Reise durch Persien

Reise durch Persien

1925 n.Chr.

Pierre Loti

Inhaltsverzeichnis

Unterwegs

Sonntag, 22. April.

Das kleine Zimmer war wie alle Zimmer der Karawansereien vollständig leer, und eine unbeschreibliche Unsauberkeit herrschte dort. Die aufgehende Sonne zeigt uns die Lehmwände, die der Rauch geschwärzt hat, und die mit langen persischen Inschriften übersät sind. Den Fußboden bedeckten alte Salatblätter, Kehrricht, Unflat, Eulenfedern und Schmutz. Aber durch die Risse des Daches, wo das Gras sprießt, dringen die goldenen Strahlen der Sonne, die Düfte der Orangenbäume, das Morgenständchen der Schwalben. Drum einerlei, wie auch das Lager aussehen mag, wir können sogleich hinabsteigen, können in all die Pracht hinausfliehen.

Unten strahlt das wunderbare Gehölz in hellstem Morgenschein wieder, darüber spannt sich ein unvergleichbarer Himmel, der durchzittert ist von dem jauchzenden Lied der Schwalben. Man atmet eine feuchte, belebende, schmeichelnde Luft ein. Die großen Orangenbäume mit dem dichten Laub werfen einen blau-schwarzen Schatten auf den Boden, der von ihren Blumen übersät ist. Alle Karawanenreisenden, die über Nacht in den Alleen geschlafen haben, wachen voller Wohlbehagen auf, bleiben aber noch auf ihren schönen Teppichen aus Yezd oder Chiraz liegen, denn sie werden wie wir erst bei Sonnenuntergang aufbrechen; wir sind also darauf angewiesen, in diesem wunderbar frischen Gehege, das den Gasthof darstellt, den Nachmittag zusammen zu verbringen und Bekanntschaft zu machen.

Bald kommen aus der Stadt die Bäcker und Teekocher hierher. Sie stellen ihre Samowars, ihre winzigen, vergoldeten Tassen im Schatten auf und machen sich dann daran, ihre langohrigen »Kalyans«, die persischen Pfeifen, deren Rauch einen einschläfernden Duft verbreitet, in Ordnung zu bringen.

Und während unsere Pferde und Maultiere ringsumher friedlich grasen, schwindet der Tag für uns und für unsere zufälligen Reisegefährten in einer einzigen großen Ruhe dahin. Unter den schattenden Zweigen der Bäume rauchen wir, verträumen wir im Halbschlaf die Zeit, bieten wir uns gegenseitig in ganz kleinen Tassen den sehr süßen Tee, das ständige Getränk der Perser, an.

Von einem ganz eigenartigen Zauber ist der Friede, der um die Mittagsstunde herrscht, unter den Orangenbäumen wohnt auch dann noch die grüne Dämmerung, aber draußen funkelt und brennt die Sonne und überflutet mit ihrem Feuer die ausgedörrten Berge, zwischen denen Kazeroun eingeschlossen liegt.

Die Mitglieder meiner kleinen Karawane lernen sich jetzt allmählich näher kennen, mein Tcharvadar Abbas und sein Bruder Ali sind meine Kameraden geworden, die mir bei der Kalyan Gesellschaft leisten, und mit denen sich gut plaudern läßt; alles erscheint so viel leichter, das abendliche Aufladen, die Anordnungen vor dem Aufbruch, und kaum denkbar ist es, wie schnell man sich an das gesunde Wanderleben, sogar an die elenden, immer neuen Nachtquartiere gewöhnt, die man stets erst mitten in der Nacht schlaftrunken erreicht

Um vier Uhr treffen wir in aller Ruhe unsere Vorbereitung zum Aufbruch. Zwei bis drei Männer, die auf der Erde hocken und ihre Kalyan rauchen, zwei bis drei neugierige kleine Kinder, ungezählte fröhliche Schwalben, das sind unsere Zuschauer. Der Räuber wegen stellt das Oberhaupt des Landes uns vier stark bewaffnete Männer als Schutz, sie geben uns das Geleite, und so reiten wir hintereinander in einer langen Reihe unter dem schwarzen, verfallenen Spitzbogen hindurch, der die Pforte zu diesem zauberhaften Garten bildet.

