Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Donnerstag, 26. April.

»Allahu akbar!. . . Allahu akbar!« . . . so lautet der endlose, eintönige, mohammedanische Gesang, der mich vor Tagesanbruch weckt; von irgendeinem nahen Dache meines Stadtviertels aus steigt die Stimme des Ausrufers, der zum Gebet ruft, laut singend in die blasse Morgenluft hinauf.

Und bald darauf dringt das silberhelle Glockengeläute in den kleinen Gäßchen bis an mein Ohr: der Einzug der Karawanen. Große, tief tönende Glocken hängen am Bauche der Maultiere, kleine Schellen reihen sich zu einem Kranz um ihren Hals, sie klingen zusammen, und dieser fröhliche Lärm erfüllt allmählich das ganze unterirdische Labyrinth in Chiraz und verjagt den Schlaf und das Schweigen der Nacht. Es dauert sehr lange; – sicher sind Hunderte von Maultieren an meiner Tür vorbeigezogen, – und sie werden allmorgendlich hier vorüberziehen, um mir den Tag zu verkünden, denn die Stunde der Karawanen ist unwandelbar. Und durch mein Viertel dringen sie in die Stadt hinein, alle die, die von dort unten, von den Ufern des Persischen Golfes, aus den heißen, in der Höhe des Wasserspiegels gelegenen Gegenden kommen.

Der erste Morgen verstreicht für mich mit vergeblichen Unterhandlungen, die ich mit Tcharvadaren, Maultiertreibern, Pferdevermietern in der Hoffnung pflege, daß es mir gelingen wird, schon jetzt den Aufbruch zu veranstalten; denn man muß sich mehrere Tage im voraus richten, und die Reisenden werden oft unendlich lange zurückgehalten.

Aber nichts kommt zustande, nicht das geringste Annehmbare bietet sich mir. Das Sprichwort scheint sich zu bewahrheiten: Es ist leichter, in Chiraz einzudringen, als hinauszukommen.

Nachmittags statte ich dem Vorstand der Kaufmannschaft meinen Besuch ab. Er wohnt in demselben Stadtviertel wie ich, und der Weg zu ihm führt ununterbrochen an den schattigen, traurig sich neigenden Mauern vorbei, die sich fast alle zu einem Gewölbe vereinen. Eine alte Gefängnistür, durch eine innere Schutzwand aus weißem Mauerwerk verkleidet: das ist sein Heim. Und dann folgt ein kleiner Garten voller Rosen, mit geraden altmodischen Alleen und mit einem Spingbrunnen; im Hintergrunde aber liegt das ganz alte, ganz orientalische Haus.

Hadji-Abbas Salon: Eine Decke aus blau und goldenen Arabesken, mit Rosenzweigen, deren Schattierungen im Laufe der Zeiten verblaßt sind; die Mauern sind reich ausgearbeitet, sind in kleine Rautenflächen zerlegt, vertiefen sich zu kleinen Grotten und zeigen eine alte Elfenbeinfarbe, die durch matte Goldlinien gehoben wird; auf der Erde liegen Kissen und dicke, wunderbare Teppiche. Und die kleinscheibigen Fenster zeigen auf die Rosen des Gartens, der sehr versteckt daliegt, der keine Aussicht gewährt, und in dem das leise plätschernde Geräusch des Springbrunnens ertönt.

Mitten im Salon stehen zwei Sessel, einer für Hadji-Abbas, der seit gestern seinen weißen Bart brennend rot gefärbt hat, und der andere für mich. Die Söhne meines Wirts, die Nachbarn, die Honoratioren, alles Leute in langen Kleidern mit hohen schwarzen Hüten, wie sie die Magier trugen, treten nacheinander an; schweigend setzen sie sich auf die Teppiche, die an den schönen verblaßten Wänden entlang ausgebreitet liegen, und bilden so einen großen Kreis; Diener tragen in sehr alten, kleinen chinesischen Tassen Tee herbei, bieten dann gefrorenen Sorbet und schließlich die unvermeidlichen Kalyans an, aus denen alle der Reihe nach rauchen müssen. Man fragt mich nach Stambul, da man weiß, daß ich dort gewohnt habe. Dann nach Europa, und die Naivität und die unvermutete Gründlichkeit ihrer Fragen zeigen mir deutlicher als alles andere, wie weit diese Leute von uns entfernt sind. Allmählich geht die Unterhaltung zur Politik über, man spricht von den letzten Tricks der Engländer vor Koueit: – »Wenn unser Land jemals unterjocht werden sollte, so hoffe ich doch wenigstens, daß es nicht durch sie geschieht! Wir haben leider nur hunderttausend Soldaten in Persien, aber alle Nomaden sind bewaffnet; und ich, meine Söhne, meine Diener, alle gesunden Männer in den Städten und auf dem Lande werden zu den Waffen greifen, wenn es sich um die Engländer handelt!«

