Vierter Teil
Freitag, 18. Mai
Heute ist Freitag, der Sonntag des Muselmanns, und da muß
ich wie alle anderen in die Felder hinausgehen. Ein Sonntag im
Mai, das immer gleiche Fest des Frühlings und des blauen
Himmels. Die großen Alleen des Schah-Abbas, die von Platanen,
von Pappeln, von Rosenbüschen eingerahmt werden, sind mit
Fußgängern überschwemmt, alle streben sie hinaus nach den
Gärten oder einfach hinaus nach den grünen Kornfeldern.
Scharen von Männern mit Turbanen oder schwarzen
Astrachanmützen wandern träge und träumerisch daher, jeder
hält eine Rose in der Hand. Scharen von gespensterhaften
Frauen, auch sie sind selbstverständlich mit einer Rose
geschmückt und tragen fast alle ein Baby an ihrer Brust,
dessen kleiner, mit einer goldenen Mütze bedeckter Kopf zur
Hälfte zwischen ihren Schleiern zum Vorschein kommt. Heute
entvölkert sich Ispahan, es leitet alles Leben, das ihm noch
zwischen seinen Ruinen geblieben ist, in die Oase hinaus.
Außer den neben mir einherschreitenden Spaziergängern ist
das freie Land, wo wir bald anlangen, von den ganz schwarzen
Frauen überschwemmt, die sich schon frühmorgens auf den Weg
gemacht haben müssen. Man sieht sie nebeneinander in den
weißen Mohnfeldern, zwischen den bunt blühenden Kornblumen,
dem roten Mohn sitzen. Niemals sah ich Sonntags einen solchen
Müßiggang unter einem so strahlenden Himmel, inmitten so
leuchtend grüner Felder.
Ich sitze zu Pferde und reite ziellos vorwärts. Da ich mich
zufällig einem Trupp persischer Reiter angeschlossen habe, die
anscheinend wissen, wohin sie wollen, so sehe ich mich
plötzlich umgeben von den Ruinen eines Palastes, den
glitzernden Ruinen der Spiegelmosaike, den wunderbaren,
zerbrechlichen Ruinen, die niemand behütet. – Im Jahrhundert
des Schah-Abbas gab es vieler solcher Märchenpaläste! – Der
Ehrenhof ist in einen Sumpf verwandelt, ist angefüllt mit
Gebüsch und wilden Blumen; und ein kleiner Teehändler hat in
Anbetracht des Freitags seine Öfen in einer der wunderbaren
Säulenhallen aufgestellt, deren Decken mit einer
überraschenden Pracht, mit einer zarten Anmut verziert,
vergoldet sind. Dies war einst der kaiserliche Palast, die
Liebhaberei eines Herrschers, der Thronplatz ist noch leicht
erkennbar. Hinten, in einem zweiten, ein wenig schattigen
Saal, liegt die Estrade, wo er sich ausruhte, liegt der
gewaltige Spitzbogen, der ihm als Heiligenschein diente. Er
ist natürlich ganz mit Stalaktit behangen und wird von zwei
goldenen Chimäras überragt, die in einzelnen Teilen einen
chinesischen Einfluß verraten; aber der Hintergrund wirkt ganz
überraschend; statt wie sonst eine unentwirrbare Verschlingung
von Rosetten und Zellengeweben zu zeigen, deren kleinste
Flächen von Gold umrahmt sind, ist er leer, öffnet sich auf
ein Gemälde in der Ferne, das in Wirklichkeit weit herrlicher
ist als alle Schmiedearbeiten der Welt: Gebadet von den hellen
Sonnenstrahlen liegt dort das Panorama von Ispahan, das der
vollendete Kunstgeschmack sich erwählt hat, liegt dort die
Stadt der rosenroten Erde und der blauen Fayencen, über der
seltsamen Brücke mit den beiden aufeinander ruhenden
Bogengängen, vor den Bergen und den Schneegefilden, läßt sie
ihre Kuppeln, ihre Minaretts, ihre unnatürlich farbigen Türme
in der Sonne leuchten. Eingerahmt von diesem Spitzbogen, von
dem rot- und goldfunkelnden Schatten aus gesehen, in dem wir
uns befinden, wirkt dies alles wie ein orientalisches, sehr
phantastisches Gemälde, wie ein sehr durchsichtiges
Fächergemälde.
Es hält sich hier niemand mehr auf, der dies betrachten
könnte, was einst die Augen der Kaiser erfreut haben muß; der
kleine Teehändler am Eingang hat nicht einmal mehr Zuspruch.
