Leben des Mewlana Dschelal
ed-Din Rumi Muhammed, Ibn Muhammed, Ibn Hassan, el-Balchi,
el-Bekri.
Als das
Vorbild der Wahrheitsforscher hienieden, der Reinen, - ist
Mewlana geehrt bei den Großen unter den Völkern und den
Kleinen, - den Vornehmen und Gemeinen, - es ist sein keusches
Herz ein Schatz von göttlichen Geheimnissen, - und sein
übersprudelnder Gedanke des Platz, auf den unendliche Lichter
sich ergießen – und niederfließen; - seiner Rede Anmut macht
klar die Rätsel der Welt, der unsichtbaren, - sie macht
offenbar – durch die Kunde des Gewissen, Klaren, - den Weg zum
Wesen des Wahren. - Sein Pfad letzt den in glühenden Strebens
Tale Lechzenden, Erstickenden – mit der Erkenntnis
Lebenswasser, dem würzigen, erquickenden, - und leitet den
Irrenden aus der Unwissenheit, der dem Ziele entrückenden, -
auf den geraden Weg, den beglückenden. - In allen Kreisen sind
seine Worte hochgeehrt, - bei allen Weisen ist sein Wissen und
seine Erkenntnis hochbewährt, - und keinem Schreibrohr ist die
Kraft beschert, - seine Vollkommenheit nach Wert – zu preisen
und zu rühmen, - und sie zu beschreiben nach Geziemen.
Hält es
für möglich auch die Phantasie,
sein Lob in Worte einzufassen,
Sie selbst erfasst Mewlanas Lob ja nie -
Wie sollt' es in die Rede passen?
Doch ich will
absehen von meinen Schwächen – und Gebrechen, indem ich sein
Auftreten und seine Geschichte – nach den Worten Dewletschahs
berichte.
Mewlana war
aus Balch gebürtig, wo selbst sein Vater Beha ed-Din, aus
einer der ausgezeichnetsten und angesehensten dortigen
Gelehrtenfamilien, sich zur Zeit des Sultans Muhammad
Charezm-Schah durch seinen Unterricht in den
metaphysischen und positiven Wissenschaften bei seinen
Mitbürgern ein solches Ansehen und Zutrauen erworben hatte,
dass zu seinen Predigten, seinen Erbauungs- und Lehrstunden
der größte Zulauf von Vornehm und Gering stattfand. Der Sultan Muhammed Charezm-Schah begann aus diesen Gründen den Beha ed-Din zu beneiden und zu beargwohnen; dieser aber bemerkte seine
Anfeindungen und nahm sich aus denselben Anlass vor, mit seiner ganzen
Familie, seinen Freunden und einer großen Anzahl seiner
Anhänger von Balch auszuwandern und die Pilgerfahrt
anzutreten, indem er einen Eidschwur tat, solange Muhammed in
Balch und Chorassan herrschte, nicht dahin zurückzukehren. Der
Weg führte ihn mit seinen Begleitern über Nischabur, wo selbst
der Scheich Ferid ed-Din Attar ihn besuchte und
ihm, auf Dschelal ed-Din deutend, der damals noch ein Knabe
war, sagte: „Habe acht, dieser dein Sohn wird in den Glühenden
in der Welt eine helle Lohe anfachen!“ - Attar schenkte dem
Knaben auch sein Buch über die Geheimnisse. Alsdann brach die
Pilgerschar von Nischabur wieder auf und hüllte sich in das
Wollkleid, um die Reise nach dem Hause
Gottes anzutreten. In jeder Stadt, welche sie auf ihrem Wege
berührten, ehrten und bewirteten die Vornehmen den Beha ed-Din
und machten sich seine Aufschlüsse über metaphysisches und
