Der Rosengarten
Der Rosengarten

Aussprache: golestaan
arabisch:
persisch: گلستانِ
englisch:
The Rose Garden

Bild: Umschlag der Erstausgabe 1846 (Proportion verändert)

Mehr zum Thema siehe: Rosengarten - Golestan

Der Rosengarten

Fünfte Abteilung: Von der Liebe und der Jugend

Hasan Meimendi wurde gefragt: Der Sultan Mahmud hat so viele schöne Sklaven, deren jeder ein Wunder der Welt ist; wie kommt es denn, daß er zu keinem von ihnen eine solche Liebe und Zuneigung hat wie zu Ajas, der doch nicht schöner ist als die andern. Ihr wißt, antwortete er, daß, was das Herz erquickt, auch das Auge entzückt.

Auf wem des Sultans Gunst und Gnade ruht,
Bei ihm ist alles, auch das Schlechtste gut,
Doch wen der König von sich weggestoßen,
Den achtet keiner von des Hofes Großen.
Wirft man mit Widerwillen auf jemand seine Blicke,
      So nennt man schlecht und häßlich selbst Josephs Huldgestalt.
Doch wirft man mit Gefallen das Aug' auf einen Teufel,
      Ein cherubgleicher Engel erscheint er alsobald.

*

Man erzählt von einem Herrn, der einen Sklaven von seltener Schönheit hatte und ihm mit reiner Liebe und frommem Sinne zugetan war. Einst äußerte er gegen einen seiner Freunde: Ach, wenn dieser mein Sklave, bei der Schönheit und den Vorzügen, die er besitzt, nur nicht so geschwätzig und ungezogen wäre! O Bruder, sagte der Freund, wo du Freundschaft bekennst, mußt du keine Dienstbeflissenheit erwarten, denn wo Liebender und Geliebter erscheinen, verschwinden Herr und Diener.

Sobald der Herr mit seinem schönen Sklaven
      Im Scherz zu spielen und zu tändeln pflegt,
Was Wunder, wenn er wie der Herr liebkoset,
      Und dieser wie der Sklave es erträgt?
Ziegel soll der Sklave treten, Wasser tragen;
Der liebkos'te Sklave wird mit Fäusten schlagen.

*

Einen frommen Mann sah ich in Liebe zu jemand gefangen, und sein Geheimnis war aus dem Schleier an das Tageslicht getreten; soviel er aber auch Tadel erfuhr und Pein erfuhr, er konnte von seiner Liebe nicht lassen und sprach:

Von deinem Kleidersaum zieh' ich die Hand nicht ab,
      Magst gegen mich das scharfe Schwert du ziehn.
Nicht Zuflucht und nicht Obdach hab' ich außer dir,
      Und flieh' ich, kann ich ja zu dir nur fliehn.

Einst machte ich ihm Vorwürfe und sprach: Was ist denn deinem hohen Verstande widerfahren, daß er sich von niedriger Leidenschaft beherrschen läßt? Er blieb einige Zeit in Gedanken und sprach dann:

Wo Sultan-Liebe eingezogen,
      Ist alle fromme Kraft dahin.
Kann ich mit reinem Kleide leben,
      Wenn ich zum Hals im Kote bin?

*

Jemandem war das Herz aus der Hand entkommen und er hatte von dem Leben Abschied genommen; aber das Ziel, wohin er seine Blicke erhob, war ein Ort des Sterbens und ein Abgrund des Verderbens, nicht ein Bissen, von dem man sich einbilden konnte, er würde in den Gaumen gelangen, noch ein Vogel, den man hoffen konnte in der Schlinge zu fangen.

Ist Gold nichts wert in des Geliebten Sinn,
So bringt dir Gold und Staub gleichviel Gewinn.

Seine Freunde suchten ihm zu raten und sagten: Laß ab von diesen unsinnigen Träumen, viele andere sind auch in dem Wunsche, den du hast, gefangen und am Fuße gefesselt. Er seufzte und erwiderte:

O Freunde, fort mit euerm guten Rate!
      Auf seinen Wink nur ist mein Blick gewandt.
Der Tapfre schlägt mit seiner Faust die Feinde,
      Vom Schönen wird dem Freund der Tod gesandt.

Es ist das Gesetz der Liebe, daß man nicht aus Sorge für seinen Leib das Herz von seinem Lieb abwende.

Wenn du gefesselt bist von eigner Liebe Band,
Treibst du ein Lügenspiel mit eitelm Liebestand.
Gelingt's dem Streben nicht, den Freund dir
zu erwerben,
Mußt du, die Freundschaft will's, in seinem Suchen sterben.
Hier steh' ich, hofft nicht, daß mich etwas rühre,
Ob Schwert und Pfeil der Feind auch auf mich führe.
Vielleicht, daß seinen Ärmel ich berühre;
Wo nicht, so sterb' ich doch vor seiner Türe.

Seine Angehörigen, die seinen Zustand bemerkten und sein Schicksal bemitleideten, gaben ihm Rat an die Hand und legten ihm Fesseln an den Fuß, aber es half nichts.

O Schmerz! indes der Arzt ihm Aloe verschrieben,
Wird er von seiner Gier zum Zucker hingetrieben.
Weißt du, was ein Schöner in die Ohren
Dessen sagte, der sein Herz verloren?
Willst du deinen eignen Wert noch schätzen,
Welchen Wert kannst du auf mich denn setzen?

