Mensch u. Glaube

Mensch und Glaube

Ayatollah Morteza Motahhari

Inhaltsverzeichnis

Können Wissenschaft und Glauben einander ersetzen?

Wir wissen, dass Wissenschaft und Glauben sich nicht nur nicht widersprechen, sondern einander vervollkommnen und ergänzen. Jetzt steht die Frage zur Diskussion: Ist es möglich, dass das eine das andere ersetzen kann? Nachdem uns die Aufgabe der Wissenschaft und die des Glaubens bekannt geworden sind, ist es nicht mehr sehr erforderlich, dies Thema all zu ausführlich zu besprechen.

Es ist unbestreitbar, dass die Wissenschaft den Glauben nicht ersetzen kann, welcher über Licht und Kraft hinaus auch Liebe und Hoffnung schenkt, das Niveau unserer Wünsche anhebt und zudem uns hilft, unsere Ziele und Absichten zu verfolgen und zu erreichen, uns an Stelle unseres natürlichen, instinktiven, selbstbezogenen, egoistischen Verlangens und Begehrens Ziele und Wünsche gibt, welche von der Liebe, den immateriellen Interessen und dem Geist getragen werden. Darüber hinaus, dass uns damit ein Mittel und Zweck gegeben ist, verändert er unser Wesen und unseren Charakter. Andererseits kann der Glaube nicht die Wissenschaft ersetzen, denn er macht uns nicht mit der Natur bekannt, eröffnet uns nicht deren Gesetzmäßigkeit und gibt uns keine Aufschlüsse über uns selbst. Die Erfahrungen der Geschichte haben gezeigt, dass die Trennung von Wissenschaft und Glauben nicht wiedergutmachende Schäden hervorgebracht hat. Der Glaube muss im Licht der Wissenschaft erkannt werden. In der Klarheit der Wissenschaft bleibt der Glaube fern vom Aberglauben.

Durch die Absonderung der Wissenschaft vom Glauben geht aus dem letzteren Erstarrung, blinder Fanatismus, schwere Selbsteinkreisung und Ausweglosigkeit hervor. Dort, wo es keine Wissenschaft und Kenntnis gibt, wird der Glaube unwissender Muslime zur Handhabe schlauer Heuchler. Beispiele dazu hat es bei den Chawaridsch[1] zu Beginn des Islam und in der unterschiedlichsten Art und Weise auch in den folgenden Epochen gegeben, und weitere Beispiele sehen wir noch immer. Die Wissenschaft ohne den Glauben ist wie ein scharfes Messer in den Händen eines betrunkenen Amokläufers. Sie gleicht einem Licht zur Mitternacht in der Hand eines Diebes, das diesem das Stehlen erleichtert. Deswegen besteht zwischen dem wissenden, ungläubigen Menschen von heute und dem unwissenden Menschen ohne Glauben von gestern nicht der geringste Unterschied.

Worin unterscheiden sich denn die heutigen Churchills, Johnsons, Nixons und Stalins von den gestrigen Pharaonen, Dschingis Khans und Attilas? Es ist durchaus möglich, dass behauptet wird: „Ist es denn nicht so, dass die Wissenschaft erleuchtend ist und auch mächtig? Ihre Helligkeit und Macht beschränke sich nicht nur auf die Außenwelt, sondern sie bringe auch Klarheit in unsere innere Welt und stelle uns diese vor. Infolgedessen befähige sie uns, unser Innenleben zu verändern. Demzufolge könne die Wissenschaft sowohl die Welt, als auch den Menschen formen. Sie erfülle demnach ihre eigentliche Aufgabe, nämlich die Gestaltung der Welt, wie auch die des Glaubens, in dem sie den Menschen forme.“

Die Antwort darauf lautet Folgendermaßen: All das ist richtig, aber der wesentliche Punkt ist der, dass die Macht und die Fähigkeit der Wissenschaft der eines Werkzeuges entsprechen, das heißt, sie sind abhängig von der Entscheidung und dem Befehl des Menschen. Auf jedem Gebiet, auf dem der Mensch aktiv werden möchte, wird ihm die Durchführung seiner Tätigkeit mit Hilfe der Wissenschaft erleichtert. Das ist auch der Grund dafür, weshalb wir sagen, dass die Wissenschaft das geeignete Hilfsmittel des Menschen ist, um seine sich gesetzten Ziele zu erreichen und den Weg, zu dem er sich entschieden hat, beschreiten zu können.

Aber es geht noch um etwas anderes, nämlich darum, dass der Mensch bevor er ein Mittel nutzt, sich über das beabsichtigte Ziel im Klaren sein muss, da die Mittel immer nur entsprechend der angestrebten Ziele eingesetzt werden.

[1] Die Chawaridsch oder Charidschiten, sind Anhänger der abtrünnigen Gegner des amtierenden Kalifen Imam Ali (a.). Der Begriff "charadscha" kommt vom arabischen “hinausgehen“ und bezeichnet die Tatsache, dass jene Leute bei der Schlacht von Siffin zunächst Imam Ali (a.) zu einem Waffenstillstand mit dem aufständischen, machtversessenen, Muawiya gezwungen haben, indem sie ihn im Stich ließen und dann aber mit dem Waffenstillstand nicht einverstanden waren und einen weiteren Krieg gegen Imam Ali (a.) eröffneten. Da die Charidschiten weder Imam Ali (a.) noch Muawiya als Kalifen anerkannten, planten sie zeitgleich Mordanschläge auf beide. Der Charidschite Ibn Muldscham hat Imam Ali (a.) ermordet. Der Mordanschlag auf Muawiya schlug fehl. Später bekämpften die Charidschiten auch Imam Hasan (a.).

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