Mesnevi

Mesnevi

Dschalaleddin Rumi

Aus dem Persischen übertragen von Georg Rosen

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Gleichnis vom edlen Gast

Zur Morgenzeit trat einst ein edler Gast
Mit banger Eil’ in Salomos Palast,
Aus Gram sein Antlitz bleich und blau sein Mund; -
Der König sprach: „was ist dir? Tu’ mir’s kund!“
Er sprach: „Es sah, im Auge wilde Gier,
Der Todesengel Asrael nach mir.“
Der König sprach: „Was soll ich tun? Verkünde!“
Er sprach: „O Seelenhort, befiehl dem Winde,
Dass er nach Indien alsobald mich bringe,
Ob dort vielleicht zu leben mir gelinge!“

So find’t der Mensch, der vor der Armut bang
Sich scheut, in Geiz und Gier den Untergang.
Der Armutsscheu glich jenes Manns Erbeben,
Es glich sein Indien solchem nicht’gen Streben.

Und über Land und Meer trug ihn sofort
Der Wind nach Indien auf das Königs Wort.
Im Ratsaal aber sprach am andern Tage
Der König zu dem Todesengel: „Sage,
Was schautest du so grimm nach jenem Frommen,
Dass ihm die Angst das Leben fast genommen?“
Er sprach: „Nicht grimm hab’ ich ihn angesehn,
Verwundert nur sah ich am Weg ihn stehn,
Da für denselben Tag mir Gott befohlen,
Aus Indien seine Seele herzuholen.
Ich sprach erstaunt: Und hätt’ er hundert Schwingen,
Gar weit ist’s, heut bis Indien noch zu dringen!“ –

Was alles ird’sche Tun, hiernach ermiss es!
Mach’ klar dein Auge und zum Sehn erschließ’ es!
Vermagst du je dir selber zu entfliehn,
Sündhaft dich dem Allmcht’gen zu entziehn?“

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Der Leu sprach: „Wohl! doch bei den Sehern auch
Und Gläubigen siehst du des Strebens Brauch.
Gesegnet ward ihr Streben von Allwahren,
Was Leides sie in Glut und Frost erfahren.
Was alles sie ersannen, das war gut,
Denn weise ist, was nur der Weise tut.
Des Himmels Vöglein ihr Netz erpasste,
Und ihre Leere alle Füll’ erfasste.
Kein Kampf mit dem Verhängnis ist die Tat,
Da es ja selbst die Tat geboten hat.
Ein Heide bin ich, wenn je Schaden litt,
Wer auf des Gottgehorsams Pfaden schritt!
Dein Haupt ist ja nicht wund, wozu Verbände?
Nach kurzer Last zur Lust und Rast sich wende!
Das Schlechte wählt, wer auf das Diesseits baut,
Das Rechte wählt, wer nach dem Jenseits schaut.
Tot ist die List, die Irdisches erstrebt. –
Gedeihlich, die dem Ird’schen uns enthebt.
Entrinnen aus der Haft, das heiß’ ich List;
Ein Tor ist, wer sich selbst den Kerker schließt.
O du Gefangner in der Welt Gefängnis,
Such’ einen Ausgang dir aus der Bedrängnis!
Was Welt ich nenne, ist das Gottvergessen,
Nicht, was an Hab und Gut uns zugemessen.
Vom wohlerworbnen Gut, der Gottesgabe,
Sprach Achmed ja: ‚Wie schön ist solche Habe!’
Die Flut im Schiff ist der Verderb des Schiffes,
Unter ihm trägt sie über Wog’ und Riff es.
Dem Erdengut im Herzen abgewandt,
Hat Salomo sich selber arm genannt.
Wie auf der Flut den wohl verschlossnen Schlauch
Die Luft empor hält, die er führt im Bauch,
So sinkt nicht unter in dem Meer der Welt,
Wer der Entsagung Hauch im Herzen hält;
Und wär’ das Weltall sein, das Erdenglück
Erscheint als Nichts vor seinem geist’gen Blick.
Verschließe drum dein Herz, besiegl’ es auch
Und füll’ es mit der Gotterkenntnis Hauch!
Die Tat besteht, wie Schmerz besteht und Haucht,
Ihr Leugner selbst beweist sie unbewusst“

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Also gelang’s dem Leu mit vielen Gründen,
Der Tiere Widerspruch zu überwinden.
Fuchs, Hase, Reh und Schakal ließen fahren
Die Unfreiheit, der sie ergeben waren,
Und schlossen einen Bund, auf dass der Leu
Sie schonte, wenn sie dem Vertrage treu,
Dass unverkürzt sein täglich Mahl sie gäben
Und ihn der Müh’ des Jagens überhöben.
So eilte, wen das Los traf, jeden Tag
Tigerschnell hin, wo der Gewalt’ge lag.

