Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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5. Mein preußisches Beamtentum

Meine erste persische Reise.

Es war nach seiner Rückkehr aus Spanien, daß mich eines Tages der Baron von Minutoli durch seinen Besuch überraschte, um mir den Antrag zu stellen, mit ihm gemeinschaftlich eine mehrjährige Reise nach Persien anzutreten. Er erklärte mir, daß man ihn zum Ministerresidenten ernannt und ihm die Wahl eines Postens in drei exotischen Ländern freigelassen habe. Darunter befände sich Persien. Er wolle die Reise antreten, wenn ich mich entschließen könnte, ihn auf derselben zu begleiten, natürlich in einer amtlichen Eigenschaft und mit dem Titel eines königl. preußischen Vizekonsuls. Er machte geltend, daß das moderne Persien ein wenig bekanntes Land sei, dem aber ein poetischer Beigeschmack nicht fehle, so daß die Reise neben der Erfüllung der patriotischen Zwecke der Mission auch einen gewissen Genuß darbieten dürfe.

Was hatte ich in Berlin zu verlieren oder zu gewinnen? Ich nahm ohne lange Überlegung den Antrag an, überzeugt in der Anwesenheit eines liebenswürdigen und menschenfreundlichen Chefs einen Ersatz für die Trennung von Heimat und Familie zu finden. Freilich empfand ich es wie einen Stich ins Herz, daß ich auf lange Zeit gezwungen sein würde, meinen ägyptischen Studien ein Valet zu sagen, aber es tröstete mich der Gedanke, in eine neue Welt im Osten einzuziehen und dort manche Kränkung zu vergessen, die mir besonders in der letzten Zeit den Aufenthalt in meiner eigenen Heimat verbittert hatte. War es doch soweit gekommen, daß der geschickte Zeichner Weidenbach, der an dem großen ägyptischen Denkmälerwerke arbeitete, die Weisung erhielt, für mich selber keinen Strich zu zeichnen, und daß die hieroglyphischen Typen der hiesigen akademischen Buchdruckerei zum Drucke meiner eigenen Bücher keine Verwendung finden durften.

In ungefähr einem Monat erlernte ich die persische Sprache, wobei mir der 65 Jahre alte Lektor an der hiesigen Universität Pietrazewski die ersten Anweisungen gab. Es ist derselbe, der unserer Mission als Dragoman im Lande der Sonne leuchtete. Auch er ist längst in das Reich der Schatten hinabgestiegen, aber ich darf mich noch heute rühmen, sein braver Schüler gewesen zu sein, der gleich nach unserer Ankunft in Persien die Arbeit übernahm, die Mühe des Dolmetschens mit dem Lehrer zu teilen.

Die Vorbereitungen zur Abreise waren bald erledigt, obgleich es in Berlin ein wenig schwer hielt, die Reisebedürfnisse eines Europäers für die Residenzstadt Teheran mitten im Herzen von Asien zu beurteilen. Meine Freunde, an deren Spitze sich die Bildhauer Bläser und Affinger und der Maler W. A. Meyerheim befanden, gaben mir ein Abschiedsfest, das an Fröhlichkeit seinesgleichen suchen soll. Es bestand in einem abendlichen Festessen, verbunden mit inhaltreichen Wandbildern, die mit Hilfe einer Laterna magica, deren Gläser Meister Meyerheim buntfarbig bemalt hatte, höchst kunstgerecht zur Darstellung gelangten.

Am 5. Februar 1860 abends 7 Uhr verließ ich Berlin, um mit den übrigen Mitgliedern der Mission in Wien am nächsten Tage zusammenzukommen. Zu den Mitreisenden gehörte ein Galizier, der auf seine Regierung mit ihren papiernen Guldennoten schlecht zu sprechen war und mir unaufhörlich die Frage vorlegte:»Kann ein Diener glücklich sein, wenn sein Herr kein Geld hat?« worauf ich ihm einfach erwiderte: »Ja, wenn der Diener selber Geld hat.«

