7. Der heilige Berg
Inzwischen war der heilige Tag nahe herangekommen, der alle
Pilger auf dem Berge der Erkenntnis (Arafa) versammeln und uns
den heiligen Titel Hadsch (Pilger) verleihen sollte, welchen
man nur an diesem Tage und nur auf diesem Berge sich erringen
kann und der die Krone der ganzen Pilgerfahrt ist.
Am Nachmittag des siebenten Tages des Monats Du el Hödscha
war alles Leben und Regsamkeit in den Straßen von Mekka.
Unzählige Scharen von Pilgern zogen nach der Moschee, um sich
dort zur Pilgerfahrt nach Arafa zu sammeln und ihre letzten
Andachtsübungen für diesen wichtigen Weg abzuhalten. Ich begab
mich ebenfalls, begleitet von den beiden Ssadak, von Ali, von
Schich Mustapha, der von seinen drei Neffen mehr getragen als
geführt wurde, und dem dicken Haggi Omar, welche mich alle im
Hause Hamdans abgeholt hatten, nach dem dicht mit Pilgern
gefüllten Tempel. Hier warteten wir unter Andachtsübungen bis
eine Stunde vor Sonnenuntergang. Dann verließen wir den Tempel
und zogen durch ein paar Straßen nach einer sandigen Ebene im
Norden der Stadt. Hier beginnt der Pilgerweg, dessen Länge
drei deutsche Meilen beträgt, den man aber oft erst nach zwölf
Stunden zurücklegt.
Eben hatte sich dort die syrische Pilgerkarawane in
Bewegung gesetzt. An der Spitze schritt das geheiligte Kamel,
welches die sogenannte Fahne des Propheten trug, die aber
einstweilen noch in einem Futteral eingeschlossen war; ihm
folgten zuerst die Würdenträger, dann die große Masse der
Pilger. Die reicheren Pilger, der Pascha, der Großscheriff,
welcher jedesmal die Pilgerfahrt mitmacht, die wohlhabenden
Bürger und die feinen Frauen saßen in Sänften, welche je von
zwei Kamelen, deren eines vor, das andere hinter der Sänfte
ging, getragen wurden und mitunter, namentlich die der Frauen,
reich verziert waren. Die Kamele, welche die Frauen trugen,
waren ebenfalls geschmückt und geziert, einige trugen rote
Federbüsche, andere kleine Halbmonde von Silber. Die weniger
reichen Pilger saßen in kleineren Sänften, welche auf dem
Rücken je eines Kameles befestigt waren; sie schaukelten
lustig hin und her, und die darin sitzenden Pilger mögen gewiß
gründliche Bekanntschaft mit der Seekrankheit gemacht haben.
Manchmal trug auch ein einziges Kamel zwei Sänften, eine auf
jeder Seite, doch wird diese Art als gefährlich angesehen, und
ich war selbst Zeuge davon, daß zwei so aneinander befestigte
Sänften fielen und die in ihnen sitzenden Pilgerinnen, zwei
alte Frauen aus Damaskus, von der nachfolgenden Karawane
beinahe zu Tode getreten wurden. Diesen reicheren Pilgern
folgten die ärmeren Hadschadsch, zum Teil auf kleinen, in
Mekka gemieteten Eselchen, zum größeren Teil jedoch zu Fuß,
und zwar nicht wenige auf ihren nackten Fußsohlen. Dieser
ganze wirre Haufe aber wurde von Beduinen auf Pferden,
größtenteils aber auf Kamelen sitzend, umschwärmt, und sie
erfreuten das Auge besonders durch ihr stattliches Aussehen
und ihre leichte Beweglichkeit.
Mit meiner ägyptischen Gesellschaft und der wie Kletten an
mir klebenden Familie Ssadak schloß ich mich der syrischen
Karawane an. Wir saßen alle auf kleinen Eselchen, mit Ausnahme
von zwei der Neffen des Schich Mustapha, welche neben diesem
nun ganz hinfällig gewordenen Greise einhergingen und ihn auf
seinem kleinen Esel aufrecht hielten, denn der Arme war
bereits wie sterbend und so schwach, daß er gewiß, ohne die
Hilfe seiner Neffen, vom Tiere gefallen wäre. Aber er hatte es
sich nicht nehmen lassen, die fromme Wallfahrt trotz Krankheit
und Hinfälligkeit anzutreten.
Gleich an dem nördlichen Ende der heiligen Stadt beginnt
eine große sandige Ebene, durch welche sich der Mekkakanal
windet, der die Stadt mit reichlichem, aber ziemlich
schlechtem Wasser, welches man nicht zum Trinken gebraucht,
versieht. Neben ihm zieht sich, fast immer parallel mit
demselben, die Pilgerstraße hin. Zuerst führt diese zwischen
zwei großen Zisternen hin; dann läßt man links den großen
Friedhof von Mekka liegen, welcher einen wahren Wald von
riesigen Zypressen bildet, denn über jedem Grabe pflegen die
Araber einen solchen Baum zu pflanzen, der zwar nicht
gepflegt, aber auch nicht beschädigt wird und so mit der Zeit
beträchtlich in die Höhe wächst. Dem Friedhof gegenüber liegt
ein großer Palast des Scheriffs; diesem wieder schräg
gegenüber die große türkische Kaserne, von welcher sich die
meisten Soldaten eben anschickten, die Pilgerfahrt mitzumachen
und im Kasernenhofe, mit den beiden Tüchern des Ihram
bekleidet, bereit standen, um sich der Karawane anzuschließen.
