234. Predigt – Verschiedenheit unter den Leuten
Dhi´lib
al-Yamani überlieferte von Ahmad ibn Qutaiba, von Abdullah ibn
Yazid, von Malik ibn Dihya, der sagte: „Wir waren beim
Befehlshaber der Gläubigen (a.), als die Verschiedenheit unter
den Leuten erwähnt wurde, und er sagte:“
Nur die Grundelemente ihres Lehms [tiyn]
(aus dem sie geschaffen wurden) schaffte eine Trennung
zwischen ihnen, und jenes deshalb, weil sie ein Stück salziger
oder süßer Erde waren, und aus hartem oder weichem Lehm. Sie
sind in dem Maße einander nahe, wie nahe sie ihrer Erde sind,
und sie unterscheiden sich voneinander in dem Maße ihrer (der
Erde) Verschiedenheit. Mancher von schönem Anblick ist
defizitär im Verstand, (manch) eine hochgewachsene Person ist
von geringem Mut, (mancher) von reiner Tat sieht (äußerlich)
hässlich aus, (manch) kurz Gewachsener besitzt Weitsicht und
tiefen Einblick, (manch) von guter Natur besitzt dennoch einen
schlechten Charakterzug, (mancher) mit verwirrtem Herzen hat
einen zerstreuten Verstand, und (manch) Scharfzüngiger besitzt
ein scharfsichtiges Herz.
Erläuterung
Der
Befehlshaber der Gläubigen (a.) hat die Unterschiede in
Erscheinung und Charakter der Menschen den Unterschieden im
Lehm zugeordnet, aus dem sie erschafften wurden und danach,
wie ihre Gestalten und die Skelette ihrer Charaktere geformt
sind. Deswegen, in dem Ausmaß, dass der Lehm ihres Ursprungs
verwandt ist, so werden auch ihre mentalen und einfallsreiche
Tendenzen ähnlich sein, und in dem Maße, in dem sie sich
unterscheiden, wird es auch Unterschiede in ihren Neigungen
und Tendenzen geben. Mit Ursprung einer Sache sind die Dinge
gemeint, von denen abhängt, ob etwas in Existenz kommt, aber
sie sind nicht ihre Ursache. Das im Text verwendete Wort
“tiyn“ ist der Plural von “tiynah“, welches Ursprung oder
Basis bedeutet. Hier bezeichnet “tiyn“ den Samen, der, nachdem
er verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen hat, eine
menschliche Gestalt bekommt. Sein Ursprung sind die
Inhaltsstoffe, aus denen jene Elemente geschaffen wurden, die
den Samen mitformen. Deswegen bezieht sich “salzige“, “süße“,
“weiche“ oder “harte“ Erde auf jene elementaren Inhaltsstoffe.
Da jene elementaren Inhaltsstoffe verschiedene Eigenheiten
tragen, wird auch der Samen, der aus ihnen wächst,
verschiedene Charakteristiken und Neigungen haben, die
zuweilen in den unterschiedlichen Gestalten und Verhalten
jener (Menschen), die darin enthalten sind, zum Tragen kommen.
Ibn Abu
al-Hadid hat in seinem Scharh Nahdsch-ul-Balagha, Band 13, S.
19 geschrieben, dass der Ursprung von “tiynah“ jene
erhaltenden Faktoren bezeichnet, die in ihrer Beschaffenheit
unterschiedlich sind, wie Plato und andere Philosophen
meinten. Der Grund, warum sie “die Ursprünge von tiynah“
genannt werden, liegt darin, dass sie als Refugium für den
menschlichen Körper dienen und die Elemente daran hindern,
sich zu zerstreuen. Genauso wie die Existenz einer Sache von
ihrer Grundlage abhängt, so hängt auch in der gleichen Weise
die Existenz eines Körpers, der aus Elementen besteht, von
erhaltenden Faktoren ab. So lange der erhaltende Faktor
existiert, ist der Körper ebenfalls sicher vor
Auseinanderbrechen und Desintegration, und die Elemente sind
dann auch vor Zerstreuung geschützt. Wenn er den Körper
verlässt, werden die Elemente ebenfalls zerstreut.
Nach dieser
Erklärung könnten die Aussagen des Befehlshabers der Gläubigen
(a.) bedeuten, dass Allah verschiedene Ursprungsfaktoren
erschaffen hätte, unter denen einige lasterhaft und einige
tugendhaft sind, manche schwach und manche stark wären, und
jeder Mensch würde nach seinem Ursprungsfaktor handeln. Wenn
es eine Ähnlichkeit gibt im Charakter von zwei Menschen, läge
es daran, dass ihre Ursprungsfaktoren ähnlich sind, und wenn
ihre Tendenzen differieren, dann weil ihre Ursprungsfaktoren
keinerlei Ähnlichkeit aufweisen. Aber diese Schlussfolgerung
ist nicht korrekt, weil die Worte des Befehlshabers der
Gläubigen (a.) sich nicht nur auf Unterschiede im Verhalten
beziehen, sondern auch auf Merkmale und Gestalt, und die
Unterschiede von Gestalt und Form nicht das Ergebnis der
Unterschiede der Ursprungsfaktoren seien.
Auf jeden
Fall, ob die Ursprungsfaktoren der Grund für die Unterschiede
in Gestalt und Verhalten sind oder die elementaren
Inhaltsstoffe, diese Worte scheinen zur Verneinung des freien
Willens zu führen und den Zwang des Schicksals zu beweisen in
menschlichen Handlungen, weil wenn die Fähigkeit des Menschen
zum Denken und Handeln von “tiynah“ abhängig wäre, dann würde
er ja gezwungen sein, auf eine festgesetzte Art und Weise zu
handeln, aufgrund derer er weder Lob für gute Taten noch für
schlechte Gewohnheiten Missbilligung verdienen würde. Aber
diese Hypothese ist inkorrekt, weil es fest verankert ist,
dass genauso wie Allah alles über die Schöpfung weiß, nachdem
sie in Existenz gekommen ist, Er es auch vor ihrer Schöpfung
wusste bzw. es kein Vorher oder Hinterher für Allah gibt.
Deshalb weiß Er, welche Handlungen der Mensch vollziehen wird
aufgrund seines freien Willens, und was er unterlassen würde.
Deswegen gab Allah ihm die Fähigkeit, auf der Basis seines
freien Willens zu handeln und erschuf ihn aus einer passenden
“tiynah“. Diese “tiynah“ ist nicht die Ursache seiner
Handlungen, so dass ihm sein freier Wille genommen wird,
sondern die Bedeutung des Erschaffens aus einer passenden
“tiynah“ liegt darin, dass Allah sich nicht mit Gewalt dem
Menschen in den Weg stellt, sondern ihm gestattet, den Weg zu
gehen, den er gehen will aufgrund seines freien Willens.
Allahs Wissen über die Dinge ist nicht der Antrieb für das
Handeln des Einzelnen, der in einem bestimmten Maß über freien
Willen verfügt. Die Predigt weist insbesondere darauf hin,
dass aus der äußerlich oberflächlichen Erscheinung nicht auf
die bedeutenden inneren Werte geschlossen werden kann, so dass
der Mensch sich hüte, zu schnelle Urteile aufgrund des Äußeren
zu fällen.