14. Anweisung – An seine Armee vor dem Aufeinandertreffen
auf den Feind bei Siffin
Bekämpft sie nicht, bis sie (den Kampf)
gegen euch begonnen haben, denn ihr habt durch die Lobpreisung
an Allah ein Argument, und dass ihr sie in Ruhe lasst, bis sie
(den Kampf) gegen euch begonnen haben, ist ein weiteres
Argument für euch gegen sie. Wenn sie mit der Erlaubnis Allahs
eine Niederlage (erleiden), dann tötet keinen Fliehenden,
schlagt (mit dem Schwert) niemand Hilflosen, versetzt keinem
Verwundeten den Todesstoß, geratet nicht in Zorn über Frauen,
indem ihr ihnen etwas antut, selbst wenn sie eure Ehre
schmähen (mit schmutzigen Worten) und eure Befehlshaber
beschimpfen, denn sie sind schwach an Kraft, Ego und Verstand.
Wir wurden angewiesen, uns von ihnen fernzuhalten, auch wenn
sie Götzendienerinnen sind. Selbst in der Zeit der
Unwissenheit [dschahiliyya], wenn ein Mann eine Frau an sich
nahm und sie mit einem Stein (schlug) oder einem Stock, dann
wurden er und die, die ihm folgten, beschimpft.
Erläuterung
Die
Verantwortung für den Krieg und den Kampf, der zwischen dem
Befehlshaber der Gläubigen (a.) und Muawiya stattfand, liegt
ausschließlich bei Muawiya, weil er den Krieg anzettelte, in
dem er den Befehlshaber der Gläubigen (a.) fälschlicherweise
des Mordes an Uthman beschuldigte, obwohl die wahren Fakten
über die Ursachen von Uthmans Ermordung sowie über dessen
Mörder ihm nicht unbekannt waren. Doch da es keine andere
Möglichkeit für ihn gab, sein Ziel zu erreichen außer durch
Schaffung eines Anlasses zum Krieg, zog er in den Krieg, um
seine Macht zu bewahren, was auf keinen Fall als erlaubt
angesehen werden kann – wie es bedauerlicherweise manche
Muslime tun – weil Revolte und Rebellion gegen den
rechtmäßigen Imam nach allgemeinem Konsens unter den Muslimen
ungesetzlich ist. Deshalb schreibt Abu Zakarariyya Yahya ibn
Scharaf an-Nawawi
folgendes: „Bekämpft nicht jene, die Befehlsgewalt über
euch haben, noch hegt Ablehnung gegen sie, außer wenn ihr
seht, dass sie Dinge tun, von denen ihr wisst, dass sie
definitiv gegen den Islam verstoßen. Wenn ihr seht, dass sie
solches tun, seht es als etwas Schlechtes an und sprecht die
Wahrheit, wo immer ihr sein mögt, doch gegen sie aufzustehen
oder zu kämpfen ist durch den Konsens der Muslime verboten.“
Muhammad ibn
Abdulkarim Schahrastani schreibt: „Wer immer sich gegen den
wahrhaftigen Imam erhebt durch die Meinungsverschiedenheit der
muslimischen Gemeinschaft, ist als Charidschite bekannt, als
Abweichler. Der gleiche Fall betrifft den Aufstand während der
Tage der Gefährten gegen die rechtmäßigen Imame oder selbst
nach ihnen gegen jene, die sich an ihnen hinsichtlich Tugend
ein Beispiel nahmen“.
Es besteht
kein Zweifel daran, dass Muawiyas Handlung das Resultat von
Aufstand und Revolte war. Und ist ein naturgegebenes Recht des
Angegriffenen und des Unterdrückten, wenn ihm sein Recht
vorenthalten wird und es keine Handhabe mehr gibt, um
Unterdrückung und Tyrannei zu verhindern oder die Rechte (der
Menschen) in der Welt zu schützen, sich dagegen zu
verteidigen. Aus diesem Grund hat Allah erlaubt, gegen
Rebellen zu den Waffen zu greifen, denn Allah sagt:
Und wenn zwei
Parteien der Gläubigen miteinander streiten, dann stiftet
Frieden unter ihnen; wenn aber eine von ihnen sich gegen die
andere vergeht, so bekämpft die Partei, die sich verging, bis
sie zu Allahs Befehl zurückkehrt. Kehrt sie zurück, dann
stiftet Frieden zwischen ihnen nach Gerechtigkeit, und handelt
gerecht. Wahrlich, Allah liebt die gerecht Handelnden.
Das war der
erste Appell, den der Befehlshaber der Gläubigen an seine
Armee herausgab, indem er sagte: „...ihr habt durch die
Lobpreisung an Allah ein Argument...“, aber selbst nach
Beendigung dieses Appells hielt er seine Armee davon ab, beim
Kampf die Initiative zu ergreifen, weil er nicht wollte, dass
die Initiative dazu von seiner Seite ausging und weil er nur
zur Verteidigung zum Schwert greifen würde. Infolgedessen, als
sich all seine Bemühungen um Frieden und Ruhe als fruchtlos
erwiesen und der Feind den ersten Schritt zum Krieg machte,
war das das zweite Argument zu Gunsten der Armee Imam Alis
(a.), da danach der Befehlshaber der Gläubigen (a.) nicht
beschuldigt werden konnte, den Krieg begonnen zu haben, noch
der Aggression angeklagt werden konnte. Vielmehr war es sogar
eine Verpflichtung, die Unterdrückung und Tyrannei zu stoppen,
die er auslöschen musste, und was Allah in klaren Worten
erlaubt hat. Allahs Befehl lautet demnach folgendermaßen:
Und kämpfet
auf dem Wege Allahs gegen die, die euch bekämpfen, doch verübt
keinen Exzess (durch Aggression), denn Wahrlich, Allah liebt
nicht die Exzessiven.
