Zivilisation und ...

Reise einer Wienerin in das Heilige Land

Ida Pfeiffer

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Tiberias

15. Juni 1842

Heute war mir Gott sei Dank ziemlich wohl. Um sechs Uhr morgens saß ich schon wieder zu Pferd, um an dem Ausflug teilzunehmen, welcher für heute nach Tiberias bestimmt war.

An der Marienquelle und einem Berg, auf welchem einige Ruinen stehen, vorbei, ritten wir gegen anderthalb Stunden bis an den Fuß des Berges Tabor, dessen höchste Spitze man erst nach länger als einer Stunde erreicht. Von einem Weg war keine Spur zu entdecken, wir mußten über Stock und Stein setzen, wobei unsere Pferde so stark ermüdeten, daß sie nach einer halben Stunde nicht mehr weiterkonnten und wir genötigt waren, zu Fuß zu gehen. Nach vielen Beschwerden, sowohl des Kletterns als der Hitze wegen, gelangten wir auf den Gipfel des Berges, und in der Tat, nicht nur die geschichtliche Begebenheit, welche sich hier zutrug, lohnt die Mühe des Ersteigens, sondern auch die schöne Aussicht, deren man sich hier erfreut. Diese ist wirklich großartig. Der Berg Tabor ist auch unter dem Namen »Berg der Seligkeit« bekannt; hier oben hielt Jesus die berühmte Bergpredigt. Von allen Bergen, die ich bisher in Syrien sah, ist der Tabor allein bis zur Spitze mit Eichen- und Johannisbrotbäumen bewachsen. Auch in den Tälern sieht man statt des früheren Gesteins die herrlichste Erde. Dessenungeachtet ist die Bevölkerung gering, die wenigen Dörfer sind klein und elend. Die armen Bewohner Syriens werden aber auch zu sehr gedrückt, sie können, da die Steuern für die Erzeugnisse des Landes zu hoch sind, unmöglich mehr bauen, als sie zum nötigsten Lebensbedarf brauchen. So sind zum Beispiel die Fruchtbäume nicht im ganzen, sondern stückweise besteuert. Da zahlt ein Olivenbaum ein bis eineinhalb Piaster, ein Orangen- oder Zitronenbaum ebensoviel usw. Trotz alledem kann der arme Bauer nie mit Sicherheit sagen: dies oder jenes gehört mir. Der Pascha darf ihn nach Belieben versetzen oder wohl gar vertreiben, denn er hat in seiner Provinz so große Macht wie der Sultan in Konstantinopel. Auf dem Berg Tabor halten sich Stachelschweine auf; wir fanden einige schöne hornene Stacheln derselben.

Wir stiegen am jenseitigen Abhang des Berges hinab in das schöne, große Tal, wo Jesus viertausend Menschen mit einigen Broten und Fischen speiste, und ritten noch fünfhalb Stunden bis nach Tiberias.

Sehr überraschend ist der Anblick, welcher sich von der Höhe des letzten Berges vor Tiberias darbietet. Mit einemmal entfaltet sich eine der herrlichsten Landschaften vor unsern Augen. Tief senkt sich das Tal bis zum Spiegel des Galiläischen Meeres, um dessen Ufer die schönsten Gebirge sich wahrhaft malerisch mit den verschiedenartigsten Staffagen ziehen. Besonders pittoresk erscheint der kolossale Rücken des Antilibanon, der, mit Schnee bedeckt, herrlich im Sonnenglanz schimmernd, sich nebst seiner Umgebung getreu in der klaren Fläche des Sees spiegelt. Tief unten liegt das Städtchen Tiberias, überschattet von einigen Palmen, beschützt von einem etwas höher liegenden Kastell. Dieser unerwartet schöne Anblick überraschte uns so sehr, daß wir von den Pferden stiegen und über eine halbe Stunde auf der Spitze des Berges verweilten, um das wundervolle Bild recht nach Lust betrachten zu können. Graf S. entwarf in Eile eine recht wohlgelungene Skizze der Landschaft, die wir alle so schön fanden, obgleich die sie umgebenden Berge alle kahl und öde sind. Dies ist der eigentümliche Charakter dieser Länder; Matten, Alpen und Wälder in unserem Weltteil zeigen uns wieder eine ganz andere Fülle von Naturschönheiten. In einem europäischen Gebirgsland würde uns dieser Anblick wohl nicht halb so entzückt haben, aber hier in diesen an Natur und Menschen armen Gegenden ist man mit wenigem befriedigt, von wenigem entzückt. Würde uns zum Beispiel auf unserer Reise ein ganz einfach gekochtes Stück Rindfleisch nicht besser geschmeckt haben als in der Heimat die leckersten Gerichte? So erging es uns auch mit der Natur.