Wir müssen zuerst Kazeroun durchqueren, das wir gestern abend noch nicht gesehen haben. Eine kleine Stadt, aus alten Zeiten; umgeben von Pappeln und grünen Palmen, lebt sie unverändert weiter. Zwischen den hohen, blühenden Gräsern tummelt sich gleich am Eingang eine Schar von Kindern – ganz kleine Knaben, die schon die langen Gewänder und hohen schwarzen Hüte der Männer tragen – sie spielen mit ihren Ziegen und wälzen sich in dem Windhafer und zwischen den Gänseblümchen umher. Die Kuppeln einiger bescheidener weißer Moscheen ragen hervor. Man sieht die fest verschlossenen Häuser, auf deren Dächern und Terrassen Gras und Blumen so üppig sprießen wie in den Wiesen. Das Ganze aber wird beherrscht von den Gärten, den Orangewäldern, die von hohen, eifersüchtig schirmenden Mauern mit den alten spitzbogigen Türen umschlossen sind. Schöne bewaffnete Reiter tummeln ihre Pferde auf den Straßen. Aber die Frauen gleichen geheimnisvoll in Trauer gekleideten Schatten, der schwarze Schleier, der sowohl ihr Gesicht wie auch ihren Körper verhüllt, zeigt kaum die immer grüne oder gelbe Pluderhose, und die gleichfarbigen Strümpfe, die oft sehr stramm über den zarten Knöchel gezogen sind. Wir hatten bis dahin nur die Bäuerinnen mit den unverschleierten Gesichtern kennengelernt, es ist das erstemal, daß wir in eine Stadt gelangen, wo sich uns Städter von einem gewissen eleganten Anstrich zeigen.

Auf der Erde befinden sich noch Plätze, die keinen Rauch, keine Maschinen, keinen Dampf, keine Hast, die keine Eisenwerke kennen. Und von allen Winkeln der Welt, die die Geißel des Fortschrittes verschont hat, kann gerade Persien sich rühmen, die schönsten zu besitzen – wenigstens will es uns Europäern so scheinen –, denn die Bäume, die Pflanzen, die Vögel und der Frühling tragen dort dieselbe Gestalt wie bei uns, man glaubt kaum in der Fremde zu sein, fühlt sich vielmehr in der Zahl der Jahre zurückversetzt.

Nachdem wir die letzten Gärten Kazerouns hinter uns gelassen haben, reiten wir zwei Stunden schweigend durch eine seltsam fruchtbare und frische Ebene. Gerste, Roggen, Weizen, grüne Weiden, erinnern in ihrer Üppigkeit an »das Land der Verheißung«, und ein süßer Duft von Heu und Kräutern durchschwängert die stille Abendluft . . .

Wir vergessen die Höhe, in der wir uns befinden, als die Felsen sich plötzlich zu unserer Rechten auftun. Unter uns liegt eine andere weite Ebene mit einem wundervoll saphirblauen See, das Ganze wird eingeschlossen von Bergen, die weniger drohend sind, als die der letzten Tage; sie erinnern an die wildesten Partien unserer Pyrenäen.

In diesen See verliert sich der Fluß, der aus Ispahan kommt; als wolle er die Stadt der alten Herrlichkeiten noch mehr von allem Leben absondern, ergießt er sich in keinen Strom, mündet er in kein Meer, sondern erlischt hier in diesem Gewässer, das ohne Abfluß ist, dessen Ufer nicht bewohnt sind.

Von einer ziemlichen Höhe aus beherrschen wir den See und die Ebene, obgleich auch diese zweifellos ungefähr zweitausend Meter über dem Meeresspiegel gelegen sind. Und ein seltsam schwarzes Knäuel hebt sich von den Weiden ab; von hier oben aus gesehen, könnte man zuerst annehmen, daß es ein vorüberziehender Insektenschwarm sei, aber es sind Nomaden, die sich dort zu Legionen mit ihrem Vieh eingefunden haben. Wie immer, schwarze Kleider, schwarze Zelte, schwarze Herden: Tausende von Schafen und Ziegen, aus deren Wolle man die persischen Teppiche, die ungezählten Decken, Säcke, Quersäcke und Lagergegenstände webt. Jedes Jahr im April findet eine große Völkerwanderung aller Nomadenstämme nach den hochgelegenen weidenreichen Ebenen des Nordens statt, und erst im Herbst steigen die Hirten wieder zu den Ufern des Persischen Golfs hinunter. Ihre gemeinsame Bewegung hat jetzt begonnen; mein Tcharvadar kündet mir an, daß ihr Vortrab schon in den Schlünden, die nach Chiraz zu hinaufführen, uns voraufgeht, und daß wir uns darauf gefaßt machen müssen, morgen mit ihnen zusammenzustoßen: es sollen übrigens böse Gesellen sein, und übel kann man mit ihnen aneinandergeraten.