In Triest besuchte ich meinen alten Freund, den Hofmaler Fiedler, einen geborenen Preußen, der sein großes und herrliches Bild, die Wüste bei Assuan, damals gerade vollendet hatte. Mit dem Lloydschiffe setzten wir nach Stambul über, nichts weniger als erfreut durch die gewaltigen Kotberge und die schmutzigen Gießbäche, welche das Straßennetz erfüllten. Die Besichtigung der Stadt, die ich zum erstenmal in meinem Leben besuchte, nahm ein paar Tage in Anspruch, und als Mitglied der ersten preußischen Mission nach Persien hatte ich die Ehre, den berühmtesten Personen der östlichen diplomatischen Welt vorgestellt zu werden. Ich rechne dazu den türkischen Minister der auswärtigen Angelegenheiten Fuad-Pascha, den Präsidenten des Tansimats und den eigentlichen Reformer der Türkei Ali-Pascha, den Präsidenten des Staatsrats Kiamil-Pascha, den inngen Fürsten Alexis Labanoff, welcher als russischer Gesandter in Stambul residierte, Muchlis-Pascha, einen preußischen, in türkischen Diensten stehen den Militär, dessen eigentlicher Name Kuzkowski lautete, und viele andere Versonlichkeiten von Rang und Stellung inner halb oder außerhalb der Türkei.

Der 26. Februar war der große Tag, an welchem die Mitglieder nuserer Mission durch den preußischen Gesandten Grafen von der Goltz und durch Fuad-Pascha nach dem türkischen Hofzeremoniell dem Großsultan Abdul-Medschid-Chan vorgestellt wurden. Der Beherrscher aller Gläubigen stand damals im 37. Lebensjahre, machte aber bereits den Eindruck eines durch Krankheit gealterten Mannes.

Auf einem österreichischen Lloydschiffe verließen wir am 2. März Konstantinopel, um die eigentliche Reise nach Persien auf der asiatischen Seite unseres Erdballes anzutreten. Wir erreichten Trapezunt, wo selbst damals der gelehrte Orientalist Dr. Blau seines Amtes als preußischer Konsul waltete. Er hatte vor unserer eigenen Mission eine Dienstreise nach der türkisch-persischen Grenze unternommen, seinen Weg bis nach der großen persischen Handelsstadt Täbris ausgedehnt und in einem handelspolitischen Berichte, der im Druck erschien, seine Beobachtungen und Erfahrungen niedergelegt. Von Trapezunt aus führt noch heute eine Karawanenstraße nach der eben erwähnten Stadt. Schlechte Witterungsverhältnisse, die um diese Zeit in dem rauhen Gebirgslande herrschen, sowie die Langsamkeit der Bewegung der Karawane hatten unsern Chef bewogen, diese Straßen aufzugeben und den Weg nach Persien durch das russische Kaukasien einzuschlagen. Zur See traten wir die Weiterreise an, landeten bei Batum, damals einer armseligen, aus wenigen Hütten und Häusern bestehenden türkischen Ansiedelung, die heutzutage in den Besitz Rußlands übergegangen ist und sich gegenwärtig zu einer ansehnlichen russischen Handelsstadt, am Ausgangspunkt einer Eisenbahn nach dem Kaspischen Meere, entwickelt hat. Nach einer Weiterfahrt von wenigen Stunden liefen wir in den Rion-Fluß ein, den Phasis der Alten, verbrachten die Nacht in der fieberreichen Militärstation von Poti, um später auf einem Flußdampfer und schließlich in russischen Kibitken die letzte Strecke nach Tiflis zurückzulegen. Fußhoher Schnee erfüllte die Gebirgs. pässe, eine grimmige Kälte durchzitterte unsere Glieder, aber glücklich erreichten wir die Hauptstadt des Kaukasus, in welcher die russische Armee, kurz nach Eroberung des Tscherkessengebietes, ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatte.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, die einzelnen Persönlichkeiten zu schildern, von dem Generalgouverneur des Kaukasus Fürst Bariatinsky an, mit denen wir in Berührung kamen. Es genüge zu wissen, daß wir uns allenthalben einer zuvorkommenden Aufnahme erfreuten und daß dem Fürsten selber mein Name wohlbekannt war, da er sich durch Ankauf der großen Bibliothek eines russischen Ägyptologen in den Besitz einer ägyptischen Bücherei gesetzt hatte, die an Vollständigkeit kaum übertroffen werden konnte. Unsere Reise zu Lande von Tiflis aus durch das gebirgsreiche armenische Gebiet bis zur russisch-persischen Grenze am Araxes ging ebensowohl ohne Unfall von statten, als sie uns täglich die reichste Gelegen heit darbot, Land und Leute in allen Einzelheiten auf das genaueste kennen zu lernen. Jenseits des Araxes berührten wir das eigentliche Gebiet Persiens. Wir hatten das Glück, von einem persischen Reisemarschall empfangen und den drei Wochen langen Weg über Täbris nach der Haupt- und Residenzstadt des Schah von Persien geleitet zu werden. Ich habe in einem zweibändigen Werke, das unter dem Titel »Reise der ersten preußischen Gesandtschaft nach Persien« gleich nach meiner Rückkehr in die Heimat erschien, den Versuch gewagt, die Erlebnisse, die Beobachtungen und die Erfahrungen unserer Mission in möglichster Vollständigkeit zusammenzustellen, um dem deutschen Leser ein Bild Persiens zu geben, wie es uns heutzutage mit allen seinen Eigentümlichkeiten und Sonderbarkeiten entgegentritt.