Der Königssohn, welcher das hohe Ziel seiner Augen war, wurde davon benachrichtigt. Ein Jüngling, sagte man ihm, von angenehmem Wesen und süßer Zunge hält sich immer am Ende dieses Platzes auf und läßt liebliche Rede und wunderliche Witzworte hören; offenbar ist sein Kopf getrübt und sein Herz entflammt, denn es scheint, als wäre er von Sinnen. Der Sohn verstand, daß er es sei, welcher dessen Herz bewegt und den Staub dieses Unheils erregt, und er trieb sein Pferd gegen ihn hin. Als der Jüngling den Königssohn auf sich zukommen sah, weinte er und sprach:

Vor mir erscheint er, der zum Tode mich verdammt:
Wohl ist für den Getöteten sein Herz entflammt.

So gütig ihn aber auch der Königssohn anredete und ihn fragte, wo er her sei, wie er heiße, welche Kunst er verstehe, der Jüngling war so tief in dem Meere der Liebe versunken, daß er seinen Mund zum Reden zu öffnen nicht vermochte.

Wüßtest du auch den Koran auswendig herzusagen,
Liebekrank vermagst du nicht mehr ABC zu sagen.

Der Königssohn sprach: Warum sagst du mir nicht ein Wort? Ich gehöre ja auch zu den Derwischen, ja ich bin ihr eigener Sklave. Da erhob durch die Macht der Freundlichkeit des Geliebten der Jüngling das Haupt aus den tobenden Wellen der Liebe und sprach:

O Wunder, daß bei deinem Dasein meines noch besteht,
Daß, wenn du zu mir redest, mir die Stimme nicht vergeht.

So sprach er, stieß einen Schrei aus und gab den Geist auf.

Kein Wunder ist's, wenn einer stirbt vor seines Freundes Zelt,
Ein Wunder, daß ein Lebender sein Leben noch behält.

*

Ein Schüler war von außerordentlicher Schönheit, und sein Lehrer wurde von dem menschlichen Gefühle zu seiner schönen Gestalt so sehr hingezogen, daß er öfters in die Worte ausbrach:

So bin ich in dich versunken, o du Paradiesesantlitz,
      Daß von meinem eignen Dasein das Bewußtsein mir zerflossen.
Ich vermag vor deinem Anblick meine Augen nicht zu schließen,
      Seh' ich auch die scharfen Pfeile, die von da auf mich geschossen.

Einst sprach der Knabe: So wie du dich um die Ausbildung meiner Kenntnisse bemühst, so schenke doch auch der Ausbildung meiner sittlichen Anlagen einen Blick, damit, wenn du in meinem Betragen etwas Unziemendes siehst, das ich für geziemend halte, du mich darüber aufklärst und ich mich bemühe, es zu ändern. Mein Sohn, antwortete er, verlange dieses von einem andern, denn mit dem Auge, mit dem ich dich ansehe, erblicke ich nur Tugend.

Feindesauge, sei es ausgerissen!
      Wird als Fehler das Verdienst nur achten.
Hast du ein Verdienst und siebzig Fehler,
      Das Verdienst nur wird der Freund betrachten.

*

Ich erinnere mich, daß einst mein teurer Freund nachts zur Türe hereintrat; außer mir vor Freude sprang ich auf, so daß mein Ärmel das Licht auslöschte.

»Nachts erschien das Traumbild mir, das meine Finsternis zerstreut.«
Staunend rief ich: Woher kommt das Glück, das heute mich erfreut?

Er setzte sich und fing an, mich zu schelten: Warum hast du im Augenblick, wo du mich erblicktest, das Licht ausgelöscht? Ich glaubte, die Sonne ginge auf, antwortete ich, auch haben witzige Leute gesagt:

Wenn sich ein plumper Mensch vor deine Leuchte stellt,
      So lösche mit der Faust ihm aus das Lebenslicht.
Ist lieblich sein Gesicht und zuckersüß der Mund,
      Halt ihn am Ärmel fest und lösche aus das Licht.

*

Jemand hatte seinen Freund lange Zeit nicht mehr gesehn; als er ihn wieder sah, sagte er: Wo bleibst du denn? Ich sehne mich nach dir. Dieser antwortete: Besser Sehnsucht als Überdruß.

O zaubrisch Bild! wo mußtest du so lange weilen?
So schnell sollst du nun meiner Hand nicht mehr enteilen.
Besser den Lieben nur selten gesehn,
Als bis zum Überdruß satt sich gesehn.

*

Der Geliebte, der in Gesellschaft anderer kommt, ist nur erschienen, um zu quälen, denn ohne Eifersucht und Zwist läuft es nicht ab.

»Kommst du mit Gesellschaft, um mich zu besuchen,
Wenn in Frieden auch, du kommst, um Krieg zu suchen.«
Als einen Augenblick mein Freund sich andern beigesellte,
      Da hätte fast die Eifersucht mein Leben aufgezehrt.
O Sadi, sagt' er lachend mir, ich bin die Fackel aller,
      Was kümmert's mich, wenn an dem Licht die Mücke sich verzehrt?

*

Ich erinnere mich, daß in vergang'nen Tagen ich und ein Freund wie zwei Mandelkerne in einer Schale verbunden waren. Einst mußte er plötzlich eine Reise machen. Als er nach einiger Zeit zurückkam, fing er an, mich zu schelten: Warum hast du in dieser Zeit niemals einen Boten an mich geschickt? Ich antwortete: Es schmerzte mich, daß das Auge des Boten von deiner Schönheit bestrahlt werden sollte, während sie mir entzogen war.

O trauter Freund, von mir verlange keine Reue,
      Mich zwinget selbst das Schwert nicht, daß ich in mich gehe.
Ich neide den, der sich an deinem Anblick sättigt,
      Doch sag' ich wieder: Wer ist es, der satt sich sehe?