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Als man den Kelch nun auch dem Hasen bot,
Da rief er: „Welches Unrecht, welche Not!“
Ihn fragt die Schar: „Freund, opfern unsrem Bunde
Nicht wir das Leben auch zu jeder Stunde?
Du wolle nicht, dass man uns treulos nenne;
Geh’ rasch, dass nicht des Löwen Zorn entbrenne!“
Er sprach: „Ihr Freunde, gönnt mir eine Frist!
Ich rett’ euch aus der Not durch Trug und List.
Die Seelenangst will ich auch so vertreiben,
Und euren Kindern soll die Erbe bleiben.
Denn alle Seher waren in der Welt
Zu ihrer Zeitgenossen Heil bestellt,
Klein wie der Mann im Aug’ für unsern Blick,
Und schauend doch der ew’gen Freiheit Glück.
Die Welt indes, die zwergeklein sie fand,
Des Augenmännleins Größe nicht verstand.
Drauf sprach das Volk: „Merk’ auf, du Eselsohr!
Vergiss nicht, dass du nur ein Has’, o Tor!
Welch ein Geschwätz ist dies? Uns Bessern allen
Ist solcher Frevel doch nicht eingefallen.
Die Rache, Geck, würd’ uns gar bald erreichen!
Und ziemt wohl diese Rede deinesgleichen?“
Er sprach: „Mir offenbarte Gott den Pfad,
Er, der den Schwachen kräftig macht an Rat.
Wildeseln ward und Löwen ja verwehrt,
Was Gott er kleinen Biene hat gelehrt,
Die Häuser süßen Nasses voll erbaut, -
Mit dieser Kunst hat sie der Herr betraut.
Desgleichen nie die Kunst der Elefant,
Die Gott dem Seidenwurm gelehrt, verstand.
Erkenntnis, die hoch zu des Himmels Throne
Strahlt, gab dem Menschen Er, dem Erdensohne.
So brach der Engel Stolz Gott, und dem Büßer
Von sechsmalhunderttausend Jahren ließ er,
Da er am Wahren zweifelte, dem Blinden,
Wie einem jähr’gen Rind den Maulkorb binden,
Dass er der Gotterkenntnis Milch nicht söge
Und lauernd diese Feste nicht umflöge!“

Den Weltbefangenen lässt sein eitles Wissen
Die Milch des höhern Wissens nicht genießen.
Ruht doch in unserm Herzen ein Rubin,
Wie keinem Meer und Himmel er verliehn!
Und, Sklav der Form, du zauderst, dass den Geist
Aus der Gestaltung Irrsal du befreist? –
Läg’ in der Form das Menschentum, da wären
Bu Dschehl und Achmed ja in gleichen Ehren! –
Wohl gibt ein Bildnis, auf die Wand gemalt,
Treulich zurück die menschliche Gestalt;
Doch ist kein Bild so treu, dem nicht die Seele,
Der Demant, den du nimmer findest, stehle.
Es beugen sich die Löwen dieser Welt,
Wenn sie ein Hündlein sich zur Seite stellt,
Dem wahrlich nicht die Hundsgestalt geschadet,
Da seine Seel’ im Lichtmeer sich gebadet.
Der Federkiel beschreibt das Äußre nicht,
Da er von Weisheit wird und Tugend nur gefunden
Im Geist, der nicht an Raum und Form gebunden.
Ist doch selbst für den Horizont zu groß
Der Seele Licht, das Gott auf uns ergoss!
Doch dies ist unerschöpflich; drum berichte
Ich weiter dir vom Hasen die Geschichte.

