Fünfter Teil
Sonntag, 3. Juni
Alle meine Iraner sind betrunken. Meine neuen Diener, die
ich in Teheran angeworben habe, sind betrunken. Meine beiden
Kutscher sind noch betrunkener als am gestrigen Abend; sie
haben ihre Mützen verkehrt herum aufgesetzt und fahren uns
ebenso verkehrt in den Bergen umher. Vier Stunden lang wagen
wir uns auf den sich dahinschlängelnden Pfaden vorwärts, wo
uns Kamele und Maultiere den Weg versperren, und wo sich keine
Felswand als Schutz gegen die Abgründe erhebt. Ich hatte die
Angst vor dem Alkohol ganz vergessen, als ich mit meinen guten
Tcharvadaren aus Mittelpersien reiste; aber jetzt sehe ich,
daß mein neues Gefolge sich schon durch einen leisen Anflug
europäischer Zivilisation auszeichnet.
Wir steigen immer mehr zu der normalen Durchschnittsfläche
der Erde herab. Um die Mittagsstunde wird in einem
paradiesischen Winkel, der schon ganz im Schutz gegen den zu
scharfen Wind der Gipfel gelegen ist, haltgemacht. Diese
Schlucht scheint unseren entwöhnten Augen einem irdischen
Paradies zu gleichen. Große Feigenbäume, so gewaltig, so dicht
belaubt wie die Banianenbäume Indiens, verzweigen sich und
bilden über dem Wege ein Blättergewölbe; das Gras ist hoch und
mit Kornblumen, mit rötlichen Kuckucksblumen übersät; die
Granatbäume, die ihre wunderbare Blüte fast ganz beendet
haben, streuen rote Korallen auf das Moos; ein sehr klarer
Bach plätschert zwischen den hohen, lilagetönten Blumen.
Dieser Ort muß im ganzen Lande bekannt sein, denn die
verschiedensten Reisenden halten hier ihren Mittagsschlaf; auf
dem weichen Teppich, den die Stengel der Gräser noch
schwellender machen, sitzen Perser und Perserinnen, sie kochen
ihren Tee, essen Früchte und Kuchen; die verschleierten Damen
lüften mit einer Hand ihre weiße Maske und stopfen darunter
Kirschen in den Mund; Tscherkessen mit Pelzmützen, mit einem
langen silbernen Dolch, der gerade wie ein Degen ist, sitzen
abseits unter einer Eiche, und die Turkomanen hocken um eine
Schüssel und greifen mit den Fingern nach dem gekochten
Fleisch. Es gibt hier kein Dorf, keine Karawanserei; nichts
als ein altes Lehmhäuschen, das dem Teehändler gehört, und
dessen drei oder vier kleine Knaben eifrig bemüht sind, die
Leute draußen im Freien, im kühlen Schatten zu bedienen. Alles
geht so natürlich, so lustig zu, denn jeder ist von der
Schönheit des Platzes, der entzückenden Lage bezaubert, man
sieht hohe Herren, in Kaschmirgewändern eigenhändig aus dem
klaren Bach ihren kupfernen Becher oder ihren Samovar füllen,
und die Bettler, zerlumpte, halbnackte Leute, haben die
schönen Blätter auf ihre Beinwunden geklebt und warten darauf,
daß man ihnen die Überreste des Mahls reichen wird. Im
Schatten der großen Feigenbäume, auf hölzernen, mit roten
Teppichen bedeckten Bänken bringt man uns unter, und dort
nehmen wir, nach persischer Sitte hockend, unser Mittagsessen
ein.
Aber plötzlich ertönt ein furchtbarer Lärm hinter dem
überhängenden Berg am Himmel: ein Gewitter, das wir nicht
sehen konnten, das heimlich herangeschlichen ist. Und sofort
pladdert es auf das Blätterdach herab; Regen, Hagel,
Wasserströme, Sintflut.
Rette sich, wer kann; in dem kleinen, dunklen Loch des
Teehändlers drängen sich so viele Leute, wie nur hineingehen,
zusammen, alles im bunten Durcheinander mit den Tscherkessen,
den Turkomanen, den zerlumpten Bettlern. Nur die Damen sind
anstandshalber draußen geblieben. Es regnet in Strömen; ein
schmutziges, mit Lehm vermischtes Wasser fließt durch die
Risse des Daches auf uns herab; der duftende Rauch der Kalyan
vereint sich mit dem Rauch der auf dem Boden stehenden Öfen,
wo die Kessel der Teetrinker warm gehalten werden; man kann
nicht mehr atmen; wir wollen uns dem Loch nähern, das als Tür
dient . . .
Von hier aus sehen wir die Damen unter den Bäumen, unter
den Teppichen sitzen, die sie wie Zelte ausgespannt haben;
ihre durchnäßten Schleier kleben drollig an den Nasen fest;
der niedliche Bach ist zum Strom angewachsen, er bedeckt sie
mit Schmutz; sie haben ihre Babuschen, ihre Strümpfe, ihre
Hosen ausgezogen, und während sie noch immer züchtig das
Gesicht verhüllen, zeigen sie ihre hübschen, sehr rundlichen
Beine; – und trotzdem sind sie guter Laune, denn man sieht,
wie ein kindliches Lachen ihre durchnäßten Formen schüttelt .
. .
Wir schlafen nachts in einem traurigen Weiler, am Ende
einer Brücke, sie führt über eine wilde Schlucht, über einen
reißenden Gießbach dahin. Und ein Chaos von Bergen umgibt uns:
Alle Stufen, die wir vom Arabischen Meer erklommen haben, um
nach Persien hinaufzugelangen, müssen wir natürlich auf dieser
Seite hinabsteigen, wollen wir das Kaspische Meer erreichen.
Kaum sind wir in das kleine, unbekannte Häuschen
eingetreten, so kehrt auch der Donner, die Sintflut zurück.
Und gegen Ende der Nacht beunruhigt uns ein beständiger Lärm,
ein schrecklicher Höllenlärm, er wird nicht durch das Gewitter
verursacht, sondern kommt von unten, aus dem Innern der Erde,
möchte man sagen. – Es ist der Fluß unter uns, der plötzlich
dreißig Fuß gestiegen ist, und der jetzt in furchtbarer Wut
die Felsen peitscht.