*

Einen Gelehrten sah ich in Liebe zu jemand befangen, und das Gespräch mit ihm war sein ganzes Verlangen; er trug vielfache Verleumdung ohne Schuld und bewies grenzenlose Geduld. Einst wollte ich ihm einen guten Rat geben und sprach: Ich weiß, daß deine Liebe auf keine fleischliche Absicht geht und daß der Grund deiner Zuneigung auf keiner niedrigen Gesinnung steht, dessenungeachtet aber ist es der Würde gelehrter Männer nicht angemessen, Verdacht gegen sich selbst zu verschulden und Verleumdung ungebildeter Menschen zu erdulden. O Freund, antwortete er, ziehe die Hand des Vorwurfs von dem Kleidersaum meines Schicksals ab, denn ich habe oft über das, was du mir ratest, nachgedacht, aber Schmähung um seinetwillen kann ich leichter tragen, als Trennung von ihm ertragen, und weise Männer haben gesagt: Leichter ist es, das Herz der Verachtung zu unterziehn, als das Auge von der Betrachtung abzuziehn.

Der, ohne den du nicht vermagst zu leben,
Ob er dich quält, du kannst nicht widerstreben;
Denn wer sein Herz dem Freunde zugewandt,
Gibt seinen Bart in eines andern Hand.
Läßt um den Hals der Hirsch das Band sich legen,
So kann er nicht nach Willkür sich bewegen.
Einst sprach ich: Hüte dich, den Freund zu sehn!
Oft mußt' ich seither um Verzeihung flehn.
Wie kann der Freund den Freund denn je verlassen?
Des Freundes Wunsch ist stets mein Tun und Lassen.
Lädt er mich gütig winkend zu sich ein,
Verstößt er mich, gleichviel: die Wahl ist sein.

*

In der schönen Zeit der Jugendlust, wie es geschieht und wie dir bewußt, hatte ich zu einem anmutigen Jünglinge Lieb' und Trieb, denn sein Gesang war von lieblichem Klange und seine Gestalt »wie der Vollmond im Aufgange«.

Er, dessen Rot der Wangen sich von lauterm Lebenswasser nährt,
Auf seiner Lippen Zucker schaut mit Neid, wer Zuckerrohr verzehrt.

Als einst bei ihm eine seiner Sitte zuwiderlaufende Handlung vorgefallen, die mir mißfallen, fand ich mich bewogen, den Saum meines Kleides von ihm abzuziehn und den Stein meiner Liebe aus seinem Brette zu ziehn, und ich sprach:

Geh', wohin es dir gefällt, da wandre hin!
Hast du meinen nicht, so folge deinem Sinn.

Indem er fortging, hörte ich, wie aus seinen Lippen dieses Wort ging:

Will auch die Fledermaus der Sonne Strahl nicht sehn,
Geringer wird im Preis die Sonne drum nicht stehn.

So sprach er und ging auf Reisen, aber den Schmerz seiner Trennung konnte ich nicht von mir weisen.

»Dahin ist nun des Umgangs Zeit! im Unglück nur
Da lernt der Mensch des Lebens Süßigkeit erkennen.«
      O komm zurück und töte mich!
            Vor deinem Blick verscheiden
      Ist besser doch, als ohne dich
            Zu leben und zu leiden.

Doch, dem Schöpfer Lob und Dank, nach einiger Zeit kam er wieder; aber seine davidische Stimme war verdorben und seine josephische Schönheit war erstorben, auf dem Apfel seines Kinnes hatte sich Staub wie auf der Quitte angehangen, und der strahlende Glanz seiner Schönheit war untergegangen. Statt ihn an meine Brust zu ziehn, wie er erwartete, zog ich mich beiseite und sprach:

Als schön und zierlich noch die Züge deiner Schrift,
      Verbotst du meinem Liebesblick sie anzusehn;
Jetzt bist du wieder da und bietest Frieden mir,
      Wo du mit Punkten und Vokalen sie versehn.
Welk ist, schöner Frühling, deine Blüte,
Kalt ist nun das Feuer, das einst glühte.
Schreitest du noch immer stolz einher?
Ach! die alte Herrschaft ist nicht mehr.
Geh' zu denen, die noch nach dir fragen,
Schmeichelnd dich den Käufern anzutragen.
So lieblich ist des Gartens frisches Grün:
      Wer das gesagt, der weiß, was er gemeint;
Das heißt, was sproßt im lieblichen Gesicht,
      Liebt, wer im Herzen sich mit ihm vereint.
Dein Garten aber ist ein Schnittlauchfeld:
      Je mehr man ausreißt, desto mehr erscheint.
            Du gingst wie die Gazelle fort,
                  Jetzt gleicht dem Panther dein Gesicht.
            Die feine Schrift liebt Sadi wohl,
                  Die nadeldicken Züge nicht.
Ob du mit Geduld dich fügest, ob ausraufst das Haar des Ohres,
      Jenes Glück der schönen Tage ist und bleibt dir doch entschwunden.
Könnt' ich tun mit meiner Seele, wie du mit des Bartes Haare,
      Bis zum Auferstehungstage bliebe sie mit mir verbunden.
Ich fragte: Was ist deinem Angesicht geschehen,
      Daß sich um deinen Mond ein Ameisheer bewegt?
Ich weiß nicht, was geschehn, sprach lachend er, wohl hat es
      Um die verschwundne Schönheit Trauer angelegt.

*

Einen von den Insassen Bagdads fragte man: »Was hältst du von den Unbärtigen?« Er antwortete: »Es ist nichts Gutes an ihnen; solange einer schön ist, tut er rauh, und wenn er rauh ist, tut er schön«, das heißt: solange sie lieblich und angenehm sind, beweisen sie sich spröde, und wenn sie spröde geworden sind, zeigen sie sich freundlich und liebenswürdig.