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Versieh mit neuen Ohren dich, o Tor!
Denn nicht versteht mein Wort ein Eselsohr.
Merk auf die Fuchslist, die der Hase spielte,
Der Hase, der des Löwen Fall erzielte! –
Das Siegel Salomos ist Weisheit nur,
Die Seele sie im Leib der Kreatur.
Sie ist’s, durch die der Mensch zum Herrn des Heeres
Der Wälder ward, der Felder und des Meeres,
Dass vor ihm bebt der Tiger und der Leu,
Das Herz erzittert in der See dem Hai,
Und Feen und Dive an verborgne Stätten,
Öde Gestade, fliehn, um sich zu retten.
Uns gilt so viel verborgner Feinde Trug; -
Nur den, der sich behütet, nenn’ ich klug.
Beständig wirken die verborgnen Wesen
Auf unser Herz, die guten und die bösen.
Also verletzt wohl, wen du in den Fluss
Zum Baden steigst, ein Dorn dich in den Fuß;
Ob du im Flusse auch den Dorn nicht siehst,
Wenn er dich sticht, so fühlst du, dass er ist.
Einflüsterung, Verlockung, Gram und Sorgen
Kommen von tausend Wesen, uns verborgen.
O dass mit geist’gem Auge jene Wesen
Du schauest, dass die Rätsel dir sich lösen,
Dass fern du bleibst da dem bösen Worte
Und wählest dir das gute Wort zum Horte! –

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Sie sprachen: „Schneller Hase, auf! so teile
Uns mit, was du ersannst zu unserm Heile;
Der du bekämpft des grimmen Löwen Macht,
Sag’ uns den Plan, den du dir ausgedacht.
Einsicht gibt die Beratung und Erkenntnis,
Der eine führt den andern zum Verständnis.
Muhammed sprach: Nach Rat, o Weiser, schaue
Dich um, und dem, der Rat dir spendet, traue!“
Er sprach: „Nicht jeden Plan man offenbart;
Statt Part fällt Unpart oft, statt Unpart Part.
Du siehst, behauchst du lächelnd einen Spiegel,
Getrübt alsbald den sonst so reinen Spiegel.
Von dreierlei der Kluge nimmer spricht:
Vom Gold, vom Reiseplan, vom Glauben nicht;
Denn jegliches hat Feinde allerwegen,
Die ihm, wo sie es wittern, Fallen legen.
Haben schon drei von dem Geheimnis Kunde,
Alsdann fahr’ wohl! dann ist’s in aller Munde.
Auch Achmed pflog in seiner Freunde Kreise
Des Rates stets in rätselhafter Weise;
In Gleichnishüllen, welche nicht jedweder
Fremdling durchschauen konnte, barg die Red’ er;
So nahm von jedem den Bescheid er hin,
Und andre ahnten nie der Frage Sinn.“

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Nach langem Zögern nahm der Hase drauf
Zum klauenstarken Löwen seinen Lauf,
Der, den so lang Ausbleibenden erharrend,
Tobte und brüllte, n dem Boden scharrend,
Und sprach: „Sagt’ ich es doch, dass nie Verträge
Zu halten solch gemeines Volk vermöge!
Herab vom Esel warf ihr frecher Lug mich, -
Wie quält der Welt, der argen, Lug und Trug mich!“ –
Ins Elend rennt der Fürst, der weder vor-
Noch rückwärts schaut, der schlechtberatne Tor!
Ob grad der Weg, Fallnetze sind darin,
Ob schön der Name auch, es fehlt der Sinn!
Der Name ist ein Netz, das süße Wort
Der Sand, drin unsres Lebens Nass verdorrt.
Wohl einem andern Sand entquillt dies Nass,
Nach ihm, dem seltnen, ring’ ohne Unterlass!
Denn dieser Sand ist, wer um Heiliges
Dem Irdischen entsagt, Gedeihliches,
Der Fromme, dem des Glaubens Nass entquillt,
Dies süße Nass, das dich mit Leben füllt.
Der Gottvergessne gleicht dem dürren Sand,
Drin deines Lebens Nass allzeit verschwand.
Such’ drum beim weisen Mann der Weisheit Spur,
Erkennend macht und schauend er dich nur;
Der Weisheitssucher wird zum Weisheitsborne
Frei von des Strebens Müh’, der Auserkorne;
Die Tafel, die da wahrte, wird gewahrt,
Geist wird aus Gottes Geist ihr offenbart.
Wenn im Verstande sonst Belehrung fand
Der Mensch, - dann wird sein Schüler der Verstand,
Und sprich wie Gabriel: „Achmed, ich brenne,
Wenn einen Schritt mit dir ich weiter renne!
Lass mich zurück und eile selber weiter,
Denn dies ist meine Grenze, Seelenleiter!“
O der du heimlich Lüste nährst, erneue,
Doch nicht mit Worten bloß, die Gottestreue!
Welk ist der Glaube, wenn die Lüste sprießen,
Die dir das Paradiesestor verschließen.
Das reine Wort, du drehst es her und hin –
Lass seinen Sinn und ändre deinen Sinn!
Denn Gottes Buch nach deiner Lust erklärend,
Den hohen Sinn verzerrend und zerstörend,
Ergeht es wie der eitlen Fliege dir,
Die selber groß sich deucht, des Weltalls Zier,
Die von sich selbst berauscht über dem Weine,
Sich eine Sonne dünkt, die Stäubchenkleine!
Die, wenn man von dem Adler ihr erzählt,
Ausruft: „Ich bin die Anka dieser Welt!“ –
Auf einer Pfütze macht ein Hälmchen Stroh,
Drauf als Pilot sie sitzt, sie stolz und froh.
„Ein Schiff“, spricht sie, „weiß ich zur See zu lenken,
Denn lange Zeit gab dies mir Stoff zum Denken;
Hier ist ein Meer, ein Schiff; - ich will’s regieren,
Will als erfahrner Steuermann es führen!“
So treibt die Flieg’ auf diesem Meer ihr Floß,
Das Kleine ist für sie unendlich groß,
Die Lach’ ist ihrem Auge ohne Schranke –
Denn wo ergreift das Wahre der Gedanke!
Soweit ihr Blick reicht, das ist ihre Welt,
Die Lach’ ihr Meer, denn mehr ihr Aug’ nicht hält.
Desgleichen ist des nicht’gen Deutlers Sinn
Nur eine Lache und ein Hälmchen drin.
Könnte die Fliege sich vom Wahn befrein,
Ein Phönix würde sie, die Fliege, sein!
Nicht Fliege bleibt, die sich dem Wahn enthebt,
Denn hoch ihr Geist ob ihrem Leibe schwebt.
Fasst wohl de Geist des Hasen, der Gewalt
Dem Löwen antat, seine Zwerggestalt? –

