Mensch u. Glaube

Mensch und Glaube

Ayatollah Morteza Motahhari

Inhaltsverzeichnis

Der religiöse Glaube

Aus den vorangegangenen Diskussionen ging hervor, dass der Mensch ohne Idee, Wunsch und Glauben weder ein gesundes Leben führen noch etwas Nützliches und Effektives für die Menschheit und die Zivilisation leisten kann. Der Mensch, dem es an jeglicher Art von Idee und Glauben mangelt, erweist sich als ein Geschöpf, das untergetaucht ist in Egoismus und niemals seine persönlichen Vorteile unberücksichtigt lässt, oder aber als ein schwankendes, unentschlossenes Wesen, welches sich keiner Aufgabe hinsichtlicht der Ethik und der Gesellschaft bewusst ist.

Der Mensch wird ständig, auf irgendeine Art, mit sozialen und moralischen Problemen konfrontiert und muss gezwungenermaßen darauf dementsprechend reagieren. Fühlt er sich hingegen einer Ideologie, einer Über­zeugung und einem Glauben verbunden, so kennt er seine Pflicht. Doch wenn ihm diese nicht durch eine ganzheitliche Lehre oder eine Doktrin offenkundig gemacht wird, bleibt er immer unstet, er wird einmal in diese und das andere Mal in jene Richtung gezogen werden und sich zu einem unausgeglichenen Geschöpf entwickeln. Es besteht in der Tat kein Zweifel darüber, dass eine Bindung zu einer Ideologie oder einer Idee erforderlich ist. Das, was unbedingt beachtet werden muss ist, dass nur der religiöse Glaube dem Menschen die wahre “Rechtgläubigkeit“ vermitteln kann.

Durch die Klarheit des Glaubens die Überzeugung und die Doktrin werden Selbstsucht und Eigenliebe reguliert und zudem “Frömmigkeit“ und “Ergebenheit“ geweckt, so dass der Mensch auch bei geringfügigsten Aufgaben, die die Lehre stellt, nicht ins Schwanken gerät. Der religiöse Glaube ist dem Menschen derartig lieb, teuer und kostbar, dass ihm ein Leben ohne Glaube sinnlos, leer und nichts sagend erscheint und er ihn leidenschaftlich und energisch verteidigt. Sein Interesse für den religiösen Glauben ist die Ursache für die Bemühungen, welche der Mensch entgegen seiner persönlichen, naturgemäßen Begehren auf sich nimmt und bisweilen dafür Existenz und gesellschaftliches Ansehen opfert. Dieses ist dann möglich, wenn die Vorstellung des Menschen einen heiligen Charakter trägt und ihn absolut beherrscht. Allein die Kraft des Glaubens gibt den Gedanken Heiligkeit und unterwirft den Menschen mit aller Kraft deren Weisungen.

Manchmal opfert sich jemand nicht aufgrund einer religiösen Vorstellung und Überzeugung, sondern unter dem starken Druck von Schwierigkeiten, Feindseeligkeiten, Vergeltungsmaßnahmen und letztlich in schwerster Gegenreaktion auf erlittene Unterdrückung und Tyrannei. Er verzichtet auf Besitz, soziales Ansehen und Leben, wie wir es anhand vieler Beispiele in allen Teilen der Welt beobachten können. Doch der Unterschied zwischen einer religiösen und nichtreligiösen Denkweise beruht darin, dass bei vorhandener religiöser Überzeugung, die den Gedanken Erhabenheit verleiht, sich die Aufopferung völlig selbstverständlich und natürlich vollzieht. Zu unterscheiden ist allerdings zwischen der Handlung, welche mit vollem Einverständnis durch die Kraft des Glaubens und nach freier Entscheidung durchgeführt wird und der Tat, welche auf Grund von Schwierigkeiten und inneren, quälenden Drucks vollzogen wird und ein “Explodieren“ zum Ausdruck bringt.

Wenn zweitens die Weltanschauung des Menschen lediglich eine materialistische ist, die sich nur auf diese bezieht, stehen alle seine sozialen und menschlichen Ideale und Wunschvorstellungen im Widerspruch zur greif- und sichtbaren Wirklichkeit, was sich in seiner Beziehung zur Umwelt spürbar bemerkbar macht. Das Ergebnis einer Weltanschauung, welche sich auf Sicht- und Greifbares beschränkt, ist Egoismus und nicht die Vorliebe für eine Idee. Und ist diese Weltanschauung nicht in einer Idee begründet, deren logisches Resultat folgender Gedanke ist, bedeutet es nichts weiter als Utopie. Denn jener Gedanke besagt, dass der Mensch die Welt getrennt von seinen echten, vorhandenen, innersten Gefühlen und seinen Vorstellungen betrachten müsse und sich damit zufrieden zu geben habe.