Ist lieblich des Unbärt'gen Angesicht,
      So tut er spröd', gibt gute Worte nicht;
Sproßt ihm der Bart und wird er abgewiesen,
      Ist er auf Umgang und auf Lieb' erpicht.

*

Einem von den Doktoren legte man die Frage vor: Jemand sitzt bei einem Mondgesicht allein, die Türen sind verschlossen und die Augen der Hüter geschlossen, die Begierde ist erwacht und der Trieb ist angefacht, wie der Araber sagt: »Reif hängt die Dattel da, und keiner, der sie hüte, nah«; glaubst du, daß er sich aus Enthaltsamkeit vor der Versuchung bewahren werde? Er antwortete: Wird er sich auch vor dem Mondgesicht bewahren, so kann er sich vor der übeln Nachrede nicht bewahren.

»Und hütet sich der Mensch auch vor der bösen Gier,
      Vor andrer böser Zunge kann er sich nicht hüten.«
In Ruhe mag man seine Sache treiben:
      Der Leute Zunge wird nicht ruhig bleiben.

*

Ein Papagei wurde mit einem Raben in einen Käfig gesperrt; den Papagei peinigte die häßliche Erscheinung, und er rief: O über das verabscheuungswürdige Gesicht und die hassenswürdige Gestalt, das verwünschte Ansehn und das verschrobene Aussehn! O Unglücksrabe! »wäre doch der Raum beider Oriente zwischen mir und dir!«

Wer in des Morgens Frühe neben dir erwachte,
      Dem muß die Morgenröte gleich zum Abend werden.
Ein Unglückstier, wie du, gehört in deine Nähe;
      Allein, wo findet deinesgleichen sich auf Erden?

Merkwürdigerweise war auch der Rabe über die Nachbarschaft des Papageis außer sich und rief: Großer Gott! und jammerte über der Welt Unbeständigkeit und rang die Hände der Verdrießlichkeit und sprach: O über des verkehrten Schicksals Plage und des niedrigen Geschickes Lage und die wechselnden Farben der Tage! Wollte Gott mir das verdiente Los bereiten, so dürfte ich mit einer Krähe auf einer Gartenmauer herumschreiten.

Es ist schon für den frommen Mann genug Gefängnis,
Wenn ihn an Taugenichtse bindet sein Verhängnis.

Welches Verbrechen habe ich begangen, daß ich zur Strafe dafür in der Gesellschaft dieses geckenhaften, eingebildeten, schwatzhaften, ungebildeten Toren in solchen Unglücksbanden mein Leben vertrauern soll?

Niemand wird zu einer Mauer treten,
      Wo dein Bild darauf gemalt zu sehn.
Fänd'st du einen Platz im Paradiese,
      Alle würden in die Hölle gehn.

Diese Fabel habe ich darum erzählt, damit man wisse, daß sich bei dem Unverständigen hundertmal mehr Widerwillen gegen den Verständigen findet, als der Verständige gegen den Unverständigen empfindet.

Ein frommer Mann saß einst bei Taugenichtsen;
      Da sagt' ein Balkscher Schöner ihm ganz ehrlich:
Sind wir dir lästig, sitze nicht so finster,
      Denn glaube nur, auch du bist uns beschwerlich.
Wir haben uns wie Tulp' und Rose hier gepaart,
      Du aber bist bei uns wie Holz so dürr und hart,
Dem bösen Nordwind gleich, dem schauerigen Frost,
      Wie Schnee so sitzest du, wie hartes Eis erstarrt.

*

Ich hatte einen Freund, mit dem ich jahrelang auf Reisen gewesen und Brot und Salz gegessen, so daß die innigste Verbindung zwischen uns bestand. Zuletzt erlaubte er sich, mich wegen einer geringen Sache zu beleidigen, und unsre Freundschaft nahm ein Ende; dessenungeachtet hörte von beiden Seiten die Anhänglichkeit nicht auf, denn einst erfuhr ich, daß man in einer Gesellschaft folgende Verse von mir hergesagt hatte:

Wenn sich meines Herzens Wonne mit dem süßen Lächeln nahet,
      Streut sie nur noch mehr des Salzes in der offnen Wunde Brand.
Könnt' ich ihrer Locken Spitze einmal in die Hand nur fassen,
      Wie des Reichen Ärmel wär' es in des armen Bettlers Hand.

Einige Freunde hatten nicht sowohl von der Anmut dieser Verse als von meinem guten Betragen Zeugnis abgelegt, und er hatte sich unter ihnen noch viel stärker ausgesprochen, das Verschwinden der alten Genossenschaft beseufzt und seine eigne Schuld bekannt. Ich erkannte daraus, daß auch von seiner Seite noch Zuneigung da war, ich schickte ihm daher folgende Verse und machte wieder Frieden.

War zwischen uns das Band der Lieb' und Treue nicht?
      Doch du zerrissest es und schienest mich zu hassen.
Ganz ließ ich los die Welt und band mein Herz an dich;
      Ach! wie vermochtest du so schnell mich zu verlassen?
Wenn du Versöhnung willst, so komm, o komm zurück!
      Mit größ'rer Liebe noch werd' ich dich jetzt umfassen.

*

Einer hatte eine schöne Frau; sie starb, und ihre Mutter, ein altes abgelebtes Weib, blieb wegen der Mitgift im Hause wohnen; dem Manne war ihre Gesellschaft eine tödliche Pein, aber wegen der Mitgift hatte er kein Mittel, sich von ihrer Nachbarschaft zu befrei'n. Einer seiner Bekannten sagte einst zu ihm: Wie geht es dir seit der Trennung von der lieben Freundin? Er antwortete: Meine Frau nicht zu sehn fällt mir nicht so schwer, als die Mutter meiner Frau zu sehn.