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„Durch meines Ohrs Vermittlung“, sprach entbrannt
Der Leu, „mein Feind die Augen mir verband.
Der Zwergbefangnen List hat mich gebunden,
Ihr hölzern Schwert hat meinen Leib geschunden.
Nicht will ich fürder ihrer Reden hören,
Koboldgeraunte ist’s, mich zu betören!
O zaubre nicht, mein Herz, zerreiß’ sie schnelle,
Zerreiß’ ihr Fell, sie sind ja nichts als Felle!“ –
Denn Hüllen nur find nicht’ger Worte Tand,
Wie Striche auf dem Wasser ohn’ Bestand.
Worte sind Schalen, drin der Kern der Sinn ist,
Sind Leiber, und der Sinn die Seele drin ist.
Der schlechten Kernes Schande birgt die Hülle,
Sie birgt des guten Wassers Fläche mit dem Winde
Als Griffel hin du schreibst, erlischt geschwinde;
Und von der Schrift im Wasser hoffst du Treue?
Bald wandelt sich dein Wahn in bittre Reue!
Was aber Wind ich nenne, ist die Gier;
Entsag’ ihr und von Gott wird Kunde dir,
Und diese Kund’ ist lieblich immerdar,
Von Anfang bis zu End’ unwandelbar! –
Der Betspruch für den König, seine Pracht
Vergeht, doch nicht des Sehers Herrschermacht.
Des Königs Herrlichkeit ist eitler Dunst,
Des Sehers Freibrief des Allmächt’gen Gunst.
Stets wird des Sultans Name umgeprägt.
Doch jedes Achmeds Namen trägt.
Und alle Seher nennt ja Achmed einzig,
Wo Hundert steht, bedarf es nicht der Neunzig.