Nach der Kaserne kamen wir an eine letzte Vorstadt von Mekka,
die aus kleinen Häusern und Reiserhütten besteht, in denen
vielfach Beduinenweiber den Pilgern Brot, Butter und Obst
feilbieten. Bei dieser Vorstadt trennt sich die große
Hauptstraße in zwei Teile; nach Osten zieht sich der
Pilgerweg, der zum heiligen Berge führt, nach Norden geht es
nach Medina und Syrien. Am äußersten Ende der Vorstadt sehen
wir noch einmal einen Palast des Großscheriffs liegen, wohl
den zwanzigsten, den ich seit meiner Ankunft in Mekka gesehen
hatte. Diesem Hause gegenüber befand sich jetzt gerade das
Lager der ägyptischen Pilger. Die ägyptische Karawane ist zwar
nur klein, da die meisten Ägypter die Seereise der
beschwerlichen Landreise vorziehen; aber sie hat doch eine
gewisse Wichtigkeit, weil auch mit ihr jedesmal ein
geheiligtes Kamel (also das zweite) nach Mekka kommt und die
Geschenke des Sultans für die Kaaba, unter anderem auch den
schwarzen Schleier des heiligen Hauses, trägt. Dieses
geheiligte Kamel wurde von unzähligen Pilgerkehlen mit lautem
Labikrufen begrüßt und dann neben seinen syrischen Gefährten
an die Spitze des ganzen Pilgerzuges gebracht.
Unterdessen war es völlig Nacht geworden. Da wir aber noch
ein paar Stunden Mondschein hatten, so konnte ich doch
wenigstens einigermaßen die Gegend erkennen. – Während der
ersten zwei Stunden kamen wir durch ein ziemlich weites Tal,
das so gut wie gar nicht bewachsen war; unermeßlich streckte
sich die Wüste hin, aus der nur hier und da ein Baum wie
träumerisch in die Lüfte ragte. Dann kamen wir in ein Tal,
welches sich allmählich verengte und zuletzt hohe, steile
Felsenwände bekam und zu einer wirklichen Schlucht wurde. Hier
erlitt der Pilgerzug einen großen Aufenthalt, da nun alle
Hadschadsch, zwei und zwei, ja an einzelnen Stellen einer nach
dem andern, hintereinander folgen mußten. In dieser Schlucht
liegt das für heilig erachtete Dorf El Menaa, das mit lautem
Geschrei begrüßt wurde. Der Ruf »Labik« hallte donnernd von
allen Steinwänden nieder und schallte weit und breit durch das
ganze Tal hindurch.
Ungefähr um 5 Uhr morgens, nachdem wir die ganze Nacht
unter vielen Stockungen zwar langsam, aber doch immer vorwärts
gekommen waren, traten wir aus der Felsenschlucht hervor und
sahen, da es nun Tag geworden war, die Ebene am Fuße des
Berges Arafa in voller Deutlichkeit vor uns liegen. Diese
Ebene war eine Wüste, in der nichts zu wachsen schien, nicht
einmal die trockene Distel, eine Wüste voll von Steinen und
Steingeröll, aus der sich der niedrige Hügel des Arafa, eine
beinahe völlig kahle Felsenmasse, trostlos erhob, es war eine
Wüste, so schaurig und traurig, wie ich sie nur je gesehen
hatte.
Die meisten Pilger hatten, als wir ankamen, bereits ihre
Zelte errichtet, so daß wir nun in eine höchst belebte
Lagerstadt unseren Einzug hielten. Viele Pilger waren schon am
vorhergehenden Tage angekommen und hatten die Nacht entweder
in ihren eigenen Zelten oder in den zahlreichen Kaffeebuden
und Reiserhütten, welche die Mekkaner hier errichten,
zugebracht. Zwischen den Zelten lagerten unzählige Kamele,
Maultiere und Esel, von malerisch zerlumpten Beduinen bewacht.