Entspringt jedoch die Zuneigung für eine Idee einer Religion, einer Glaubenslehre, so stützt sie sich auf eine Weltanschauung, deren logische Folge der harmonische Einklang mit den Idealen ist. Der religiöse Glaube ist die Freundschaftsbrücke zwischen dem Menschen und dem Universum, mit anderen Worten, er bildet die Harmonie zwischen dem Menschen und den wesentlichen Wünschen. Aber weltlicher, nichtreligiöser Glaube und Wünsche nichtreligiöser Art bedeutet Isolation von der Welt und das Aufbauen einer utopischen Welt, die niemals von der Außenwelt unterstützt wird.

Der religiöse Glaube erlegt dem Menschen nicht nur eine Reihe von Pflichten entgegen seiner natürlichen Veranlagungen auf, sondern verändert auch dessen Weltbild und fügt den greifbaren, vorhandenen Faktoren des Weltkomplexes neue Elemente zu. Er verwandelt die trockene, kalte, mechanische und materielle Welt in eine lebendige, verständliche und kundige. Der religiöse Glaube verändert die Auffassung des Menschen von der Welt und der Schöpfung.

William James[1], amerikanischer Philosoph und Psychologe, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, meint: „Eine Welt, die uns einen religiösen Gedanken anbietet, ist nicht nur die gleiche materielle Welt, deren äußeres Bild sich verändert hat, sondern ein Weltgefüge, das viel mehr Dinge beinhaltet, als ein Materialist besitzen kann“[2]. Abgesehen von all diesem ist das Verlangen nach den heiligen Wahrheiten und Realitäten sowie dem Bewundernswürdigen in der Natur eines jeden Menschen veranlagt.

Der Mensch vereinigt in sich eine Reihe immaterieller, potentieller Neigungen und Begabungen, welche entwicklungsfähig sind. Die menschlichen Bestrebungen sind nicht nur materieller Art, seine geistigen Neigungen sind nicht nur Einbildungen und erworben, sondern sie sind echt und werden wissenschaftlich bestätigt. Williams James meinte dazu: „So sehr auch Motiv und Anlass unserer Verlangen weltlich bedingt sein mögen, sind doch unsere Wünsche und Neigungen vorwiegend übernatürlicher Art, da die meisten von ihnen nicht mit materiellen Berechnungen in Einklang zu bringen sind.“[3]

Da diese Wünsche vorhanden sind, müssen sie gefördert werden. Wenn dies nicht folgerichtig geschieht und sie nicht sinngemäß genutzt werden, entstehen Götzentum, Personenkult, Anbetung der Natur und tausenderlei anderer Kulturen, die dadurch verursacht werden.

Erich Fromm sagte: „Es gibt niemanden, der ohne religiöse Bindung sein kann, keinerlei Richtlinien bedarf und nichts benötigt, dem er sein Interesse und seine Zuneigung entgegenbringen kann. Möglicherweise sind ihm seine Überzeugungen als Religion nicht bewusst – abgesehen von seinen nichtreligiösen Ansichten – vielleicht ist er sogar der Meinung, unreligiös zu sein und geht in der Annahme, das seine Zuneigung für offenkundig unreligiöser Ziele wie Macht, Geld und Erfolg nur als ein Zeichen seines Interesse für Zweckmäßigkeit und Profit zu betrachten ist, doch das Problem besteht nicht darin, ob der Mensch eine Religion hat oder nicht, sondern darin, welcher Religion er angehört.“[4]

Dieser Psychologe ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Mensch ohne Heiligem und Anbetung nicht lebensfähig ist. Doch wenn der Mensch keinerlei Kenntnis vom einzigen Gott hat und diesen nicht verehrt, so wird er etwas anderes als eine über alle erhabene Wahrheit aufstellen, das ihm als Gegenstand seines Glaubens und seiner Anbetung dienen kann. Weil es demnach eine Notwendigkeit ist, dass der Mensch im Besitz eines Ideals, eines Wunsches, eines Glaubens ist, und da einerseits nur der religiöse Glaube fähig ist, den Menschen wirklich zu beeinflussen, andererseits der Mensch auf der Suche nach etwas ist, welches er heiligen und verehren kann, besteht der einzige Weg darin, den religiösen Glauben zu fördern.

Der edle Qur´an ist das erste Buch, welches in vollkommener Deutung den religiösen Glauben in absoluter Harmonie mit der Schöpfungsordnung dargestellt hat: „Suchen sie sich etwa eine andere Religion als die Religion Gottes, wo Ihm ergeben ist, was in den Himmeln und auf der Erde ist, ...                                                     (Heiliger Qur´an 3:83)

Darüber hinaus wurde der religiöse Glaube als ein Teil der menschlichen Veranlagung vorgestellt: „Und richte dein Gesicht auf die Religion als Anhänger des reinen Glaubens. Das ist die Schöpfung Gottes, die Er für die Menschen festgelegt hat ...“

(Heiliger Qur´an 30:30)

[1] William James (1842-1910) war ein US-amerikanischer Psychologe und Philosoph und galt als Pragmatist.

[2] William James: Religion und Psyche

[3] William James: Religion und Psyche

[4] Erich Fromm: Psychologie und Religion

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