Meine Wallfahrt

Meine Wallfahrt nach Mekka

Heinrich von Maltzan

Bearbeitet von Fritz Gansberg
1919
Braunschweig, Hamburg und Berlin
Georg Westermann

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1. In Ägypten

Bei meiner ersten Reise in Ägypten saß ich eines Abends in Kairo an der wohlbesetzten Hoteltafel und mir gegenüber ein Mann in vollständig morgenländischem Gewand, sonnengebräunt, mit einem langen Bart und geschorenem Kopf, mit Armen, welche bis an die Ellenbogen, und mit Beinen, welche bis an die Knie hinauf nackt waren. Anfangs beachtete ich ihn nicht, da es ja in Kairo Araber genug zu sehen gibt. Als er nun aber den Mund öffnete und in reinstem Englisch mit seinem Nachbar eine Unterhaltung begann, da wurde ich doch sehr neugierig. Wer war dieser arabische Engländer? – Niemand anders als der berühmte Leutnant Burton, der eben von Mekka zurückgekehrt war, von Mekka, der heiligen Stadt der Mohammedaner, von Mekka, dessen Betreten jedem Christen bei Todesstrafe verboten ist. Burton hatte die Reise als Mohammedaner verkleidet zurückgelegt, und so war es ihm gelungen, die heiligen Stätten zu besuchen und sich mitten zwischen den Gläubigen zu bewegen, ohne dass jemand in ihm den Ungläubigen ahnte. Je mehr ich Burton erzählen hörte, um so stärker wurde in mir der Wunsch, seinem Beispiele zu folgen. Aber da ich noch nicht gut Arabisch sprechen konnte, so musste ich meinen Plan noch lange, lange aufschieben.

Sieben Jahre später, im Frühlinge 1860, als ich von einer Reise durch Marokko zurückgekehrt war, auf welcher ich mich auch oft hatte verkleiden müssen, brachte ich meinen Plan endlich zur Ausführung. Durch einen mehrjährigen Aufenthalt in Nordafrika hatte ich eine Sprechweise des Arabischen, den maghrebischen Dialekt, einigermaßen sprechen gelernt. Als Maghrebi verkleidet konnte ich die Pilgerfahrt unternehmen. Zwei Dinge musste ich mir aber dann noch anschaffen: ein maghrebisches Gewand und einen muselmännischen Namen; ersteres war leicht, letzteres nicht sehr schwer. Ich kaufte mir also in Algier in aller Heimlichkeit einen maurischen Anzug: eine Jacke, zwei Westen, Schärpe, Hose, rote Mütze und einen halbseidenen Turban. Das alles zog ich nun nicht etwa an, sondern wickelte es vielmehr sorgfältig in ein Tuch und begab mich in stockfinsterer Nacht mit diesem Bündel in eins der abgelegensten Gässchen der Stadt, wo ich in ein kleines, in einem Keller befindliches Kaffeehaus trat. Dort, wusste ich, würde ich den Mann treffen, der mir für die geplante Pilgerreise seinen Namen leihen würde.

