5. Die Kaaba
Hassan, der immer bei mir geblieben war, hatte mit mir und
Ali den Weg durch die Stadt zu Fuß zurückgelegt und führte uns
durch das Gedränge von Menschen, Tieren und Waren, das sich
vor der Moschee gebildet hatte, bis an das Tor des Grußes
hinan. Hier standen auch einige hundert Mekkawia, von denen
die meisten Metuafin waren. Ein Metuaf ist ein frommer
Kirchenführer, der sich ein Geschäft daraus macht, den Pilger
an alle heiligen Orte zu führen und ihn überall zu lehren,
welche Andachten dort zu verrichten sind. Er führt ihn aber
nicht nur durch die Moschee, sondern auch zu allen übrigen
heiligen Orten, vor allem zum Berge Arafa, er zeigt ihm auch
die Merkwürdigkeiten von Mekka, er führt ihn in die Kaffee-
und Barbierstuben, er handelt für ihn in den Läden, er
verschafft ihm eine Wohnung, ja er begleitet ihn auch zu
allerlei bedenklichen Vergnügungen.
Unter diesen religiösen Lohndienern befand sich auch ein
spindeldürres, kleines Männchen, ein wandelndes Knochengerippe
mit spärlichem weißen Bart und ein paar unheimlich funkelnden
schwarzen Äuglein. Das Männchen konnte es an Körperkraft mit
seinen Kollegen, die in dichten Scharen die Pilger umdrängten,
nicht aufnehmen und mußte wehmütig sehen, wie jene die
fettesten Bissen, einen nach dem andern, wegschnappten. Kaum
aber hatte Hassan den hinfälligen Greis gesehen, als er
plötzlich mit kräftigen Armen und Fäusten die unverschämten
Tempeldiener zur Seite warf, rechts und links um sich hieb,
sich einen Weg zu dem Alten bahnte und diesem mit kindlicher
Zärtlichkeit um den Hals fiel. Dann entspann sich zwischen den
beiden ein lebhaftes Gespräch, wobei der Junge dem Alten
Wichtiges mitzuteilen schien. Gleich darauf drängten sie sich
vereint durch die Menge der Tempelführer, von denen mich wohl
dreißig dicht umdrängten, anschrieen und mir das dünne Gewand
vom Leibe zu reißen drohten. Meinem Reisegefährten gelang es
aber, die Zudringlichen zu verscheuchen, die nun wohl
einsahen, daß ich meinen Mann schon gefunden hatte; und dann
stellte er mir den Alten als seinen Vater vor, als Ssadak (der
Gerechte) Ben Hanifa (Sohn der Hanifa, die eine Dame von ganz
besonderer Heiligkeit gewesen sein sollte). Ich war froh, daß
ich zwei Menschen bei mir hatte, die mir behilflich sein
wollten, denn meine ägyptischen Reisegefährten waren alle in
dem Gewühl am Tore des Friedens von meiner Seite weggedrängt
worden; nur einer, der dicke Omar, war bei mir geblieben und
hatte sich entschlossen, meinen Tempeldiener auf meine Kosten
mitzubenutzen. Hassan nahm nun schnell von uns Abschied,
nachdem wir einen Treffpunkt verabredet hatten, und dann
traten wir in das Innere der Moschee ein.
Den größten Teil derselben bildet ein großer viereckiger
Raum, in welchem sich die zehn oder zwölf Heiligtümer des
Islam befinden, und der von allen vier Seiten von einem
mächtigen überdachten und nach außen geschlossenen
Säulenumgang eingefaßt wird. Auf der flachen Dachterrasse des
Säulengangs erhebt sich in langer Linie ein Heer von kleinen,
grellweiß angestrichenen Kuppeln. Seine Säulen sind von der
allerverschiedensten Gestalt, ja auch von verschiedenem
Gestein gefertigt und zum Teil auch mit Inschriften bedeckt.
Die ganze Anlage der Kirche ist sehr ungleichmäßig, bald
ist hier, bald dort ein Teil angeflickt worden. Der
Säulenumgang hat im ganzen achtzehn Tore, die ganz
unregelmäßig auf seine vier Seiten verteilt sind. An dem
Säulenumgang sind auch sieben Minaretts (Gebetstürme)
aufgestellt, die ganz ungleichmäßig gebaut und geformt sind.