Die Rose ist gepflückt, der Dorn geblieben,
Weg ist der Schatz, die Schlang' ist nicht vertrieben.
Das Auge auf der Lanzenspitze sehn
Ist süßer, als vor Feindesantlitz stehn.
Viel besser, tausend Freunden zu entsagen,
Als eines Feindes Anblick zu ertragen.

*

Ich erinnere mich, daß ich in meinen Jugendjahren einst in einer Gasse im Vorübergehn ein liebliches Mondgesicht gesehn. Es war in den Tagen des Monats Temus, dessen heiße Nachtluft das Wasser im Munde trocknet, und dessen glühender Tagwind das Mark in den Knochen kocht; in der Schwachheit meines Körpers hatte ich nicht die Kraft, die Glut der Mittagssonne zu ertragen, ich suchte daher eine Zuflucht im Schatten einer Mauer und spähte umher, ob jemand mich von der Qual der Hitze des Temus befreien und mein Feuer mit Wasser dämpfen würde. Plötzlich sah ich aus dem Dunkel des Vorhofes einen Glanz hervorstrahlen, eine Schönheit, deren Herrlichkeit die Zunge der Beredsamkeit nicht zu beschreiben vermag, gleich, als ob in dunkler Nacht die Morgenröte aufginge oder als ob das Wasser des Lebens aus der Finsternis hervorginge, in der Hand einen Becher Schneewasser haltend, mit Zucker erfrischt und mit Arrak gemischt, ob sie es mit Rosenwasser gewürzt, oder ob einige Tropfen von den Rosen ihres Antlitzes hineingeträufelt waren, weiß ich nicht; kurz, ich nahm den Trank aus ihrer lieblichen Hand, ich verschlang ihn, und der Gedanke an mein vergangenes Leben entschwand.

»Des kühlen Wassers Schlürfen kann nicht stillen
      Des Herzens Durst, und tränk' ich aus das Meer.«
O glücklich ist der und beseligt, dessen Auge
      Auf solchem Antlitz ruhen kann an jedem Morgen!
Vom Weine trunken wacht er auf um Mitternacht,
      Berauscht vom Schenken erst am Auferstehungsmorgen.

*

In dem Jahre, wo Sultan Mahmud der Charesmschah mit dem Chatai Frieden schloß, sah ich beim Eintreten in die Moschee zu Kaschgar einen Knaben von außerordentlicher Schönheit und ungemeiner Lieblichkeit, solchen ähnlich, von denen gesagt worden ist:

Dein Meister hat die Keckheit dir und Lieblichkeit gelehrt,
Die Quälerei und Schmeichelei und Tyrannei gelehrt.
Bei Menschen sah ich die Gestalt, den Wuchs und Gang noch niemals:
Es hat doch eine Peri wohl den Liebreiz dir gelehrt.

Er hatte die Syntax des Samachschari in der Hand und las darin: »Der Seid schlug den Amr, Amr ist das Prädikat.« Ich sagte: O Knabe, Charesm und Chatai haben Frieden geschlossen, werden denn Seid und Amr immer noch in Feindschaft bleiben? Er lachte und fragte nach meinem Vaterlande; ich antwortete: Es ist das Gebiet von Schiras. Weißt du denn, fragte er, von den Sprüchen Sadis etwas auswendig? Ich sagte ihm auf arabisch folgende Verse:

»Mich quält ein Schüler der Syntax, er stürzt sich zornig auf mich los,
Und stellt voll Hochmut sich vor mich, wie Seid sich stellt vor Amru hin.
Von dem Subjekt, das vor ihm steht, wird doch sein Auge nicht regieret:
Allein muß immer das Subjekt das Prädikat denn nach sich ziehn?

Er dachte ein wenig nach und sagte dann: Die meisten seiner Gedichte, die wir in diesem Lande haben, sind in persischer Sprache; wenn du mir von diesen etwas hersagtest, könnte ich es leichter verstehn; »rede zu den Menschen nach dem Maße ihres Verstandes«. Ich sprach:

Seitdem du Neigung zur Syntax gewonnen,
Sind mir Gedanken und Verstand zerronnen.
Du fängst im Netz die Herzen nur zum Leid;
Ich denk' an dich, du denkst an Amr und Seid.

An dem Morgen, der zur Abreise bestimmt war, hatte ihm zufällig einer von der Karawane gesagt: Es ist Sadi. Ich sah ihn eilig herbeilaufen, er bezeigte sich äußerst freundlich und war über meinen Abschied sehr betrübt. Warum, sprach er, hast du während so vielen Tagen nicht gesagt: ich bin's, daß ich den Dank für die Ankunft eines so hochwürdigen Mannes durch meinen ehrerbietigen Dienst hätte bezeigen können? Ich erwiderte:

»In deiner Gegenwart sprach ich nicht aus: Ich bin's.«

Was wäre es, sagte er, wenn du noch einige Tage an diesem Orte ausruhtest, daß wir den Vorteil hätten, dir unsere Dienstbeflissenheit zu beweisen? Das kann ich nicht, antwortete ich, und zwar wegen dieser Geschichte:

Einen Großen sah ich sich auf Bergen
Vor der Welt in einer Höhle bergen.
Wie, sprach ich, du gehst nicht in die Stadt,
Wo dein Herz mehr Trost zu finden hat?
Nein, sprach er, die Schönen will ich meiden:
Muß im Kot der Elefant nicht gleiten?

Nachdem ich dieses gesprochen, küßten wir uns Haupt und Angesicht und nahmen Abschied voneinander.