positives Wissen zunutze. Der in der Philosophie unerreichbare
und in der Sufi-Weisheit unvergleichliche Burhan ed-Din
Muhakknk Termedi schloss sich den Reisenden an und machte den
Beha ed-Din und de Dschelal ed-Din zu seinen Schülern
(Muriden), indem er ihnen den Sufismus erörterte. Als sie vom
Lande Hedschaz, dem erbarmenspendenden, heimkehrten, zogen
sie, um die Grabstätten der Propheten – Heil über sie! - zu
besuchen, nach Damaskus, woselbst angelangt, Burhan ed-Din
Termedi zur Ewigkeit hinüber ging. Man hatte auf der Reise dem
Beha ed-Din empfohlen, sich nach dem Lande Rum zu begeben, ein
Rat, dem er mit seiner Familie und seinen Genossen Folge
leistete. Es war während der Regierungszeit des 'Ala ed-Din
Keikobad, als er in Konia anlangte, welche Stadt
er sich als Wohnort auserlas. Da-selbst beschäftigte er sich
mit Lehren und Predigten und erwarb sich so allgemeine Liebe
und Verehrung, dass 'Ala ed-Din selbst mit seinen Söhnen und
Emiren Beha ed-Dins Schüler (Muriden) wurden und das ganze
Volk ihm anhing. Auf die alle Beschreibung hinter sich
zurücklassende Ehrfurcht, die ihm da erwiesen wurde, spielt
Sultan-Weled in folgenden Versen des Gedichtes
an, in welchem er das Leben seines Vaters und Großvaters
erzählt:
Es kam
nach Konia des Sohnes Preis,
Und Rums Emire ehrten hoch den Greis.
Nicht bloß 'Alla ed-Din, der Schah, das ganze
Volk neigte sich vor seiner Weisheit Glanze.
Noch mehrere
Jahre war Beha ed-Din als Haupt und Vorbild der Gelehrten in
Rum mit der Verbreitung der Wissenschaften beschäftigt, und
dann entschlief er in Gott, indem er durch sein Testament
seinen Sohn Dschelal zu seinem Nachfolger im Unterricht und
der Leitung auf dem Glaubenspfade und zum Muster für seine
Anhänger empfahl. Sultan-Weled hat darüber folgende Verse
gedichtet:
Als auf
dem Pfad der Wohltat und der Spende
Des Sohnes Preis erreicht' des Lebens Ende,
Als er die Seele Gott zurückgegeben
Um dem verlassenen Haus sich zu entheben,
Da ward niemandem kund, dass eine Leiche
Aus der Genossenschaft der Menschen weiche;
Ob schmerzlich auch sein Scheiden aus der Welt -
Als sein Nachfolger ward Dschelal bestellt!
Später
übertraf Dschelal ed-Din seinen Vater um das Doppelte an
Kenntnissen, Tugend und Ruhm, und wie man behauptet, pflegte
er seine Lehrvorträge vor einem Kreise von vierhundert
Zuhörern zu halten. Doch fand er kein Gefallen an den
positiven Wissenschaften, und kann darauf, aus den Banden der
Form in das Gebiet des Geistes zu dringen. Zu diesem Behufe
verkehrte er viel mit dem Scheich Salah ed-Din Zerkubi, einem
ausgezeichneten Manne, und dem berühmten Derwisch Achi Türk,
bis er sich endlich dem gelehrten Scheich Hussam ed-Din
Tschelebi aus Konia in die Arme warf. An diesen sind unter
andern die folgenden Verse im Mesnevi gerichtet (im Eingang
des dritten Buchs):
So ordne
denn, Hussam, zu drittenmal
Ein Buch, denn drei ist eine heil'ge Zahl!
Mein Lied, es ward verzögert eine Weile,
Denn Zeit will's, dass sich Blut zu Milch zerteile.