Hier und da schimmerte leuchtend beim Schein der Morgensonne
der goldene Halbmond auf dem Zelte eines reichen Mekkaners,
welches von roten und gelben Stoffen gefertigt und mit vielen
bunten Verzierungen ausgeschmückt war. Im Osten war das
eigentliche Militärlager, aus dem sich die grünen Zelte des
Großscheriffs und der Würdenträger, von Fahnen und Standarten
umragt, erhoben. Hier hatten auch die heiligen Kamele ihren
Ruheplatz gefunden, und die von ihnen getragenen Fahnen
entfalteten majestätisch ihre grüne Seide unter dem Hauch des
Ostwindes. Im ganzen mochten wohl dreißigtausend Pilger da
sein, von denen höchstens der vierte Teil sich ruhebedürftig
in die Zelte zurückzog, während die übrigen zwischen den Buden
und Zelten herumschwärmten. Hier konnte man alle möglichen
Waren kaufen, man mußte freilich den zehnfachen Preis
bezahlen; hier waren unzählige Kaffeebuden und Barbierstuben;
hier gab es aber auch Buden, in denen heimlich geistige
Getränke verkauft wurden oder Haschisch geraucht wurde; hier
trieb sich auch wieder eine Unmenge schlechten Gesindels
herum; hier gab es aber auch eine Menge zu sehen, so daß wir
den ganzen Tag über keinen Augenblick über Langeweile zu
klagen brauchten. Bald sahen wir den gefährlichen Spielen
indischer Gaukler zu, die sich, scheinbar, selbst Messer ins
Auge und Dolche in den Bauch rannten; bald sahen wir einem
Schlangenbändiger zu, der sich von Giftschlangen beißen ließ
und sie dann selbst verzehrte. Hier lauschten wir einer
arabischen Musikbande, die auf Flöten und Trommeln Lärm
machte; dort hörten wir dem frommen Gesang einer sehr
unheiligen Tänzerin zu; dann besuchten wir das Beduinenlager
und lauschten dem Gesänge eines beduinischen Dichters, der im
reinsten Arabisch die Taten seiner Vorfahren pries.
Endlich brach der Abend an und mit ihm ein herrliches
Schauspiel, denn die ganze Lagerstadt erleuchtete sich mit
unzähligen Lampen und farbigen Ballons. Vor vielen Zelten
brannten Feuer, überall war Helle und Glanz, und in diesem
Lichtermeer wogte das Pilgerheer bis gegen Mitternacht auf und
ab. Erst nach 1 Uhr konnten wir in der bestellten Kaffeebude
unser Nachtlager aufschlagen und eine kurze Ruhe genießen, die
aber schon um 5 Uhr durch den Kanonenschuß, der den heiligen
Tag verkündete, unterbrochen wurde. Nachdem wir im Freien
unser Morgengebet verrichtet hatten, suchten wir, da unser
Nachtquartier bereits überfüllt war, ein anderes Kaffeehaus
auf, in dem es jedoch völlig unmöglich war, etwas Genießbares
zu bekommen. Kaum daß wir dort ein wenig Platz zum Sitzen
finden konnten. Dieser Raum war dazu so schwül und schmutzig,
daß ich ihn bald mit meinen beiden unzertrennlichen
Begleitern, der Familie Ssadak, floh und ins Freie eilte, um
den heiligen Berg Arafa zu besuchen.
Wie ich vor das Tor der Kaffeebude trat, hatte ich einen
überraschenden, großartigen Anblick. Die glutroten Strahlen
der aufgehenden Sonne überzogen den Berg mit wundervollen,
warmen Farben, so daß die ganze Felsenmasse strahlte wie ein
einziger feuerroter Ofen. An Bäumen fehlte es gänzlich, selbst
Sträucher waren nur wenig zu sehen; statt dessen schmückte
sich der Berg mit unzähligen weißen Punkten, die auf ihm bald
einzeln, bald in Gruppen herumirrten – die mit dem weißen
Ihram bekleideten Pilger.
Die Begeisterung nahm nun immer mehr zu und äußerte sich in
unzähligen Labikrufen. »Labik«, so tönte es in den Straßen der
Hüttenstadt; hervor aus ihren Zelten drang der Ruf »Labik«; »Labik«,
so schrie ein jeder Pilger, der eben sein Gebet verrichtet
hatte; »Labik«, so hallte es durch die ganze Ebene wieder und
wieder, und das Echo des Granitfelsens Arafa gab zwar schwach,
aber doch hörbar den Ruf »Labik« zurück. In Begleitung meines
Metuaf und seines Sohnes bestieg ich nun die Granitmasse, die
nur etwa achtzig Meter über die Ebene emporragt. Der Weg zu
ihrem Gipfel besteht zum Teil aus Stufen, welche in den Felsen
eingehauen sind. Nachdem wir etwa fünfundvierzig dieser Stufen
erklommen hatten, befanden wir uns an der Stelle, an welcher
die beiden ersten Menschen sich nach langer Trennung
wiedergefunden haben sollen. Es muß jedenfalls ein sonderbarer
Anblick gewesen sein, als diese beiden riesigen Menschen, die
nach der Ansicht des Islam schon doppelt so hoch als der ganze
Berg Arafa gewesen sein müssen, auf diesem kleinen Hügel
beieinander gestanden haben. Aber wenn ich auch innerlich mich
an diesem Gedanken ein wenig belustigte, äußerlich war ich
genötigt, die größte Andacht zu bezeigen und genau die für
diese Stelle vorgeschriebenen Gebete nachzusprechen.