In einem Winkel dieses Lokales saß ein arabischer Strolch, der früher in einem gewissen Wohlstand gelebt hatte, aber durch das stete Rauchen des berauschend wirkenden Haschisch so heruntergekommen war, dass er zu keiner Arbeit mehr Lust hatte. »Sage mir, Abd-er-Rahmann,« so redete ich ihn zu seinem höchsten Erstaunen an, »willst du sechs Monate auf die angenehmste Weise, ohne Sorgen und mit reichlichem Geld versehen, zubringen und während dieser Zeit Haschisch rauchen, soviel du magst, ohne dass dich einer von deinen Gläubigern zu belästigen wagt?« Der Angeredete schaute mich an, als glaubte er, ich hätte auch Haschisch geraucht und erzählte ihm nun ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Endlich fragte er, was ich denn mit solchem Unsinn meinte. »Du wirst«, erwiderte ich, »dich in acht Tagen von hier entfernen und nach Tunis oder einer andern afrikanischen Stadt gehen, dort sechs Monate still für dich deinen Haschisch rauchen und bekommst dafür...« (hier nannte ich ihm eine Summe, die für einen Araber ganz annehmbar war). Einen Augenblick meinte Abd-er-Rahmann, ich wäre wohl ein Missionar, die es zuweilen, aber erfolglos, versuchen, Mohammedaner zu Christen zu machen, und erst als ich ihn darüber beruhigt hatte, erklärte er sich zu allem bereit. »Du wirst«, sagte ich ihm, »diesen Anzug, welchen ich hier in diesem Bündel mitgebracht habe, morgen früh anziehen und so gekleidet aufs Stadthaus gehen und eine Polizeikarte auf deinen Namen für eine Pilgerreise nach Mekka verlangen.« – Einen Tag später hatte ich meinen Pass. Der gute Abd-er-Rahmann schiffte sich nach Tunis ein, während er vorgab, die Pilgerfahrt nach Mekka unternehmen zu wollen, um nach sechs Monaten mit dem ehrwürdigen Namen eines Hadsch (eines Pilgers) zurückzukehren. Auf seine Verschwiegenheit konnte ich rechnen, denn er geriet bei seinen Landsleuten in die größte Gefahr, wenn sie erfuhren, dass er einem Ungläubigen zu einer Fahrt nach ihrer heiligen Stadt verholfen hatte. Nicht nur hat die türkische Regierung, welche die Herrschaft über das Heilige Grab ausübt, Todesstrafe für jeden Ungläubigen, der die Stadt zu betreten wagen sollte, festgesetzt; nein, auch jeder Pilger wacht über sie und würde jeden Christen sofort anzeigen, wenn er sich verkleidet in die Stadt schleichen sollte. In dem Paß, den ihm die Polizei ausgestellt hatte, stand außer dem Namen auch eine genaue Beschreibung Abd-er-Rahmanns; aber es gelang mir einigermaßen, mich so zu verkleiden, dass seine Beschreibung auch auf mich passte; nur den Ausschlag auf dem Kopfe, an dem mein Gehilfe, wie so viele Leute im Morgenlande, litt, wollte ich mir nicht anschaffen, obgleich es ja durch Ansteckung möglich gewesen wäre. Aber ich konnte ja sagen, ich wäre von jener Krankheit unterwegs geheilt worden.

Kaum war ich im Besitz des Passes, als ich ein Dampfschiff bestieg und mich auf die Reise machte. Anfangs war ich noch Europäer; auf einer Station aber verwandelte ich mich in die Person Abd-er-Rahmanns und fuhr dann auf einem andern Dampfschiff nach Ägypten, und zwar nach Alexandrien. Ich fuhr bescheiden auf dem dritten Platz, fastete und verrichtete meine Gebete, wie es sich für einen armen Pilger gehört. Zum Glück war die See ruhig, die Wellen stürzten nicht über Deck, und auch die Seekrankheit verschonte mich. Am 16. April langten wir in Alexandrien an. Von dieser Stadt will ich jetzt nichts erzählen, nichts von dem Gewühl in den Straßen, von den Maultieren, wilden Hunden, Kamelen, nichts von den großen Bauten. Nur von einem Bauwerk muss ich berichten, von der Eisenbahn, die von Alexandrien nach der Hauptstadt Kairo führt. Wenn der Kalif Omar noch lebte, der die Bücher der großen Bibliothek in Alexandrien zur Badeheizung verbrennen ließ, weil sie neben dem Koran überflüssig waren, wenn er die Eisenbahn, dies Teufelswerk, gesehen hätte, so hätte er sie gewiss zerstört, jedenfalls aber jedem frommen Pilger verboten, von der schändlichen Erfindung der Inkliis (Engländer) Gebrauch zu machen. Aber heutzutage wagt man die Eisenbahn doch nicht mehr zu verbieten, und so fahren denn auch die frommen Pilger auf dem gottlosen Schienenwege dahin. Am 26. Ramadan (18. April) nahm ich ein Billett dritter Klasse und bestieg einen Wagen, der schon ganz mit Ägyptern und Türken besetzt war, denn so, dachte ich, konnte doch kein Maghrebi, der bald meine Verkleidung durchschaut hätte, mein Nachbar werden. Zum Glück konnte ich die weißen Mäntel der Maghrebi immer schon von weitem erkennen und in weitem Bogen um diese Leute herumgehen.