Nachdem
hierüber einige Zeit verflossen, trat in der späteren
Lebensperiode Mewlanas Schems ed-Din Tebrizi auf. Über die
Lebensumstände desselben bemerke ich folgendes: Sein Vater,
Ehand 'Ala ed-Din, ein ismaelischer Da'i
(Sendbote) aus dem Stamme Buzurg-Umid, hatte sich von der
Sekte seiner Vorfahren losgesagt, die ketzerichen Traktate und
Bücher verbrannt, in den Städten und Schlössern der Ketzer dem
Islam Geltung verschafft und seinen Sohn, Schah Schems ed-Din,
von dem hier die Rede ist, zum Unterricht in Wissenschaften
und Moral heimlich nach Tebriz gesandt. Daselbst lag also
Schems ed-Din seinen Studien ob. Derselbe war in seinen
Jünglingsjahren so schön, dass er alle Vorsicht anwenden
musste, um keinem unwürdigen Weibe in die Hände zu fallen. Er
erlernte von den Tebrizerinnen die Goldstickerei, weshalb er
auch Schems Zerduzi ( der Goldsticker) genannt wird. - Andere
behaupten, er sei der Sohn des Ehand 'Ala ed-Din mit dem
Beinamen Bu-Mussulman gewesen, der das Gedicht Silsilet
ez-Zeheb (die Goldkette) geschrieben; doch ist dies ein
Irrtum. - Andre geben ihn für den Sohn eines Zeughändlers in
Tebriz aus, und noch andre sagen, sein Vater sei aus dem
Distrikte Bäzer in Chorassan gebürtig gewesen und in
Handelsinteressen nach Tebriz gekommen, woselbst Schems das
Licht der Welt erblickt habe. Doch dies ist gleichgültig, denn
es ist nicht auf die Form zu sehen, sondern auf den Geist, da
ja nur die Vertrautheit mit der Seelenwelt Genuss gewährt und
nicht die leibliche Geburt.
Der traute
Kenner dieser Stadt nur weiß,
Wo seil die Ware ist, danach wir streben.
Als nun
Schems in der Welt berühmt und durch seine großen Fähigkeiten
der Wonnepfad in seinem Herzen beblümt ward, begab er sich zu
dem Scheich der Scheiche, dem gelehrten Rukn ed-Din Sendschani
– dem Gott gnädig sei! - einem der Jünger des Scheich ul-Islam
wieder ein Schüler des Scheich Ahmed Ghazali, von dem ab die
Linie der mystischen Ordenshäupter von Schülern zu Lehrern
durch die folgenden Namen aufsteigt:
von diesem ab
teilt sich der Statt in zwei Arme, von denen der eine durch
'Ali ben-Mussa er-Riza – an welchem Gott Wohlgefallen habe! -
von Sohn auf Vater bis zu der Glorie aller Wesen, Muhammed –
Heild über ihn! - hinaufgeht, und der andere von demselben
Kerchi ab durch den Scheich Abu-Suleiman ben-Dawud Tan, den
Scheich Habib Adschemi und den Scheich Hassan Basri sich zu
dem Chalifen Ali ben-Abi-Talib – dessen Person Gott gnädig
sei! - hin erstreckt.
Da, wo der
Quelle des Stroms der Gottesnähe
Erglänzt, da ist des Derwischstammes Höhe.
Schems ed-Din
wurde also ein Jünger des vorgenannten Rukn ed-Din, welchem in
der erwähnten Reihenfolge die Scheichwürde zurückgenommen war.
Das Vertrauen, die Rücksicht und Sorgfalt, welche dieser
Scheich ihm widmete, auf der einen, und seine Entsagung nebst
seinem Fleiße auf der andern Seite ließen ihn der Wahrheit und
der Erkenntnis teilhaftig werden und den höchsten Grad
erreichen. Eines Tages sprach zu ihm der Scheich Rukn ed-Din:
„Im Lande Rum ist ein vom Feuer der Liebe Ergriffener; du
musst hin geht und diese Glut zur hellen Flamme anschüren.“
Schems unterwarf sich augenblicklich diesem Befehle und begab
sich nach Kleinasien. Bei seiner Ankunft in Konia erblickte er
den Mewlana, auf einem Maultiere reitend, inmitten einer
großen Schar Gelehrter, welche neben seinen Steigbügeln gingen
und ihn von der Schule nach Hause geleiteten. Seine Ahnung
sagt ihm alsbald, dass dies der Gegenstand seiner Wünsche und
seiner Sehnsucht sei; er trat deshalb zu ihm und fragte ihn,
indem er neben ihm ging: „Was ist der Zweck dieser Anstrengung
und Entsagung, dieser immer erneuten Beschäftigung mit dem
positiven Wissen und dieses Fleißes?“ - „Der Zweck meines
Strebens“, antwortete Mewlana, „Ist der Wandel, wie ihn die
Überlieferung, die Sittenlehre, der Orden und das göttliche
Gesetz vorschreibt.“ - „Alles dies“, entgegnete Tabrizi, „ist
nur die Oberfläche!“ - „Aber was ist denn unter derselben?“
fragte Mewlana. - „Nur das vollkommene Einswerden mit dem
Gewussten“, erwiderte Schems, „heiße ich Wissen.“ Dabei führte
er ihm folgenden Vers des Senaji an:
Nur wenn
dein Wissen von dir selber dich befreit,
Nenn' ich das Wissen besser als Unwissenheit.