Auf allen sieben aber stehen vergoldete Halbmonde, und
außerdem wird auf ihnen zu jeder der fünf Gebetsstunden die
weiße, am Freitag eine Stunde lang die heilige grüne Fahne
aufgezogen, zu welcher Zeit die Mueddin (Gebetsausrufer) die
Balkone der Türme besteigen und in singendem Tone das
Glaubensbekenntnis des Islam ertönen lassen. Es bringt einen
eigentümlichen Eindruck hervor, wenn man zu einer der fünf
Gebetszelten im Hofe der großen Moschee steht und plötzlich,
wie mit einem Schlage, die sieben weißen Fähnchen auf die
Turmspitze stiegen, die zahlreichen Mueddin auf den Ballonen
erscheinen und durcheinander singen und rufen, und oft ging
ich in die Moschee, um diesem Schauspiel beizuwohnen.
Aber nur einen Augenblick konnte ich mich an diesem Morgen,
an dem die sieben feierlichen Umgänge gemacht werden sollten,
in den Anblick der Moschee vertiefen. Zuerst mußte ich zwei
Rikats beten, welche als der erste Gruß des Pilgers an das
Heiligtum gelten, ehe er in ihre nächste Nähe gehen darf; dann
nahm mich mein Metuaf bei der rechten Hand, der dicke Omar
begleitete mich zur linken, und beide führten mich
schnurstracks nach der Mitte des Hofes, wo das wunderbare
Heiligtum des Islam, die Kaaba thronte.
Da lag sie, eine finstere, viereckige, schwerfällige Masse,
von schlechtbehauenen Steinen erbaut, da lag die Kaaba, das
Ziel meiner Wallfahrt, das Zentrum des Islam. Sie ragte über
alles empor, war höher als der Säulenumgang, höher als alle
die Heiligtümer, die sonst noch im Hofe erbaut waren. Die
Kaaba, die Würfel genannt wird, ist doch kein Würfel, denn
ihre Höhe beträgt beinahe das doppelte ihrer Länge und Breite;
so sieht sie aus wie ein barbarischer, abgeschnittener,
vierseitiger Turm. Diese seltsame Form, dazu die schwarze
Farbe, dazu die tollen Scharen halbnackter Pilger, die bald
vor ihr niedersinken, bald aufspringen, um sie und ihre
Heiligtümer an Herz und Mund zu drücken, bald in wildem Laufe
um sie herumrennen – dies alles macht einen mächtigen, ja
grauenerregenden Eindruck, denn dies ist nichts als Heidentum
und Götzendienst! Aber mein Metuaf rüttelte mich bald wieder
aus meinem Nachdenken und mahnte mich an die Pflichten meiner
Pilgerschaft.
Die erste dieser Pflichten war, daß ich bei dem zweiten Tor
des Grußes (denn es gibt noch ein zweites, das mitten auf dem
Hofe steht) eine zweimalige Verbeugung zu Ehren der Kaaba
machen mußte. Dann schritt ich durch dies völlig freistehende
Tor nach den »Fußstapfen des Abraham«, um daselbst meine
Sprüche aufzusagen. Nun kamen zwei Diener der Moschee mit
Krügen voll Wasser aus dem links von Abrahams Fußstapfen
gelegenen Semsembrunnen und gaben uns von der heiligen
Flüssigkeit zu trinken, wofür sie natürlich eine Vergütung
erhielten. Dies Wasser, welches die wunderbarsten
Eigenschaften besitzen soll, besitzt jedoch nicht die
wichtigste Eigenschaft, genießbar oder verdaulich zu sein,
sondern ist bitter und liegt schwer im Magen. Aber dem
Semsembrunnen durfte mein Besuch noch nicht gelten, zuerst
mußte ich den schwarzen Stein küssen und den Umlauf um die
Kaaba machen. Wir näherten uns also der östlichen Ecke der
Kaaba, wo sich der schwarze Stein eingemauert befindet. Konnte
ich ihn anfangs wegen des dichten Gedränges davor überhaupt
nicht sehen, so schien es auch ganz unmöglich, vor den ihn
umlagernden und ihn küssenden Pilgerscharen zu ihm zu
gelangen. Wie eine Mauer unbeweglich, so standen die Leiber
dieser Hadschadsch da, von denen man nichts sah als die
knochigen Schultern, die kahlen Scheitel und die schmutzigen
Lumpen. Man fühlte freilich desto mehr; denn hier kommt das
Ungeziefer aus der ganzen Welt zusammen, das beißende und
stechende, das kriechende und hüpfende, und man ist völlig
wehrlos dagegen.