In der Eisenbahn schloss ich bald Bekanntschaft mit einem alten ehrwürdigen Mann mit langem weißen Bart, mit einem Kattunkleid angetan, mit einem Turban auf dem Kopf und gelben Schuhen an den Füßen. Er führte fortwährend fromme Sprüche im Munde. Die wichtige Neuigkeit, dass es nur einen Gott gebe und dass Mohammed sein Prophet sei, wurde uns wenigstens hundertmal auf der Reise mitgeteilt. Dieser Greis war ein gewisser Scheich Mustapha aus Kairo, ein Gelehrter, der den ganzen Koran auswendig wusste und der mit seinen drei Neffen die Pilgerreise nach Mekka antreten wollte. Die Reise sollte den Nil hinaufgehen und von dort durch die Wüste und über das Rote Meer geradezu nach dem Heiligen Grab führen. Und da er wohl merkte, dass ich Geld hatte, so riet er mir eifrig zu, mit ihm zu reisen, womit ich auch ganz einverstanden war. Unter solchen Gesprächen fuhren wir an den Pyramiden vorbei und begrüßten endlich die alte Kalifenstadt Kairo. Noch im Bahnhof überraschte uns der Kanonenschuss, der den Gläubigen das Ende des Fasttages ankündigte. Nun hätte man sehen sollen, mit welcher Gier die Moslems, die einen über ihre Pfeife, die andern über ihre Lebensmittel herfielen! –

Auch von Kairo will ich nicht viel erzählen. Ich hatte meine bescheidene Herberge in dem Stadtviertel der Kupferschmiede. Da der Monat Ramadan, an dem man tagsüber fasten muss, noch andauerte, so zog ich vor, den Tag über zu schlafen, um mich nicht zu sehr abzuschwächen. Nur nachts ging ich aus, durch die herrlich erleuchteten Straßen, besuchte die von tausend Lichtern strahlenden Moscheen, schlenderte zwischen den Kaufläden umher, trat auch wohl in ein arabisches Kaffeehaus und sah dort den Tänzerinnen und den Clownsspäßen zu. Mein neuer Bekannter Scheich Mustapha, den ich auch einmal traf, führte mich zu einem Sklavenhändler, von dem ich mir einen jungen Negersklaven für die Summe von zweihundert Franken kaufte. Warum tat ich das? Nun, in einem Sklavenbesitzer würde man doch gewiss keinen Europäer vermuten. Mein Sklave hieß Ali, war achtzehn Jahre alt, ganz schwarz, hatte sehr dicke Lippen, eine platte Nase und sehr weiße Zähne – kurz, er war ein echter Neger. Er verstand nichts, aber das war auch nicht nötig; wenn er nur an mich glaubte und jedermann sagte, ich sei ein frommer Moslem – und das tat er. Endlich war der entsetzliche Ramadan vorbei, und ich ging mit Ali am frühesten Morgen an den Nil, wo wir unsere Bekannten mit einigen fünfzig anderen Ägyptern in einem großen Nilschiff beisammen fanden. Ich wurde ohne Arg aufgenommen, und bald ging es mit blähenden Segeln, beim schönsten, günstigsten Nordwind den Nil hinauf.

