Der Quran im Islam
Zu entsprechenden Überlieferungen
Die oben besprochene von Ibn Abbas
stammende Überlieferung erwähnt 113 Suren. Die Eröffnungssure
zählt nicht dazu. Eine andere Überlieferung, die Baihaqi von
Ikrima übernommen hat, erwähnt 111 Suren. Die Suren “Die
Eröffnende“ (1), “Die Höhen“ (7) und “Die Beratung“ (42)
fallen nicht darunter. Baihaqi zitiert auch diese von Ibn
Abbas stammende Überlieferung, die allerdings 114 Suren
beinhaltet, wobei jedoch beide von Baihaqi zitierten
Überlieferungen erstens die Sure “Die Betrüger" (83) zu den
medinensischen Suren zählen, im Gegensatz zu der oben
erwähnten Überlieferung, die diese Suren zu den mekkanischen
rechnet, und zweitens sich die chronologische Reihenfolge, die
in diesen beiden Überlieferungen angegeben werden, von der
oben genannten unter scheidet.
Es gibt eine weitere von Ali ibn Abi
Talha stammende Überlieferung folgenden Inhalts: „Die Sure
’Die Kuh’ (2)
ist in Medina offenbart worden. Die Suren: ’Die Familie Imrans’
(3), ’Die Frauen’ (4), ’Der Tisch’ (5), ’Die Beute’ (8), ’Die
Reue’ (9), ’Die Pilgerfahrt’ (22), ’Das Licht’ (24), ’Die
Gruppen’ (39), ’Diejenigen, die nicht glauben’ (41), ’Der
Erfolg’ (48), ’Das Eisen’ (57), ’Der Streit (58), ’Die
Versammlung’ (59), ’Die Geprüfte’ (60), ’Reih und Glied’ (61),
’Die Übervorteilung’ (64), ’Prophet! Wenn ihr Frauen
entlässt... ’ (65), ’Prophet! Warum erklärst du für
verboten...?’ (66), ’Die Morgendämmerung’ (89), ’Die Nacht’
(92), ’Wir haben ihn in der Nacht der Bestimmung herabgesandt’
(97), ’Konnten sich nicht befreien... ’ (98), ’Wenn die Erde
von ihrem Beben erschüttert wird..!’ (99), ’Wenn die Hilfe
Gottes kommt...’ (110) und andere Quranische Suren sind in
Mekka offenbart worden.“
Diese Überlieferung will offensichtlich
ohne Angabe der chronologischen Reihenfolge die medinensischen
Suren von den mekkanischen scheiden. Andernfalls kämen die
Suren “Der Tisch" und “Die Beute“ zweifellos weiter unten an
die Reihe. Darüber hinaus werden hier die Suren “Die
Morgendämmerung“, “Die Nacht“ und “Die Bestimmung“ als
medinensisch bezeichnet, wobei sie in den oben erwähnten
Überlieferungen zu den mekkanischen Suren gerechnet werden.
Dagegen werden hier die Suren “Der Donner“, “Der Barmherzige“,
“Der Mensch“, “Der Freitag“ und “Die Gemächer“ als mekkanisch
bezeichnet, wobei sie in den erwähnten Überlieferungen zu den
medinensischen Suren gerechnet werden.
In einer weiteren Überlieferung von
Qatada wird er zitiert: „Aus dem Quran sind in Medina die
Suren “Die Kuh“ (2), “Die Familie Imrans“ (3), “Die Frauen“
(4), “Der Tisch“ (5), “Die Loslösung“
(9), “Der Donner“ (13), “Die Biene“ (16), “Die Pilgerfahrt“
(22), “Das Licht“ (24), “Die Gruppen“ (39), “Muhammad“ (47),
“Der Erfolg“ (48), “Die Gemächer“ (49), “Das Eisen“ (57), “Der
Barmherzige“ (55), “Der Streit“ (58), “Die Versammlung (59),
“Die Geprüfte“ (60), “Reih und Glied“ (61), “Der Freitag“
(62), “Die Heuchler“ (63), “Die Übervorteilung“ (64), “Die
Entlassung“ (65), “Prophet! Warum erklärst du für verboten?“
(66) bis zum 13. Vers, “Wenn die Erde von ihrem Beben
erschüttert wird“ (99), “Wenn die Hilfe Gottes kommt“ (110)
offenbart worden und der Rest in Mekka. “
Diese Überlieferung widerspricht den
oben erwähnten Überlieferungen, insbesondere einer
Überlieferung von ihm selbst in Bezug auf die Suren “Die
Betrüger“, “Der Mensch“ und „Konnten sich nicht befreien... “.
Soviel kann über diese Überlieferungen
gesagt werden, dass sie nicht glaubwürdig sind. Als
Überlieferung haben sie weder einen religiösen noch einen
historischen Wert. Aus religiöser Sicht sind sie deshalb
wertlos, weil sie nicht lückenlos auf den Propheten (s.)
zurückgeführt werden können. Und es ist nicht klar, ob Ibn
Abbas die Reihenfolge der Suren von dem Propheten (s.) selbst
oder von anderen unbekannten Gewährsleuten erfahren hat oder
sie nach eigenem Urteil angibt, wobei der letztere Fall nur
für ihn selbst als Beweis ausreichen würde. Sie sind auch aus
historischer Sicht wertlos, weil Ibn Abbas nur einen sehr
kurzen Abschnitt aus dem Leben des Propheten (s.) als sein
Gefährte erlebt hat und naturgemäß nicht die Offenbarung aller
Suren persönlich bezeugen kann. Wenn er die besagte
Reihenfolge nicht aus eigenem Gutdünken angibt, beruft er sich
auf Hörensagen. Dann handelt es sich also um eine
Überlieferung ohne Angabe von Quellen, was historisch wertlos
ist. Abgesehen davon handelt es sich bei diesen
Überlieferungen, sollten sie richtig und lückenlos sein, um
Einzelüberlieferungen, die nach der Methodenlehre der
Rechtswissenschaft nur für Scharia-Entscheidungen relevant
sind.
Die einzige zuverlässige Methode zur
Feststellung der chronologischen Ordnung Quranischer Suren
und ihres mekkanischen oder medinensischen Ursprungs ist,
ausgehend von den obigen Überlegungen, ihre Inhalte mit den
Ereignissen vor und nach der Auswanderung in Beziehung zu
setzen. Diese Methode erweist sich im Verlaufe ihrer Anwendung
als besonders nützlich zur Erkennung der Reihenfolge der Suren
und ihres örtlichen Ursprungs. Beispielsweise die Suren “Der
Mensch“, “Die Betrüger“ und “Die Renner“ bezeugen ihrem Inhalt
nach, dass sie medinensischen Ursprungs sind, auch wenn sie
nach einigen Überlieferungen zu den mekkanischen gerechnet
werden.