Als wir das Städtchen betraten, befiel uns eine unbeschreibliche Wehmut. Es lag noch halb im Schutt nach einem der furchtbarsten Erdbeben, welches im Jahr 1837 hier besonders zerstörend gewütet hatte. Wie mag es damals ausgesehen haben, da es noch jetzt, wo überall nachgeholfen und gebaut wird, einem halben Schutthaufen gleicht! Wir sahen ganz eingestürzte Häuser, viele sehr beschädigt, ganze Risse und Spalten in den Mauern, zusammengefallene Terrassen und Türme, kurz, wir wandelten allenthalben auf Ruinen. Bei diesem Erdbeben sollen viertausend Menschen, mehr als die halbe Bevölkerung, ihren Tod gefunden haben.

Wir stiegen bei einem jüdischen Arzt ab, welcher hier in Ermangelung eines Gasthofes die Fremden aufnimmt. Ich war ganz erstaunt, bei diesem Mann alles sehr nett und rein zu finden. Seine Zimmerchen waren einfach, aber bequem eingerichtet, der kleine Vorhof mit großen Steinplatten gepflastert, und in der Vorhalle standen rings an den Wänden weichgepolsterte, sehr schmale Bänke. Sosehr wir durch diese schöne Ordnung und Reinlichkeit überrascht waren, so stieg unsere Verwunderung noch mehr, als wir die Juden, deren es so viele in Tiberias gibt, weder türkisch noch griechisch, sondern ganz so gekleidet fanden wie bei uns in Polen und Galizien. Auch sprachen die meisten unter ihnen deutsch. Ich erkundigte mich gleich nach der Ursache dieser Eigentümlichkeit und erfuhr, daß alle hier ansässigen Judenfamilien aus Rußland und Polen gekommen seien, um im Gelobten Land wenigstens zu sterben. Überhaupt nähren alle Juden eine große Sehnsucht, die letzten Tage ihres Lebens in der Heimat ihrer Voreltern zuzubringen, um da wenigstens begraben zu werden.

Wir ersuchten die junge Hausfrau (ihr Mann war abwesend), uns eine tüchtige Portion Pilaw nebst einigen Hühnern recht bald zu bereiten, währenddessen würden wir die Stadt und die nahen Bäder am See Genezareth besuchen und längstens in anderthalb Stunden zurückkehren.

Wir gingen an den See Genezareth, der süßes Wasser enthält, setzten uns in eine Fischerbarke, um auch da zu schiffen, wo Jesus einst den Sturm beschwichtigt hatte, und ließen uns bis an die warmen Quellen führen, welche einige hundert Schritte außerhalb der Stadt ganz nahe am Gestade entspringen. Auf dem See hatten wir, Gott sei Dank, keinen Sturm, allein kaum ans Land getreten, ging es mit den Fischern stürmisch her. Wir setzten uns in die Barke, ohne den Fahrpreis zu besprechen, beim Aussteigen aber wurde ihnen eine sehr gute Belohnung gereicht. Allein sie warfen das Geld hin und begehrten dreißig Piaster, während sie bei einer Unterhandlung gewiß nicht zehn verlangt hätten. Man gab ihnen fünfzehn, um sie loszuwerden; es war ihnen noch nicht genug, sie schrien und lärmten vielmehr dergestalt, daß die Diener der Grafen schon mit den Stöcken Ruhe und Ordnung herzustellen drohten. Dies brachte sie insoweit zur Vernunft, daß sie wenigstens gingen, jedoch beständig zankend und schreiend.

Wir fanden bei den warmen Quellen ein Badehaus, in runder Form erbaut und mit einer Kuppel gedeckt, und trafen da eine ziemlich bedeutende Pilgerschar, meistens Griechen und Armenier aus der nahen Umgebung, die nach Nazareth und Jerusalem wallten. Sie hatten an dem Badehaus ihr Lager aufgeschlagen. Die Hälfte dieser Leute befand sich im Vollbad, worin es höchst lebhaft zuging. Wir wollten auch hinein, nicht um zu baden, sondern nur um die innere Schönheit und Einrichtung, worüber so manches in Büchern geschrieben steht, in Augenschein zu nehmen; allein ein solcher Dunst und Qualm strömte uns entgegen, daß wir nicht ganz hineinzudringen vermochten. Doch sah ich genug, um mich auch hier wieder zu überzeugen, daß Übertreibung oder Poesie so manche Feder weit über die Wahrheit hinaus leitet. Sowohl das Äußere dieses Bades als das Vorgemach und der Blick in das Innere erregten nicht sehr mein Erstaunen oder meine Neugierde. Von außen gleicht es einem sehr mittelmäßigen kleinen Gebäude, an dem wir durchaus nichts Schönes entdecken konnten. Im Innern war viel Marmor angebracht, zum Beispiel die Täfelung des Bodens, die Einfassung des Bades usw. Marmor ist hierzulande nichts so Seltenes, um seinetwegen ein Wunder aus diesem Badekiosk zu machen und desselben mehr als vorübergehend zu erwähnen.