Die Mitreisenden bestanden zum größten Teil aus Ägyptern, einigen Negern, Türken und zwei Männern aus Mekka; zum Glück war ich der einzige Maghrebi unter diesem bunten Häuflein. Die Ägypter waren meist vornehme Leute, Gelehrte oder Kaufleute; einige ägyptische Bauern (Fellahin), die mit dabei waren, hielten sich meistens allein bei den Matrosen des Schiffes auf, aßen mit diesen das harte schwarze Durrabrot, welches, in Wasser gekocht, fast die einzige Nahrung der Armen ist, und schliefen auf dem Verdeck, was sie übrigens bei der Temperatur von einigen 20° R ohne Furcht vor Erkältung tun konnten. – Einer von den Gelehrten war ein großes Licht, denn er kannte sogar die Grammatik, was bei den Arabern immer das letzte ist, was sie lernen. Obgleich ich auch einiges davon kannte, so hütete ich mich doch, das merken zu lassen, weil mich das unfehlbar als Europäer verraten haben würde; denn nur demjenigen ist es gestattet, die Grammatik zu lernen, der den ganzen Koran, ohne auch nur um ein Wort zu irren, aus dem Gedächtnis hersagen kann – und davon war ich weit, weit entfernt. Die beiden Türken, die mit uns reisten, waren aus Kleinasien, waren rohe und grobe Kerle, traten schwerfällig und plump auf, aßen auf eine abscheulich schmutzige Weise und taten die unanständigsten Dinge in Gesellschaft. Aber sie wurden doch mit großer Würde behandelt, denn sie gehörten ja zu dem Volke, das über alle diese Länder herrscht. Die beiden Mekkaner waren Leute von sehr feinen Manieren; aber sie waren so eingebildet, dass sie verlangten, man solle sie unentgeltlich fahren lassen. Wenn man sie erzählen hörte, so besaßen ihre Eltern in Mekka Paläste, so schön wie der Palast Aladdins. Je mehr wir uns aber ihrer Heimat näherten, desto mehr stimmten sie ihre Prahlereien herab, und zuletzt mussten sie eingestehen, dass ihre Väter ganz arme Leute seien.

Das Schiff, auf dem wir fuhren, hatte zwei Masten, einen großen in der Mitte und einen kleinen am Vorderteil, mit dreieckigen Segeln, die sich kreuzten, wenn sie aufgespannt waren. Die Matrosen waren halbe Neger und gingen mit langen blauen Hemden bekleidet, die sie aber oft auszogen, um in den Fluss zu springen, und das Schiff, das alle Augenblicke auf einer Sandbank festsaß, mit den Fäusten und dem Rücken wieder flott zu machen. Da der Nordwind im späteren Frühjahr in Ägypten höchst selten ist, so durften wir uns nicht wundern, dass der günstige Wind, der uns die ersten drei Stunden begleitet hatte, bald einem ungünstigen Südwind Platz machte. Dieser Südwind (oder Schirokko, wie er in Algerien, oder Samum, wie er in der Wüste genannt wird) ist überaus heiß und trocken, führt eine Menge feinen Staub mit sich, der selbst durch Fenster und Läden eindringt, und bringt auch gewöhnlich Fieber und Augenentzündung mit. Da unsere Segel jetzt nutzlos waren, so musste gerudert werden, was die faulen Matrosen nur höchst ungern und langsam taten, so dass wir kaum drei oder vier Kilometer in der Stunde vorwärts kamen. Und da der Südwind nun ununterbrochen zu wehen fortfuhr, so war die Folge, dass wir drei Wochen zu einer Fahrt brauchten, die sich sonst in acht Tagen zurücklegen ließ.

Von der Reise selbst ist nicht viel zu erzählen. Abends legten wir immer in kleinen Dörfern an, wo es oftmals bis tief in die Nacht hinein Belustigungen gab. Einmal sahen wir einen muselmännischen Friedhof. Da der Monat Schual besonders den Besuchern der Gräber gewidmet ist, so sahen wir zahlreiche kleine Barken mit ägyptischen, blauverhüllten, dichtverschleierten Frauen. Die Männer von Kairo erzählten viel Seltsames von den Krokodilen, die wir weiter oben zu sehen kriegen sollten; ich musste mich natürlich stellen, als wüsste ich gar nicht, was ein Krokodil sei, da solche Kenntnis bei einem Maghrebi höchst verdächtig erschienen wäre; denn der Maghrebi gilt überhaupt bei den Ägyptern für ein Muster von Dummheit, und sie vergleichen ihn am liebsten mit einem Esel. – In einem Orte mussten wir einen Tag rasten, um den Matrosen Zeit zum Brotbacken zu lassen. Alle die kleinen Städtchen, an denen wir vorbeikamen, waren aus grauen Luftziegeln erbaut, so dass die Häuser wie Lehmhütten aussahen, die überall zersprangen und zerbröckelten.