Was nützt's des Freundes Angesicht zu küssen,
Wenn wir im Augenblick uns trennen müssen?
Der Freundesabschied ist dem Apfel gleich,
Die eine Seite rot, die andre bleich.
»Muß vor Gram ich nicht beim Abschied sterben,
Kann ich nicht der Liebe Ruhm erwerben.«

*

Ein Mensch in Lumpen gekleidet war in der Hedschas-Karawane unser Reisegefährte. Ein arabischer Emir hatte ihm zum Unterhalt seiner Familie hundert Dinare geschenkt. Plötzlich fielen Räuber aus dem Stamme Chafadschah über die Karawane her und plünderten sie rein aus. Die Kaufleute fingen an zu heulen und zu jammern und schrien vergeblich um Hilfe.

Magst du auch weinend flehn, magst Hilfsgeschrei erheben,
Der Räuber wird dir doch dein Gold nicht wiedergeben.

Nur jener Derwisch behielt seine Seelenruhe, und keine Veränderung war an ihm zu bemerken. Ich sagte zu ihm: Haben sie dir etwa das Geld nicht weggenommen? Wohl haben sie es weggenommen, antwortete er, aber ich hing nicht so sehr an diesem Gelde, daß mir die Trennung davon das Herz brechen sollte.

Man muß das Herz an nichts und niemand binden,
Denn schwer ist's dann, es wieder loszuwinden.

Ich sprach: Was du sagst, paßt ganz auf meine Lage, denn in meiner Jugendzeit stand ich mit einem Jünglinge in Verbindung und hegte für ihn eine so aufrichtige Liebe, daß die Kibla meiner Augen seine Schönheit und der Zins meines Lebenskapitals seines Umgangs Gewohnheit war.

So sind die Engel wohl im Himmel, denn ein Mensch
      Ihm ähnlich an Gestalt hat nie gelebt auf Erden.
Bei ihm, nach dem für mich Freundschaft verboten ist,
      Schwör' ich, nie wird ein Mensch gleich ihm geboren werden.

Plötzlich versank sein Fuß in dem Schlamme des Geschickes, und der Herzensrauch der Trennung stieg von dem Herde seiner Angehörigen auf; tagelang verweilte ich auf seinem Grabe, und ich machte unter anderm folgende Verse über sein Scheiden:

Hätte doch, als sich des Todes Dorn dir in den Fuß gestochen,
      Mit dem Schwerte des Verderbens das Geschick mein Haupt getroffen,
Daß nicht mehr mein trübes Auge ohne dich die Welt erblickte!
      Ach! ich lieg' auf deinem Grabe, wäre doch mein Grab auch offen!
Auf seinem Lager fand er Ruhe nicht und Schlummer,
      Er streute Rosen und Narzissen denn darauf.
Zerstoben sind von seinem Angesicht die Rosen,
      Und Dornen sprossen nun aus seinem Staube auf.

Nach der Trennung von ihm faßte ich den Vorsatz und den festen Entschluß, mein übriges Leben hindurch den Teppich der Zuneigung zusammenzulegen und mich nicht mehr in froher Gesellschaft hin und her zu bewegen.

Schön ist der Gewinn des Meeres, wäre nicht Gefahr der Wellen,
      Lieblich wär' es bei der Rose, machte mir der Dorn nicht bange.
Gestern ging ich gleich dem Pfauen stolz einher im Freundschaftsgarten,
      Heute roll' ich fern vom Freunde mich zusammen wie die Schlange.

*

Einem arabischen Könige erzählte man die Geschichte von Leila und Medschnun, und wie dieser in seinem verwirrten Zustande, bei aller seiner Tüchtigkeit und Beredsamkeit, sich in die Wüste begeben und die Zügel des freien Willens aus seiner Hand gegeben. Der König ließ ihn vor sich führen und fing an, ihm Vorwürfe zu machen. Was hast du denn, sagte er, an den edeln Menschen Verwerfliches gefunden, das dich bewogen, die Lebensart der Tiere zu erfassen und das Leben der Menschen zu verlassen? Medschnun seufzte und sprach:

»Wohl tadeln mich die Freunde viel um meiner Liebe willen;
      O wenn sie einmal sie gesehn, sie würden mir verzeihn.«
            O möchten doch die Tadler alle
                  Dein Liebesantlitz nur erblicken!
            Sie schnitten statt der Apfelsine
                  Gewiß die Hände sich in Stücken.

Um sich durch die Sache selbst von der Wahrheit seines Vorgebens zu überzeugen, kam der König auf den Gedanken, ihre Schönheit selbst kennenzulernen, damit er sähe, welche Gestalt es sei, die einen so traurigen Zustand habe veranlassen können. Er ließ sie daher aufsuchen; nach langem Umherstreifen in den arabischen Stämmen wurde man ihrer habhaft und stellte sie dem Könige im innern Hofraume des Palastes vor. Der König betrachtete ihre Gestalt, und sah eine schwärzliche Person von schwächlichem Wüchse; sie erschien ihm ganz verächtlich, denn die geringste der Mägde seines Harems übertraf sie an Schönheit und Liebreiz. Medschnun merkte seine Gedanken und sprach: O König, du mußt aus dem Fenster der Augen Medschnuns auf Leilas Schönheit schauen.

Du fühlst mit meinem Schmerze kein Erbarmen;
Nur gleicher Schmerz verschafft den Freund mir Armen,
Der zur Erzählung meines Leides weint:
Es brennen leicht zwei Stücke Holz vereint.
»Wenn von dem heil'gen Ort der Liebeston erklungen,
Die Taube klagte mit, wär' er zu ihr gedrungen.
O Freunde, sagt zu dem, der Liebe nie gefühlt:
Du weißt es nicht, wie mir's im wunden Herzen wühlt.«
O sucht Mitgefühl nicht bei Gesunden!
Nur zu dem Kranken sprich von deinen Wunden.
      Vergeblich ist's, wenn du von Bienen sprichst
Bei dem, der ihren Stachel nie empfunden.
      Wenn deine Lage nicht der meinen gleicht,
Wird sie von dir als Fabel nur erfunden.
      Ein and'rer hält das Salz in seiner Hand,
Hier liegt es brennend in des Herzens Wunden.