Davon
abgesehen, hieß den Befehlshaber der Gläubigen (a.) zu
bekämpfen, den Propheten bekämpfen, wie der Prophet sagte:
„Oh Ali, dein Frieden ist mein Frieden, und dein Krieg ist
mein Krieg.“
Die
Instruktionen, die der Befehlshaber der Gläubigen (a.) im
Zusammenhang mit dem Krieg thematisierte, dass z.B. kein
Fliehender oder Verwundeter gepeinigt werden soll, sind so
hoch vom moralischen Standpunkt aus gesehen, dass sie als
erhabenes Muster für moralische Werte sowie für den hohen
Standard in islamischer Kriegsführung betrachtet werden
können. Zudem beschränkten sich diese Anweisungen nicht auf
bloße Worte, sondern der Befehlshaber der Gläubigen (a.)
handelte buchstabengetreu danach und befahl anderen, sie
ebenfalls strikt zu befolgen. Er tolerierte zu keiner
Gelegenheit, dass ein Fliehender gejagt, Hilflose gepeinigt
oder Frauen belästigt wurden, und in der Tat änderte er dieses
Prinzip auch nicht auf dem Schlachtfeld der Kamelschlacht, wo
das Kommando der gegnerischen Armee bei einer Frau lag,
nämlich Aischa. Nach der Niederlage und Bezwingung des Feindes
bewies er einen erhabenen Charakter und sandte Aischa nach
Medina unter dem Schutz ihres Halbbruders Muhammad ibn Abu
Bakr, der auf Seiten Imam Alis gekämpft hatte. Wenn er jemand
anders als der Befehlshaber der Gläubigen (a.) gewesen wäre,
hätte er die Strafe beantragt, die für so eine Tat zu erwarten
ist! Daher schrieb Ibn Abu al-Hadid: „Wenn sie das Gleiche
mit dem (Kalifen) Umar getan hätte wie das, was sie mit dem
Befehlshaber der Gläubigen getan und unter dem Volk Rebellion
verbreitet hätte, dann hätte er, nachdem er den Sieg über sie
errungen hätte, sie getötet und sie in Stücke zerschnitten,
aber der Befehlshaber der Gläubigen war sehr nachsichtig und
großherzig.“
Eher in einem
Nebensatz des Aufrufs wird ein Hinweis über Frauen erwähnt,
der sehr häufig zitiert und falsch interpretiert wird:
„…denn sie sind schwach an Kraft, Ego und Verstand.“
Undifferenzierte Betrachter behaupten hier davon aus, dass
Imam Ali (a.) eine abfällige Äußerung gegenüber Frauen
getätigt hätte oder gar, dass der Islam die Frauen „niedriger“
bewerten würde, was aus der Aussage absolut nicht zu schließen
ist. Zunächst einmal geht es an besagter Stelle um den Schutz
der Frauen vor den eigenen Soldaten, denen er jegliche
Übergriffe gegen sie verbietet, selbst wenn sie eure Ehre
schmähen und eure Befehlshaber beschimpfen. Der Hinweis,
dass sie schwach an Kraft sind verdeutlicht, dass Imam Ali
(a.) den Kampf von kräftemäßig Ebenbürtigen anweist und dass
eben nicht Schwächere unter einem Kriegszustand zu leiden
haben. Oft sind damals Frauen mitgezogen, um die Kämpfer zu
versorgen und als Krankenschwestern. Die Schwäche an „Ego“ des
Selbst ist an anderer Stelle eine Stärke! So ist die
Selbstlosigkeit einer Mutter eine besondere weibliche Stärke,
die im Islam gerühmt und geehrt wird. Auf dem Schlachtfeld
allerdings führte sie damals zuweilen zu einer Verhaltensweise
von Frauen, die obwohl ohne Waffen die schlimmsten Schmähungen
gegen gegnerische Soldaten äußerten und diese in Rage sogar
mit bloßen Händen angriffen, und hier fordert Imam Ali (a.)
seine Soldaten auf, darauf nicht zu reagieren und Vernunft
walten zu lassen. In die gleiche Richtung geht der Hinweis
bezüglich „Verstand“. Hier ist nicht “Verstand“ im Sinn von
“Intelligenz“ gemeint, sondern im Sinne von
vernunftdominiertem Verhalten gegenüber gefühlsdominiertem
Verhalten. Es ist eine Tatsache, dass im Islam davon
ausgegangen wird, dass die jeweilige Stärke der Geschlechter
im vernunftdominierten Verhalten beim Mann und
gefühlsdominierten Verhalten bei der Frau liegt. Beides
ergänzt einander ideal im Gesamtleben. In Teilbereichen des
Lebens aber kann das eine oder andere überlegen sein. So ist
z.B. bei der Sprachvermittlung an ein Baby zweifelsohne das
gefühldominierten Verhalten überlegen, während auf dem
Schlachtfeld das vernunftdominierte Verhalten dazu führen
soll, Frauen in keinster Weise zu belästigen, selbst wenn
diese die Soldaten dazu provozieren wollen. Darauf hat Imam
Ali (a.) hingewiesen. Daher darf der Teilsatz auch nicht aus
dem Gesamtzusammenhang gerissen und isoliert betrachtet
werden.