Die Weisheiten des Befehlshabers der Gläubigen (a.) 271-275
271. Es wurde überliefert, dass
zwei Männer vor ihn (a.) gebracht wurden, die das Eigentum
Allahs (d.h. den öffentlichen Staatsschatz) bestohlen hatten.
Der eine war ein Sklave, der vom Eigentum Allahs gekauft
wurde, und der andere lebte vom Geld der Leute. Und er (a.)
sagte daraufhin:
Was den
betrifft, der vom Eigentum Allahs gekauft wurde, so gibt es
keine Strafe für Grenzüberschreitung [hadd], weil ein Eigentum
Allahs das andere verzehrt hat, aber was den anderen angeht,
so muss auf ihn die strenge Strafe für Grenzüberschreitung
verhängt werden“, und so wurde seine Hand abgeschnitten.
Erläuterung
Imam Ali (a.) verdeutlicht, dass die Sklaverei eine
Unterdrückung ist, die nicht dazu führen kann, dass der
Unterdrückte für Handlungen, die auf seine Unterdrückung
zurück zu führen sind, bestraft werden kann. Zudem ist davon
auszugehen, dass jene Überlieferung aus einer Zeit der ersten
drei Kalifen stammen muss – wahrscheinlich aus der Zeit Umars,
der bei Rechtsstreitigkeiten Imam Ali (a.) konsultierte. Denn
während des Kalifats von Imam Ali (a.) wurden keine Sklaven
mit Staatsgeldern gekauft, sondern weitestgehend befreit. Imam
Ali (a.) verdeutlicht durch die Aussage, dass ein “Besitz“
Allahs nicht den anderen “Besitz“ verzehren kann die
Absurdität der Anschuldigung, dass der Sklavenhalter (in
diesem Fall der Staat) seinen Sklaven des Diebstahls
beschuldigt, wo doch er selbst der Dieb ist, der dem Sklaven
sein Leben raubt. Was aber der “Freien“ angeht, so wurde an
ihm die damalige Strafe für Diebstahl vollstreckt.
272. Und er (a.) sagte:
Wenn meine
Füße vor dieser rutschigen Stelle Halt gefunden hätten, hätte
ich einige Dinge geändert.
Erläuterung
Es kann nicht geleugnet werden, dass nach dem Ableben des
Propheten des Islams Änderungen in der Religion eintraten,
weil einige Leute nach ihrer eigenen Meinung handelten, indem
sie die Gebote des Islams aufhoben oder abänderten, obwohl
niemand das Recht hatte, im Religionsgesetzt Änderungen
vorzunehmen und die klaren Gebote des Qur´an und der
Verfahrensweise des Propheten [sunna] zu missachten und aus
eigenem Antrieb Gebote zu erlassen. So enthält der Qur´an
diese klare Methode der Scheidung, dass die widerrufbare
Scheidung, d.h. Scheidung, in der die Wiederaufnahme der
ehelichen Beziehung erlaubt ist, ohne dass die Frau einen
anderen Mann heiraten muss, zweimal ausgesprochen werden darf.
Aber weil er einige Vorteile im Blick hatte, ordnete der Kalif
Umar an, dass bei einer einzigen Gelegenheit drei Scheidungen
auf einmal ausgesprochen werden könnten, was im Islam nicht
vorgesehen war. Ebenso installierte er ein System namens “Aul“
im Erbe und viermaliges Takbir (“Allahu akbar“) im Totengebet.
Ebenso fügte er einen Gebetsruf [adhan] im Freitagsgebet
hinzu, ordnete an, dass volles Gebet gebetet werden sollte,
wenn das verkürzte [qasr] angemessen gewesen wäre und
gestattete, dass die Predigt den Festgebeten vorangehen
sollte. Tatsächlich wurden Hunderte Gebote dieser Art
erfunden, und in folge dessen wurden korrekte Gebote mit den
falschen vermischt und verloren ihre Authentizität.