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Als lang er seinen Gang hinaus gesponnen
Und seinen Plan sich kunstreich ausgesonnen,
da brach der Has’, um tief versteckte Worte
Dem Leu zu künden, auf von jenem Orte.
Denn im Verstand regt sich ein Weltenheer, -
Unendlich tief ist des Verstandes Meer,
Dies süße Meer, das die Gestaltung trägt
Und sie, wie einen Krug die Well’ bewegt.
Wenn leer der Krug ist, schwimmt er auf der Welle,
Doch angefüllt sinkt er zur Tiefe schnelle.
Auf des Verstands verborgnem Meer ist nur
Der Wellenschlag die Form in der Natur.
Sucht eine Bahn die Form, um sich zu nahn
Dem Meer, es stößt ihn fern von dieser Bahn,
Bis dass erschaut den Seelenspendenden
Das Herz, den fernhin Pfeile Sendenden.
Unsichtbar, weil zu nah, ist, wie im Bauch
Des Krugs das Nass, in uns der Lebenshauch.
Was grün, was rot und blau, du weißt es nicht,
So dir nicht strahlt das dreigestalte Licht.
Geht aber irr dein Geist in Rot und Grün,
Rot da und Grün dir jenes Licht entziehn.
Dass alle Farb’ umflort bei dunkler Nacht ist,
Zeigt, wie das Licht der Quell der Farbenpracht ist.
Dem äußern Licht die äußre Farb’ entstrahlt,
Das innre Licht die Phantasie ausmalt.
Jenes entströmt den Sternen, groß und klein,
Dies Herzens Licht des Augenlichtes Quell ist,
Durch dieses Licht nur unser Auge hell ist.
Vom Sinnen- und Verstandeslichte fern
Entstrahlt des Herzens Licht dem Licht des Herrn.
Bei dunkler Nacht siehst du die Farbe nicht,
Also macht klar der Gegensatz das Licht.
Erst nimmst das Licht du, dann die Farbe wahr, -
Das Licht wird durch den Gegensatz dir klar.
So schuf Gott Kummer auch und Leid zum Zwecke,
Dass Freud und Lust ihr Gegensatz erwecke.
Der Gegensatz macht klar das Unsichtbare –
Dunkel bleibt, sein ermangelnd, der Allwahre.
Denn wie die Finsternis vom Lichte lehrt,
Ein Gegensatz den andern so erklärt;
Doch keinen Gegensatz hat Gottes Licht,
Der es enthülle unserm Angesicht.
Wie aus dem Waldgebüsch der Löwe springt,
So dem Gedanken sich das Wort entringt.
Aus der Gedanken Meere taucht der Laut,
Das Wort – dies Meer, wer hat es je erschaut?
Doch siehst du lieblich seiner Reden Welle,
Da weißt du, dass es selber klar und helle.
Aufsteigt im Meer des Wissens der Gedanke
Und tritt als Wort in der Gestaltung Schranke;
Im Worte keimt die Form und stirbt dann hin,
Zum Meere heimwärts es die Wellen ziehn.
Wie in dem Herrn das All, so geht verloren
Die Form im Formlosen, das sie geboren. –
Beständig ist das Weltall im Vergehn,
Um immer neu dann wieder zu entstehn;
Wandelnd zugleich und ruhend allezeit,
Wechselt es jeden Augenblick sein Kleid.
Allzeit verjüngt der Welt sich; doch nicht sehn
Wir in dem Dauernden das Neuerstehn.
Gleich einem Bach fließt immer frisch das Leben
Und deucht ununterbrochen und eben;
Als Linie zeigt es sich um raschen Fluge,
Gleich eines umgeschwungenen Funkens Zuge;
Erscheint ein Feuerbrand doch wie ein Streifen,
Lässt man ihn kreisen in der Luft und schweifen.
Dass lang der Punkt erscheint, macht die Bewegung,
Mach unsrer Sinne schleunige Erregung.
O Weiser, der du ringst, dies zu erklären,
Nur mein Hussam vermag dich zu belehren!

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Dann endlich sah der Leu, der Zornentbrannte,
Wie sich der Hase fernher zu ihm wandte,
Der furchtlos herkam, je selbst übermütig,
Mit zürnender Gebärde, wild und wütig.
Denn es erweckt die Bangigkeit Verdacht,
Doch jeden Zweifel stumm die Kühnheit macht.
Als er gelangt war in des Thrones Nähe,
Da rief der Leu: „Weh dir, du Arger, wehe!
Bin ich’s nicht, der ich Elefanten zwinge,
Ich, der ich mit gewalt’gen Löwen ringe?
Wie kann denn solch ein Hase sich erfrechen,
Meinem Befehl zu trotzen, ihn zu brechen?
Erwach’ vom Hasenschlaf, sorgloser Tor!
Es brüllt der Leu, tu’ Esel, auf dein Ohr!“ –
Der Hase sprach: „Um Gott! Nicht wirst du schuldvoll
Mich finden, wenn du nur mich anhörst huldvoll.“
Der Zeu sprach: „Narr, was sollen Worte frommen?
Ist etwa dies die Zeit, zum Schah zu kommen?
Es gilt den Kopf, du zeitvergessner Hahn!
Torenenschuldigung, wer hört sie an?
Ärger als sein Verbrechen ist des Toren
Entschuldigung, ein Gift für weise Ohren!
Ein Langohr wär’ ich, wenn auf deine leeren
Entschuldigungen, Has’, ich wollte hören!“ –

