11. Saleh
Nicht so ungeheuer groß als Audsch, Anak's Sohn, [Rand:
Ibn. Kessir.] aber doch von Riesenschlag, und noch mehr von
Riesenstärke, war das Volk Aad, ein arabischer Stamm, der die
südlichen Küsten Arabiens bewohnte. Dort, wo sich heute
zwischen den beiden fruchtbaren Provinzen von Hasramut und
Oman die Sandberge Alahkaf austhürmen, an der Seeküste Schahar,
war das Thal Mogaiß, der Sitz dieses durch den Grimm des Herrn
ausgerotteten Volkes, das unter starksäuligen Zelten wohnte.
Daher des Korans Wort: Siehst du nicht, was der Herr getan mit
Aad, den Bewohner von Crem voll starker Säulen.
Der Stamm Aad betete zuerst nach der Sündflut Idole an,
deren drei Sada, Samud und Haa hießen. Um sie zu bekehren, und
auf den wahren Weg seiner Verehrung zurückzuführen, sandte
ihnen [Rand: Tabari.] Gott den Propheten Hud. Aber sie hörten
ihn nicht, auf ihre Stärke und ihre Baukunst pochend. Sie
waren so stark, dass, wenn sie nicht auf Felsen gingen, und
auf der Erde mit gewöhnlichem Schritte auftraten, sie jedes
Mal bis an die Knie versanken, so wie der Wanderer noch heut
in den Sand, der ihre Fluren deckt, versinkt bis an die Knie.
Sie bauten sich Wohnungen aus Felsen, die sie oft bis zur
Vollendung statt des Gerüstes mit ihren Schultern stützten1.
Was sich noch von alten Ruinen und Gebäuden überschwänglicher
Größe und Stärke auf Erden findet, schreibt man insgemein dem
Volke Aad zu, als Erbauer derselben. Hud predigte, und Aad
baute; sie sagten: wer kann uns strafen, denn wer ist stärker
als wir! Fünfzig Jahre hatte er fruchtlos gepredigt, da
versagte der Herr dem Lande den Regen; drei Jahre lang war
kein Tropfe vom Himmel gefallen, das ganze Land schmachtete in
versengender Trockenheit. Indes wollten sie doch nicht
glauben den Worten Hud's, und sich zum wahren Glauben
bekennen, sondern sie wählten drei Männer aus ihrem Mittel,
die nach dem Orte des himmlischen Hauses zu Mekka wandern, und
dort den Gott desselben um Regen anflehen sollten. Zwar stand
das himmlische Haus nicht mehr auf[36] Erden (denn Engel
hatten es in den Himmel zurückgetragen bei der Sündflut), aber
die Stelle desselben war schon damals eben so verehrt bei den
Völkern Arabiens, als die seitdem darauf gebaute Kaaba. Die
drei Abgeordneten hießen Lokman Morßed und Cail. Die beiden
Ersten hatten sich insgeheim zu Hud's Lehre bekehrt, und als
sie in der Gegend des himmlischen Hauses angekommen waren,
entdeckten sie ihrem Gefährten ihren Glauben und die innigste
Überzeugung, dass alle Opfer nichts nützten, wenn sie nicht im
Namen des wahren und alleinigen Gottes dargebracht wären. Cail
nahm es auf sich, allein das Opfer darzubringen. Er stieg auf
den Berg Nima, hob die Hände empor, und betete so, wenn dies
Beten heißen kann: Gott des himmlischen Hauses, ich flehe Dich
nicht, dass Du meinem Volke wider seine Feinde helfest, denn
es ist stark genug, dieselben allein zu bändigen. Alles, was
ich von Dir begehre, ist ein Bisschen Wasser. Da erschienen
drei Wolken am Himmel, eine weiße, eine rote, eine schwarze;
und aus den Wolken tönte die Stimme: Wähle! – Cail dachte, die
rote Wolke ist nichts als Sonnenwiderschein, die weiße Hagel,
die schwarze Regen. Er wählte also die letzte, und sogleich
begann es zu tröpfeln. Voll Freude zog er nach Haus, und die
Wolke hinter ihm her, denn Gott hatte seinen Gerichtsengeln
befohlen, dieselbe zu regieren. Das Volk Aad freute sich
der[37] Ankunft der Wolke, als sie aber über dessen Scheitel
hing, siehe, da stürzte herab auf Volk und Land ein wütender
Orkan, der Menschen, und Tiere, und Häuser, und Felsen mit
sich in die Luft führte, und hinaus ins Meer riss; das Volk
Aad war ausgerottet; nur Lokman und Morßed, die dem Propheten
geglaubt haben, blieben am Leben. Der Erste ward sieben
Rhinocerosalter, das ist, dreitausend fünfhundert Jahre alt.
Des Propheten Hud Grabmal erhebt sich noch heut am Eingange
der Sandberge Ahkaf, mit denen der Orkan die fruchtbaren
Fluren des Volkes Aad bedeckte. Dieser Stamm ist von einem
zweiten ebenfalls verloschenen desselben Namens zu
unterscheiden. Aus diesem war Schedad, der Sohn Ads, der
Erbauer des irdischen Paradieses Erem. Ob im Koran unter Crem
voll starker Samiten die Wohnungen des ersten oder zweiten
Volkes gemeint seyen, hierüber sind die Meinungen der Ausleger
geteilt. Schedad glaubte sich selbst einen Gott auf Erden, und
baute sich ein irdisches Paradies, dessen Mauern aus Gold, die
Paläste aus Diamanten und andern Edelsteinen bestanden.
Schaaren der schönsten Jünglinge und Mädchen sollten die
Stelle der Huris und der Paradiesesknaben vertreten. Alles nur
Wollust einatmen und ausströmen. Der Bau war vollendet, die
Sonne und die Mauern funkelten, die Gärten und die Mädchen[38]
blühten. Schedad nahte, sich als irdischer Gott seines
Paradieses zu freuen. Da rührte ihn und sein Volk die
gewaltige Hand des Herrn an. Sie erstarrten auf ewig.
Wirbelwinde bedockten die Gegend weit umher mit wogendem Sand.
In der Mitte unzugänglicher Wüsten stehet noch der herrliche
Bau von Jrem, nur durch die Überlieferung einzelner Reisenden
bekannt, die von Jahrtausenden zu Jahrtausenden so glücklich
waren, den Weg hin und wieder zurückzufinden, und Juwelen
ungesehener Größe mit sich brachten.