Nach weiteren siebzig Stufen erreichten wir eine
Felsenplatte, welche die Kanzel genannt wird, und auf welcher
heute eine Predigt gehalten werde sollte. Hier war auch eine
Marmortafel im Felsen angebracht mit einer Inschrift, die ich
jedoch bei der Kürze der Zeit nicht zu lesen vermochte. Von
hier aus wurde der Weg immer steiler und enger. Scharen von
Pilgern bedeckten ihn, so daß wir nur mit Mühe zum Gipfel
gelangen konnten. Dort bezeichnet eine kleine Kapelle die
Stelle, wo Mohammed seine Jünger zu unterrichten und während
der Pilgerfahrt selbst zu beten und zu predigen pflegte. Es
war jedoch nicht daran zu denken, in das Heiligtum Einlaß zu
erlangen, so dicht war dasselbe mit Hadschadsch besetzt, so
daß wir uns begnügen mußten, unsere Gebete vor der Tür des
Heiligtums zu verrichten.
Als ich nun vom Berge Arafa wieder hinunterstieg, fand ich
überall eine Menge unbeweglich dastehender Pilger, welche alle
bereits hier ihren Platz genommen hatten, um die Predigt, die
erst in sieben bis acht Stunden vor sich gehen sollte,
deutlich zu vernehmen. Ich verspürte aber dazu gar keine Lust,
sondern besuchte statt dessen mit meinem Metuaf noch eine am
Fuße des Arafa gelegene kleine Moschee, deren Inneres aber
auch so mit den Leibern der Pilger gepflastert war, daß auch
hier an ein Eindringen nicht zu denken war. Nachdem ich
bemerkt hatte, daß an diesem Tempel nicht das geringste zu
sehen war, lenkte ich meine Schritte nach unserer Kaffeebude
zurück, wo ich die Zeit bis zum Beginn der Predigt zuzubringen
gedachte.
Hier fand ich meinen armen alten Freund Schich Mustapha in
den letzten Zügen. Sein Übel und seine Schwäche waren so
schlimm geworden, daß sein Tod jeden Augenblick zu erwarten
war. Aber sein Geist war noch nicht gelähmt. Eben, als ich
eintrat, hielt er seinen drei leichtsinnigen Neffen, die, wie
es schien, seinen Tod mit Ungeduld erwarteten, noch eine
Predigt, worin er ihnen trotz seiner Todesschwäche in sehr
derben Ausdrücken ein schlimmes Ende prophezeite, wenn sie
ihren Lebenswandel nicht änderten. Als er meiner jedoch gewahr
wurde, redete er mich folgendermaßen an: »O Abd-er-Rhamann! Du
siehst deinen Bruder dem Tode nahe. Aber ich bin darüber nicht
betrübt; im Gegenteil, ich freue mich, daß Gott mir die Gnade
erwiesen hat, noch die Wallfahrt nach Mekka und Arafa
zurücklegen zu können. O möge er mir noch gestatten, die
heilige Predigt zu hören, dann will ich mit Freuden diesen
irdischen Schauplatz verlassen, um im Paradiese die Wonnen zu
genießen, die den frommen Gläubigen beschieden sind!«
Dieser letzte Wunsch meines guten, alten Freundes sollte
leider nicht in Erfüllung gehen. Schich Mustapha starb und
wurde begraben, ehe noch der Prediger die Kanzel bestieg. Kaum
hatte der Greis seinen Geist ausgehaucht, so wurde er auch mit
der auf den Pilgerreisen üblichen Geschwindigkeit in sein
Leichentuch gewickelt und vor die Kaffeebude getragen; dort
wurde ein Loch in den Sand gegraben, die Leiche
hineingescharrt, und von diesem Augenblick an war der arme
Alte so gründlich vergessen, als ob er niemals existiert
hätte. Ich war vielleicht der einzige, der ihm noch ein
freundliches Andenken bewahrte. Seine eigenen Neffen wußten
schon am folgenden Tage so gut wie nichts mehr von ihm, sie
sprachen nicht von ihm, sie dachten gewiß nicht an ihn, und
der arme alte Schich Mustapha mit seinen langweiligen
Predigten war und blieb vergessen. Es war, als ob diese drei
Burschen nur den Tod ihres ehrwürdigen Oheims abgewartet
hätten, um erst recht ein sittenloses Leben anzufangen. Kaum
waren die Gebeine des Schich eingescharrt, als auch schon drei
Tänzerinnen im Kaffeehause ihre Plätze an der Seite der drei
Jünglinge eingenommen hatten. Von nun war ihr Lebenswandel
gerade das Gegenteil von dem eines guten Moslems, und da sie
meine Predigten, die ich als frommer Pilger an sie richtete,
mit Hohngelächter beantworteten, so zog ich mich in einen
Winkel der Kaffeebude zurück und wartete in Geduld der Stunde
der Predigt auf Arafa.
Erst kurz vor der Stunde des Nachmittagsgebets suchte ich
mir zwischen den dichtgedrängten Pilgerscharen auf dem Berge
in der Nähe der Kanzel einen Platz zu erobern. Der Berg und
seine nächste Umgebung war mit wartenden Hadschadsch wie
besät, die eine hundertfache Mauer kahler Scheitel und nackter
Schultern bildeten. Dennoch gelang es den kräftigen
Rippenstößen, welche der Sohn meines Metuaf den Pilgern
versetzte, hindurchzukommen, wobei er immer rief: »Platz, du
fremder Hund, einem Sohn der heiligen Stadt!« So glückte es,
so nahe an die Plattform vorzudringen, daß ich alles, was dort
vorgehen sollte, hören und sehen konnte.
