Mein Leben und mein Wandern

Mein Leben und mein Wandern

von Heinrich Brugsch

Berlin, allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur, 1894

 

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7. Vogelfrei

Mein Freund Mariette stirbt.

Meine ägyptischen Ersparnisse und eine kleine mir von der Regierung in Kairo gezahlte Entschädigung erlaubten mir damals die Reise nach dem Nilthale auf eigene Kosten zurückzulegen. Sie bot mir zugleich die beste Gelegenheit dar meine zurückgelassene Wirtschaft zu veräußern, nachdem ich in einem bescheidenen gemieteten Hause in der Nähe des Süßwasserkanals, der von Kairo aus über Heliopolis nach Sues geleitet ist, mich auf kürzere Zeit häuslich eingerichtet hatte.

Bei meiner Ankunft war Mariette noch nicht eingetroffen, aber die letzten Nachrichten meldeten seine baldige Ankunft, enthielten aber zugleich die traurige Botschaft, daß seine Tage gezählt seien und sein Ableben bevorstände.

Bei seiner endlichen Landung raubte ihm ein heftiger Blutsturz seine letzten Kräfte. In Kairo saß ich täglich an seinem Krankenbette, um seine Hand zu fassen und durch tröstende Worte seinen vollständig gesunkenen Lebensmut zu heben. Noch beschäftigten ihn Pläne für die nächste Zukunft und für die wissenschaftliche Ausbeute der letzten Nachgrabungen.

Zwei arabische Schechs, alte Leute, die uns beiden noch von den Ausgrabungen im Serapeum her bekannt waren, hatten sich der Aufgabe unterzogen, eine Reihe kleinerer Pyramiden in der Nähe der früher freigelegten Ausgrabungen zu öffnen, um in den Grabkammern nach Särgen alter Könige zu suchen. Von drei Pyramiden wurde der Zugang mit größter Gefahr für die Arbeiter bloßgelegt, aber ihre Mühen wurden reichlich belohnt, denn die Seiten der langen Gänge und die Wandflächen der eigentlichen Grabkammern fanden sich von oben bis unten mit hieroglyphischen Inschriften in ältestem Stil bedeckt und die aufgefundenen Särge aus nubischem Granit waren mit eingegrabenen königlichen Texten versehen. Freilich überzeugte man sich daneben, daß bereits im Mittelalter die Pyramiden von beutegierigen Arabern, Bewohnern der nahe gelegenen Dörfer, geöffnet worden waren, aber dennoch war der wissenschaftliche Gewinn ein ungeheurer. Beschriebene Pyramiden hatte man vorher nicht gekannt und Mariette ihr Dasein stets geleugnet.

Die Abdrücke der Inschriften aus der ersten erschlossenen Pyramide waren Mariette bereits in Paris zugekommen. Er hielt den darin häufig auftretenden Königsnamen Piopi (Phiops) für den eines Privatmannes. Die Texte der beiden übrig bleibenden Pyramiden kannte er noch nicht. Sie waren erst bei seiner Landung in Ägypten von den Schechs geöffnet worden und die Inschriften mußten die wichtige Frage entscheiden, ob auch Privatpersonen oder nur wirkliche Könige in Pyramiden bestattet worden waren. Mit schwacher Stimme bat mich mein kranker Freund um den Dienst, mich in Begleitung meines Bruders Emil, der als Konservator im Museum seit etwa fünfzehn Jahren angestellt war, an Ort und Stelle zu begeben, um die geöffneten Pyramiden zu untersuchen und ihm darüber Bericht zu erstatten.

Auf der Eisenbahn, die auf der linken Nilseite in einstündiger Entfernung bis zu der Ruinenstätte des alten Memphis führt, schlugen wir am nächsten Morgen den Weg nach Süden ein, bestiegen an der Eisenbahnstation Bedreschein bereitstehende Esel und gelangten nach einem Ritte von zwei Stunden nach dem Pyramidenfelde im Westen des Dorfes Sakkarah.

Gemeinschaftlich mit den ägyptischen Schechs der Ausgrabungen gingen wir mühsam in den geöffneten Gang der westlichen Pyramide, in steter Gefahr, von den über unsern Leibern schwebenden Steinblöcken bei der leisesten Berührung erdrückt und zermalmt zu werden. Endlich erhielten wir Luft in der innersten Grabkammer, deren Wände mit den reichsten Inschriften in vertikalen Kolumnen bedeckt waren. Ich erkannte an vielen Stellen der Texte den Namen und die Titel Pharaos Methesuphis aus der sechsten Dynastie altmemphitischer Könige.