Nachdem ich etwa eine Viertelstunde gewartet und das
übliche Gebet meinem Metuaf bereits nachgesprochen hatte,
fragte ich endlich ungeduldig, ob es denn kein Mittel gebe, um
diese beharrlichen Pilger von ihrem Heiligtums wegzubringen.
»O ja,« erwiderte Ssadak, »es gibt eine List, aber sie wird
dich einen Rial (etwa zwei Mark) kosten.« Neugierig gab ich
ihm den Rial, und nun ging er nach dem Semsembrunnen, erschien
aber bald darauf wieder, und zwar in Gesellschaft von vier
kräftigen Kerlen, die auf ein Zeichen von Ssadak begannen, mit
der vollen Kraft ihrer Baßstimmen zu rufen: »O ihr Pilger, ein
frommer Hadsch hat dem Heiligtum ein Opfer dargebracht, damit
ihr alle vom Wasser des geweihten Brunnens umsonst trinken
möchtet. Kommt herzu, ihr Pilger! Wer das heilige Wasser
trinken will, der komme! Allah hat es euch gespendet!« – Diese
List gelang vollkommen, denn die meisten Pilger waren arme
Leute, die die schöne Gelegenheit, von dem heiligen Wasser
umsonst zu trinken, natürlich nicht unbenutzt vorübergehen
ließen, sondern in dichten Scharen zum Brunnen drängten. So
kam ich, von den Hintenstehenden vorwärtsgeschoben, in die
erste Reihe und befand mich nun in unmittelbarer Berührung mit
dem Kernpunkt des größten Heiligtums des Islam. Dieser Stein
selber ist ein Engel, der seit Erschaffung der Welt in der
Kaaba ruht, bei der Zerstörung des Tempels durch die Sündflut
in den Himmel geflogen und, als Abraham und sein Sohn Ismael
den Tempel wieder aufbauten, vom Erzengel Dschibrail (Gabriel)
wieder in seine Mauer eingefügt worden ist. Ursprünglich war
er weiß wie Milch, aber vor Grauen über die Sünden der
Menschheit hat er seine Farbe gewechselt und ist jetzt schwarz
wie Tinte. Sicher ist, daß dieser Stein schon vor Mohammeds
Zeiten göttliche Verehrung erfuhr, und daß Mohammed nicht
wagte, ihn aus seiner Religion fernzuhalten; statt dessen
küßte er selbst den Stein und erfand die obenerwähnten
Geschichten von ihm.
Diesen berühmten Stein sah ich also jetzt dicht vor mir.
Der Stein ist von schwarzbrauner Farbe, etwa zwanzig
Zentimeter lang und fünfzehn Zentimeter hoch und besteht
offenbar aus mehreren Stücken, die aber durch Kitt und durch
einen soliden silbernen Rahmen zusammengehalten werden. Die
Oberfläche des Steines ist durch das viele Küssen von
schmutzigen Pilgerlippen und das Daranreiben ihrer Hände ganz
poliert und mit einer glänzenden Fettkruste überzogen, so daß
er jetzt fast wie schön polierter schwarzer oder
schwarzbrauner Marmor aussieht.
So ekelhaft es mir auch vorkam, ich mußte doch auch dies
schwarze Monstrum küssen, beide Hände daran reiben, ihn mit
der Stirn, mit den Wangen und dem Kinn berühren und ein kurzes
Gebet sprechen, das mir von Sfadak vorgesagt wurde. Dann
küßten und rieben wir den Stein noch einmal und wanden uns
dann aus dem erdrückenden Gewühl heraus, um nun sogleich den
Umgang um die Kaaba auszuführen.
Der Weg geht dicht um das Haus herum; weiterhin aber führt
auch ein Halbrund von zweiunddreißig vergoldeten Bronzesäulen,
zwischen denen abends Lampen aufgehängt werden, um den Tempel
herum. Unterwegs mußten natürlich an allen bemerkenswerten
Stellen Gebete gesprochen werden, unter anderem auch an der
Tür der Kaaba, die ungefähr sieben Fuß über dem Erdboden
angebracht ist und mit einer Leiter erreicht wird. Aber
sonderbarerweise gehört der Besuch des Heiligtumes selbst gar
nicht zu den Pflichten des Pilgers, ja das Innere ist viel
weniger heilig als der schwarze Stein und die übrigen
Heiligtümer, und wird mehr aus Neugier, als aus Andacht
besucht.
