29. Isa oder Jesus
des Sohns Meriem's oder Maria's, der Tochter Omran's. Maria
hatte das zehnte Jahr ihres Alters erreicht, ohne die
gewöhnlichen Erscheinungen der Mannbarkeit, die sich bei den
Bewohnerinnen der heißen Himmelsstriche gewöhnlich im
siebenten oder neunten Jahre einstellen. Zweimal hatte der
Mond gewechselt, doch hatte sie noch keinen Mann erkannt. Im
dritten Monde ihrer Mannbarkeit erschien ihr Gabriel mit
fröhlicher Botschaft; er blies ihr in den Ärmel des Kleides,
und sie empfing den Herrn Jesus. Nach den glaubwürdigsten
Überlieferungen erschien Gabriel in der Gestalt Jusuf's, eines
Zimmermanns und Handlangers im Hause Maria's, woraus die
Ungläubigen Anlass genommen zu Lästerungen der Reinheit
Maria's, die doch durch Gottes Wort, den Koran selbst,
bewähret ist. Ahsanet ferdschiha. Sie bewahrte ihre
Jungfrauschaft.
Als die Zeit der Geburt herannahte, ging sie hinaus aufs
Feld. Die Wehen ergriffen sie am Fuße eines abgedorrten
Palmbaumes, wo sie entbunden ward von Jesus.
Verschmachtend vor Hunger und Durst bereute sie,
hiehergekommen zu sein. Da erscholl aus dem Baume eine Stimme,
und sprach vernehmlich die folgenden im Koran vom Himmel
gekommenen Worte:
[259] Schüttle den Palmbaum, dass er seine Früchte weich
und süß fallen lasse auf dich.
Maria blickte zum Boden, woher die Stimme zu kommen schien,
und erblickte einen sprudelnden Quell; sie blickte in die
Höhe, und der Baum war mit grünem Laubwerk und goldnen
Datteltrauben geschmückt. Sie aß die abgefallenen Datteln und
trank vom Quell. Die Dattel ist weich und hitzig von Natur,
eine vortreffliche Nahrung für Kindbetterinnen, die sich seit
Maria's Niederkunft, dem Winke des Himmels zufolge, davon
vorzugsweise nähren.
Mit neuen Kräften gestärkt erhob sich Maria, und gelobte
dem Herrn als Dankgebet ein dreitägiges Stillschweigen, denn
damals war es der Gebrauch, aus Andacht Stillschweigen zu
geloben, so wie man heute Gebet und Fasten gelobt. Sie nahm
das Kind und trug es in den Tempel, dem Herrn zu heiligen. Die
Priester und Schriftgelehrten nahmen große Ärgerniß an der
Erscheinung, sie machten dem Vater Maria's, und besonders dem
Propheten Zacharias, als ihrem Verwandten, bittere Vorwürfe,
dass er das Mädchen nicht besser gehütet habe. Zu Maria selbst
sprachen sie: Schwester Aarons, wo hast du das Kind gefunden?
Sie hießen sie Schwester Aarons, weil ihr Stammbaum bis zu
Aaron und Moses hinaufstieg.
Maria, welche dem Herrn dreitägiges Stillschweigen gelobt,
antwortete nur mit Zeichen, auf das Kind in ihren Armen
hinweisend, das sie fragen sollten.
Da sprachen die Priester und Schriftgelehrten unter
einander: Was meint die unser zu spotten, dass ein unmündiges
Kind Red' und Antwort geben soll für sie? Jesus aber öffnete
den Mund und gab selbst Zeugnis von Maria's Unschuld und
seiner Sendung. Seine ersten Worte waren: Ich bin der Diener
Gottes. Diese Worte haben die Ungläubigen in der Folge
verdreht und behauptet, Jesus habe gesagt: Ich bin Gottes
Sohn, woraus so vieler Irrtum entstanden. Nach dem Koran
sprach Jesus folgendermaßen:
Ich bin Gottes Diener, der mir das Buch gesendet und mich
zum Propheten gesetzt, der mich gesegnet, wo ich immer bin,
der mich meiner Mutter gehorsam und keineswegs böse und
widerspenstig erschaffen hat.
Der mir das Buch gegeben, nämlich das Evangelium, das Jesus
schon in Mutterleib vom Himmel empfing und auswendig hersagte,
nach der Meinung der vornehmsten Ausleger.
Der mich zum Propheten gesetzt, nämlich schon in
Mutterleib, oder gleich bei der Geburt. Diesen Vorzug, von
Kindesjahren auf das Prophetentum erhalten zu haben, hat
Jesus[261] nur mit Adam gemein. Alle übrigen Propheten, die
zwischen ihnen stehen, und selbst das Siegel derselben,
Mohammed, der Sohn Abdallah's, haben das Prophetentum erst
lange nach ihrer Geburt, gewöhnlich im vierzigsten Jahre ihres
Alters, erhalten.
Die Geburt Jesus war mit Wunderzeichen begleitet; die
Götzen stürzten von ihren Altären, ein neues Gestirn erschien
am Himmel, welches in Persien für das Gestirn des neuen von
Daniel längst voraus prophezeiten Propheten erkannt ward. Drei
Magier kamen, denselben aufzusuchen, und ihm Gold, Myrrhe und
Weihrauch zu bringen. So außerordentliche Erscheinungen
machten den König des Landes, Herodes, eifersüchtig auf das
neugeborne Kind, das er zu töten befahl. Maria flüchtete sich
also mit Jesus und Jusuf, dem Handlanger, nach Ägypten.