An der Westseite der Kammer stand ein wohl erhaltener Sarkophag in Kastenform aus einem dunklen rotgesprenkelten Granit. Die Inschriften auf dem zurückgeschobenen Deckel und am oberen Rande der steinernen Truhe trugen denselben Namen des erwähnten Königs in Begleitung seiner Titel und Nebenbezeichnungen. Es war kein Zweifel mehr übrig, daß die beschriebene Pyramide, wie ihre übrigen Schwestern mit Inschriften, thatsächlich einem Könige der ältesten Dynastie angehörte.

Neben dem Steinsarge lag auf dem Fußboden der Grabkammer die wohl erhaltene Mumie Pharaos Methesuphis, wie er in den Königslisten Manethos heißt, eine ziemlich genaue Umschrift seines echt ägyptischen Namens Mehtemsuf. Nach ihrer äußeren Erscheinung und Körperbildung konnte die Leiche nur einer im Jünglingsalter gestorbenen Person angehört haben.

Die sehr feinen Byssusbinden, mit welchen sie einst umwickelt war, hatten die arabischen Schatzgräber vom Leibe heruntergerissen, so daß die Fetzen des fast durchsichtigen und spinngewebartigen Leinewandstoffes allenthalben zerstreut umherlagen.

Nachdem ich die beiden übrigen geöffneten Pyramiden durchsucht und in ihren Inschriften die Namen ihrer Erbauer entdeckt hatte, trat ich mit meinem Bruder den Rückweg an, um Mariette noch an dem Abend desselben Tages die Ergebnisse meiner Untersuchungen an Ort und Stelle mitzuteilen. Vielleicht, so sagte ich mir, wird es dem sterbenden Freunde eine letzte Freude bereiten, die Mumie eines der ältesten Könige Ägyptens und der Welt überhaupt noch mit eigenen Augen sehen zu können.

Ich ließ sie in einen schmalen hölzernen Sarg legen, welchen die Nachgrabungen im Boden der Wüste an einer Stelle der memphitischen Totenstadt neben Dutzenden anderer zu Tage gefördert hatten. Mein Bruder legte die seltsame Last quer vor sich auf seinen von ihm bestiegenen Esel, und so erreichten wir nach zweistündigem Ritte, wenige Minuten vor Abgang des Zuges nach Kairo, die Eisenbahnstation in der Nähe des Niles.

Großes Erstaunen der Bahnbeamten über unseren toten Begleiter, den wir als einen uralten einbalsamierten Schulzen (Schech el-beled) des Dorfes Sakkarah bezeichneten. Da wir uns von unserem Mitreisenden nicht zu trennen vermochten, so fuhren wir nicht erster Klasse, sondern bestiegen mit ihm den Gepäckwagen.

Der Zug setzte sich in Bewegung, hielt aber lange vor der eigentlichen Endstation Dakrur im Angesicht der Kalifenstadt Kairo an. Irgend ein Schaden an den eisernen Schienen verhinderte jede Weiterbewegung nach dem Bahnhofe zu. Männiglich war genötigt auszusteigen, um den weiten halbstündigen Weg bis zum Halteplatz der Wagen zurückzulegen.

Wir Brüder packten den Holzsarg an seinen beiden Enden, um ihn bis zur Station zu tragen. Die Sonne ging unter, der Schweiß lief uns von der Stirn, der tote Pharao schien von Minute zu Minute schwerer zu werden. Um die Last zu erleichtern, ließen wir den Sarg in Stich und faßten seine tote Majestät am Kopfende und an den Füßen. Da brach Pharao in der Mitte durch und jeder von uns beiden nahm seine Hälfte unter den Arm.

Nach halbstündiger Fußwanderung bestiegen wir zwei Berliner mit dem halbierten Pharao eine Droschke. Ein neues Hindernis trat uns am Mautgebäude unmittelbar vor der großen eisernen Brücke von Kasr en-Nil entgegen.

»Nichts Steuerbares im Wagen?« fragte der Steuerbeamte in arabischer Zunge.