Lange stehe ich hier allein unter den schönen, bald
einstürzenden Decken, während ein Hirte mein Pferd auf dem
Hof, zwischen dem Brombeergesträuch, dem Mohn und dem
Windhafer am Zügel hält.
Eine halbe Stunde weiter entfernt, in den Feldern von
weißem Mohn und Veilchen, erhebt sich ein zweiter Palast, eine
zweite Liebhaberei eines Herrschers, ein zweiter Thronplatz.
Er nennt sich »das Haus der Spiegel«, und seinerzeit wird er
einem Palast von Rauhreif und Eiszapfen geglichen haben; er
ist gänzlich verfallen, aber an den noch übriggebliebenen
Teilen des Gewölbes glänzen tausende von Spiegelstückchen, die
das Alter oxydiert hat, gleich Salz. Ein bescheidener Tee- und
Kuchenverkäufer steht im Schatten dieser Ruine, und meine
Ankunft stört eine Gesellschaft von gespensterhaften Frauen,
sie hatten sich fröhlich zu einer kleinen Mahlzeit im Gras auf
dem Hofe niedergelassen, aber jetzt verstummen sie und senken
vor meinem Anblick ihren Schleier herab.
Wie immer muß ich vor Sonnenuntergang in die Stadt
zurückgekehrt sein. Übrigens ist der Abend nach einem so
strahlenden Mittag traurig, ein Wind hat sich erhoben, der aus
der Richtung der Schneefelder kommt, er führt eine leise
Erinnerung an den Winter mit sich, während gleichzeitig die
Wolken am Himmel dahinziehen.
Auf dem schmalen Pfade, auf dem ich zurückkehre, inmitten
der Kornfelder, der Kornblumen und des Mohns schreitet eine
Frau mir entgegen, sie ist natürlich ganz schwarz und trägt
eine weiße Maske, sie geht langsam mit gesenktem Kopf, man
könnte sagen, sie schleppe sich dahin: irgendeine arme Alte,
die zum letztenmal den Monat Mai erlebt, und ihr Nahen stimmt
mich traurig . . . Hier steht sie zwei Schritte vor mir, die
einsame, müde Spaziergängerin . . . Ein Windstoß zerrt an
ihrem langen Trauerschleier, ihre weiße Maske löst sich und
fällt zu Boden! . . . Ah! welch ein Lächeln fange ich auf
zwischen den strengen schwarzen Falten! . . . Sie ist zwanzig
Jahre alt, sie ist eine kleine Schönheit, drollig und
schelmisch, mit ihren runden, rosenroten Wangen, Onyxaugen,
die aus dem Flaum des Rabengefieders gemacht zu sein scheinen,
ganz wie die Sultaninnen auf den alten Schachteln . . . Wovon
mochte sie träumen, diese kleine Person, da sie eine so
schmerzliche Haltung zeigte? . . . Halb beschämt über ihr
Mißgeschick, halb belustigt, schenkt sie mir ein reizendes
Lächeln: aber sehr schnell befestigt sie wieder ihre weiße
Maske und läuft leichtfüßiger als ein junges Zicklein durch
die Felder dahin.
Als ich um fünf Uhr nachmittags auf der Brücke anlange,
herrscht dort ein großes Gedränge. Alle Freitag-Spaziergänger
kehren eilends zurück, denn in Persien fürchtet man sich immer
vor der Nacht; rechts und links von der großen Straße, auf den
beiden überdachten Wegen, die gotischen Klostergängen
gleichen, zieht sich eine ununterbrochene Kette von schwarzen
Frauen dahin, ihre müden Babys klammern sich an sie, und
lassen sich ziehen.
In dem Basar, den ich durchkreuzen muß, bringt die Rückkehr
von dem Felde zu dieser Stunde Leben und Treiben mit sich, und
dies freut mich, denn ich kenne nichts Traurigeres, als wenn
diese zu langen Gewölbe an den Festtagen von einem Ende bis
zum anderen verödet daliegen, ohne die Pracht der Stoffe, der
Sattelzeuge, der Waffen, ohne die geöffneten Läden.
