6. Meine Thaten als ägyptischer Beamter
Die Weltausstellung in Wien.
In den ersten siebziger Jahren nahm meine Schule trotz
meiner häufigen Abwesenheit dennoch einen ersprießlichen
Fortgang und meine Schüler beeiferten sich, die ihnen
gebotenen Mittel zur Erweiterung ihrer Kenntnisse und zur
Bildung ihres Geistes nach europäischer Methode auf das beste
auszunützen. Da trat wider Erwarten eine Auflösung der ganzen
Schule ein und zwar infolge einer Aufgabe, mit welcher mich
der Vizekönig urplötzlich betraut hatte. Im Jahre 1873 sollte
eine große Weltausstellung in Wien ins Leben gerufen werden.
An die ägyptische Regierung war die Einladung ergangen, an
derselben teilnehmen und sie in möglichst glänzender Weise
beschicken zu wollen. Nubar-Pascha, der damals allmächtige
Wesir der Wesire im modernen Reich der Pharaonen, wurde zum
Präsidenten der Ausstellungskommission ernannt und mir zu
meinem eigenen Erstaunen die Stellung eines Generalkommissars
übertragen. Mir wurde einigermaßen ängstlich dabei zu Mute,
denn wenn auch das alte Wort, wem Gott ein Amt giebt, dem
giebt er auch Verstand, einen gewissen Trost gewährte, so
erforderte dennoch die neue Würde eine Menge von Kenntnissen
praktischer und technischer Art, die mir meiner Überzeugung
nach vollständig abgingen. Ich verhehlte dem Vizekönig meine
Besorgnisse in keiner Weise, aber lächelnd machte er mir den
Vorwurf, nur ein halber Morgenländer geworden zu sein; ich
müßte sonst wissen, daß ein Mann von Verstand und Kenntnissen
in einem Fache sich auch für alle Berufe eigne, da er bald die
nötige Einsicht gewinnen würde, um ihm aufgetragene Pläne
auszuführen und beispielsweise eine Ausstellung zu
organisieren.
Das hatte ich freilich schon längst gewußt, aber ich
erinnerte mich dabei der bedenklichen Folgen eines
Generalverstandes und seiner Verwertung. Ein alter Freund von
mir, Kassim-Pascha (Katzenpascha nannten ihn alles Ernstes
unsere deutschen Arbeiter in Kairo), bekleidete zu derselben
Zeit das Amt eines Kriegsministers. Der Vizekönig beauftragte
ihn eines schönen Tages mit der Anlage und dem Aufbau eines
vizeköniglichen Palastes mitten in der Wüste. Der alte Pascha
zog mit einem Bleistift auf einem großen Blatt Papier Linien
in die Kreuz und in die Quer, ließ durch seine Soldaten den
Bau nach diesem Grundplane ausführen, und »als das Schloß nun
fertig war«
und vom Vizekönig besichtigt werden sollte, da ging es
zufälligerweise in hellem Brand auf. Bei der Rückkehr von der
Brandstätte rief mir der Vizekönig auf der Straße aus seinem
Wagen die Worte entgegen: »Denken Sie sich, er hat mich
ausgeräuchert.« Auf Zureden des Vizekönigs lebte ich mich in
meine neue Aufgabe ein, schlug für die einzelnen Abteilungen
der ägyptischen Ausstellung Kommissare vor, die ich aus
deutschen, französischen und arabischen Beamten der Regierung
wählte, und faßte den mir vom Vizekönig gegebenen Auftrag
näher ins Auge, Musterbauten im arabischen Stile auf der Arena
der Weltausstellung in Wien ausführen zu lassen. Es war sein
Wunsch, daß keine Kosten gescheut werden sollten, um durch
dieselben eine außerordentliche Wirkung zu erzielen.
Monseigneur wünschte sich die österreichische Regierung
dadurch verbindlich zu machen, um ihre damals noch fehlende
Zustimmung zur Stiftung des internationalen Tribunals in
Ägypten zu erlangen. Ein Kredit von einer Million Franken
wurde mir dazu in Aussicht gestellt.
Dem Vizekönig war daran gelegen, Aufrisse der geplanten
Bauten in wenigen Tagen zur Ansicht zu erhalten. Es war guter
Rat teuer. Ich wandte mich in meiner Not an einen von Frau
Mühlbach verherrlichten Deutschen, der sich vom Hauslehrer zu
einem Privatbaumeister emporgeschwungen hatte und in der
Meinung lebte, die ganze arabische Baukunst im Sack zu haben.
Der Vizekönig, welchem ich die Leistung vorlegte, würdigte sie
kaum eines Blickes und er fertigte mich kurz mit der Bemerkung
ab, daß sie eine Stümperei und keine arabische Baukunst sei.
