Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil

Sonnabend, 28. April.

Der Vezir von Chiraz kehrt noch immer nicht zurück, und so verzögert sich meine Abreise beständig, denn ich muß ihn sprechen, damit er mir für die Reise eine Begleitung, damit er mir Soldaten stellt.

Indessen gelingt es mir, dank M. van L.s Beistand, mit einem Pferdevermieter zu verhandeln, um die Reise fortsetzen zu können. Ein langer, mühsamer Kontrakt, der schließlich nach Verlauf einer Stunde unterschrieben und versiegelt wird. Nächsten Dienstag soll der Aufbruch stattfinden, und in zwölf bis dreizehn Tagen, inch' Allah! werden wir Ispahan erreichen. Aber ich habe zuviele Leute, zuviel Gepäck für die Anzahl von Tieren, die man mir liefern soll, und die ich scheinbar unmöglich werde vergrößern können. So sehe ich mich also gezwungen, einen meiner persischen Diener zu verabschieden. Und ich schicke ungezählte, in Bouchir erstandene Sachen zum Verkauf nach dem Basar: Geschirr, Feldbetten usw. Man muß sich eben, so gut es geht, beim Essen und Schlafen behelfen; die Hauptsache ist, daß endlich einmal Schluß gemacht wird.

Für heute hatte ich ein Rendezvous mit dem liebenswürdigen Chirazianer verabredet, der so freundlich gewesen war, mir einen Spaziergang auf den Dächern nach den Moscheen vorzuschlagen. Nachdem wir eine endlose Zeit durch den schmalen Irrgang hindurchgekrochen waren, erreichten wir über die Treppen eines verfallenen Hauses den Teil der Stadt, wo hunderte aus Lehm erbaute Dächer in Verbindung miteinander stehen, wo sie eine große, traurige Promenade bilden, die von hellem Licht überflutet ist, und deren Erde riesengroße Maultiere aufgeworfen haben. Das Gras ist gelb, stellenweise verbrannt, und noch weit mehr mit Unrat, Abfall und Schmutz bedeckt, als es der Boden in den Straßen war. In diesem Augenblick brennt die Sonne auf uns herab, und deshalb unterscheidet man nur mit Mühe im Hintergrunde der seltsam kleinen Wüste zwei oder drei auf Raub ausgehende Katzen, zwei oder drei träumende, vielleicht sinnende Perser in langen Kleidern. Aber alle Kuppeln der Moscheen sehen wir hier: mit kostbarer blau und grüner Glasur sind sie überzogen und gleichen so Edelsteinen, die aus einem trockenen Lehmhaufen – der Stadt Chiraz – hervorleuchten. Stellenweise entdeckt man auch viereckige Vertiefungen, und daraus empor ragen die Orangenbäume und die Platanen, es sind die eingeschlossenen Höfe, die kleinen Gärten der reichen Häuser.

Dieser Platz muß, so verlassen wie er am Tage auch daliegt, in den stillen Dämmerstunden und spät abends sehr besucht sein, denn zahlreiche Fußstapfen zeichnen sich auf dem Boden ab, und geebnete Wege führen nach allen Richtungen hin. Die Einwohner Chiraz' lustwandeln über den Häusern, über den Straßen, über der Stadt, sie benutzen ihre Dächer als Ablagerungsort, und alles findet man hier – sogar ein totes, schon von den Raben zerhacktes Pferd. Unterhalb dieser Erdkruste, die dem Rückenpanzer einer Schildkröte gleicht, also unterhalb unserer Füße, entfaltet sich die ganze Tätigkeit von Chiraz; das Leben spielt sich hier unter der Erde ab, ein wenig stickig zwar, aber schattig und kühl, und sehr geschützt gegen die Regengüsse, während man hier oben, ganz wie in den westlichen Städten, allen Launen des Himmels ausgesetzt ist.

Die Monumente aus alter Fayence, dort unten suchte man sie vergebens – große, abgerundete und eiförmig gebauchte Kuppeln, viereckige Türme, oder kleine Obelisken in der Gestalt von Torso-Säulen und -Spindeln – springen hier, fern und nah, leicht und ins Auge fallend aus dieser künstlichen Wiese hervor. Eine Wiese, die übrigens schmutzig und schäbig anzuschauen ist, und aus deren Innern man das Gesumme eines menschlichen Bienenschwarms vernimmt; von dort unten aus den überdachten Straßen, aus den Tunnels, die sich in dem ungeheuer großen Maulwurfshügel kreuzen, dringt das Stampfen der Pferde, das Glockenspiel der Karawane, die feilbietenden Rufe der Kaufleute, das Stimmengewirr zu uns herauf. Die miteinander in Verbindung stehenden Dächer sind oft von ungleicher Höhe, und so gibt es hier Hügel und Täler, gefährliche Schlitterbahnen, auch Löcher, Spalten, oft stößt man in diesem verfallenen Viertel auf große Vertiefungen; aber die langen, geraden Alleen der Basare bilden bequeme Wege, wo eine jede Öffnung, durch die die Leute dort unter atmen, uns im Vorübergehen einen unerwarteten Lärm entgegenschickt.

Um uns einer großen, ganz blauen, der ältesten und ehrwürdigsten Moschee nähern zu können, müssen wir über den Kupferbasar schreiten, und dort hören wir ein seltsames Geräusch, das aus dem Innern der Erde zu dringen scheint: den Lärm tausender von Hämmern.

Von Zeit zu Zeit sieht man in irgendeinen Hof hinab, aber es wäre unhöflich, lange stehenzubleiben; seine Lehmwände sind verfallen und mit alten, selten gefärbten Fayencen bekleidet, und wie überall, so stehen auch hier Orangenbäume, blühende Rosenbüsche. Die Sonne Persiens strahlt fast ein wenig zu sehr auf die mit Trümmern bedeckten Dächer herab, wo das Gras so verbrannt ist, wie bei uns im Herbst, und wirklich, man beneidet die Menge, die dort unten im Schatten kreist.

In der Nähe gesehen, ist die schöne, heilige Moschee, vor der wir jetzt stehen, nur noch eine Ruine; unter einem Traum von Emaillereichtum verfällt, verschwindet sie – und niemals wird sie ausgebessert werden. In das verschiedene Blau ihrer Fayencebekleidung mischt sich ein wenig Gelb, ein wenig Grün, gerade genug, um in der Ferne zu der Farbe des alten Türkiseblau zu verschmelzen. Einige Iriszweige, einige Rosenzweige springen auch hier und da aus dem Ganzen hervor; die Meister der Glasierkunst haben sie wie zufällig hingeworfen über die langen religiösen Inschriften, die in weißen Lettern auf kaiserblauem Grunde die Tore einrahmen und an den Friesen entlanglaufen. Aber wie kann man in diese Moschee eindringen? Von uns aus gesehen, verschwinden die ganz niedrigen Portale unter Erd- und Trümmerhaufen. Die hundertjährigen Häuser der Umgegend, die fast vollständig verfallen sind, begraben sie unter ihrem Schutt.

Auf meinem Nachhausewege komme ich an dem kleinen jüdischen Basar meines Viertels vorüber, alle Läden sind geschlossen, die Kaufleute sitzen vor der Tür und halten irgendein mosaisches Buch in der Hand: Heute ist Sabbath; ich hatte es vergessen. Hier erkennt man alle Leute Israels an der üblichen Tonsur, die sich hinten vom Nacken bis zum Wirbel des Kopfes hin erstreckt.

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