Die Nacht bricht herein, und von neuem müssen wir uns zwischen den Felsen einen Weg suchen, der uns sechs- bis achthundert Meter höher hinaufführen soll, wo die nächste Etappe gelegen ist. Von unten aus der Ebene, die heute von den vielen weidenden Tieren, den vielen wilden Hirten überflutet ist, dringt das Geräusch eines lauten primitiven Lebens zu uns herauf; man hört die Tiere blöken, brüllen, wiehern, hört die Hunde heulen, und auch die Männer senden ihre lauten Rufe und Befehle in die Nacht hinein, oder aber sie schreien nur, schreien wie Tiere, aus lauter Lebenslust und Lebensübermut, ohne Ziel und ohne Zweck. Die Luft, die in dem Maße hellklingender wird, wie die Dämmerung zunimmt, ist durchzittert von dieser furchtbaren Symphonie.

Überall werden in der Ferne, in den Biwaks der Nomaden Holzfeuer angezündet, sie verraten uns in diesen vielen Schlünden, auf diesen vielen Hochebenen die Gegenwart von Menschen, die man hier nicht vermutete. Wir ziehen mitten durch die Planetenbahn der wandernden Stämme hindurch, und als wir zum letztenmal hinabsehen, einen Blick auf die Ebene und den dunklen See werfen, da leuchten uns ungezählte Feuer entgegen, und man könnte glauben, dort unten läge eine nimmer endende Stadt.

Sobald wir aber wirklich in dem nächtlichen Engpaß vordringen, gibt es weder Lichter noch Stimmen, noch sonst etwas. Die Nomaden sind noch nicht angelangt, und wir haben unsere gewohnte Einsamkeit wiedergefunden. Über unseren Häuptern erheben sich seltsam durchlöcherte Felsen, die versteinerten Blumen, Sternkorallen oder riesenhaft großen, schwarzen Schwämmen ähneln. Und von neuem beginnt das verwegene Klettern der letzten Nächte, der fast senkrechte Aufstieg inmitten der bröckelnden Felswände. Zwei Stunden turnen unsere Pferde und Maultiere fast aufrechtstehend die Treppen über den Abgründen hinan; wieder hört man auf den sich loslösenden Steinen das Schrammen der beschädigten Hufe, die sich an jedem Vorsprung anzuklammern versuchen – und wir sind dem ewigen Stoßen, dem ewigen »Schenkelanziehen« des Tieres ausgesetzt, wenn es sich mit den Vorderfüßen hochzieht, in beständiger Angst, herabzugleiten, zurückzurollen, in den Abgrund hinunterzustürzen. Endlich, um zehn Uhr, werden wir am Eingange zu einem wiesenreichen Tal, mit seinem sanft sich neigenden Abhang von allen Strapazen erlöst. Hier liegt eine kleine, viereckige Festung, in der ein Licht scheint. Es ist der Stand für die wachhabenden Soldaten, die den Räubern und Nomaden wehren sollen. Man macht halt, und man tritt ein, besonders da hier die berittene Begleitmannschaft zu wechseln ist; wir lassen unsere vier Leute, die uns in Kazeroun gestellt wurden, zurück und ersetzen sie durch vier andere ausgeruhte und frische Kräfte.

Im Innern dieser einsamen Festung wurde ein fröhlicher Abend gefeiert. Um den kochenden Samowar gruppiert, sang man Lieder und rauchte, und sobald wir eintreten, reicht man uns in winzigen Tassen Tee. Drei Reisende, drei Reiter mit langen Gewehren, sitzen dort, sie wollen wie wir nach Chiraz, und bieten uns ihre Begleitung an, und so brechen wir in einem großen Trupp auf.

