Zweiter Teil
Sonnabend, 28. April.
Der Vezir von Chiraz kehrt noch immer nicht zurück, und so
verzögert sich meine Abreise beständig, denn ich muß ihn
sprechen, damit er mir für die Reise eine Begleitung, damit er
mir Soldaten stellt.
Indessen gelingt es mir, dank M. van L.s Beistand, mit
einem Pferdevermieter zu verhandeln, um die Reise fortsetzen
zu können. Ein langer, mühsamer Kontrakt, der schließlich nach
Verlauf einer Stunde unterschrieben und versiegelt wird.
Nächsten Dienstag soll der Aufbruch stattfinden, und in zwölf
bis dreizehn Tagen, inch' Allah! werden wir Ispahan erreichen.
Aber ich habe zuviele Leute, zuviel Gepäck für die Anzahl von
Tieren, die man mir liefern soll, und die ich scheinbar
unmöglich werde vergrößern können. So sehe ich mich also
gezwungen, einen meiner persischen Diener zu verabschieden.
Und ich schicke ungezählte, in Bouchir erstandene Sachen zum
Verkauf nach dem Basar: Geschirr, Feldbetten usw. Man muß sich
eben, so gut es geht, beim Essen und Schlafen behelfen; die
Hauptsache ist, daß endlich einmal Schluß gemacht wird.
Für heute hatte ich ein Rendezvous mit dem liebenswürdigen
Chirazianer verabredet, der so freundlich gewesen war, mir
einen Spaziergang auf den Dächern nach den Moscheen
vorzuschlagen. Nachdem wir eine endlose Zeit durch den
schmalen Irrgang hindurchgekrochen waren, erreichten wir über
die Treppen eines verfallenen Hauses den Teil der Stadt, wo
hunderte aus Lehm erbaute Dächer in Verbindung miteinander
stehen, wo sie eine große, traurige Promenade bilden, die von
hellem Licht überflutet ist, und deren Erde riesengroße
Maultiere aufgeworfen haben. Das Gras ist gelb, stellenweise
verbrannt, und noch weit mehr mit Unrat, Abfall und Schmutz
bedeckt, als es der Boden in den Straßen war. In diesem
Augenblick brennt die Sonne auf uns herab, und deshalb
unterscheidet man nur mit Mühe im Hintergrunde der seltsam
kleinen Wüste zwei oder drei auf Raub ausgehende Katzen, zwei
oder drei träumende, vielleicht sinnende Perser in langen
Kleidern. Aber alle Kuppeln der Moscheen sehen wir hier: mit
kostbarer blau und grüner Glasur sind sie überzogen und
gleichen so Edelsteinen, die aus einem trockenen Lehmhaufen –
der Stadt Chiraz – hervorleuchten. Stellenweise entdeckt man
auch viereckige Vertiefungen, und daraus empor ragen die
Orangenbäume und die Platanen, es sind die eingeschlossenen
Höfe, die kleinen Gärten der reichen Häuser.
Dieser Platz muß, so verlassen wie er am Tage auch daliegt,
in den stillen Dämmerstunden und spät abends sehr besucht
sein, denn zahlreiche Fußstapfen zeichnen sich auf dem Boden
ab, und geebnete Wege führen nach allen Richtungen hin. Die
Einwohner Chiraz' lustwandeln über den Häusern, über den
Straßen, über der Stadt, sie benutzen ihre Dächer als
Ablagerungsort, und alles findet man hier – sogar ein totes,
schon von den Raben zerhacktes Pferd. Unterhalb dieser
Erdkruste, die dem Rückenpanzer einer Schildkröte gleicht,
also unterhalb unserer Füße, entfaltet sich die ganze
Tätigkeit von Chiraz; das Leben spielt sich hier unter der
Erde ab, ein wenig stickig zwar, aber schattig und kühl, und
sehr geschützt gegen die Regengüsse, während man hier oben,
ganz wie in den westlichen Städten, allen Launen des Himmels
ausgesetzt ist.