Abrahams Fußstapfen, von denen schon die Rede war, ist eine
fabelhaft große Vertiefung, welche etwa zehn Fuß von der Kaaba
sich in einem Tempel im Boden befindet und bei der Gelegenheit
durch den Fuß Abrahams hervorgebracht wurde, als Abraham
seinen Sohn Ismael opfern wollte. Die ungeheure Fußspur ist
aber stets mit einem hölzernen Deckel, auf dem ein rotseidener
Teppich liegt, bedeckt, und die Pilger dürfen auch nicht in
die Kapelle hineingehen, sondern müssen draußen an einem
Gitter stehenbleiben.
Nachdem wir von Heiligtum zu Heiligtum weitergeschritten
und überall unsere Gebete verrichtet hatten, unter anderem
auch einem Wallfahrtsort an der südlichen Seite der Kaaba, dem
sogenannten weißen Stein, der aber grau aussieht und sich
einer weit geringeren Verehrung erfreut als sein schwarzer
Kollege, einen Besuch abgestattet hatten, kehrten wir nach
vollendetem ersten Umgang zum schwarzen Stein zurück, den wir
ebenso umlagert fanden, wie das erste Mal. Es müssen im ganzen
sieben Umläufe gemacht werden, und zwar die ersten drei in
schnellem, beinahe laufendem Schritte, die anderen vier mit
gemessener, bedächtiger Langsamkeit. Erst als ich dies alles
vollendet hatte, war ich frei und konnte dem heiligen Hause
den Rücken wenden.
Ein glücklicher Zufall wollte es, daß ich die Kaaba das
erste Mal so sehen sollte, wie sie wirklich ist, das heißt
entblößt von der schwarzen Umhüllung, welche sie das ganze
Jahr, mit Ausnahme von vierzehn Tagen, bedeckt. Die Kaaba ist
während dieser Zeit »nackt«, und man kann ihre plumpen
unregelmäßigen Bausteine, welche bald aufrecht, bald breit
gestellt und mit einem groben Mörtel verbunden sind, in aller
Muße betrachten. Hat sie ihre schwarzseidene Hülle um, so
sieht sie viel stattlicher, aber auch viel düsterer, ich
möchte sagen, grauenerregend aus. An diesen Schleier knüpft
sich mancherlei Wunderglauben. Zuweilen gefällt es ihm, in
Bewegung zu geraten, was freilich die gewöhnlichen Sterblichen
dem Winde zuschreiben würden, aber nach Ansicht des Moslems
sind es die siebenzigtausend Engel, welche im Tanz und Reigen
mit ihren Flügelpaaren so heftige Bewegungen machen, daß der
Schleier in Schwingung gerät. Bei einem solchen Ereignis gibt
es dann unter den Pilgern eine gewaltige Erregung; aus voller
Kehle schreien sie »Labik« und »Malakka« (die Engel) fallen
auf ihr Angesicht nieder und beten, schluchzen und weinen.
Sieben Wunder sind es, welche die Kaaba bewirkt und welche sie
vor allen anderen irdischen Orten auszeichnet.
Erstes Wunder: Die Herzen aller Gläubigen werden von der
Kaaba wie von einem Magnet angezogen.
Zweites Wunder: Die Kaaba bildet die Gebetsrichtung, welche
jeder wahrhaft fromme Moslem ganz ohne sein Zutun richtig
erkennt. (Die meisten helfen aber mit einem kleinen Kompaß,
den sie immer bei sich führen, ein wenig nach.)
Drittes Wunder: Es ist unmöglich, die Kaaba und den
schwarzen Stein zu zerstören (was freilich, wie die Geschichte
erweist, schon zweimal geschehen ist.)
Viertes Wunder: Selbst die Vögel haben vor der Kaaba
Ehrfurcht und vermeiden es, sich auf derselben niederzulassen.
(Ein Wunder, von dessen Unrichtigkeit ich mich selbst
überzeugt habe, denn ich sah eine der vielen Tauben, welche
von den Pilgern gefüttert werden, auf der Kaaba sitzen.)