Diese wenigen
Worte machten auf Mewlana den lebhaftesten Eindruck, so dass
er alsbald den Schems mit Fragen bestürmte und in steter
Unterhaltung mit ihm einsame und öde Gegenden aufsuchte. Da er
aber deshalb den Unterricht versäumte, so verhöhnten und
verfolgten seine Schüler und Anhäger den Schems, der, wie sie
sagten, barhaupt und barfuß dahergekommen, um das Muster der
Gläubigen von seinem Wege abzuleiten. Solcher Tadel und Spott
veranlasste den Schems ed-Din, ohne Mewlanas Vorwissen nach
Tebriz zu entfliehen; letzterer aber, seine Liebe und
Sehnsucht nach jenem Weltenpole nicht zu beherrschen
vermögend, folgte ihm nach, fand ihn auf und führte ihn selbst
nach Kleinasien zurück. In innigem Zusammenleben verstrich
dann beiden wieder einige Zeit; als aber Mewlanas Schüler und
Anhänger ihre Anfeindungen gegen den Schems fortsetzten, sah
dieser sich genötigt, eine Reise nach Syrien zu machen, wo
selbst er sich zwei Jahre aufhielt. Unterdessen übte Mewlana
in seinem Trennungsschmerze bei Tag und Nacht den mystischen
Reigen und befahl, dass man denselben mit sehnsüchtigen
Melodien auf der Flöte begleitete. Wie man erzählte, befand
sich in seinem Hause eine Säule, welche er, wenn die
Liebesbegeisterung über ihn kam, erfasste und umkreiste,
zugleich Verse sprechend, welche dann von den Anwesenden
niedergeschrieben wurden. - Jedoch haben wir uns hier nicht
die Aufgabe gestellt, alle Einzelheiten aus dem Leben Mewlanas
aufzuzeichnen, und verweisen wir deshalb auf das Weled-Name,
ein Werk, das ein jeder mit Genuss lesen wird. Mewlanas
herrlicher Diwan enthält 30 000 Doppelverse, der
Mesnewi-i-scherif soll 40 000 enthalten. Die meisten Gedichte
in seinem Diwan erwähnen in den Schlussversen den Schems
ed-Din. Hier ein unvergleichliches Ghasel aus dieser Sammlung:
Die
Pilger, die zur Kaaba ausgegangen,
Wenn endlich sie zum Ziele hingelangen,
Sehn sie ein Haus von Stein, erhaben, heilig,
Von kahlen Talabhängen rings umfangen.
Sie ziehen aus und hoffen Gott zu schauen -
Sie suchen viel, umsonst ist ihr Verlangen!
Doch schallt wohl eine Stimme aus dem Tempel,
Wenn dessen wohl eine Stimme aus dem Tempel,
Wenn dessen Schwell' inbrünstig sie umfangen:
„Was betet ihr zu Ton und Stein, ihr Toren?
Das Haus verehrt, nach dem die Reinen rangen!
Des Herzens Haus, das Haus des Wahren, Einen;
O selig, die in diesen Tempel drangen!
Heil denen, die da ruhn wie Schems daheim
Und kosten nicht den Wüstenpfad, den langen!“ -
Im Mesnewi
beziehen sich folgende Verse auf Schems ed-Din:
Kein Wesen
gleicht der Sonn' an Majestät, -
Liebe, der Seele Sonn', nie untergeht.
Einzig die Sonn' die Körperwelt bestrahlt,
Jedoch ihr Abbild wohl eine Künstler malt.