Der Beherrscher dieses großen Landes, das an Umfang Deutschland dreimal übertrifft, aber höchstens sieben Millionen Einwohner zählt, war der damals dreißigjährige Schah Nasred-Din, der noch gegenwärtig das Szepter über seine »gesegneten Königreiche« führt und durch seine wiederholten Reisen nach Europa die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Meinerseits kann ich dem Vergnügen nicht entsagen, meine offene Meinung über diesen Fürsten auszusprechen, der in Frängistan die härtesten und ungerechtesten Urteile erfahren hat. Man hat es vergessen, daß der Schah ein Asiat und kein Europäer ist, daß Gebräuche und Sitten der Perser auf asiatisch-mohammedanischen Anschauungen beruhen, aber man weiß es nicht, daß gerade der Schah als der beste Perser bezeichnet werden muß, dessen wiederholte Reisen nach Europa lediglich den Zweck verfolgten, europäische Kulturzustände und die Fortschritte unserer Industrie durch Augenschein näher kennen zu lernen und, wenn möglich, auf persische Verhältnisse zu übertragen. In dem königlichen Schloßgarten zu Teheran habe ich öfters Gelegenheit gehabt, nach meiner zweiten vor wenigen Jahren amtlich unternommenen Reise nach Teheran, die Äußerungen des Schah über Kultur und Zivilisation näher kennen zu lernen und mich jedesmal gefreut, darin den gesundesten Anschauungen zu begegnen. Nicht weniger mußte ich erstaunt sein, aus seinem eigenen Munde zu vernehmen, wie sehr es ihn geschmerzt habe, in deutschen, englischen, französischen Zeitungen die ungerechtesten und spöttischsten Beurteilungen seiner Handlungen und seiner Gewohnheiten gelesen zu haben und dem Vorwurfe begegnet zu sein, als ob er allein die Schuld daran trage, daß seine Unterthanen sich im Zustande von Halbbarbaren befänden. Er habe zwei Aufgaben zu erfüllen, einerseits in seinem Volke das echte Persertum in Sprachreinheit, in edlen Sitten und guten Gewohnheiten zu bewahren, andererseits aber nichts unversucht zu lassen, um der Kultur nach europäischen Begriffen den Eingang in sein Land zu verschaffen. Er habe, damals bereits als ein Dreißiger, die französische Sprache erlernt, um sich aus französischen Büchern zu belehren und zu unterrichten, er habe selber ein französisch-persisches Wörterbuch abgefaßt und in Druck gegeben, um den Persern die Kenntnis dieser Sprache zu erleichtern; er schreibe und er dichte, um auch in der eigenen Sprache seinem Volke Muster zu bieten, allein er müsse es der Zeit überlassen, seine Bemühungen von bleibenden, sichtbaren Erfolgen gekrönt zu sehen. Diese und ähnliche Äußerungen der iranischen Majestät waren nicht bloß darauf berechnet, mich zu bestechen und ein günstiges Urteil über ihren Urheber zu erzeugen, sondern sie entsprangen seiner aufrichtigen Meinung, wie ich mich selber später durch die Thatsachen zu überzeugen Gelegenheit hatte.