Nein, gar nichts, mafisch!

»Aber was ist dies da?« Di-e-di und bei diesen Worten zeigte er auf die beiden Hälften der königlichen Leiche.

– Eingepökeltes Fleisch, entgegnete ich und drückte ihm heimlich ein Geldstück in die Hand.

»Jallah ab!« rief der Beamte dem Kutscher zu, und unser Wagen rollte mit uns dreien über die Brücke.

Mariette schien meine Erzählung zu unterhalten, doch machte der Anblick der Leiche des zweigeteilten Königs einen widerlichen Eindruck auf ihn, während ihn früher eine Mumie vollkommen gleichgiltig ließ.

»Also giebt es doch beschriebene Königs-Pyramiden! rief er mit heiserer Stimme aus, ich hatte nie daran glauben wollen.«

Wenige Tage nach dem beschriebenen Ereignis trat der fürchterlichste Todeskampf bei meinem armen Freunde ein, bis er endlich am 17. Januar 1880 von dieser Welt für immer Abschied nahm.

Geboren am 12. Februar 1821 in Boulogne-sur-mer, starb er in seinem sechzigsten Lebensjahre infolge der Zuckerkrankheit, welche ihn die ganze zweite Hälfte seiner irdischen Wanderschaft unsäglich gequält hatte. Sein starker Körper leistete bis zum letzten Augenblick den kräftigsten Widerstand, aber die seelischen Leiden in den letzten Jahren seines Lebens hatten sein Nervensystem erschüttert, dadurch die Entwickelung der heimtückischen Krankheit beschleunigt und seine Auflösung herbeigeführt. Von elf Kindern waren ihm sieben in der Blüte ihres Daseins durch den Tod entrissen worden, zuletzt noch, ein Jahr vor seinem Abscheiden, ein geliebter hoffnungsreicher Sohn, der eben im Begriff stand, sich einem ehrenvollen Berufe zu widmen.

Der Tod Mariettes war für die in Kairo anwesenden Franzosen das Zeichen, sein am nächsten Tage stattfindendes Begräbnis in auffälligster Weise auf das feierlichste zu begehen. Die gesamte Bevölkerung der Stadt, Einheimische und Fremde, sollten es erfahren, daß Frankreich entschlossen sei, die altägyptische Erbschaft des Museums anzutreten und den leer gewordenen Platz des Leiters der Museen und der Ausgrabungen keinem Ausländer einzuräumen. Schon am Todestage Mariettes war sein Nachfolger, Prof. Maspero, französischer Unterthan, jedoch von italienischer Abkunft, in Ägypten eingetroffen, um sich an die Spitze der Verwaltung der »Antika« zu stellen.

Die ägyptische Regierung und der Khedive ließen sich einschüchtern, und meine eigene Person, welche nach der Meinung und dem Ausspruche des Vizekönigs selber allein die Anwartschaft auf die Nachfolge besaß, wurde aus dem einzigen Grunde zurückgedrängt, weil ich die Ehre hatte ein Deutscher zu sein und der großen Nation nur als solcher zu mißfallen. Lesseps Meinung darüber habe ich bereits oben in ihrer wörtlichen Fassung mitgeteilt.

Ich nahm an dem Begräbnis teil, begleitete abseits gehend die Leiche Mariettes vom Museum aus nach der katholischen Kirche, von allen Franzosen mit scheelen Augen angesehen, selbst von denen, die in den Zeiten der Ausstellungen zu meinen Beamten gehörten und von mir mit Wohlthaten überschüttet worden waren. Ich gönnte ihnen den kleinen nationalen Triumph und gedachte mit Wehmut der dreißigjährigen treuen Freundschaft, welche mich mit dem Verstorbenen verbunden hatte. In mehr als tausend seiner Briefe, die er an mich gerichtet hatte, spiegelte sich sein Herz ab, das voll und ganz für mich schlug und das er in rührendster Weise so oft vor mir ausgeschüttet hatte, um seine Seelenqualen zu schildern und seine Hilferufe an mich zu richten. Und ich hatte ihn niemals in seinen Hoffnungen betrogen, denn ich blieb allzeit le Prussien de son coeur, wie er mich mündlich und schriftlich am liebsten zu bezeichnen pflegte. Friede seiner Asche!

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