Der gute Hadji-Abbas führt mich alsdann zu zwei oder drei Honoratioren, deren Häuser noch viel schöner als das seine sind, und die noch viel hübschere Gärten mit Orangen, Zypressenalleen und Rosengängen besitzen. Aber wie versteckt, mißtrauisch, geheimnisvoll spielt sich hier das Leben ab. Die Gärten würden entzückend sein, wenn sie nicht so eifersüchtig eingeschlossen, so verborgen dalägen; damit die Frauen hier unverschleiert lustwandeln können, umgibt man sie mit gar zu hohen Mauern, die man vergebens freundlicher zu gestalten sucht, indem man sie mit Spitzbogen, mit Kacheln verziert: es bleiben doch immer dieselben Gefängnismauern.

Der Gouverneur der Provinz, den ich heute aufsuchen wollte, um ihn zu bitten, mir den Weg nach Ispahan zu erleichtern, ist für einige Tage abwesend.

Bis zum Schluß behalte ich mir den Besuch bei einer jungen, holländischen Familie, den van L...s, vor, sie leben hier so abgeschieden wie Robinson. Ein altes Paschahaus – natürlich in einem alten, ganz von Mauern umgebenen Garten gelegen – bewohnen sie, und selten überraschend berührt es mich, hier plötzlich einen kleinen europäischen Winkel, plötzlich liebenswürdige Menschen, die unsere Sprache sprechen, wiederzusehen!

Sie sind übrigens gleich so entgegenkommend, daß uns, die wir doch sozusagen in der Verbannung leben, vom ersten Augenblick an ein schönes Band wahrer Freundschaft verbindet. Seit zwei oder drei Jahren wohnen sie in Chiraz, wo M. van L... Leiter der kaiserlich persischen Bank ist. Sie vertrauen mir alle ihre täglichen Sorgen an, von denen ich keine Ahnung hatte, die aber in dieser Stadt natürlich sind; denn alles fehlt hier, was nach unseren Begriffen zu den notwendigsten Nutzgegenständen des Lebens gehört, alle Sachen, deren man bedarf, müssen zwei Monate im voraus über Rußland oder Indien verschrieben werden; was sie mir da erzählen, bestärkt mich übrigens in dem Gefühl, daß wir uns hier in einer Welt befinden, die man fast auf dem Monde suchen könnte.

Den Schluß des Nachmittags bildet für mich ein Spaziergang durch das Labyrinth; mit meinen drei Dienern, dem Franzosen und zwei Persern, irre ich umher und suche vergebens nach den Moscheen. Ich habe keine Hoffnung, jemals Eintritt zu erlangen, aber ich möchte doch wenigstens gerne von außen die Portale, die schönen Bogen und die kostbaren Fayencen sehen.

Ach! Diese seltsamen kleinen Straßen, wo einem auch am hellen Tage ein Fallstrick nach dem andern gelegt wird; so öffnet sich mitten in einer Gasse ein tiefer Brunnen, der auch nicht das geringste Schutzgitter zeigt, oder am Fuße einer Mauer gähnt plötzlich ein Kellerloch, und man sieht hinab in ein schwarzes Verließ. Und überall ist der Weg mit Lumpen, Unrat, mit krepierten Hunden bedeckt, über deren Leichen die Fliegen herfallen.