Dreißig Jahre später, nach der Rückkehr von meiner zweiten Reise nach Persien, ward mir die Ehre zu teil, aus dem Munde unseres großen Kaisers Wilhelm I. ein Urteil über den Schah von Persien zu hören, das sich mit dem meinigen vollständig deckte. Auch in diesem Falle offenbarte mein kaiserlicher Herr die tiefe Menschenkenntnis, welche ihn auszeichnete, und die seltene Eigenschaft, gleichsam mit einem Blicke den äußeren Schein von dem inneren Werte scharf zu unterscheiden. Auf dem Paradediner, zu dem ich kurz nach meiner Rückkehr aus Teheran eine Einladung zu erhalten die Ehre hatte, äußerte sich der Kaiser wörtlich: »Ich habe den Schah von Persien als einen Mann von seinem Taktgefühl kennen gelernt, das sich bei seinen mehrmaligen Besuchen in Berlin nie verleugnet hat. Mußte es mich nicht tief bewegen, daß der Schah an jenem Tage, an welchem mich das Geschoß eines Wahnsinnigen verwundete, sofort seine Abreise befahl, in der Meinung, seine Ankunft an selbem Tage habe mir Unglück gebracht?«

Kurz nach unserer Ankunft in Teheran wurde die preußische Mission durch ein neues Mitglied vermehrt, zu dem ich während seines ganzen Lebens die größte Zuneigung fühlte, trotzdem die Wege unseres Berufes auseinandergingen und ein Wiedersehen nach der Rückkehr in die Heimat nur selten verwirklicht wurde. Es war der Neffe des Ministerresidenten, Herr von Grolmann, der damals als Premierlieutenant dem ersten Garderegiment in Potsdam angehörte und der Gesandtschaft in Teheran als Militärattaché überwiesen ward. Dienstliche Pflichten halten ihn verhindert, gleichzeitig mit uns von Berlin abzureisen, und so war er genötigt, von Ort zu Ort in fliegender Eile unsern Wegspuren zu folgen, um sich erst in Teheran, wenige Tage nach unserer eigenen Ankunft, mit uns zu verbinden. Ohne Kenntnis der türkischen, russischen und persischen Sprache war dem kaltblütigen und klugen Offizier das Kunststück gelungen, sich überall Bahn zu brechen und zuletzt in sechs Tagen einen Kurierritt von der russisch-persischen Grenze an bis nach der Residenzstadt Teheran bei glühendster Hitze mitten in den asiatischen Steppen zurückzulegen. Die Leistung war eine außerordentliche, wenn auch auf dem Schnellritte zwei Pferde auf der Straße liegen blieben.

Der diplomatische Verkehr in Teheran lehrte mich zum erstenmale das internationale gesandtschaftliche Leben kennen, fern von der europäischen Heimat und unter einer halbbarbarischen Bevölkerung. Die nationalen Unterschiede verschwanden, das Gefühl der europäischen Landsmannschaft trat in den Vordergrund. Wenn auch die französische Sprache zur Vermittlung der gegenseitigen Unterhaltung und amtlichen internationalen Korrespondenz diente, so dehnte sich der Einfluß Frankreichs auf die europäischen Landsleute in keiner weiteren fühlbaren Weise aus. Zu den Bekanntschaften, die ich damals zu machen Gelegenheit hatte, gehörte in erster Linie der berühmte Keilschriftenforscher Colonel Sir Henry Rawlinson, der als bevollmächtigter Gesandte Englands in Teheran seine Residenz aufgeschlagen hatte, der russische Legationssekretär Jessen, uns Deutschen wohlbekannt als liederreicher Dichter, der bisherige Leibarzt des Schah Dr. Pollack, ein geborener Österreicher, sowie sein Nachfolger, der französische Doktor Tholozan, eine der liebenswürdigsten und deutschfreundlichsten Persönlichkeiten. Zuletzt will ich den jungen Melnikoff nicht vergessen, welcher damals der russischen Gesandtschaft attachiert war, weil ich das Glück hatte, ihn bei meiner zweiten Anwesenheit in Persien, nach Verlauf von beinahe dreißig Jahren, als Minister und Gesandten seiner Regierung in Teheran wieder zu begrüßen.

Die Leiden und Freuden des Aufenthaltes in Teheran in der sommerlichen Jahreszeit am Fuße des schneebedeckten El-Burs übergehe ich gern, denn die Leiden, meist hervorgerufen durch die schädlichen Einflüsse des iranischen Klimas, überwogen bei weitem die Freuden. Doch verbrachten wir den ganzen Sommer über in den sogenannten kühlen Gründen am El-Burs, um am Schlusse desselben in der herbstlichen Jahreszeit die vom Baron von Minutoli geplante Reise über Hamadan (das alte Ekbatana), Isfahan und Schiras nach dem persischen Golf anzutreten, gegen alles Widerraten unterrichteter Personen, welche die Reise in herbstlicher Jahreszeit nach dem Süden geradezu als ein gefährliches Unternehmen bezeichneten. Der Baron war der entgegengesetzten Meinung, da er in dem Glauben stand, daß ein nach dem Laarthale unternommener Ausflug zur Besteigung des 18000 Fuß hohen Berges Demawend uns vollkommen zu dem weiteren Wege nach dem persischen Golfe vorbereitet und reisefest gemacht haben dürfte.