Die Monumente aus alter Fayence, dort unten suchte man sie
vergebens – große, abgerundete und eiförmig gebauchte Kuppeln,
viereckige Türme, oder kleine Obelisken in der Gestalt von
Torso-Säulen und -Spindeln – springen hier, fern und nah,
leicht und ins Auge fallend aus dieser künstlichen Wiese
hervor. Eine Wiese, die übrigens schmutzig und schäbig
anzuschauen ist, und aus deren Innern man das Gesumme eines
menschlichen Bienenschwarms vernimmt; von dort unten aus den
überdachten Straßen, aus den Tunnels, die sich in dem
ungeheuer großen Maulwurfshügel kreuzen, dringt das Stampfen
der Pferde, das Glockenspiel der Karawane, die feilbietenden
Rufe der Kaufleute, das Stimmengewirr zu uns herauf. Die
miteinander in Verbindung stehenden Dächer sind oft von
ungleicher Höhe, und so gibt es hier Hügel und Täler,
gefährliche Schlitterbahnen, auch Löcher, Spalten, oft stößt
man in diesem verfallenen Viertel auf große Vertiefungen; aber
die langen, geraden Alleen der Basare bilden bequeme Wege, wo
eine jede Öffnung, durch die die Leute dort unter atmen, uns
im Vorübergehen einen unerwarteten Lärm entgegenschickt.
Um uns einer großen, ganz blauen, der ältesten und
ehrwürdigsten Moschee nähern zu können, müssen wir über den
Kupferbasar schreiten, und dort hören wir ein seltsames
Geräusch, das aus dem Innern der Erde zu dringen scheint: den
Lärm tausender von Hämmern.
Von Zeit zu Zeit sieht man in irgendeinen Hof hinab, aber
es wäre unhöflich, lange stehenzubleiben; seine Lehmwände sind
verfallen und mit alten, selten gefärbten Fayencen bekleidet,
und wie überall, so stehen auch hier Orangenbäume, blühende
Rosenbüsche. Die Sonne Persiens strahlt fast ein wenig zu sehr
auf die mit Trümmern bedeckten Dächer herab, wo das Gras so
verbrannt ist, wie bei uns im Herbst, und wirklich, man
beneidet die Menge, die dort unten im Schatten kreist.
In der Nähe gesehen, ist die schöne, heilige Moschee, vor
der wir jetzt stehen, nur noch eine Ruine; unter einem Traum
von Emaillereichtum verfällt, verschwindet sie – und niemals
wird sie ausgebessert werden. In das verschiedene Blau ihrer
Fayencebekleidung mischt sich ein wenig Gelb, ein wenig Grün,
gerade genug, um in der Ferne zu der Farbe des alten
Türkiseblau zu verschmelzen. Einige Iriszweige, einige
Rosenzweige springen auch hier und da aus dem Ganzen hervor;
die Meister der Glasierkunst haben sie wie zufällig
hingeworfen über die langen religiösen Inschriften, die in
weißen Lettern auf kaiserblauem Grunde die Tore einrahmen und
an den Friesen entlanglaufen. Aber wie kann man in diese
Moschee eindringen? Von uns aus gesehen, verschwinden die ganz
niedrigen Portale unter Erd- und Trümmerhaufen. Die
hundertjährigen Häuser der Umgegend, die fast vollständig
verfallen sind, begraben sie unter ihrem Schutt.
Auf meinem Nachhausewege komme ich an dem kleinen jüdischen
Basar meines Viertels vorüber, alle Läden sind geschlossen,
die Kaufleute sitzen vor der Tür und halten irgendein
mosaisches Buch in der Hand: Heute ist Sabbath; ich hatte es
vergessen. Hier erkennt man alle Leute Israels an der üblichen
Tonsur, die sich hinten vom Nacken bis zum Wirbel des Kopfes
hin erstreckt.