Der Seel Sonn' ist ohne äußre Spur,
Ihr gleich im Geist nichts, nichts in der Natur. -
In meinem Adern glüht ein wild Entzücken,
Kann mir des Freundes, des einz'gen Lob da glücken? -
Als Mewlana
zu dem Alter von 96 Jahren gelangt war, starb er zu Konia im
Jahre der Flucht 672 (1273 nach Chr.). Wie sehr seine
gesegnete Grabstätte reich und besucht, aller Welt Zuflucht,
der Pilger Ziel und der Liebegetriebenen Hoffnungsbucht
geworden, ist bekannt bei groß und klein in jedem Volk und
jedem Land. Nach seinem Tode folgte ihm sein
Sohn Sultan-Weled, dessen Buch Weled-name von seiner
Gelehrsamkeit, seiner Erkenntnis und seinem Eindringen in die
Wahrheit Zeugnis ablegt. Schems Tebrizi starb nach Mewlana und
wurde ebenfalls in Konia begraben. Man erzählt, die Bewohner
dieser Stadt hätten den Schems aus Rache für den Anlass, den
er ihrer Meinung nach dem Mewlana gegeben, in seiner
Begeisterung dem Unterrichte zu entsagen, dadurch umgebracht,
dass sie die Söhne des letzteren angestiftet, eine Mauer auf
ihn zu stürzen. Aber keine Chronik erwähnt dieser Erzählung,
die daher als ein bloßes Derwischgerede anzusehen ist und in
keiner Weise Glauben verdient.
Der Weise
nur lässt in des Weisen Herz uns sehn,
Tebrizi nur lässt und Dschelal ed-Din verstehn!
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Von diesem
Berichte des Dewletschah über das Leben Dschelal ed-Dins ist
des Molla Dschami, welcher sich in seinem Buche
Nafahhat-ul-Uns (Vertraulichkeitshauche) findet, verschieden;
wir teilen deshalb auch diesen in Übersetzung mit.
Wie Dschami
erzählt, wurde Mewlana den 6. Rubi'-ul-Ewwel des Jahres der
Flucht 604 (1207 n. Chr.) zu Balch geboren. Der Überlieferung
zufolge haben sich ihm von seinem sechsten Lebensjahre an die
in den Gewölben der Herrlichkeit (den Himmeln) verborgenen
geistigen Gestalten und unsichtbaren Wesen, d.h. Die
wohlgesinnten Engel, die frommen Genien und die heiligen
Menschen geoffenbart und körperlich gezeigt.
Beha ed-Din
Weled, Mewlanas Vater, erzählt in der von ihm selbst
niedergeschriebenen Sammlung seiner Werke folgende Anekdote:
Als Dschelal ed-Din in Balch sein sechstes Jahr erreicht
hatte, ging er eines Freitags mit einer Schar Kinder auf
unsern Dächern umher. Die Kinder sprachen untereinander:
„Kommt, lasst uns von diesem Dache auf jenes springen!“ -
„Nicht doch!“ sagte er, „ein solches Tun und Können ist Sache
der Hunde, Katzen und anderer Tiere; für Menschen ist es eine
Schande, sich damit zu beschäftigen! Wenn eure Seele kräftig
und euer Geist stark ist, so kommt und lasst uns auf gen
Himmel steigen!“ Nach diesen Worten verschwand er aus den
Augen der Kinder; als aber diese zu schreien und zu wehklagen
anfingen, kam er einen Augenblick darauf bleich und mit
verstörten Blicken zurück und sprach zu seinen Gefährten: „Als
ich eben mit euch redete, gewahrte ich eine Anzahl Männer in
grünen Oberkleidern, die mich aus eurer Mitte herausrissen
und mich die Firmamente durchkreisen ließen. Sie zeigten mir
das wunderbare Himmelreich; da aber euer Wehgeschrei hinauf
gelangte, brachten sie mich wieder hierher zurück.“ -
In dieser
Lebensperiode brach Mewlana nur jeden dritten oder vierten Tag
sein Fasten. Als einen weisen Ausspruch von ihm führt man an,
er habe gesagt: „Ich bin nicht dieser Leib, durch den ich in
den Augen der Liebenden Wohlgefallen finde, nein, ich bin jene
Wonne und jene Luft, wodurch das Innere des nach Erkenntnis
Strebenden aufgeregt wird. Bei Gott! Wenn dir dieser Hauch
zuteil wird und du diese Wonne kostest, so rechne es als
Gewinn und danke Gott, denn das bin ich.“
Man sagte dem
Mewlana, es habe jemand mit Seele und Herz (der Frommen)
Diener, „es ist dies eine nichtige Lüge, die von Mund zu Mund
geht. Wo hat denn jener Tor solch ein Herz und solch eine
Seele gefunden, dass er den Dienst der Edlen auf sich nähme?“
- Dann sah er den Hussam ed-Din Tschelebi an mit den Worten:
„Bei Gott! Knie an Knie muss der Mensch bei den Freunden
Gottes sitzen, damit ihre Nähe auf ihn einwirke:
„Sei von
ihm ferne keinen Augenblick;
Denn in der Ferne wächst dein Missgeschick.