Einmal wurde einem der Männer, dem dicken Omar aus Kairo, seine Börse gestohlen. Dadurch geriet er in große Wut und klagte alle übrigen des Diebstahls an. Natürlich wollten wir das nicht auf uns sitzen lassen. Aber wie konnte man den Dieb ausfindig machen? Endlich kam einer auf den Einfall, einen Spruch aus dem Koran auf ein Papier zu schreiben; dies Papier wurde dann in Stücke gerissen und jedem Anwesenden ein Stück in den Mund gesteckt; nun mußte es hinuntergeschluckt werden und – den Unschuldigen sollte der Spruch keinen Schaden zufügen, dem Schuldigen sollte er aber den Tod bringen. Auf diese Art versucht man in Ägypten oft, aus abergläubischen Menschen die Wahrheit herauszubringen, da der Schuldige dann doch sein Papier nicht hinunterschlucken, sondern irgendwo im Munde verstecken wird, wo es dann leicht gefunden werden kann. Aber in unserer Gesellschaft half das Mittel nicht, denn auch der Dieb verschluckte sein Papierchen, und bei keinem ließ sich etwas finden. Nun hätte man ja nach dem Polizeidiener schicken können, der ohne Zweifel durch Stockprügel die Wahrheit bald herausgebracht hätte. Aber sowie Omar diesen Vorschlag nur erwähnte, geriet alles in solche Entrüstung, dass er gleich davon schwieg, denn wir hätten in diesem Falle eben alle unsern Teil Schläge wegbekommen. Endlich machte einer von den Türken einen Vorschlag, der sehr seltsam war, aber doch gleich zum Ziel führte. Jeder sollte nämlich sein bares Geld vorzeigen, und wer mehr als die zur Pilgerfahrt nötige Summe bei sich habe, sei der Dieb. Es fand sich denn auch wirklich, dass niemand mehr, ja kaum einer so viel hatte, als für eine Pilgerfahrt nach Mekka notwendig ist. Ich besaß wohl etwas mehr, aber mein Geld bestand zum Teil in Banknoten, die ich gut versteckt hatte. Der Dieb jedoch, einer der beiden Mekkaner, besaß dreimal soviel als irgendein anderer, woraus hervorging, dass er vorher schon einmal gestohlen haben musste. Da man ihm nun mit der Strafe des Halsabschneidens drohte, wenn er nicht gestehen wolle, so gab er denn schließlich sein Verbrechen zu. Omar bekam sein Geld wieder, und die ganze Gesellschaft war dem Übeltäter bald wieder gut. Der dicke Omar war so glücklich, dass er uns alle, ja den Dieb auch, mit dem besten Mokkakaffee traktierte. Bald war es in der Gesellschaft wieder so, als wenn gar nichts passiert wäre.

Um 2 Uhr nachmittags am 18. Schual 1276 der Hedschra (10. Mai l860) vollendeten wir unsere Nilfahrt, indem wir in Kene anlangten, von wo die Karawanen durch die Wüste nach Kosseir am Roten Meer führen, wo man sich nach der arabischen Küste und besonders nach Dschedda, dem Hafen Mekkas, einschifft.

Unser Weg sollte nun etwa hundertundachtzig Kilometer durch die Wüste führen. Da mietete ich nun zunächst zwei Kamele, eins für mich, eins für Ali, der mir nicht kräftig genug schien, um den Weg zu Fuß machen zu können. Außer den nötigen Esswaren nahm ich auch Wasser mit. Deshalb hatte ich schon in Kairo ein Dutzend großer, mit Leder überzogener Wasserflaschen gekauft, wie man sie gewöhnlich zu Wüstenreisen mitnimmt. In meinem nicht geringen Erstaunen fand ich, dass ich der einzige war, der an Wasserbehälter gedacht hatte. Nicht, als ob die Araber nicht ebensoviel Wasser trinken als die Europäer; aber sie sind so sorglos, dass sie lieber leiden wollen, als sich die Mühe zu machen und an die Zukunft zu denken. Nur für sehr große Wüstenreisen, wo es völlig an Oasen fehlt, nehmen diese Leute Wasser mit. Aber trotzdem die Leute so wenig sorgten, wurden doch zwei volle Tage auf den Vorbereitungen für die Reise vertrödelt. Das ist echt morgenländisch! – Unsere Reisegesellschaft bestand aus zweihundert Personen, aber nur der vierte Teil war beritten; die Fußgänger brauchten sich indessen auch nicht zu sehr anzustrengen, denn die ganze Strecke wurde in sieben Tagen zurückgelegt, was auf den Tag etwa fünfundzwanzig Kilometer brachte.

