche der kaiserlichen Einladung gefolgt waren, die Ausstellung durch ihren Besuch auszuzeichnen, in die Räume des vizeköniglichen Hauses zu geleiten und als Führer und Erklärer zu dienen. Es war mein ganzer Stolz, die Kaiserin Augusta von Deutschland geleiten und in dem großen morgenländischen Saale zu einem einstündigen Aufenthalte im Hause des Khedives einladen zu dürfen. Mit innigster Befriedigung vernahm ich das höchste Lob der seinen Kennerin in allem, was Kunst und Wissenschaft betraf, und wenn ich es besonders erwähnte, daß unter den der Kaiserin vorgestellten Kommissaren der ägyptischen Abteilung mein französischer Freund Mariette sich eines besonders huldvollen Empfanges erfreute, so weiß ich, daß die Kaiserin an der Vorstellung des berühmten Entdeckers des Serapeums eine besondere Freude empfand.

Nicht minder wert ist mir die Erinnerung an den gemeinschaftlichen Besuch zweier damals noch jungen Prinzen, unseres jetzigen Kaisers Wilhelm II. und des inzwischen verstorbenen Kronprinzen Rudolf von Österreich, die beide in heiterster Stimmung im Hofe vor dem Fellachendorfe die ägyptische Tierwelt in Augenschein nahmen, aus Kamelen, Dromedaren, Büffeln, Eseln, Schafen und Ziegen bestehend, und in herzlichster Freundschaft gegenseitig ihre Meinungen austauschten. In gleicher Weise hatte ich das Glück, der Kaiserin von Österreich Elisabeth meine bescheidenen Dienste als Führer anzubieten und ihrem Wunsche entsprechen zu können, ihr meinen eigenen Diener, einen bronzefarbenen echten Nubier, als den ihrigen abzutreten. Nicht minder lebt in meiner Erinnerung die Begegnung mit der Exkönigin von Spanien Isabella, die mir die Versicherung gab, daß sie die Ähnlichkeit des Geschmackes der arabischen Industrie mit dem »ihrer Unterthanen,« nämlich der Spanier, ganz auffallend fände, und ebenso macht es mir Vergnügen, an die gemeinsamen Mittagsmahle zu denken, welche ich mit dem damaligen etwa achtzehnjährigen Fürsten Milan von Serbien unter dem Zeltdache des Pariser Restaurants »des trois frères Provençaux« einzunehmen den Vorzug hatte. Auch des Schah von Persien darf ich nicht vergessen, der gleichfalls die ägyptische Ausstellung durch seinen Besuch beehrte und von besonderer Freude erfüllt zu sein schien, in mir einen alten Bekannten von den Jahren 1860 und 1861 her wiederzufinden.

War es eine Zeit der Aufregung für mich, so hohen Besuchen gegenüber meine Pflicht ihrem ganzen Umfange nach zu erfüllen, so hatte ich andererseits die Genugthunug, aus den brieflichen Mitteilungen des Khedive, der sich zu derselben Zeit als Gast des Sultans in Konstantinopel befand die höchste Anerkennung für meine ihm geleisteten Dienst herauszulesen, nachdem er durch Berichte und aus den Zeitungen von dem glänzenden Erfolge der ägyptischen Ausstellung unterrichtet worden war. Ich habe nachträglich es bedauern müssen, daß seine beabsichtigte Ankunft in Wien durch zwingende Umstände vereitelt wurde, trotzdem ich den Auftrag erhalten hatte, für einige Monate ein wohleingerichtetes Haus mit Garten in der Praterstraße zu mieten, für das ich die Kleinigkeit von 40000 Gulden zahlen mußte. Das Haus blieb unbenutzt und unbewohnt und nur in den letzten Tagen der Ausstellung bezog ich es, um meinem alten Freunde L. Pietsch eine leider nur kurz dauernde Gastfreundschaft in einem Palaste zu bieten.

Es war aufrichtig zu beklagen, daß der große Krach, der noch vor der Eröffnung der Ausstellung in Wien hereingebrochen war, und das Erscheinen der Cholera mitten in der Ausstellungszeit einen großen Teil der Besucher abhielt, ihre beabsichtigte Schaulust zu befriedigen und die Reise nach Wien zu unter nehmen. In Wien selber war infolgedessen die Stimmung gedrückt und man verhehlte es sich nicht, daß ein Teil der Presse das meiste dazu beigetragen hatte, durch unnötiges Aufbauschen der Choleragefahr die ausstellungslustigen Wanderer abzuschrecken. Hierzu kam, daß das ungewöhnliche Steigen der Kosten für Wohnungsmiete und der notwendigsten Lebensmittel eine Teuerungslage herbeiführte, die selbst nach dem Schlusse der Ausstellung sich keines Niederganges erfreute. Die Spekulation auf einen ungewöhnlichen Besuch war vereitelt und den Einwohnern ein unheilbarer Schaden am eigenen Fleische zugefügt worden.

Die Auflösung der Ausstellung und die Regulierung der letzten Geschäfte verzögerte meine Rückkehr nach Ägypten bis in den Januar 1874 hinein. In diese Epoche fällt gleichzeitig mein Besuch in Pest, für den die ungarischen Ausstellungskommissare eine besondere Einladung an mich hatten ergehen lassen. Die Besichtigung der Stadt und ihrer Fabriken nahm beinahe eine volle Woche in Anspruch, wobei ich es nicht verschweigen darf, daß ich aus dem täglichen Jammer beinahe nie herauskam, denn die Bewältigung von vier bis sechs Mittagsmahlzeiten, zu denen die stärksten ungarischen Weine kredenzt wurden, erforderten einen mehr als ägyptischen Magen, so daß ich von Herzen froh war, als ich auf der Rückfahrt von meinem Coupé aus die Spitze des St. Stephan in der Ferne erblickte.

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