Abends um acht Uhr kehrten wir ganz müde und voll Eßlust in unsere freundliche Wohnung zurück und schmeichelten uns, das einfache Mahl, das wir vor mehreren Stunden bestellt hatten, rauchend und dampfend auf dem gedeckten Tisch zu finden. Ach, wir fanden weder in der Vorhalle noch in einem der Zimmerchen einen ungedeckten Tisch, viel weniger etwas anderes. Halb erschöpft lagerten wir uns auf Stühle und Bänke und sahen mit ungestillter Sehnsucht dem Mahl und der darauffolgenden Ruhe entgegen. Ein Bote nach dem andern wurde in die Küche gesandt, um zu forschen, ob die gekochten Hühner noch immer nicht im eßbaren Zustand seien. Wir wurden von einer Viertelstunde auf die andere vertröstet, und es kam nichts. Endlich, um zehn Uhr, ward ein Tisch gebracht, dann ein Stuhl, dann wieder einer, und endlich ein reines Tischtuch, und so ging es fort bis elf Uhr. Da erschien der Herr des Hauses, welcher eben erst von einer kleinen Landreise heimgekommen war, und mit ihm ein gekochtes Hühnchen. Ach, es trug sich bei unserer Mahlzeit kein Wunder zu wie in der Ebene, wo viertausend Menschen mit einigen Broten und Fischen gespeist wurden, wir waren doch nur sieben Personen, da hätte sich dies Hühnchen nur siebenmal vermehren dürfen, und wir wären gesättigt gewesen; so aber erhielt jeder nur ein Rippchen und damit Punktum. Freilich kam dann ein Gericht nach dem andern, das wußten wir aber nicht, ebensowenig die Anzahl der bereiteten Speisen, sonst hätten wir uns das Ding schon eingeteilt, und ein jeder hätte ein Gericht ganz für sich behalten, denn im Lauf von fünf viertel Stunden kamen neun bis zehn Tellerchen zum Vorschein; aber mit lauter winzigen Portionen, so daß man im eigentlichen Sinn des Wortes nur überall kosten konnte. Wir hätten zwei derbe Speisen all diesem Firlefanz vorgezogen. Die Gerichte bestanden aus einem gekochten, einem gebratenen und einem eingemachten Hühnchen, aus einem Tellerchen gefüllter Gurken, aus einem solchen roher Gurken, aus einem bißchen Pilaw und einigen Stückchen Schöpsenfleisch.

Für die Unterhaltung bei Tisch sorgte unser Wirt, indem er eine greuliche Szene aus der Zeit des Erdbebens nach der andern erzählte. Auch er hatte dabei sein Weib und seine Kinder verloren, und nur weil er gerade auf einem Krankenbesuch in der Umgebung war, entkam er selbst diesem Schicksal.

Eine halbe Stunde nach Mitternacht suchten wir unsere Schlafstellen. Der Arzt räumte uns sehr gefällig seine drei Kämmerchen ein, da war aber die Hitze so drückend, daß wir es vorzogen, im Hof auf den Steinen unser Lager aufzuschlagen. Ein hartes Lager, dagegen eine leichte Verdauung des großen Mahles.

16. Juni 1842

Um fünf Uhr früh empfahlen wir uns und kehrten auf demselben Weg, nur nicht zum zweitenmal über den Berg Tabor, sondern längs desselben, in sechs Stunden nach Nazareth zurück. Ich besuchte heute noch einmal alle die Orte, die ich zwei Tage früher halbtot besehen hatte, und brachte auf diese Art einige Stunden recht angenehm zu.

17. Juni 1842

Morgens um halb sechs Uhr sagten wir den würdigen Priestern zu Nazareth für immer Lebewohl und ritten unausgesetzt bis zwei Uhr, also neunthalb Stunden bis zum Kloster auf dem Berge

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