Mein Weg führt durch die größten aller Gewölbe, durch die
Gewölbe des Kaisers; oben an den Decken laufen die noch immer
leuchtenden Fresken entlang, die das Bild des Herrschers
darstellen, besonders häufig aber sieht man ihn auf den
Kuppeln, auf den großen, die Plätze überdachenden Kuppeln
verewigt: der Schah-Abbas mit seinem langen, bis zum Gürtel
herabwallenden Bart, wie er zu Gericht sitzt, der Schah-Abbas,
wie er auf die Jagd geht, der Schah-Abbas, wie er in den Krieg
zieht, wohin das Auge fällt, überall der Schah-Abbas. Ich eile
vorwärts in der geheimnisvollen, schweigenden Begleitung der
verschleierten Frauen, die Heckenrosen und echte Rosen mit
sich nach Hause tragen. Von Zeit zu Zeit wirft die Bogentür
einer Karawanserei oder der blaue Bogen einer Moschee einen
Lichtstreifen auf den Weg, der die Dunkelheit noch dunkler
erscheinen läßt. In einer Nische, halb versteckt durch ein
ganz vergoldetes Gitter, steht ein Mensch mit weißem Bart und
einem Gesicht, das hundert Jahre alt sein könnte, umgeben von
einer Schar gespensterhafter Frauen; es ist dies ein alter,
heiliger Derwisch; er bewacht eine kleine Wunderquelle, die
hinter dem schönen Gitter aus dem Felsen hervorspringt, er
füllt die bronzenen Becher mit Wasser, und seine vertrocknete
Hand reicht sie durch die Stäbe hindurch der Reihe nach den
Damen, diese lüften ein wenig den Schleier und trinken
darunter, indem sie darauf achten, daß ihr Mund nicht zum
Vorschein kommt. Dies alles trug sich bei mattem Dämmerlicht
zu, und jetzt, als ich den Basar verlasse, scheint der
kaiserliche Platz durch einige rote, bengalische Flammen
erleuchtet zu sein. Die Sonne wird untergehen, denn hier
stehen die Musikanten mit ihren langen Trompeten und ihren
gewaltigen Trommeln, auf dem gewohnten Balkon erwarten sie die
nahe Stunde, bereit, ihren schreckeneinflößenden Gruß in die
Luft hinauszuschicken. Aber wo sind denn all die Wolken
geblieben? Zweifellos hält sich kein bedecktes Wetter in
diesem Lande, diese trockene, reine Luft saugt die Dämpfe auf.
Der blaßgelbe Himmel ist rein und klar und gleicht einem
riesengroßen Topas, und an den verschiedenen Seiten des
Platzes wechselt der große Reichtum der Glasuren seine Farbe,
wie an jedem schönen Abend breiten sich rosige und goldige
Tinten über ihm aus.
Mein Gott! ich habe mich verspätet, denn dies ist das
letzte Erglühen der Minaretts und Kuppeln, das Schlußbild
allen Blendwerks; die Gebäude erstrahlen in rotem Glanz, die
Sonne geht unter . . . Und als ich durch die große Einöde,
über den Platz dahinschreite, bricht der Lärm der Trompeten
dort oben los, ächzend, stöhnend, und die Trommelschläger
schlagen den Takt dazu, und ihr Schlag gleicht dem Rollen des
Donners.
Um schnell von hier in das russische Haus zurückzugelangen,
versuche ich den Weg durch die Gärten des Zelleh-Sultan; man
wird jetzt allmählich wissen, daß ich der Fremde bin, den der
Fürst D... aufgenommen hat, und vielleicht läßt man mich
deshalb passieren.
Und in der Tat, an allen aufeinander folgenden Toren
schauen die Wächter, die zwischen den Rosenbüschen ihre Kalyan
rauchen, mir wortlos nach. Aber ich hatte nicht vorausgesehen,
wie bestrickend und reizvoll diese Stunde in den Blumenalleen
ist, und ich empfinde große Lust, hier länger zu verweilen.
Man ist wie berauscht von den ungezählten Rosen, deren Düfte
sich abends unter den Bäumen vereinen. Und der Gesang der
Muezzine, der plötzlich über Ispahan schwebt, erscheint nach
dem Blasen der Trompeten von einem süßen, himmlischen Klang,
man könnte glauben, es seien Orgeln und Glocken, die in der
Luft zusammenklingen.
Da es mein letzter Tag ist (ich reise morgen), so habe ich
ausnahmsweise die Erlaubnis erbeten, in später Abendstunde
umherzustreifen, und meine Wirte waren so gütig, die
Nachtwächter benachrichtigen zu lassen, welchen Weg ich
einzuschlagen gedächte, damit sie mir die schweren Tore mitten
in den Straßen öffnen könnten, die man nach Sonnenuntergang
verriegelt, und die einen Verkehr von einem Viertel zum andern
verhindern.