*

Man erzählt von einem Kadi von Hamadan, der von Liebe zu eines Hufschmieds Sohn berauscht war, dessen Herzenshuf lange Zeit im Feuer des Strebens nach ihm glühte, der irrend und spähend sich bemühte, und die Funken seines Leidens in diesen Versen aussprühte:

O der Zypresse Wuchs hat mich bestricken müssen!
Sie riß das Herz mir weg und warf es sich zu Füßen.
Vom losen Aug' entlockt, hat nun mein Herz zu büßen;
Daß ich es nicht verschenkt, mußt' ich die Augen schließen.
Nur an dich kann ich Gedanken noch in meiner Seele finden;
Ach! wie die zertret'ne Schlange kann ich mich nicht dreh'n noch winden.

Der Knabe ging einst, wie man erzählt, vor dem Kadi vorbei; von jenen Umständen war ihm etwas zu Ohren gekommen und hatte ihn über die Maßen gekränkt, er fing daher an, ihn zu schelten und Schmähungen gegen ihn auszustoßen, hob einen Stein auf und unterließ nichts, ihm seine Verachtung zu zeigen. Der Kadi sprach zu einem angesehenen Gelehrten, der sein Beisitzer war:

Sieh doch das schöne Kind, wie es in Zorn gerät!
Wie hübsch ihm dieses finstre Stirnefalten steht!

Bei den Arabern sagt das Sprichwort: »Des Freundes Ohrfeige ist eine süße Feige.«

Ein Faustschlag auf den Mund von deiner Hand
Ist besser als ein Brot von eigner Hand.

Aus seinem Übelwollen scheint ein Geruch des Wohlwollens aufzusteigen. Oft wird man von Königen hart angefahren, während sie insgeheim auf Frieden harren.

Wohl sauer ist die frische Traube noch im Garten;
Bald wird sie süß, du darfst nur zwei, drei Tage warten.

Er sprach's und setzte sich wieder auf seinen Richterstuhl. Einige rechtschaffene Männer, die im vertrauten Umgange mit ihm standen, küßten untertänig die Erde und sprachen: Mit deiner Erlaubnis möchten wir dir in aller Untertänigkeit ein Wort sagen, wiewohl es den Regeln des Anstandes zuwider ist, und große Männer gesagt haben:

Unrecht ist's, um jedes Ding und Wort zu schmälen,
Fehler ist's, zu rügen, wenn die Großen fehlen.

Die vergangenen Wohltaten unseres Herrn haben aber seine Knechte auf ewig verpflichtet, so daß es eine Art Verrat wäre, wenn sich ihnen etwas Dienliches gezeigt und sie es nicht angezeigt. Du würdest also wohltun, dich des Kreisens um jene Begierde zu enthalten, und den Teppich der Leidenschaft zusammenzufalten, denn die richterliche Würde ist ein ehrenvoller Stand, den man nicht durch ehrlosen Tand beflecken darf: wir meinen den Nichtswürdigen, der vor deine Augen gekommen und die Schmähungen, die dein Ohr vernommen.

Wer mit der eignen Ehre schlecht verfahren,
Wird auch der andern Ehre nicht bewahren.
Ein guter Ruf, der fünfzig Jahre währt',
Wird oft durch eine schlechte Tat entehrt.

Dem Kadi gefiel der einmütige Rat seiner Freunde, und er lobte ihres Urteils Richtigkeit und ihre treue Anhänglichkeit. Die Berücksichtigung, sagte er, welche die edeln Herrn dem, was mir dienlich sein kann, haben angedeihen lassen, ist untadelhaft, und der Satz, den sie aufgestellt, ist unzweifelhaft, aber

»Könnte durch das Schelten auf die Liebe hören,
Würd' ich selbst beim Tadler auf die Lüge hören.«
Vergeblich ist doch der Verweis:
Den Mohren waschet ihr nicht weiß.

So sprach er, und stellte Leute an, den Knaben mit Kundschaftung zu umspinnen, und sparte kein Geld, seine Zuneigung zu gewinnen; denn das Sprichwort sagt: Wer Geld hat in der Hand, der hat Gewalt in der Hand, und hat einer auf der Welt kein Vermögen, so wird er auch über niemand auf der Welt etwas vermögen.

Wer Gold sieht, beugt das Haupt mit einem Schlage,
Ist auch die Schulter Eisen wie die Wage.

Kurz, eine Nacht wurde ihm eine Zusammenkunft gewährt, und in derselben Nacht wurde dem Statthalter berichtet, daß der Kadi die ganze Nacht den Wein im Kopfe und den Buhlen im Arme schlaflos verbringe und schwelgend also singe:

O schwiege doch der Hahn und gönnt' uns läng're Rast!
Wir haben nicht genug uns herzend noch umfaßt.
      Des Freundes Angesicht im Walde dunkler Locken
Erglänzt wie Elfenbein in Ebenholz gefaßt.
      Nimm wahr den Augenblick, wo schläft des Unheils Auge,
Sei wach, daß nicht umsonst das Leben du verpraßt!
      So lang' von der Moschee der Morgenruf nicht tönte,
Die Trommel nicht erklang von Atabegs Palast,
      Ein Tor, wer bei dem Schrei des Hahns die ros'ge Lippe
Verließe, die er heiß im Kusse hat erfaßt.

