Reise von Konstantinopel über Beirut nach Jerusalem
Rhodos
21. Mai 1842
Gestern abend und heute den ganzen Tag fuhren wir beständig
zwischen Inseln. Die bedeutendsten darunter waren Chios, Samos
und Kos, und selbst diese bilden ein garstiges Bild,
unwirtliche, kahle Gebirge und öde Gegenden. Nur auf der Insel
Kos sahen wir eine artige Stadt nebst bedeutenden
Festungswerken.
22. Mai 1842
Diesen Morgen liefen wir gleich nach fünf Uhr in den
wunderschönen Hafen von Rhodos ein. Erst hier bekam ich die
deutliche Vorstellung eines Seehafens. Von allen Seiten ist
dieser Hafen von Mauern und Felsstücken umgeben, und nur eine
Einfahrt von vielleicht hundertfünfzig bis zweihundert
Schritten ist den Schiffen geöffnet. Da kann nun jedes Schiff
ruhig liegen, mag der Sturm von außen auch noch so wüten; der
einzige Nachteil ist, daß das Einlaufen selbst bei ruhiger See
eine schwierige Aufgabe, bei stürmischem Wetter aber ganz
unmöglich ist.
An beiden Seiten des Hafeneinganges stehen runde Türme, ihn
zu beschützen. Die ehrwürdige Johanniterkirche und der Palast
des Komturs ragen hoch über Häuser und Festungswerke heraus.
Der Schiffskapitän verkündete uns die angenehme Nachricht,
daß wir von jetzt bis drei Uhr nachmittags die Stunden auf dem
Land zubringen könnten. Kleine Boote umschwärmten schon lange
unser Schiff, und so verloren wir keinen Augenblick mehr, uns
an Land setzen zu lassen. Kaum die Erde betreten, hatten wir
nichts eifriger zu tun, als nach der Stelle zu forschen, wo
einst der berühmte Koloß gestanden haben mag. Wir konnten
nichts ermitteln, denn weder unsere Bücher noch die hiesigen
Menschen vermochten uns mit Bestimmtheit den Ort anzugeben.
Wir verließen also die Küste, um uns dafür durch den Anblick
der altertümlichen Stadt zu entschädigen.
Diese Stadt ist mit dreifachen starken Festungswerken
umgeben. Über drei Zugbrücken gelangten wir hinein. Sehr
überrascht wurden wir durch die schönen Gassen, die
wohlerhaltenen Häuser und die ganz vorzügliche Pflasterung.
Die Hauptstraße, wo die Häuser der ehemaligen Malteserritter
(Johanniter) stehen, ist breit; die Gebäude sind massiv aus
Stein, sie gleichen ordentlichen Festungen. Oberhalb der
gotischen Tore prangen die Wappen samt Jahreszahl in Stein
gemeißelt. Das französische Wappen mit den drei Lilien und der
Jahreszahl 1402 erscheint am häufigsten. Die Kirche und das
Haus des Komturs stehen auf dem höchsten Punkt.
Von außen sieht alles so gut erhalten aus, daß man glauben
sollte, die Ritter seien nur ausgezogen, ihr Siegespanier auf
das Heilige Grab zu pflanzen. Ausgezogen sind sie wohl – um in
eine bessere Heimat einzugehen. Jahrhunderte wehen über ihre
Asche, die zerstreut in allen Teilen der Welt liegt. Doch ihre
Taten sind gesammelt vor Gott und den Menschen, und bewundert
leben sie fort im Angedenken der letzteren.
Die Kirche, das Haus des Komturs und viele andere Bauten
sind im Innern nicht halb so gut erhalten, wie der erste
Anblick vermuten läßt. Dies kommt daher, weil der obere Teil
der Stadt wenig bewohnt ist. Da herrscht eine schauerliche
Leere und Stille. Wir konnten überall ruhig und ungestört
herumwandeln, ohne von lästigen Neugierigen begafft oder
beleidigt zu werden. Mr. B., der Engländer, nahm einzelne
Skizzen einiger Schönheiten, der gotischen Tore,
Fensterwölbungen, Balken usw. in sein Handzeichenbuch auf, und
kein Bewohner trat ihm störend entgegen.
Das Pflaster in der Stadt und selbst in den Straßen, die
sich um die Festungswerke ziehen, besteht aus lauter gleichen,
schönen Kieselsteinen, oft von bunten Farben wie Mosaik und
noch so gut erhalten, als ob diese Arbeit erst kürzlich
beendet worden wäre. Freilich fährt hier kein belasteter
Wagen, der die Steine zermalmt; der Gebrauch des Fuhrwerks ist
unbekannt; alles wird von Pferden, Eseln und Kamelen getragen.
Auf den Wällen stehen noch die Kanonen aus den Zeiten der
Genueser. Die Lafetten sind äußerst plump, und die Räder
bestehen aus runden Tafeln ohne Speichen.
Von diesem Standpunkt aus kann man die Ausdehnung und
Stärke der Festung vollkommen übersehen. Drei hohe Wälle
umgeben die Stadt, die so für die Ewigkeit gebaut scheinen,
daß sie fast unbeschädigt in ihrer ganzen Pracht noch
dastehen. An einigen Orten ist das lebensgroße Bildnis der
heiligen Maria an den Mauern der Wälle ausgehauen.
Die Umgebung ist reizend und gleicht einem wahren Lustpark.
Viele Landhäuser liegen in diesem großen Naturgarten
zerstreut. Die Vegetation ist so üppig wie in Smyrna.
Die Bauart der Häuser unterscheidet sich hier schon
merklich. An vielen sind Türme angelehnt, und die Dächer sind
flach und bilden lauter Terrassen. Alle sind aber aus Stein
gebaut. Gar sonderlich kommen mir die mit großen steinernen
Kanonenkugeln eingefaßten Straßen vor, welche im untern Teil
der Stadt liegen und meist von Juden bewohnt sind.
Ebenso überraschend war für mich die Tracht des Landvolkes,
das ganz schwäbisch gekleidet ist. Vergebens erkundigte ich
mich nach der Ursache dieser Erscheinung; in den Büchern, die
wir bei uns hatten, fand ich keinen Aufschluß darüber, und mit
den Eingeborenen konnte ich nicht sprechen.
Um drei Uhr nachmittags waren wir wieder an Bord, eine
Stunde später segelten wir dem offenen Meer zu. Heute sahen
wir nichts mehr als eine lange und hohe Gebirgskette des
asiatischen Festlandes, Zweige des Taurus. Die höchsten Gipfel
schimmerten im Abendlicht silberweiß, sie waren mit Schnee
bedeckt.