Nach dem schrecklichen Gewirr, dem wir kaum entronnen sind, ist ein Ritt in diesem neuen Tal, auf einem gleichmäßigen, mit Blumen übersäten Boden eine wahre Wohltat. Man könnte fast glauben, daß man sich auf dieser leicht ansteigenden Fläche einem verzauberten Schlosse näherte, so wunderbar ist der Weg inmitten des großen Schweigens der Nacht, er gleicht einer Allee, die man für die Promenaden der Märchenprinzessinnen gepflanzt hat, einer Allee, eingeschlossen von buntblühenden Felswänden. Es stehen auch Bäume dort, die in der Dunkelheit unseren Eichen ähnlich sehen; riesenhaft große Bäume, seit Jahrhunderten müssen sie dort wachsen. Aber bescheiden stehen sie in großen Abständen auf dem Rasen, oder bilden vereinzelte Gruppen, die in ihren Umrissen künstlerisch schön wirken. Auf dem dichten grünen Teppich hört man nicht mehr den Schritt der Karawane. Von rechts, von links, von den Wipfeln der Bäume senden die Sumpfeulen uns vereinzelte kleine Töne herab, Töne, wie sie eine Schilfflöte hervorzuzaubern vermag. Es wird kühl, immer kühler, fast ist der Temperaturwechsel zu empfindlich für uns, die wir kaum den heißen Regionen dort unten entstiegen sind, aber es erfrischt und verscheucht die Müdigkeit. Und übervoll weißblühende Sträucher durchschwängern die Luft mit ihrem süßen Duft. Aber höher als all dieses stehen die Sterne, sie feiern ein großes, schweigendes Fest und entfalten eine große, glitzernde Pracht. Und alsbald beginnt der Regen der Meteore, sie erscheinen weit leuchtender als sonst, wahrscheinlich, weil wir hier dem Himmel näher sind, und gleichen kleinen Blitzen, die eine bleibende Bahn hinterlassen, und manchmal, wenn sie vorüberschießen, glaubt man, das Geknatter von Gewehrfeuer zu hören.

Von all den Gegenden, durch die wir mitten in der Nacht geritten sind, und die wir niemals am folgenden Morgen wiedersehen, die wir uns niemals bei hellem Tageslicht vorstellen konnten, gleicht auch nicht eine der heutigen; noch nirgends sind wir einem solchen Frieden begegnet, nirgends hat das Geheimnisvolle eine ähnliche Gestalt angenommen . . . Die Majestät der großen Bäume, die kein Windhauch bewegt, das nimmer endende Tal, die bläuliche Durchsichtigkeit der Nebel flüstert unserer Einbildungskraft leise einen Traum des griechischen Heidentums zu: Hier mußte die Heimat der seligen Schatten gewesen sein, und in dem Maße, wie die Stunden verrinnen, werden die elysäischen Gefilde, die finster schweigenden Wälder heraufbeschworen, in denen nur die Toten ihre Zwiegespräche halten.

Aber um Mitternacht zerreißt plötzlich der Zauber; von neuem versperren wild zerklüftete Berge unseren Weg, und ein kleines Licht, das man kaum dort oben unterscheiden kann, zeigt uns die Karawanserei, die es zu erreichen gilt. Wieder beginnt das waghalsige Klettern unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Steine, die sich loslösen, die abbröckeln und herniederrollen, wieder muß man all die Erschütterungen, all die Stöße auf den unermüdlichen Tieren erdulden, Schritt für Schritt tasten diese sich vorwärts, gleiten oft mit allen vieren aus, aber stürzen eigentlich nie ganz zu Boden.

Steigen, immer höher steigen. Seit unserer Abreise sind wir scheinbar auch zuweilen abwärts gestiegen, denn sonst würden wir uns jetzt fünf- bis sechstausend Meter über dem Meeresspiegel befinden, und ich schätze, daß wir höchstens dreitausend Meter erreicht haben.

Das Nachtquartier nennt sich diesmal Myan-Kotal, es ist kein Dorf, nur eine Festung, die, wie ein Adlernest auf einer einsamen Bergspitze errichtet ist; den Reisenden und deren Tieren bietet sie zwischen ihren dicken Mauern einen sicheren Schutz gegen die Räuber, das ist aber auch alles.

Wir dringen durch eine Pforte, die sich unmittelbar hinter uns schließt, in die mit Zinnen versehene Festung ein; überall liegen Pferde, Maultiere, Kamele, Karawanensäcke bunt durcheinander. Und von all den aus Lehm erbauten Nischen, die die Zimmer der Karawanserei vorstellen, ist nur noch eine einzige frei; diesmal müssen wir also mit den Leuten schlafen, wir haben nicht einmal so viel Platz, um unsere Feldbetten aufzuschlagen; übrigens ist es uns ganz gleichgültig, in aller Eile strecken wir uns der Länge nach auf der Erde aus, schieben einen Ballen unter den Kopf, decken uns warm zu, denn die Luft ist eisig, und liegen mit Ali, Abbas und mit den persischen Dienern durcheinandergewürfelt zusammen. Sofort überschleicht uns eine unwiderstehbare Müdigkeit und trägt uns alle in die Bewußtlosigkeit des Schlafes hinüber.

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