Wenn die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten, und ein
geborener Böhme war mein Retter. Schmoranz, so hieß der
Treffliche, ein österreichischer Architekt, befand sich seit
mehreren Jahren in Kairo, um von Grund aus an den noch
erhaltenen Moscheen die altarabische Baukunst zu studieren. Er
entwickelte in der glücklichen Auffassung des uns fremdartigen
arabischen Baustiles mit ihrer erdrückenden Fülle dekorativer
Einzelheiten ein so feines Gefühl und ein so tiefes
Verständnis, daß ich nicht anstehe, ihn als den größten
Meister auf diesem Gebiete zu bezeichnen. Seine Kopien
arabischer Denkmäler vom Konstruktiven an bis zum buntfarbigen
Ornamente waren von einer Vollendung, die alle bisherigen
Leistungen in den tiefsten Schatten stellten. Mein armer
Freund, der später zum Direktor der Gewerbeschule in Prag
ernannt wurde, hat sein Leben vor wenigen Jahren eingebüßt.
Ich weiß es nicht, wohin die architektonischen Schätze
gekommen sind, die seine fleißige und geschickte Hand auf das
Papier gezaubert hatte.
Die Pläne, welche Schmoranz entworfen hatte: zwei Moscheen,
ein ägyptisches vornehmes Wohnhaus mit einem Hof im Innern und
ein arabisches Fellachendorf, fanden die vollste Anerkennung
des Vizekönigs, und so begaben wir uns beide bereits im Jahre
1872 nach Wien, um die Vorarbeiten zu beginnen, und für die
Ausführung der geplanten Bauten die nötigen Kräfte zu gewinnen
und Kontrakte abzuschließen. Den Kommissaren in Ägypten hatte
ich gleichzeitig die Weisung erteilt, für die einzelnen
Abteilungen der Ausstellung selber die nötigen Gegenstände,
teils Bodenprodukte, teils Leistungen der einheimischen Kunst
und Industrie zu einem lehrreichen Ganzen zu vereinigen. Jeder
hatte vollauf zu thun, und die Monate flossen wie Wochen da
hin, bis im Mai des Jahres 1873 die ägyptische Ausstellung in
alter Pracht und Herrlichkeit nach dem eigenen Wunsche des
Vizekönigs ihre Vollendung erreicht hatte. Was der
eigentlichen Ausstellung ein besonderes Gepräge verlieh, das
waren die Gegenstände des häuslichen Lebens von den Trachten
an bis zu dem unscheinbarsten Topfe hin, welche die Pioniere
des Khedive aus den Ländern des oberen Niles nach Kairo
gesendet hatten, und die in ihrer Vollständigkeit kaum etwas
zu wünschen übrig ließen. Zu den Kuriosa gehörte außerdem eine
Kartoffel, welche sich am sandigen Ufer des Kanals von Suez zu
einer Größe von einem halben Meter im Durchmesser entwickelt
hatte. Das Monstrum erregte die allseitigste Aufmerksamkeit
und bildete damals den Gegenstand wissenschaftlicher
Besprechungen.
Der Erfolg der ägyptischen Ausstellung war durchschlagend.
Der kaiserliche Hof in Wien war geradezu entzückt von ihrer
Schönheit, und die Vertreter der Baukunst vor allem fanden in
den Bauten des Architekten Schmoranz einen Stoff für Studien,
wie er niemals bisher in Europa in so plastischer Form dem
Kennerauge geboten war. Mir wurde bei dieser Gelegenheit die
unverdiente Ehre zu teil, die gekrönten Häupter und
fürstlichen Personen, welche der kaiserlichen Einladung
gefolgt waren, die Ausstellung durch ihren Besuch
auszuzeichnen, in die Räume des vizeköniglichen Hauses zu
geleiten und als Führer und Erklärer zu dienen. Es war mein
ganzer Stolz, die Kaiserin Augusta von Deutschland geleiten
und in dem großen morgenländischen Saale zu einem einstündigen
Aufenthalte im Hause des Khedives einladen zu dürfen. Mit
innigster Befriedigung vernahm ich das höchste Lob der seinen
Kennerin in allem, was Kunst und Wissenschaft betraf, und wenn
ich es besonders erwähnte, daß unter den der Kaiserin
vorgestellten Kommissaren der ägyptischen Abteilung mein
französischer Freund Mariette sich eines besonders huldvollen
Empfanges erfreute, so weiß ich, daß die Kaiserin an der
Vorstellung des berühmten Entdeckers des Serapeums eine
besondere Freude empfand.