Da standen wir nun, gedrängt wie die Heringe, etwa noch
eine halbe Stunde, während welcher sich die Pilger wilden
Labikrufen und Gebeten und Andachtsübungen hingaben. Endlich
kamen deutliche Anzeichen, daß etwas Wichtiges vorgehe. Alle
Hadschadsch streckten die kahlen Häupter in die Höhe und
blickten nach Westen; aber lange konnte ich nichts gewahren
als in der Ferne einen besonders dichten Menschenknäuel, der
sich in der Richtung auf Arafa hinwälzte. And nun erblickte
ich in diesem Knäuel einen Mann, der auf einem Kamele saß und
von einer Menge wilder Verehrer umgeben war; dieser Mann war
der Chetib (Prediger), welcher die Arafapredigt halten sollte.
Er schien sich einer Verehrung zu erfreuen, die geradezu an
Anbetung grenzte. Einige Derwische warfen sich bei seinem
Anblick sogar auf den Boden nieder und ließen das Kamel über
ihre Rücken schreiten. Selig waren sie, wenn sie von dem Tiere
zu Tode gedrückt wurden! Dann waren sie des Paradieses gewiß!
Jetzt kam der Prediger ganz dicht bei mir vorbei. Es war
ein alter Mann mit dunklem Gesicht und sehr spärlichem weißen
Barte. Er hielt sein Antlitz steif und starr gen Himmel
gerichtet, seine Augen blickten stier und fest nach den
Wolken, unbeweglich, unablenkbar. Um sein Kamel, welches von
zwei Sklaven geführt wurde, kümmerte er sich gar nicht; die
Menschenmenge um ihn herum schien ihn noch weniger anzugehen.
In überspannter Verzückung blickte er nur immer nach oben, als
habe er nur mit den dort Wohnenden, nicht aber mit der
sündigen Menschheit auf Erden zu verkehren. – Gewöhnlich ist
es der Kadi von Mekka, welcher die Arafapredigt hält; in
diesem Jahre hatte jedoch ein anderer Mollah (Geistlicher)
seinen Platz eingenommen; warum, wußte mir aber niemand zu
erklären.
Endlich war der Chetib auf der Plattform angekommen, wo er
seine Predigt, ohne vom Kamel abzusteigen, begann. Diese
Predigt dauerte zwei Stunden und war aus allbekannten
religiösen Formeln zusammengesetzt, welche der Prediger aus
einem Buche, das er in der Hand hielt, ablas. Dieser Prediger
hatte eine hohe, näselnde Stimme und eine so undeutliche
Aussprache, daß, glaube ich sicher, nicht ein Zehntel der
Pilger die Rede verstehen konnte. Dies ist auch gar nicht
nötig; denn das Verdienst besteht nicht darin, daß man die
Predigt recht aufnimmt, sondern darin, daß man überhaupt
zurzeit, wenn sie gehalten wird, beim Berge Arafa anwesend
ist. Ich hörte die ganze Predigt zwar ziemlich gut, verstand
aber nur hier und da ein etwas deutlicher ausgesprochenes
Wort, woraus ich schließen konnte, daß es sich um die
Verdienste der Pilgerfahrt handelte. Von Zeit zu Zeit hielt
der Prediger inne. Diese Augenblicke benutzten die zwanzig-
bis dreißigtausend anwesenden Pilger jedesmal, um in ein
donnerndes Labikgeschrei auszubrechen, wobei sie die Zipfel
ihres Ihrams über dem Haupt in die Höhe hielten und in der
Richtung nach Mekka schwenkten. Sehr notwendig sind auch die
Tränen der Rührung, welche bei den Predigten vergossen werden
müssen. So hielt denn auch der Chetib jeden Augenblick ein
großmächtiges Schnupftuch, welches, wie mir schien, von rotem
Baumwollstoff war, vor die Augen, um durch dieses weithin
sichtbare Zeichen anzudeuten, daß die Pilger es nicht an der
nötigen Rührung möchten fehlen lassen. Bei vielen Pilgern
waren die Tränen ohne Zweifel echt, bei andern gewiß nur
Krokodilstränen, und bei wieder anderen, wozu ich auch
gehörte, wollten sie gar nicht zum Vorschein kommen. Trotzdem
hielt auch ich mir ein großes gelbes Tuch vors Gesicht, hinter
dessen weiten Falten ich meine völlig trockengebliebenen Augen
verstecken konnte. Ssadak und Sohn weinten jedoch die
allerhellsten Tränen. Die elenden Heuchler! Wie sie das nur
fertig brachten!? Je weiter die Predigt vorrückte, desto
stärker wurde das Schluchzen, Seufzen, Gestöhne und Weinen der
Pilger. Zuletzt wurde die Menge aber doch sichtlich der
Predigt müde. An die Stelle des Weinens trat bei manchen
Gähnen; viele trippelten förmlich mit den Füßen vor Ungeduld,
und dünner und dünner wurden die Scharen um mich herum, denn
eine Menge warteten gar nicht das Ende der Predigt ab, um sich
zurückzuziehen.