Es ist ungefähr zehn Uhr, als ich das Haus des Fürsten
verlasse, zum Erstaunen der Kosaken, der Wächter an dem
einzigen Ausgang. Und sofort tauchen wir in dem Schweigen und
in der Dunkelheit unter. Keine Hauptstadt ruft in dem Maße wie
das nächtliche Ispahan den Eindruck des Todes und der
Verlassenheit hervor. Unter den Gewölben klingen die Stimmen
viel zu laut, und gleichsam, als befände man sich in einer
Totengruft, wirft das Pflaster den Schall der Tritte dumpf
zurück. Zwei Wächter folgen mir, ein dritter geht mir vorauf;
er trägt eine drei Fuß hohe Laterne, die er von rechts nach
links schwingt, um mir die Löcher, die Kloaken, den Schmutz
und die toten Tiere zu zeigen. Zuerst begegnen wir in großen
Abständen ähnlichen Fackeln, sie leuchten einem verspäteten
Reiter oder einer Schar verschleierter Frauen, die in
Begleitung eines bewaffneten Mannes daherkommen, und dann
zeigt sich bald kein einziger Mensch mehr auf den Straßen.
Schreckliche, graugelbe Hunde, herrenlose Hunde; sie nähren
sich von Abfall, schlafen rudelweise an dieser oder jener Ecke
zusammen und knurren den Vorübergehenden an; sie sind jetzt
die einzigen, lebenden Wesen in diesen Straßen, aber sie
erheben sich nicht einmal, sondern begnügen sich damit, den
Kopf aufzurichten und die Zähne zu zeigen. Sonst rührt sich
nichts. Außer den gespaltenen Ruinen auch nicht ein Haus, das
nicht furchtsam verschlossen wäre. Bis an die Zähne bewaffnet
schleicht der Wächter des Viertels auf leisen Babuschen hinter
uns her. Wenn man vor der eisenbeschlagenen Tür anlangt, die
sein Reich abgrenzt und den Weg versperrt, ruft er mit laut
tönendem Schrei den Wächter herbei; dieser antwortet zuerst
aus weiter Ferne, dann kommt seine Stimme immer näher, und
schließlich öffnet sich das Tor unter lautem Geknarr der
Schlüssel, der Riegel , und der rostigen Angeln. Alsdann
betreten wir ein neues Reich der Schatten und der
zusammenstürzenden Ruinen, während die Tür sich hinter uns
schließt und uns plötzlich noch mehr von dem Hause trennt, aus
dessen Bereich wir uns immer weiter entfernen. Und so geht es
fort, kein Grabesviertel, das wir durcheilen, steht in
Verbindung mit dem vorhergehenden, aus dem wir kommen. In den
überdachten Gegenden herrscht ein Geruch von Schimmel, Fäulnis
und Unrat; es ist dort so dunkel, daß man glauben könnte, man
befände sich zwanzig Fuß tief unter der Erde. Aber unter
freiem Himmel schaut man das Wunder der Sterne Persiens, mit
denen sich keine anderen Sterne der Welt vergleichen können,
sie erscheinen noch weit strahlender zwischen den gespaltenen
Mauerresten, zwischen den Trümmerhaufen, in dem Rahmen des
Verfalls und der Schatten. Alles trägt dazu bei, diese
Atmosphäre so durchlässig, so leicht zu machen, daß kein
funkelndes Licht zurückgehalten werden kann: Die Höhe, die
Nachbarschaft dieser Sandwüsten, die niemals Wasserdünste
ausatmen. Die Sterne Persiens haben dasselbe Feuer wie die
reinen Diamanten, sie haben, sieht man genau hin, ein buntes
Feuer, ein rotes, ein violettes, ein bläuliches Feuer. Und
dann sind sie unzählig, stellen Tausende von Welten dar, die
in anderen Gegenden auf unserer Erde nicht sichtbar sind, die
aber in diesem Lande, aus der Tiefe der Unendlichkeit heraus,
zu den Menschen hinabstrahlen.
Welch ein Gegensatz, dieser jämmerliche Verfall hier auf
dem Boden! Trümmerhaufen, Schutt und Unrat, das ist
schließlich alles, was von diesem Ispahan übriggeblieben ist,
das in der Ferne und unter den Strahlen der Sonne noch die
große, bezaubernde Stadt spielt . . .