Fünftes Wunder: Die Kaaba kann, obgleich sie nur klein ist,
dennoch unzählige Pilger zu gleicher Zeit aufnehmen, da die
Engel sie nach Belieben vergrößern und verkleinern.
Sechstes Wunder: Jeder, der die Kaaba sieht, muß Tränen der
Rührung vergießen. (Ein Wunder, das sich an mir nicht
bestätigte.)
Siebentes Wunder: Die Heiligen kommen aus der anderen Welt,
um ihre Umgänge um die Kaaba zu halten. (Was die Gespenster
betrifft, so sieht man allerdings genug, aber es sind
lebendige, nämlich die elenden, abgemagerten, halbverhungerten
Bettler, die den Pilger mit schwacher, fast sterbender Stimme
um Almosen anflehen.)
Früher haben in der Kaaba eine Menge Götzenbilder Aufnahme
gefunden. Auch wurde Abrahams Statue darin aufgestellt, und
eine Figur der Jungfrau Maria mit dem Jesuskinde auf dem Schoß
befand sich darin; ferner auch eine Nachbildung der heiligen
Taube, die Noah aus der Arche losgelassen hatte. Erst Mohammed
machte diesem Götzendienst ein Ende und zertrümmerte die
Standbilder mit eigener Hand.
Obgleich die Kaaba oft durch Krieg, Feuersbrunst und
Wassersnot leiden mußte, so berichtet die Geschichte doch nur
von einer einzigen gänzlichen Zerstörung des heiligen Hauses.
Diese fand im Jahre 1626 unserer Zeitrechnung statt, als eine
große Überschwemmung Mekka heimsuchte. Ein durch Wolkenbrüche
angeschwollener Gießbach, der vom »Berg der Blumen« ( Dschebel
Nur) herniederstürzte, erfüllte im Nu den Moscheehof,
ertränkte fünfhundert Pilger, welche gerade darin ihre Andacht
verrichteten, und strömte mit solcher Gewalt weiter, daß er
drei Seiten der Kaaba mit sich fortriß. Hierdurch war auch die
vierte Wand so beschädigt worden, daß man nötig fand, auch sie
niederzureißen, ehe man die neue Kaaba aufbauen konnte.
Nachdem ich unter Anleitung meines Metuaf die sieben
Umgänge beendigt und alle an den einzelnen Stellen
vorgeschriebenen Gebete ihm nachgesprochen hatte, führte mich
Ssadak noch an den Semsembrunnen, dessen Gebäude ich noch
nicht betreten hatte. Dieses Haus ist viereckig und sehr
schwerfällig; durch eine kleine Tür gelangt man in das ganz
mit Marmor ausgelegte Innere, wo man die vier bis fünf Fuß
hohe Umfassungsmauer des Brunnens sieht, deren
außerordentliche Dicke es erlaubt, daß sich die Tempeldiener,
welche das Vorrecht des Wasserschöpfens besitzen, sich auf ihr
aufhalten können. Diese Wasserschöpfer sind Nachkommen des
Propheten und gelten vielfach als Heilige; sie verabreichen
keinen Tropfen aus der Quelle, für den sie nicht bezahlt
worden sind; jährlich erhalten sie große Summen von den
Pilgern, um den Armen das Wasser umsonst zu reichen, was sie
so wenig wie möglich tun.
Als ich von dem siebenmaligen Umgänge bis zum Hinsinken
ermüdet, von den Sonnenstrahlen, denen ich mein nacktes Haupt
und meinen beinahe nackten Körper über eine Stunde aussehen
mußte, bis zum Fieber erhitzt, mit ausgetrockneter Kehle,
durstend nach Wasser und lechzend nach Schatten, an den
Semsembrunnen trat, da empfing mich unendlich wohltuend die
kühlere Luft, welche den Raum des Gebäudes erfüllte. Ein
junger stämmiger Mekkawi, wahrscheinlich ein angehender
Heiliger, aber durchaus wie ein roher Bauer aussehend, stand
gerade vor mir auf der Mauer, die den Ziehbrunnen umgibt, und
fühlte wohl bei meinem hinfälligen Anblick Mitleid mit mir.