Kaum war die Sonne in der Richtung nach Mekka
untergegangen, so schlug der Chetib sein Buch zu, steckte das
große, rote Schnupftuch ein, und damit war die Predigt
beendigt. Jetzt noch ein letztes lautes Labikrufen, ein
letztes Tücherschwenken, und nun begann das Heruntersteigen.
Und wie schnell das ging! Gleich einem von einem Wolkenbruch
angeschwellten Gießbach, so rollte der Pilgerzug vom Berge
hernieder. Wehe dem, der nicht Schritt halten konnte, er war
sicher, erdrückt oder zu Tode getreten zu werden, wie denn bei
diesem Niedersteigen alljährlich nicht wenig Unglücksfälle
vorkommen sollen. Auch ich mußte natürlich mit den Scharen
vorwärts; kaum hatte ich Zeit, in der Hüttenstadt mein
Reittier mitzunehmen. In dieser Budenstadt hält man sich sonst
gar nicht auf, sondern drängt unaufhaltsam weiter, wieder nach
Mekka zurück, oder vielmehr nach dem zwischen Mekka und Arafa
gelegenen Menaa, wo die letzte religiöse Station der
Pilgerfahrt ist, die jeder Hadsch auf dem Rückwege von Arafa
besuchen muß.
Die Hüttenstadt bot jetzt schon einen völlig andern Anblick
dar. Alle Zelte waren abgebrochen und befanden sich bereits
auf den Kamelrücken unterwegs nach Menaa. Auch die
Bretterbuden waren zum Teil schon wieder zerstört worden.
Unaufhaltsam wälzte sich der Pilgerschwarm vorwärts. Da es
inzwischen Nacht geworden war, so wurden eine Menge Fackeln
angezündet, so daß man den Weg ganz gut sehen konnte. Auch
mein Metuaf hielt eine Fackel in seiner altersschwachen
Rechten; aber die Fackel schwankte so sehr in seiner Hand, daß
er oft den Boden damit berührte. Dabei begegnete ihm, oder
vielmehr mir, das Unglück, daß er bei einer besonders tiefen
Schwankung meinen Ihram in Brand steckte. Da derselbe von
Baumwolle war, so loderte er auf einmal lichterloh auf und es
gelang mir erst ihn auszulöschen, als er schon halb verbrannt
war; und so mußte ich, wenn ich bisher nur zur Hälfte
bekleidet war, jetzt nur zum vierten Teil bekleidet bleiben.
In diesem beinahe nackten Zustande beendete ich meine
Wallfahrt.
Um Mitternacht kamen wir an eine Moschee, wo wir den Rest
der Nacht auf freiem Felde schliefen, um am andern Morgen dem
Frühgebete bei der Moschee beizuwohnen. Meine Nachtruhe war
jedoch nur von sehr kurzer Dauer, denn schon um drei Uhr
weckte mich Ssadak, um mich mit nach der Moschee zu nehmen. Es
war der Tag des Korban Bairam, des großen Opferfestes, welchen
größten Tag des Islam wir heute begehen sollten. Auf einer
Plattform vor der Moschee hatte derselbe Chetib Platz
genommen. Seine Zuhörer waren jedoch lange nicht so zahlreich
als gestern, denn viele Pilger versäumen es, aus Ermüdung oder
Faulheit, diese religiöse Feier mitzumachen. Die Rede dauerte
diesmal nur dreiviertel Stunde und bestand aus denselben
abgedroschenen Redensarten wie die frühere. Dann wurde das
Morgengebet gehalten und darauf umarmte sich alles und
wünschte sich Glück zum Fest. Auch ich mußte die Umarmungen
einiger hundert Hadschadsch, welche ich in meinem Leben nie
gesehen hatte, über mich ergehen lassen, und das war
keineswegs angenehm, denn viele dieser Biedermänner waren
krank, triefäugig oder verbreiteten einen pestartigen Geruch.
Dann wurde noch einmal ein donnerndes Labik gerufen und der
Pilgerschwarm wälzte sich weiter nach Menaa zu, wo wir etwa
eine Stunde nach Sonnenaufgang anlangen sollten. Ehe ich
jedoch aufbrach, mußte ich auf die Anweisung meines Metuaf hin
einundzwanzig, das heißt dreimal sieben Steine vom Boden
aufheben, die ich in einer eigens hierzu bereit gehaltenen
Tasche aufbewahrte. Ich sah, daß alle Pilger dasselbe taten,
und so wurden hier nahezu eine Million Steine aufgehoben,
welche sämtlich dem großen Teufel an den Kopf geworfen werden
sollten. In diesem Tale nämlich trat der Satan in der Gestalt
der Schlange Iblis dem Vater Abraham auf seiner Pilgerreise
nach Arafa dreimal in den Weg, um ihn von seinem frommen
Vorhaben abzuhalten. Aber jedesmal warf Abraham auf den Rat
des ihn begleitenden Engels Gabriel der Iblis sieben Steine an
den Kopf, worauf sich die Schlange zurückzog.