Nicht minder wert ist mir die Erinnerung an den
gemeinschaftlichen Besuch zweier damals noch jungen Prinzen,
unseres jetzigen Kaisers Wilhelm II. und des inzwischen
verstorbenen Kronprinzen Rudolf von Österreich, die beide in
heiterster Stimmung im Hofe vor dem Fellachendorfe die
ägyptische Tierwelt in Augenschein nahmen, aus Kamelen,
Dromedaren, Büffeln, Eseln, Schafen und Ziegen bestehend, und
in herzlichster Freundschaft gegenseitig ihre Meinungen
austauschten. In gleicher Weise hatte ich das Glück, der
Kaiserin von Österreich Elisabeth meine bescheidenen Dienste
als Führer anzubieten und ihrem Wunsche entsprechen zu können,
ihr meinen eigenen Diener, einen bronzefarbenen echten Nubier,
als den ihrigen abzutreten. Nicht minder lebt in meiner
Erinnerung die Begegnung mit der Exkönigin von Spanien
Isabella, die mir die Versicherung gab, daß sie die
Ähnlichkeit des Geschmackes der arabischen Industrie mit dem
»ihrer Unterthanen,« nämlich der Spanier, ganz auffallend
fände, und ebenso macht es mir Vergnügen, an die gemeinsamen
Mittagsmahle zu denken, welche ich mit dem damaligen etwa
achtzehnjährigen Fürsten Milan von Serbien unter dem Zeltdache
des Pariser Restaurants »des trois frères Provençaux«
einzunehmen den Vorzug hatte. Auch des Schah von Persien darf
ich nicht vergessen, der gleichfalls die ägyptische
Ausstellung durch seinen Besuch beehrte und von besonderer
Freude erfüllt zu sein schien, in mir einen alten Bekannten
von den Jahren 1860 und 1861 her wiederzufinden.
War es eine Zeit der Aufregung für mich, so hohen Besuchen
gegenüber meine Pflicht ihrem ganzen Umfange nach zu erfüllen,
so hatte ich andererseits die Genugthunug, aus den brieflichen
Mitteilungen des Khedive, der sich zu derselben Zeit als Gast
des Sultans in Konstantinopel befand die höchste Anerkennung
für meine ihm geleisteten Dienst herauszulesen, nachdem er
durch Berichte und aus den Zeitungen von dem glänzenden
Erfolge der ägyptischen Ausstellung unterrichtet worden war.
Ich habe nachträglich es bedauern müssen, daß seine
beabsichtigte Ankunft in Wien durch zwingende Umstände
vereitelt wurde, trotzdem ich den Auftrag erhalten hatte, für
einige Monate ein wohleingerichtetes Haus mit Garten in der
Praterstraße zu mieten, für das ich die Kleinigkeit von 40000
Gulden zahlen mußte. Das Haus blieb unbenutzt und unbewohnt
und nur in den letzten Tagen der Ausstellung bezog ich es, um
meinem alten Freunde L. Pietsch eine leider nur kurz dauernde
Gastfreundschaft in einem Palaste zu bieten.
Es war aufrichtig zu beklagen, daß der große Krach, der
noch vor der Eröffnung der Ausstellung in Wien hereingebrochen
war, und das Erscheinen der Cholera mitten in der
Ausstellungszeit einen großen Teil der Besucher abhielt, ihre
beabsichtigte Schaulust zu befriedigen und die Reise nach Wien
zu unter nehmen. In Wien selber war infolgedessen die Stimmung
gedrückt und man verhehlte es sich nicht, daß ein Teil der
Presse das meiste dazu beigetragen hatte, durch unnötiges
Aufbauschen der Choleragefahr die ausstellungslustigen
Wanderer abzuschrecken. Hierzu kam, daß das ungewöhnliche
Steigen der Kosten für Wohnungsmiete und der notwendigsten
Lebensmittel eine Teuerungslage herbeiführte, die selbst nach
dem Schlusse der Ausstellung sich keines Niederganges
erfreute. Die Spekulation auf einen ungewöhnlichen Besuch war
vereitelt und den Einwohnern ein unheilbarer Schaden am
eigenen Fleische zugefügt worden.
Die Auflösung der Ausstellung und die Regulierung der
letzten Geschäfte verzögerte meine Rückkehr nach Ägypten bis
in den Januar 1874 hinein. In diese Epoche fällt gleichzeitig
mein Besuch in Pest, für den die ungarischen
Ausstellungskommissare eine besondere Einladung an mich hatten
ergehen lassen. Die Besichtigung der Stadt und ihrer Fabriken
nahm beinahe eine volle Woche in Anspruch, wobei ich es nicht
verschweigen darf, daß ich aus dem täglichen Jammer beinahe
nie herauskam, denn die Bewältigung von vier bis sechs
Mittagsmahlzeiten, zu denen die stärksten ungarischen Weine
kredenzt wurden, erforderten einen mehr als ägyptischen Magen,
so daß ich von Herzen froh war, als ich auf der Rückfahrt von
meinem Coupé aus die Spitze des St. Stephan in der Ferne
erblickte.