Nachdem er mir eine beträchtliche Menge des gelobten, aber
schlecht schmeckenden Wassers aus seinem Ledereimer zu trinken
gegeben, wollte mir mein Mekkawi, durch mein Trinkgeld günstig
gestimmt, noch eine besondere Freude machen. Er holte nämlich
Eimer auf Eimer aus dem Ziehbrunnen hervor und schüttete mir
ohne weiteres und ohne zu fragen einen nach dem anderen über
den Kopf, so daß ich hier ein gründliches Bad nahm, wodurch
vielleicht verhindert wurde, daß ich Fieber oder den
Sonnenstich bekam. Ich sah zwar, daß andere Pilger auch ein
solches Sturzbad bekamen; aber ich bekam wenigstens zehn Eimer
über den Kopf, während die anderen mit zwei zufrieden sein
mußten. Was nicht ein zu gehöriger Zeit gespendetes Trinkgeld
alles vermag!
Von der Entstehung dieses Brunnens erzählen sich die
Moslems folgende Geschichte: Als Hagar, Abrahams Magd, ihrem
Herrn ein kleines Söhnlein geboren hatte, nämlich den Sidma
Smaïl (Ismael), da wurde sie auf Saras Geheiß aus dem Hause
gestoßen, und der Engel Gabriel entführte sie und ihr Kind
durch die Lüfte nach dem Tal von Mekka, wo damals weder eine
Stadt lag, noch weit und breit ein Bächlein oder etwas Grünes
zu erblicken war. Verzweifelt suchte die arme Hagar nach einer
Quelle; aber alles Suchen war vergeblich, trotzdem sie den
siebenmaligen Umgang um die Kaaba vollführte (die allerdings
noch nicht existierte!) und siebenmal verzweifelt zwischen den
Hügeln Ssafa und Marua auf und ab eilte. Als sie endlich zu
ihrem am Boden liegenden Söhnchen zurückkehrte, bemerkte sie
zu ihrem Erstaunen, daß zwischen den Beinen des Kindes ein
Wasserstrahl hervorsprudelte, der gar kein Ende nehmen wollte.
Sie hob ihr Söhnchen auf, und jetzt erst sah sie, daß eine
Quelle aus dem Boden hervorsprang. O Wunder, o Glück! Die arme
verstoßene Hagar hatte in der wasserlosen Wüste eine Quelle
gefunden; und was für eine Quelle! keine andere als den
hochberühmten Brunnen Semsem!
Natürlich hat das Semsemwasser viele wunderbare
Eigenschaften. Die hauptsächlichsten sind folgende: Erstes
Wunder: Das Semsemwasser nimmt niemals ab. Millionen können
daraus trinken, nie wird man eine Abnahme seiner Wassermenge
entdecken.
Zweites Wunder: Man kann vom Semsemwasser ohne Schaden so
viel trinken, als man nur mit einem stets gefüllten Eimer den
ganzen Tag in sich hineinzuschütten vermag.
Drittes Wunder: Das Semsemwasser heilt alle Krankheiten.
Wird der Kranke nicht gesund, oder fällt es ihm gar ein zu
sterben, so ist das keineswegs ein Beweis gegen die Heilkraft
des Wassers, sondern nur davon, daß der Kranke noch nicht
genug getrunken hat.
Viertes Wunder: Das Semsemwasser kann nicht zum Kochen oder
Waschen von Kleidern verwendet werden; denn eine Menge von
Geistern haust in diesem Wunderwasser, die zwar gewöhnlich
sehr harmlos sind, sich aber in die schlimmsten Teufel
verwandeln und dem Bösewicht, der das Semsemwasser siedend
machen wollte, die boshaftesten Streiche spielen würden.
Nachdem ich mich am Semsembrunnen durch Trunk und Bad
erfrischt hatte, setzte ich meinen Weg durch die Moschee in
völlig triefendem Zustande fort. Übrigens war ich in einer
Viertelstunde nach dem Bade wieder vollkommen trocken. Wir
hatten noch ein paar kleine Heiligtümer zu besuchen, und dann
war ich endlich frei. Wir gingen durch das Tor des Propheten
hinaus und fanden uns bald in der schönen, großen Hauptstraße
El Emsa, in welcher die Pilger, wie Hagar, das siebenmalige
Rennen abhalten. Ich hätte diesen frommen Galopp nun
eigentlich auch gleich zurücklegen müssen; da ich aber zu müde
und angegriffen war, so entschuldigte ich mich durch Krankheit
und gelobte für diese Sünde einen Hammel zu schlachten. Dann
ging ich mit Ssadak nach dem Kaffeehause, wo mich Hassan
erwartete, um mich in meine Herberge zu führen.