Der Befehlshaber der Gläubigen (a.), der der größte Gelehrte
des Religionsgesetztes war, pflegte gegen diese Gebote zu
protestieren und hatte seine eigene Meinung gegen die
Gefährten. In diesem Zusammenhang schreibt Ibn Abu al-Hadid:
„Es gibt keine Möglichkeit für uns zu leugnen, dass der
Befehlshaber der Gläubigen (a.) Ansichten über die Gebote des
Religionsgesetzes und Meinungen hatte, die im Unterschied mit
denen der Gefährten standen.“
Als dann der Befehlshaber der Gläubigen das formale Kalifat
annahm (als vierter Kalif), kamen bald Revolten auf allen
Seiten auf, und er wurde diese Probleme nicht los bis zum
letzten Moment. Infolgedessen konnten die abgeänderten Gebote
nicht vollkommen korrigiert werden, und viele falsche oder
zweifelhafte Gebote gewannen Normalität in vom Zentrum weit
abgelegenen Gegenden. Dennoch, die Gruppe der Anhänger des
Befehlshabers der Gläubigen (a.) fragten ihn gewöhnlich nach
den Geboten des Religionsrechts und überlieferten sie, und
deswegen verschwanden die korrekten Gebote nicht, und die
falschen wurden nicht einhellig akzeptiert.
273. Und er (a.) sagte:
Seid euch
gewiss, dass Allah dem Diener (von Ihm) nicht mehr gegeben
hat, als in der weisen Ermahnung (Qur´an) festgesetzt wurde,
so groß auch seine Mittel (zu dessen Erreichung) sein mögen,
wie intensiv sein Streben danach ist und wie stark auch seine
List sein mag, und dass nichts zwischen dem Diener (Allahs),
mit (all) seiner Schwäche und seinen geringen Mitteln, und dem
Erreichen dessen steht, was in der weisen Ermahnung (Qur´an)
festgesetzt wurde. Wer sich dessen bewusst ist und danach
handelt, hat hinsichtlich Komfort und Gewinn die beste
Position unter den Menschen, während derjenige, der das
unbeachtet lässt und daran zweifelt, unter den Menschen am
meisten mit Schaden beschäftigt ist. Beim Herrn, so manchem
Begnadeten wird mit den Gnadengeschenken Aufschub gewährt, und
so manch Heimgesuchtem ist Gutes getan worden durch die
Heimsuchung! Du, der du Nutzen genießt (durch diese Worte),
verstärke deine Dankbarkeit, vermindere deine Eile und bleib
bei den Grenzen deines Lebensunterhalts.
Erläuterung
Mit Grenzen deines Lebensunterhalts sind nicht die Ergebung
in Armut gemeint, sondern das Wirtschaften im Rahmen der
eigenen Möglichkeiten und z.B. nicht das Leben über den
eigenen Verhältnissen auf Kreditbasis und unnötiger
Verschuldung. Deshalb ruft der Islam zu einer dankbaren und
mäßigen Lebensführung auf.
274. Und er (a.) sagte:
Macht
nicht euer Wissen zu Unwissenheit und eure Gewissheit zu
Zweifel. Wenn ihr Wissen erlangt habt, dann handelt danach,
und wenn ihr Gewissheit erworben habt, schreitet (darauf
aufbauend) fort.
Erläuterung
Wissen und Überzeugung erfordern, dass man danach handelt.
Wenn nicht dementsprechend gehandelt wird, kann von Wissen und
Überzeugung keine Rede sein. Deswegen, wenn jemand sagt, dass
er die Gefahren kennt, die auf einem bestimmten Weg bestehen,
dennoch aber diesen Weg beschreitet für seine Reise statt des
Weges, der keine Gefahren beinhaltet, wer kann dann sagen,
dass diese Person volle Sicherheit besaß über die Gefahren
jenen Weges, denn die Folgen aus solch einer Sicherheit hätten
sein müssen, dass er diesen Weg meidet. Gleichermaßen kann
jemand, der an die Wiederauferstehung glaubt, an die
Wiederbelebung oder an Strafe und Lohn (Allahs), von solchen
Dingen in dieser Welt nicht überwältigt werden, die ihn so
nachlässig machen, dass er das Jenseits unbeachtet lässt, noch
kann er unzulänglich werden in guten Taten aus Angst vor
Strafe und üblen Folgen.
275. Und er (a.) sagte:
Wahrlich,
die Gier bringt einen an die Quelle, ohne ihn trinken zu
lassen. Sie gibt Garantien, ohne sie einzulösen, und so
mancher Wassertrinkende erstickte, bevor sein Durst gestillt
wurde. Je höher der Wert einer ersehnten Sache ist, desto
größer ist das Unglück bei dessen Verlust. Die (eitlen)
Wünsche machen die Augen der Einsicht blind, und der Wohlstand
kommt zu dem, der nicht auf ihn zukommt.