Sei allezeit bei ihm, so lang du bist,
Denn nur die Näh' ist's, draus die Liebe sprießt.“
ein anderer
Ausspruch Mewlanas ist folgender: „Wenn auch der Vogel, der
sich von der Erde in die Luft aufschwingt, den Himmel nicht
erreicht, so ist er doch dem Netze fern und deshalb frei. Wenn
jemand Derwisch wird und auch den höchsten Grad des
Derwischtumes nicht erreicht, so ist er doch in dem großen
Haufen, unter den irdisch gesinnten Menschen, ausgezeichnet,
da er über den weltlichen Beschwerden steht und Leichtigkeit
gewinnt. Denn die Leichten entrinnen, aber die Schweren kommen
um.“
Ein Sohn der
Welt bat in Mewlanas hoher Gegenwart um Verzeihung, dass er
seine Aufwartung nicht gemacht habe. „Du brauchst dich nicht
zu entschuldigen,“ antwortete ihm Mewlana, „andere
verpflichtet dein Kommen, mich aber verpflichtet dein
Nichtkommen.“ - Als er eines Tages einen seiner Freunde
betrübt sah, sagte er: „Alle Herzensbeengung hat ihren Grund
im Haften an dieser Welt. So oft du dich frei von dem
Irdischen fühlt und erkennt, dass du hienieden nur ein Fremder
bist, bei jeder Farbe, die du siehst, und bei jeder Speise, du
du kostest, sollst du gedenken, dass dies alles vergänglich
ist; dann wirst du, wo du auch bist, nie traurig sein.“ -
Desgleichen sagte er: „Ein freier Mann ist der, den die
Beleidigungen der Menschen nicht schmerzen, und ein Held ist
der, welcher den Beleidigungen Verdienenden nicht beleidigt.“
-
Wie man
erzählt, stand Mewlana mit dem Siradsch ed-Din aus Konia, einem
vornehmen und bei seinen Zeitgenossen sehr angesehenen Mann,
nicht im besten Vernehmen. Eines Tages erzählte man letzterem,
Mewlana habe geäußert, er sei mit allen dreiundsiebzig Sekten
einverstanden. Siradsch ed-Din, ein ränkesüchtiger Mann,
beschloss, dies zu benutzen, um den Mewlana zu kränken und zu
beleidigen. Er schickte deshalb einen Gelehrten aus seinem
Gefolge ab, um Mewlana in einer großen Versammlung zu fragen,
ob er jene Äußerung getan, und ihn im Bejahungsfalle zu
schelten und zu verhöhnen. Jener Gelehrte begab sich deshalb
zu Dschelal ed-Din und fragte ihn: „Hast du gesagt, du seiest
mit den dreiundsiebzig Sekten einverstanden?“ - „Allerdings,“
antwortete Mewlana, „und ich sage es noch immer.“ Alsbald fing
der Gelehrte an, ihn zu schmähen und Schelteworte auf ihn zu
häufen. Mewlana aber sagte lächelnd: „Auch mit dem, was du da
sagst, bin einverstanden.“ - worauf der Gelehrte beschämt
fortging.