Unsere Karawane sah sehr bunt aus. Da waren Kamele, Esel, Pferde und Maultiere; da waren Menschen in den verschiedensten Trachten: ägyptische Bauern in langen blauen Hemden, Beduinen, die stolzen, freien Wüstenbewohner, Türken mit schauderhaft langen Schnurrbärten und mit Dolchen und Pistolen in der Schärpe (die aber so umwickelt waren mit kunstvollen Bändern, dass es sicher langer Zeit bedurfte, sie in Gang zu setzen, und die doch wahrscheinlich überhaupt nicht zu gebrauchen waren). Da waren Neger, deren Frauen sie bis ans Meer begleiteten, Frauen, die beinahe ganz nackt gingen, nur um den Leib ein Gehänge von dünn geschnittenen Riemchen trugen und deren Haare, mit ranziger Butter beschmiert, in tausend fettigen Löckchen auf den Nacken fielen. Da waren auch Araberinnen, die ein einziges Tuch übers ganze Gesicht trugen, das nur zwei Löcher für die Augen hatte, so dass man von ihrem Gesicht nichts, nicht einmal die Augenbrauen erblicken konnte. So will es hierzulande die Sitte. Die Sitte forderte auch, dass sie mit den Männern auf dem ganzen Wege nie auch nicht ein Wort wechselten, denn kein Araber spricht vor Männern mit seinen weiblichen Verwandten.

Der vierte Tag brachte uns nur zwanzig Kilometer weiter und zwar an einen Ruheplatz, wo gar kein Wasser gefunden wurde. Nun kamen mir meine Wasserflaschen recht zustatten, und ich machte mir dadurch viele Freunde, dass ich andern davon abgab. Die Moslems sind freilich nicht sehr dankbar, denn sie pflegen alle guten Werke der Menschen als Wohltaten Gottes anzusehen. Gott lenkt die Menschen so, dass sie wohltätig sein müssen, ob sie wollen oder nicht. Als wir aber dann nach sechsstündigem Ritt bei einer Quelle anlangten, da fiel die ganze Reisegesellschaft mit Heißgier über das gefundene Wasser her. Es mochte etwa 5½ Uhr morgens am siebenten Tage sein, als wir zum ersten Male an dem gewohnten immer gleichmäßigen Wüstenhorizont eine Veränderung sahen. Statt der ewigen Sandhügel und nackten Felsen erfreute unsern Blick auf einmal eine lange, spiegelglatte, im Sonnenstrahl leuchtende Fläche, auf der zahlreiche, kleine, weiße Punkte wunderlich herumirrten. Das war der Arabische Meerbusen oder das Rote Meer, das von allen Pilgern aufs freudigste begrüßt wurde. Jubelnd legten sie die beiden letzten Wegstunden zurück, und als sie in Kosseir anlangten, schien es ihnen, als hätten sie schon das Schlimmste der Pilgerfahrt überstanden.

Wir hatten in Kosseir nichts Anderes und, da der Ort auch sehr langweilig war, nichts Eiligeres zu tun, als alles für unsere Abreise vorzubereiten. Darum sahen wir uns auch gleich nach einem Schiffe um, das uns nach der arabischen Küste hinübertragen sollte. Von den zwölf Segelschiffen, die im Hafen, oder richtiger gesagt, auf dem Ankerplatz lagen, schien uns das Schiff mit dem Namen » Um ess Ssalam« (das heißt Mutter des Friedens) das solideste zu sein. Der Kapitän war ein altes Männchen mit negerartigen Zügen, einem dicken Bauch, ein paar triefenden Augen und einem recht blödsinnigen Gesicht. Außerdem war er mit der Krätze behaftet, was mich während der ganzen Fahrt aus seiner Nähe verscheuchte. Wir wurden bald handelseinig. Ich musste tausend Piaster (etwa zweihundert Mark) für mich und fünfhundert Piaster für Ali bezahlen. Das war nach europäischen Begriffen sehr billig, für einen Muselmann dagegen sehr teuer.

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