Unsere Karawane bestand aus sieben Europäern, ungefähr zwanzig persischen Soldaten, Dienern und Karawanenknechten, sowie aus neun Reitpferden und 22 Maultieren zum Transport der Reisigen und des Gepäcks. Die ausgesprochenen Befürchtungen trafen leider in vollstem Maße ein. Die Hitze, der Genuß von Früchten, dann besonders das schlechte und meist salzige Wasser, wie es den persischen Bächen der Mehrzahl nach eigen ist, und der Mangel jeder ärztlichen Hilfe brachten ihre Einwirkungen auf unsere europäischen Körper zur Geltung. Wir erkrankten der Reihe nach und gingen mit Bangigkeit dem letzten Teile der Reise im Süden entgegen, woselbst Pest und Cholera, mit dem Mittelpunkt Schiras, nach den Berichten aller Reisenden zahlreiche Opfer forderten. Im Angesicht der Ruinen von Persepolis hielt ich mein letztes Stündlein für gekommen. Ueber und Dysenterie durchwühlten meinen Leib und nur mit Mühe und Not vermochte ich mein Pferd zu besteigen, um den letzten Marterweg nach Schiras zurückzulegen.

Bei unserem Einzug in die Stadt der Dichter und des Wissens, in welcher du Cholera mit aller Gründlichkeit hauste, hatten wir die Überraschung, einem bleichen Perser zu Pferde zu begegnen, vor dem alle Welt auf der Straße mit lautem Geschrei sich in die Nebengassen rettete und den man mir auf Befragen sonderbarerweise als den »Choleramann« bezeichnet hatte. Sobald er in irgend einem Teile Persiens erscheint, so soll nach den Erzählungen darüber die Cholera in demselben ausbrechen und nicht eher weichen, als bis der Choleramann wieder den Rücken gewendet hat. Ich werde auf diese merkwürdige Person noch einmal zurückkommen, da ich während meines späteren konsularischen Amtes in Kairo die Überraschung hatte, ihr an dem Krankenbette eines von der Cholera gepackten Preußen zu begegnen.

Die Zunahme meiner Leiden hinderte mich an dem Ritte des Barons von Minutoli und seines Neffen von Grolmann nach Benderbuschir am persischen Golfe teilzunehmen.

Mein unglücklicher Chef büßte auf dem Wege sein Leben ein, nachdem ihn das Fieber mit voller Macht ergriffen hatte, ohne daß man selbst auf den englischen Schiffen im Hafen des persischen Golfes im stande gewesen war, dem schwer Erkrankten Heilung und Rettung zu bringen. Der ehemalige Polizeipräsident von Berlin, Baron von Minutoli, liegt in einem Felsengrabe des christlich-armenischen Kirchhofes außerhalb der Stadt Schiras bestattet, fern von Familie und Heimat auf asiatischer Erde, in der Nähe der Dichterfürsten Hafis und Saadi.

Die Rückkehr nach Teheran war unter solchen Umständen eine Trauerreise und unsere Ankunft in der Residenz nichts weniger als ein fröhliches Wiedersehen von Bekannten und Freunden. Hierzu kam, daß die Cholera ihren Weg hinter unserem Rücken nach der Hauptstadt genommen hatte und gleichzeitig eine Hungersnot ausgebrochen war, die für die darin anwesenden Europäer – der Zahl nach etwa sechzig – das Ärgste befürchten ließ. Das Volk erstürmte die Bäckerläden, durchlief die Straßen mit drohendem Geheul, pflanzte sich vor der Burg des Schah auf und Tausende von Weibern rissen sich auf offener Straße die Schleier von dem Angesicht, um in die Rufe nach Brot mit gellender Stimme und drohend erhobenen Händen auszubrechen.

Das Personal der Gesandtschaften hatte sich in seinen Häusern in Verteidigungszustand gesetzt und mit Bangen erwartete man den Ausgang der Dinge. Aber auch das ging vorüber, und man fing an allmählich wieder aufzuatmen, nachdem der Schah und seine Minister die Getreidespeicher geöffnet und das Korn unter die hungernde Menge verteilt hatten.

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