Ich weiß, daß es Moscheen, daß es sogar berühmte Moscheen hier gibt, aber man kann wirklich sagen, daß sie vor uns fliehen, daß ihre Umgebung verzaubert ist. Zuweilen, wenn ich aufsehe, entdecke ich durch ein Loch in der Straßenmauer ganz in der Nähe eine grünblaue Kuppel, die sich in den reinen Himmel erhebt, und die in der Sonne glänzt. Dann stürze ich in einen dunklen Gang, er scheint dorthin zu führen: Den Gang schließt eine Mauer ab, oder er endet in einem großen eingestürzten Erdhaufen. Ich kehre um, ich suche einen anderen: er führt mich in falsche Richtung, ich verirre mich. Nicht einmal die kleine Lücke, die ins Freie führt, und von wo aus mir die Emaillekuppel entgegenleuchtete, kann ich wiederfinden; ich weiß nicht mehr, wo ich bin . . . Diese Moscheen werden keinen Zugang haben, denn sie liegen ganz eingeschachtelt zwischen alten Lehmhäusern, zwischen Maulwurfshügeln von Menschenhand erbaut; wahrscheinlich kann man sie nur auf versteckten Umwegen erreichen, die keinem anderen als dem Eingeborenen bekannt sind. Und dies erinnert an einen bösen Traum, man will ein Ziel erreichen, aber in dem Maße, wie man sich ihm nähert, werden die Schwierigkeiten größer, die Gänge enger.

Wir sind schließlich des Suchens müde und kehren wie gestern um die Abendstunde nach dem kleinen Café zurück, das wir wahrscheinlich zu unserem Standquartier erheben werden. Dort atmet oder fühlt man wenigstens einen freien Raum vor sich, und dort liegt auch – zwar ein wenig im Hintergrunde – eine rosenrote Moschee, die schon sehenswert ist. Die Leute kennen uns. In aller Eile stellen sie für uns Sessel unter den Platanen hin, bringen Kalyans und Tee herbei. Hirten wollen uns Felle von Panthern verkaufen, die zu ungezählten Mengen in den nahen Bergen hausen. Aber der Andrang ist heute schon weniger groß als gestern: morgen oder übermorgen werden wir niemanden mehr in Erstaunen setzen.

Die eine Seite des Platzes wird von den Wällen Chiraz' eingeschlossen; wie alles in Persien sind auch sie elegant und baufällig: die hohen, geraden Mauern tragen große runde Türme und sind mit einer endlosen Reihe gewölbter Spitzbogen verziert. Das Baumaterial – graue Terrakotta mit gelbgrüner Glasur – gibt dem Ganzen einen assyrischen Anstrich. Diese Wälle erstrecken sich in einer Ausdehnung von ungefähr zweihundert Metern und laufen dann in einem Trümmerhaufen von Steinen aus, die wahrscheinlich niemals wieder aufgebaut werden.

Jetzt, wo der Tag sich neigt, herrscht in diesem kleinen Café ein beständiges Kommen und Gehen. Leute aus allen Ständen, die vom Lande zurückkehren, treten hier ein, vornehme Reiter auf mutigen Pferden, kleine Bürger auf fransenbehangenen Maultieren, oder noch bescheideneren Eseln. Und die langsamen Kamele ziehen vorüber. Sie kommen von Yezd, von Kerman, aus der östlichen Wüste. Überall werden die Kalyans angezündet, und unsere Nachbarn, die wie wir unter ein und derselben Platane träumen, fangen ein freundliches Gespräch an. Einer von ihnen bietet mir, nachdem ich ihm von meinem heutigen Ausflug nach den Moscheen erzählt habe, für morgen abend seine Begleitung dorthin an; er will mich über die Dächer der Stadt führen, ein Spaziergang, der scheinbar sehr besucht wird, weil er der einzige ist, von wo aus man einen allgemeinen Ausblick hat.

Friedlich schwindet der Tag, und langsam trägt die Dämmerung ihre Traurigkeit zu diesem hochgelegenen, einsamen Lande hinauf. Die Farben verlöschen auf der Glasurbekleidung der schönen Moschee: die Fayencen, mit denen sie bedeckt ist, zeigen Wolken von Rosen, Rosenzweige, Rosensträucher, Sträucher, durch die vereinzelte, langstielige Iris emporwachsen; aber dies alles liegt jetzt in einem violetten Dunkel, und nur noch die Kuppel erstrahlt weithin. In der fast gar zu durchsichtigen Luft kreisen die Segler und stoßen, ganz wie bei uns an Frühlingsabenden gellende Schreie aus. Kaum aber ist die Sonne untergegangen, so macht sich infolge der großen Höhe eine empfindliche Kälte fühlbar.

Durch kleine schon dunkle Gäßchen kehren wir über Schmutz und Unrat nach Hause zurück.

Und dort herrscht, nachdem die Pforte verriegelt ist, die Abgeschlossenheit, die Einsamkeit, das Schweigen eines Klosters. Und die Käuze beginnen ihr Lied.

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