Er sprach: „Vergönne mir ein Wörtlein nur
Und höre, welche Schmach mir widerfuhr.
Bei deines Herrschertumes Glück und Segen!
Vertreib’ mich Irren nicht von deinen Wegen.
Denn fließt auch jedem Strom sein Nass vom Meere,
Kein Halm, den nicht das Meer nach oben kehre;
Das Meer verringert diese Gnade nicht,
Sie bringt ihm Nutzen nicht und Schaden nicht.“
Der Leu sprach: „Huld mess’ ich nach Ort und Zeit zu,
Je nach dem Wuchs schneid’ ich der Leute Kleid zu.“
Drauf jener: „Hör’,, ob ich der Huld nicht wert; -
Schwebt doch ob meinem Haupte des Sornes Schwert!
Früh morgens brach ich auf in eines anders
Begleitung, um zur Hofburg hinzuwandern.
Denn einen zweiten Hasen hatte mir,
Herr, für dich beigesellt das Waldgetier.
Da plötzlich ist ein Leu auf und gestoßen,
Der überfiel die wandernden Genossen.
Ich sprach: ‚Wir sind des Herrn der Könige
Getreue Knechte, untertänige.’
Er sprach: ‚Und wer ist der? wie kannst du wagen,
Von solchem nicht’gen Wesen mir zu sagen?
Dich selbst samt deinem Schah zerreiß’ ich schnelle,
Wenn ihr zu weichen denkt von meiner Schwelle.’
Ich sprach: ‚Nur heut noch lass’ dem Angesichte
Des Schahs mich nahn, dass ich von dir berichte.’
Er sprach: ‚So lass den andern hier als Bürgen,
Sonst halt’ ich’s für erlaubt, dich zu erwürgen.’
Mein Flehn war fruchtlos, er behielt bei sich
Meinen Gefährten und entließ nur mich.
An zartem, süßem, fettem Fleisch gewährte
Dreimal so viel als ich, Herr, mein Gefährte.
Den Weg zu dir hemmt fürder jener Leu;
So steht’s um dich, ich künd’ es dir getreu.
Fortan auf Unterhalt dir Hoffnung spare!
Ich red wahr, und – bitter ist das Wahre.
Willst ferner du dein täglich Mahl, so treibe
Den Räuber fort, dass rein die Strafe bleibe.“
Er sprach: „Wohlan, wir wollen zu ihm gehen;
Tritt vor, und sprichst du wahr, - wir werden’s sehn –
So straf’ ich ihn, - ja hundert seinesgleichen!
Doch lügst du, da wird dich mein Zorn erreichen.“
So führte als Wegweise jenen Leuen
Der Has’, um den Verderben ihn zu weihen,
Hin zu dem Garne, das er ihm gespannt,
An eines ihm bekannten Brunnen Rand.
Trüglich wie Wasser überdeckt mit Spreu,
Ging hin zum Brunn der Has’, mit ihm der Leu.
Ob auch die Flut die Spreu zur Ebene trage,
Doch rückt sie nimmer Berge aus der Lage!
Dem Löwen ward des Hasen List zu Schlinge, -
O dass des Hasen Trug den Löwen zwinge!
So zog der Pharao mit Herr und Troß
Einst Moses in des Nilstroms Wellenschoß;
Und eine Mücke, klein und flügelschwach,
Den Schädel Nimrods schonungslos durchstach.
So ging es dem, der Rat annahm vom Feinde.
So dem, der sich den Neider kor zum Freunde,
Dem Pharao, der auf den Haman hörte,
Dem Nimrod, der mit Satan gar verkehrte.
Redet mit süßer Stimme die dein Feind
Von Körnern, - wiss’, ein Netzt ist, was er meint;
Er spricht von Rosen, und er meint den Dorn,
Von Wonn’ und Huld, und denkt an Grimm und Zorn.
Ein jähes Unglück blendet dein Gesicht,
Wer Freund ist und wer Feind, du weißt es nicht.
Fühlst du dich also blind, dann klag’ und bete,
Weinend und fastend deinen Leib ertöte,
Und sprich: „O du, dem klar mein Tun und Sinnen,
Lass mich dem Fels der falschen Wahl entrinnen!
Ob hündisch frech wir dein Verbot nicht scheuen,
du Löwenschöpfer send’ uns nicht den Leuen!
Des Feuers Wut leih’ nicht der milden Flut,
Und zeig und nicht, wie Fluten kühl’ die Glut!“ –

 

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