In dieser Verfassung war der Kadi, als einer seiner Angehörigen zur Türe hereintrat und sprach: Warum sitzest du da? Stehe auf und fliehe so weit dich die Füße tragen, denn deine Neider haben Böses von dir hinterbracht, oder vielmehr, sie haben die Wahrheit gesagt; vielleicht, daß wir dieses Feuer des Unheils, da es noch gering ist, durch das Wasser der Klugheit dämpfen können, damit nicht morgen, wenn es mächtig geworden, es eine Welt in Flammen setze. Der Kadi sah ihn lächelnd an und sprach:

Was kümmert sich um das Gebell des Hundes
      Der Löwe, hält das Wild er in den Klauen?
Das Angesicht zum Freund gewendet, lass' ich
      Den Feind der Hände Rücken sich zerkauen.

Dem Könige wurde in derselben Nacht die Nachricht gebracht, in seinem Reiche sei ein solches Ärgernis vorgefallen, was er befehle? Er antwortete: Ich kenne den Mann als einen von den ausgezeichnetsten des Jahrhunderts, ja als einzig in seiner Zeit; seine Gegner haben wohl Ränke gegen ihn geschmiedet, ich kann daher diesem Gerede kein günstiges Ohr leihen, bevor ich die Sache nicht mit eignen Augen gesehn, denn weise Männer haben gesagt:

Wer eilig in Hast mit dem Schwert dreingeschlagen,
Muß nachher vor Schmerz sich die Hände zernagen.

Wie man erzählt, trat der König am frühen Morgen mit einigen seiner Vertrautesten vor das Lager des Kadi; er sah das Licht dastehen und den Buhlen dasitzen, den Wein vergossen und den Becher zerbrochen, den Kadi betrunken in Schlaf gesunken, ohne Bewußtsein von seinem Dasein. Der König weckte ihn sanft auf und sprach: Stehe auf, die Sonne ist aufgegangen. Der Kadi kam sogleich zur Besinnung und fragte: Von welcher Seite ist sie aufgegangen? Von der Seite des Ostens, antwortete der König. Gelobt sei Gott, rief der Kadi, so steht die Türe der Buße noch offen, denn jener Ausspruch der Überlieferung sagt: »Die Türe der Buße wird meinen Knechten nicht verschlossen werden, bis die Sonne aufgeht von dem Orte ihres Untergangs,« darum, setzte er hinzu, »flehe ich Gott um Vergebung und wende mich bußfertig zu ihm zurück.«

Zwei Dinge stürzten mich in Frevel,
      Der Unstern und der Unverstand.
Bestrafst du mich, ich hab's verschuldet,
      Doch reiche mir der Gnade Hand.

Der König erwiderte: Die Reue in diesem Augenblicke, wo du dich verloren siehst, kann dir nichts helfen, denn der Herr sagt: »Nichts hilft ihnen ihr Glaube dann, wenn sie die Strafe sehn.«

Was hilft's, den Diebstahl dann erst zu bereuen,
      Wenn man nicht kann bis zu dem Söller steigen?
Zieh' von der Frucht die Hände ab, du Großer,
      Der Kleine greift von selbst nicht nach den Zweigen.

Für dich ist nach einem so großen und so offenbaren Ärgernis an keine Rettung zu denken. Nachdem er dieses gesprochen, übergab er ihn seinen Strafknechten. Noch ein Wort, rief der Kadi, hätte ich dem Sultan in aller Untertänigkeit zu sagen. Als der König fragte, was es sei, antwortete er:

Du schüttelst vor mir nun des Abscheus Ärmel ab,
      Doch fordre nicht von mir, von deinem Saum zu lassen.
Nach dem, was ich beging, ist keine Rettung mir,
      Doch dein großmüt'ger Sinn läßt mich noch Hoffnung fassen.

Der König erwiderte: Du hast da einen guten Einfall vorgebracht und ein artiges Wort gesagt, aber es wäre der Vernunft zuwider und dem Gesetze entgegen, wenn dich Talent und Beredsamkeit heute aus den Klauen meiner Strafe befreien sollten; am geratensten scheint es mir, daß ich dich von der Burg hinunterstürzen lasse, damit die andern ein Beispiel daran nehmen. O Herr der Welt, sagte der Kadi, ich bin unter den Wohltaten deines Hauses aufgewachsen, und nicht ich allein habe dieses Verbrechen begangen; laß doch einen andern hinunterstürzen, damit ich mir ein Beispiel daran nehme. Der König mußte über diesen Einfall lachen, und schenkte ihm die Strafe seines Vergehens; zu den Gegnern des Kadi aber, die ihn zu seiner Verurteilung bewogen hatten, sagte er:

Die ihr traget eigner Fehler Schuld,
Habt mit anderer Vergehn Geduld.

*

Ein Jüngling war von lauterm Sinn und Leben,
Der einem lautern Antlitz sich ergeben.
Einst fielen sie bei einer Meeresfahrt
In einen Strudel, den sie nicht gewahrt.
Ein Schiffer kam, um jenes Hand zu fassen,
Eh' noch das teure Leben ihn verlassen;
Doch er rief mitten aus dem Wogenbrand:
Laß mich und fasse schnell des Freundes Hand!
Indes er sprach, sah er die Welt zerrinnen;
Mit diesem Wort entschwanden seine Sinnen:
Die Liebe lerne nicht vom eiteln Mann,
Der in Gefahr den Freund vergessen kann. –
So werden stets die wahren Freunde handeln:
Von dem Erfahr'nen lerne recht zu wandeln;
Denn Sadi weiß, wie's in der Liebe geht,
Wie man arabisch in Bagdad versteht.
Für den Geliebten soll dein Herz nur sorgen,
Sonst sei die ganze Welt dem Blick verborgen.
O kehrten Leila und Medschnun zurück,
Sie fänden hier beschrieben ihr Geschick.

 

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