Nach einstündigem Ritt kamen wir dicht vor dem Dorfe El
Menaa in eine sehr enge Schlucht, wo es bald ein
außerordentliches Gedränge geben sollte. Die ganze Karawane
stockte plötzlich an diesem Punkte, denn hier hatte es dem
Fürsten der Finsternis gefallen, dem Abraham zu erscheinen,
und hier bei einer Denksäule muß der Teufel zum erstenmal
gesteinigt werden. Alle Pilger drängten sich auf einmal hinzu,
um der gottverfluchten Iblis die ersten sieben Steine an den
Kopf zu werfen. Da aber um die Säule herum nur für einige
Hundert Platz war und einige Tausend sich hinzudrängten, so
war nun das entsetzlichste Durcheinander die unausbleibliche
Folge. Viele Pilger wurden auf den Boden geworfen und
niedergetreten; andere stürzten mit ihren Kamelen, Eseln,
Pferden; einige Sänften fielen, das Oberste zu unterst – es
war ein wahrhaft verwirrendes Geschrei, Gestöhne, Geschluchze;
aber selbst in diesem Tumult siegte der religiöse Ruf Labik,
der sich über all dem Jammer deutlich vernehmbar machte.
Daneben aber konnte man viele andere unheilige Laute hören.
Hier schrie ein stämmiger Kerl aus Syrien, indem er sich
rechts und links mit Faustschlägen den Weg bahnte: »Platz da,
du Hund, Sohn eines Hundes; weg mit dir. Auswurf der Hölle«
und so weiter in noch viel schlimmern Ausdrücken. Daneben
regnete es rechts und links Faustschläge. Einige fromme
Hadschadsch hatten sich bei der Kehle gepackt. Andere warfen
sich gegenseitig die Steine an den Kopf, welche eigentlich für
den Satan bestimmt waren. Kurz, der Fürst der Finsternis, der
natürlich an Zwietracht, Haß und Streit die größte Freude
haben muß, feierte hier, gerade an dem Orte, wo er gesteinigt
wurde, die allerschönsten Triumphe. Wie ich nicht selbst mit
zerbläutem Körper und zerbrochenen Gliedern aus diesem Gewühl
hervorging, das ist mir heute noch ein Rätsel. Nach
halbstündigem Hin- und Herdrängen, Hin- und Herstoßen und
Gestoßenwerden, gelangte ich endlich einige hundert Schritte
vor die erste Satanssäule, einen von unförmigen Steinen
errichteten Pfeiler, werfen konnte ich aber von hier aus
natürlich nicht. Doch der Pilgerknäuel schob mich, ohne daß
ich daran etwas tun konnte, vorwärts, bald schob mich ein
Rippenstoß von rechts ein paar Schritte weiter, bald einer von
links. Als ich ungefähr zwanzig Fuß von ihm entfernt war, warf
ich, nach Ssadaks Anweisung, meine ersten sieben Steine, einen
nach dem andern, auf den Pfeiler, wobei ich folgende Worte
nachsprechen mußte: »Im Namen des allgewaltigen Gottes! Ich
vollbringe diese Handlung, weil ich den Teufel hasse. Möge
ewige Schmach und Strafe sein Lohn sein!« – Einige Pilger
fügten diesen Worten noch andere hinzu, zum Beispiel folgende:
»Mögen diese Steine dem Teufel das Gesicht zerschlagen und ihm
den Rücken brechen!« So wird schon seit zwölfhundert Jahren
alljährlich dem Satan das Gesicht zerschlagen und der Rücken
gebrochen, aber er befindet sich dabei ebenso wohl als vorher
und hat gerade unter den frommen Hadschadsch seine eifrigsten
Anhänger.
Gleich bei dem ersten Teufelspfeiler beginnt schon das Dorf
El Menaa, welches in der engen Talschlucht gelegen ist. Dieses
Dorf mag etwa hundert Steinhäuser zählen, aber an diesem Tage
wird es durch die vielen Kaffeebuden und Kaufläden beinahe zu
einer Stadt. Der Großscherif, seine Söhne, der Kadi von Mekka
und einige der reicheren Leute der heiligen Stadt haben ihre
Häuser in Menaa, in welchen sie während dieser Tage wohnen.
Die andern Pilger suchen ihre Unterkunft in den vielen
Kaffeebuden und Barbierstuben, an welchen letzteren hier
großer Überfluß ist, da die meisten Pilger sich nach dem
Steinewerfen rasieren lassen, um dann das Pilgerkleid für
immer mit Feierlichkeit abzulegen.
Auch bei der zweiten Teufelssäule, die mitten im Dorfe
gelegen ist, war der Andrang ungeheuer, und ich mußte mich
begnügen, meine Steine von ferne ans das Haupt der Iblis zu
schleudern. Ob sie an ihre Adresse gelangten, das konnte ich
wegen des dichten Schwarms, der den Pfeiler umlagerte, nicht
sehen. Am Ende des Dorfes fanden wir eine große Anzahl von
hölzernen Barbierstuben und Barbierzelten, welche bereits von
einem ungeheuren Heer von Pilgern angefüllt waren, die
daselbst die feierliche Ablegung des Ihram vornahmen.