Über unseren Köpfen dehnen die Gewölbe sich aus, werden
immer gewaltiger; wir erreichen die Stadtviertel, die der
Schah-Abbas erbaut hat, und jetzt machen wir vor dem Tor einer
der Hauptadern des Basars halt. Der Wächter, unser Führer,
stößt einen langgezogenen Schrei aus, und bald antwortet eine
Stimme in der Ferne, eine schleppende, unheilverkündende
Stimme, die ein endloses Echo zurückwirft, gleichsam, als
stieße man nachts in einer Kirche einen Hilferuf aus.
Derjenige, der hinter dem Zedernportal steht, antwortet, daß
er den Schlüssel nicht finden könne, daß ein anderer ihn
behalten habe, und so weiter, Und die Hunde der Straße werden
unruhig, wachen überall auf und stimmen ein Konzert an, ihr
Gebell pflanzt sich in dem klangreichen, überdachten Labyrinth
immer weiter fort. Inzwischen aber entfernt sich der Mann, der
vorgibt, den Schlüssel zu suchen, sei es aus bösem Willen, sei
es aus Angst, sicher aber ist, daß er uns das Tor nicht öffnen
wird. Deshalb laßt uns auf einem Umweg durch andere Straßen
versuchen, endlich das Ziel unseres Ausfluges zu erreichen.
Das Ziel ist der kaiserliche Platz, den ich ein letztes Mal
vor meiner Abreise in dunkler Nacht sehen möchte. Endlich
liegt dieser Platz vor uns, man hat uns das hohe Tor des
Färberbasars geöffnet, und schwach beleuchtet von all den
kleinen, dort oben funkelnden Diamanten, erscheint er noch
größer, als bei hellem Tageslicht. Eine ganze Karawane schläft
dort an einem der Torflügel, die starke Ausdünstung der
knienden Kamele trübt die reine Luft; und ringsumher liegen
die Wächter, gleichsam als befände man sich auf freiem Felde.
Außerdem schreiten einige gespensterhafte Frauen in zwei
kleinen Abteilungen durch diese Einöde, beiden geht ein
Laternenträger, gehen Wächter vorauf: Die Frauen kehren sicher
von einem Fest, von irgendeinem Haremsfest zurück, zu dem die
Ehemänner keinen Zutritt haben, und das im Innern der fest
verschlossenen Wohnungen gefeiert wird. Einen dieser
geheimnisvollen Trupps sehen wir in weiter Ferne, ganz hinten
am anderen Ende des Platzes vorübergehen, fast könnte man
glauben, es sei ein Zug winziger Zwerge. Man hört das Rufen,
das Klopfen an den Toren des Viertels, die geöffnet werden
sollen, und dann ertönt das Knarren der Riegel, und die beiden
dunklen Flecke, der eine nach dem anderen, tauchen in den
gewölbten Gängen unter, wir bleiben allein mit der schlafenden
Karawane zurück, allein auf dem großen, auf dem zu dieser
Stunde erhabenen Platze, zwischen den symmetrischen Reihen der
gemauerten Arkaden.
Während der Platz gewachsen zu sein scheint, ist die
kaiserliche Moschee dort unten, deren Umrisse sich scharf von
dem bläulichen Himmel abheben, zusammengeschmolzen, ist
kleiner geworden, – wie es auch mit den Bergen und Denkmälern
geht, wenn man sie zur nächtlichen Stunde aus weiter Ferne
betrachtet. Aber sobald man sich ihr nähert, sobald sie ihre
Bedeutung in dem Raum einnimmt, wächst sie zu einem Wunder an,
das, durch diese unnatürliche Klarheit gesehen, inmitten der
Abgeschiedenheit und des ewigen Schweigens, noch
überraschender wirkt. Die Sterne, die kleinen bunt
schillernden Diamanten lassen ihr funkelndes Licht von oben
aus der unermeßlichen Leere auf sie herabfallen, lassen ihre
Fayencen, ihre glatten Flächen, die Bogen ihrer Kuppeln und
ihrer spindelförmigen Türme, in mattem Glanz erstrahlen. Und
sie versteht es auch jetzt noch, ihr Blau zur Geltung zu
bringen, wo alle anderen Farben auf der Erde verblaßt sind;
ganz blau hebt sie sich von den Tiefen des nächtlichen Himmels
ab, die neben ihrer Glasur fast schwarz, von einem
sternenbesäten Schwarz erscheinen. Und man könnte sagen, sie
sei zu Eis erstarrt, denn nicht nur begegnet uns wie immer ein
Friede unter ihren Mauern, sondern sie ruft auch den Eindruck
hervor, als strahle sie Kälte aus.