Der Scheich
Rukn ed-Din erzählt: „Unter den Aussprüchen Mewlanas hat mir
immer der ganz besonders gefallen, dass er zu seinem Diener,
wenn dieser auf seine Frage, ob für den Tag etwas zu leben im
Hause sei, verneinend antwortete, voller Freude und Gott
dankend sprach: „Heute gleicht mein Haus dem unseres
Propheten“; dass er aber, wenn sein Dieser ihm sagte: „die
Küche ist reichlich versorgt“, sich härmte und sprach: „Aus
unserem Hause steigt ein Pharaonenduft auf!“ - Zur Erleuchtung
bei der Mahlzeit zündete er nur Öllampen an und sagte dabei:
„Dieses (etwa Wachskerzen) des Königen, - dieses den Bettlern
(Derwischen).“ - Man erzählt, einst habe man bei seiner
Mahlzeit von dem Scheich Auhhab ed-Din Kirmani geäußert: „Er
liebt wohl Ungeziemendes begangen.“ - „Hätte er's nur getan,“
sprach Mewlana, „damit es vorbei wäre“ (d.h., damit seine
Phantasie wieder rein würde).
Unendlich,
Bruder, ist das Himmelszelt,
Vor Gott steh', wo du wandelst auf der Welt! -
Eines Tages
sagte Mewlana: „Die Laute (Rabab) hat den Ton des Knarrens der
Paradiesestür, und wir vernehmen es!“ - Ein Spötter, der dies
hörte, sprach: „Den Laut höre ich auch; aber warum entzündet
er mich nicht, wie er den Mewlana entzündet?“ - „Behüte und
bewahre!“ entgegnete Mewlana, „was wir hören, ist der Laut der
sich öffnenden Pforte, du aber vernimmst den Laut der sich
schließenden.“ -
Mewlana
erzählte einst: „Jemand trat in die Zelle eines Derwisches und
fragte ihn: 'Warum sitzest du so allein?' der Derwisch aber
antwortete: 'Jetzt, wo du eintrittst, bin ich freilich allein,
denn du trennst mich von Gott.“ -
eine Gemeinde
ersuchte den Mewlana, die Imamwürde anzunehmen, als eben der
Scheich Sadr ed-Din gegenwärtig war. Mewlana erwidere: „Ich
gehöre zu den Derwischen, die sich überall nieder setzen und
aufstehn; die Imamwürde“, fügte er hinzu, auf den Sadr ed-Din
weisend, „erfordert einen von der Sufilehre durchdrungenen,
sich selbst beherrschenden Mann.“ Sadr ed-Din wurde demnach
Imam. Mewlana pflegte auch zu sagen: „Ein gottesfürchtiger
Imam als Vorbeter ist des Propheten vollkommener Vertreter.“
Als Mewlana
eines Tages den Reigen aufführte, fiel es einem Derwisch ein,
ihn zu fragen, was die Armut sei. Mewlana
antwortete, seinen Reigen fortsetzend, mit folgender Strophe:
Die Armut
ist der Stoff, o merk' es dir,
Es ist vergänglich alles außer ihr.
Die Armut ist Genesung für und für,
Und Krankheit ist was alles außer ihr.
Des Zuges und Betruges voll, enthält
Nur dies verborgne Gut die ganze Welt.