Diesen Barbierstuben gegenüber liegt der dritte
Teufelspfeiler, der ebenfalls von einem dichten Pilgerschwarm
umlagert wurde. Hier warf ich meine letzten sieben Steine,
verfluchte den Teufel noch einmal und dann – war ich mit der
ganzen Pilgerfahrt fertig. Ich fühlte mich wahrhaft erlöst,
nun die letzte dieser langweiligen religiösen Pflichten hinter
mir lag. Jetzt konnte ich das abscheuliche Pilgergewand
ablegen! Es war mir, als wäre mir plötzlich eine große Last
von der Brust genommen.
Aber obgleich ich nun den Ihram ablegen konnte, so wußte
ich doch noch nicht, wo dies geschehen konnte. Wollte ich dies
in einer der Barbierstuben tun, so hätte ich gewiß bis zum
Abend warten müssen. Ich wollte aber durchaus bald aus meinem
halbnackten Zustand heraus, war doch mein Ihram durch Ssadaks
Unvorsichtigkeit nichts mehr als ein halbverbrannter Fetzen.
Auch sehnte ich mich danach, ein Bad zu nehmen, um mich von
all den Unreinlichkeiten der Pilgerreise gründlich zu
befreien. Dies konnte aber nur in Mekka geschehen, und da dort
auch meine Kleider waren, so faßte ich den Entschluß, sofort
wieder nach der heiligen Stadt zurückzukehren. Ssadak sah mich
zwar bei dieser Mitteilung etwas seltsam an, aber endlich
mußte er doch auf meinen Plan eingehen. »O mein Bruder«, sagte
er, »es ist zwar ungewöhnlich, aber doch nicht sündhaft, was
du tun willst. Zwar wäre es wünschenswert, wenn du den Teufel
noch einmal steinigtest, aber bei deiner großen Frömmigkeit
wird vielleicht das eine Mal genügen. Übrigens tätest du wohl,
einen Hammel zu schlachten, oder besser zwei, einen weil heute
das Opferfest ist und den andern als Sühnopfer für dein kurzes
Verbleiben in Menaa. Etba Kebsch! Etba Kebsch! (Opfere die
Hammel! Opfere die Hammel!)«
Ich gelobte natürlich, die Hammel zu opfern, worüber Ssadak
in die freudigen Worte ausbrach: »O Maghrebi! Du mußt fürwahr
ein Königssohn sein, um so viel Geld für Opfer ausgeben zu
können!«
Ehe wir jedoch abzogen, sollten wir noch der Opferung der
heiligen Hammel beiwohnen, welche jährlich an diesem Tage im
Tal Menaa unter großer Feierlichkeit vollzogen wird, wie
überhaupt jeder Moslem, der nur irgendwie die Mittel dazu hat,
an diesem Tage einen Hammel schlachten muß.
Da ich gelobt hatte, zwei Hammel zu opfern, so mußten die
Tiere jetzt natürlich gleich angeschafft werden. Etwa
fünftausend Hammel hatte man auf freiem Felde unweit Menaa
aufgestellt, für welche die Eigentümer die lächerlichsten
Preise verlangten. Sonst kostete ein Hammel in Mekka einen
Rial, jetzt aber verlangte man vier bis fünf Rial, ja noch
mehr; Ssadak gelang es jedoch, zwei Tiere für acht Rials
zusammen für mich einzukaufen.
Bald darauf begann auch die große Opferung. Einige
zehntausend Pilger, von denen jedoch nur etwa der dritte Teil
Hammel vor sich hatte, standen auf einem freien, unebenen,
steinigen Felde unweit Menaa. Der Kadi von Mekka, der an der
Spitze dieser Pilgerscharen stand, hatte gleichfalls einen
Hammel vor sich, der über und über bunt bemalt war. Nach einem
kurzen Gebet gab dieser Würdenträger das Zeichen zum
Schlachten, indem er seinem Hammel den Kopf in der Richtung
nach Mekka drehte und ihm dann die Kehle mit einem krummen
Messer durchschnitt. Und nun sanken auf einmal dreitausend
Opfer auf den Boden, der sich in ein wahres Blutmeer
verwandelte, ein Anblick, der mich so anekelte, daß ich
schnell mit Ssadak abzog, während wir dem Sohne auftrugen, die
beiden soeben geschlachteten Hammel zu waschen und abends nach
Mekka zu bringen, wo sie in Hamdans Hause feierlich verzehrt
werden sollten. – Diese Opferung findet nach der Aussage der
Gelehrten des Islam zum Andenken an das Opfer Abrahams, der
seinen eigenen Sohn zu schlachten gelobt hatte, statt. So
hatte ich nun die Qualen und Freuden der Wallfahrt nach Arafa
hinter mir, kehrte nach Mekka zurück, legte dort unter Gebeten
den Ihram ab und meine Kleider an und ließ mich von einem
frommen Barbier rasieren, der bei dieser Handlung in einem
fort Lobsprüche murmelte.