Man fragte
den Mewlana: „kann auch ein Derwisch sündigen?“ - „O ja“,
sagte er, „wenn er ohne Hunger isst; denn ohne Hunger zu essen
ist für einen Derwisch ein großes Vergehen.“ - Desgleichen
sagte er: „Der Umgang ist etwas Heiliges, darum lasst euch nur
mit Söhnen eurer Art (d.h. Euresgleichen) auf Unterhaltung
ein. In diesem Sinne hat mein Meister Schems Tebrizi gesagt:
'Das Kennzeichen der unter die Muriden Aufgenommenen ist, dass
sie sich nie mit Fremden unterhalten, und, wenn plötzlich ein
Unbekannter in ihre Unterhaltung einfällt, da sitzen wie der
Heuchler in der Moschee, wie das Kind in der Schule und wieder
Gefangene im Kerker.'“ -
In seiner
letzten Krankheit sprach Mewlana zu seinen Freunden: „Seid
nicht traurig und bekümmert wegen meines Scheidens aus dieser
vergänglichen Welt. Manssurs Licht ist nach
hundertfünfzig Jahren dem Geiste des Scheich Ferid ed-Din
Attar aufgegangen und sein Führer auf den rechten Pfad
geworden. Seid allezeit mit mir und gedenket mein, so will ich
euch helfen, in welcher Hülle auch immer. Zweierlei fesselt
mich an die Welt, der Leib und ihr. Da ich durch Gottes Gnade
des Irdischen entbunden werde und die Welt der Abstraktion
sich vor mir auftut, muss ich doch um euretwillen noch an dem
Leibe haften.“ - Der Scheich Sadr ed-Din machte dem Mewlana
einen Krankenbesuch und sprach zu ihm: „Gott gebe dir
schleunige Genesung und mehre deine Vollkommenheit! Ich hoffe,
dass du gesund werdest; ist doch Mewlana der Geist des
Weltenleides.“ Mewlana erwiderte: „Der Gruß, Gott schenke dir
Wohlsein, sei fortan nur für euch! Der Tod ist das einzige
Hemd, das mich den Liebenden von dem Gegenstande meiner Liebe
trennt; oder wollt ihr etwa nicht, dass das Licht zum Lichte
hingelange, dass auf die strahlende Enthüllung die Vereinigung
mit dem Geliebten folge? Dem Kleid der Phantasie enthebt der
Freund sich klar und rein,
Und frei vom
Leibe wandle ich stolz zum ewigen Verein.“
Als Sadr
ed-Din und die anwesenden Freunde ihrem Schmerz durch Weinen und
Wehklagen Luft machten, sprach Mewlana diese Strophe:
„O wüsstet
von dem König ihr, zu dem des Geistes Wiege
Mich hingetragen, dass ich hier an seine Brust mich schmiege!“
In seinem
letzten Willen befahl Mewlana seinen Freunden Folgendes: „Ich
empfehle euch, Gott, den Allwahren, - zu fürchten im Geheimen
und Offenbaren, - und euch vor dem Übermaß in Speise, Schlaf
und Rede zu wahren, - ferner zu meiden die Scharen – der
Frevler am einigen Gotte, und euch abzuscheiden von der Rotte
der Sünder, der Strafbaren, - emsig zu sein im Fasten und im
Entsagen, - viel aufrecht zu stehn und aller Gelüste auf ewig
euch zu entschlagen, - von aller Welt Beleidigungen zu
ertragen, - euch loszusagen – von den Niedrigen und Gemeinen,
- und aufzusuchen die Frommen und reinen. - Denn der beste
Mensch ist der seinen Mitmenschen Nutzenbringende, - und die
beste Rede die kurze, zur Erkenntnis dringende; - das Lob aber
gebührt Gott, dem Einen!“ -
Man fragte
darauf den Mewlana, wer der Würdigste sei, den Thron seiner
Nachfolge einzunehmen, worauf er antwortete: „Hussam ed-Din
Tschelebi.“ Auf zweimalige Wiederholung der Frage gab er
dieselbe Antwort; als man ihn aber zum vierten Male fragte,
was er denn seinem Sohne Sultan-Weled sage, sprach er: „Der
ist ein Held und bedarf nicht, dass ich ihm etwas
vorschreibe:“ Hussam ed-Din Tschelebi fragte ihn, wer an
seinem Grabe das Gebet sprechen sollte? Er antwortete: „Der
Scheich Sadr ed-Din. - Meine Freunde ziehen mich herwärts,
aber Schems ladet mich ein nach dem Jenseits; o meine Freunde,
ergebt euch in den Willen Gottes, ich muss scheiden!“ - Im
Jahre der Flucht 672 am fünften des Monats Dschumadi-ul-Achyr
um Sonnenuntergang trug – der erhabene Flug – aus dem
Reigensale dieser Welt – seinen siegenden Geist auf zum
Himmelszelt, - um im reiche der Seelen – sich einen neuen
Wohnsitz zu wählen. - Gottes Gnade sei über ihm!