Bey einer genaueren Aufmerksamkeit auf die Lebensschicksale
der Propheten überzeugt man sich, wie Al-Thabari ganz richtig
bemerkt, dass kein großer Prophet sein Leben ruhig in seinem
Geburtsorte zugebracht habe, sondern dass dieselben fliehen
und wandern, und die Mühseligkeiten der Verfolgung und der
Fremde ertragen mussten. So musste Abraham und Moses und Jusuf
fliehen, um sich vor den Nachstellungen Nimrods und Faraons,
und der verschwornen Brüder zu retten. Noe und Jonas wanderten
über und unter den[262] Wassern. Jesus flüchtete nach Ägypten,
und selbst Mohammed nach Medina; nach welcher Epoche noch
heute alle Völker des Islams die Jahre berechnen.
Weheb Ibn Menize hat folgende Überlieferung [Rand: Enis
aldschelis.] von den Kindesjahren Jesus während seines
Aufenthalts in Ägypten aufbewahret:
Jesus spielte mit mehreren Knaben des Dorfes, wo sich seine
Mutter aufhielt. Einer derselben schlug einen andern im Zanke
so gewaltig, dass er tot blieb. Die Knaben, um den Schuldigen
zu retten, verstanden sich, den Fremdling Jesus als Täter
anzugeben. Der Richter fuhr ihn an: Hast nicht du den Knaben
erschlagen? Lerne erst zu fragen, ehe du richtest, antwortete
Jesus, und frage, wie sich's gehört: Wer hat den Knaben
erschlagen? Der Richter ließ sich die Zurechtweisung gefallen,
und fragte: Wer hat den Knaben erschlagen?
Er selbst wird dirs sagen, antwortete Jesus, nahte sich dem
Knaben und rief ihm: Richte dich auf und rede. Der Tote
richtete sich auf und gab den Täter an, der den verdienten
Lohn empfing.
Maria nahm ihren Sohn bei der Hand und sprach: Geh zum
Lehrer in die Schule, das ist dir dessen, als mit Knaben
spielen. Mutter, antwortete Jesus, der Herr hat mich schon den
Pentateuchus und das Evangelium gelehrt, als du mich noch in
deinem Schoße trugst.[263]
Das ist wahr, sagte Maria, bei allem dem ist's aber besser,
in die Schule gehen, als mit den Knaben spielen. Jesus folgte
willig seiner Mutter in die Schule.
Der Meister fragte ihn: Wie heißt du? Maria's Sohn. Sohn
Maria's, sag': Im Namen Gottes.
Jesus. Im Namen Gottes, des Allgütigen, des Allerbarmenden.
Meister. Sage mir das Ebdschedhewes1 nach.
Jesus. Frage mich lieber um die Erklärung desselben.
Meister. Wohlan: Was will Elif sagen?
Jesus. Elif ist der Anfangsbuchstabe von Allah, Gottes
Name, u.s.w.
Als Jesus nach Jerusalem zurückkam und seine Sendung zu
predigen anfing, war er dreißig Jahre alt. Das Volk verlangte
Zeichen der Göttlichkeit seiner Sendung. Jesus verfertigte
Vögel aus Thon, nahm sie auf die Hand, blies darauf, indem er
Uf sagte, und die Vögel flogen beseelt davon. Es war der Hauch
Gottes, aus dem er selbst entstanden, den[264] er mitzutheilen
Kraft hatte, und wodurch er nicht nur den Thon beseelte,
sondern auch Tote zum Leben erweckte. Denn das Volk, mit
diesem Wunder nicht zufrieden, fragte, was er noch mehr könne
als Prophet. Ich mache, sprach Jesus, Blinde sehend, Taube
hörend, Lahme gehend, Aussätzige rein und Tote lebendig. Um
die Wahrheit des Letzten zu erweisen, führten sie Jesus zum
Grabe Sem's, des Sohns Noe's, denn kein älteres kannten sie
nicht.
Das Grab ward geöffnet, und der Leichnam richtete sich auf.
Wer bist du, und wer bin ich? fragte Jesus. Ich bin Sem, der
Sohn Noe's, und du bist Jesus, der Geist Gottes. –
Warum ist dein Bart grau, denn er war schwarz, als du
starbst. – Du hast Recht, aber aus Schrecken über deinen Ruf,
den ich für den Ruf des Todesengels hielt, ward mein Haar
grau. –
Wenn du willst, Sohn Noe's, so erfleh ich dir vom Herrn
noch einmal so langes Leben. –
Ich danke dir, Geist Gottes, ich habe genug gelebt und
ziehe die Ruhe des Grabes vor.
Außer diesen Wundern brachte Jesus auch eines Tages einen
gedeckten Tisch vom Himmel herunter, um eine Menge Volks zu
speisen. Die ungläubigen Juden, welche über dieses Wunder
spotteten, wurden in Schweine verwandelt, so wie andere ihrer
Vorgänger, welche die Feier des Sabbaths entheiliget hatten,
in Affen. Ihre Abkömmlinge haben Schweins- und Affengesichter
behalten.
Die Juden wollten Jesus kreuzigen, aber Gott schob ihnen
einen andern Menschen in Jesus Gestalt unter. Jesus ward nicht
gekreuzigt, sondern in den Himmel erhoben.
Die Christen waren eben versammelt in Betrachtung der
Himmelfahrt, als drei Greise mit ehrwürdigen Bärten als
eifrige Christen eintraten. Es war Satan mir zweien seiner
Getreuen. Was meint ihr von Jesus? sprachen sie. Dass er der
Sohn Marias, aus Gabriels Hauch erschaffen, der Geist Gottes
sei, sprachen sie. Ihr irrt, sprach der Erste:
Wie kann aus einem Hauch ein Kind entstehen? Jesus ist
Gottes Sohn. Nein, sprach der zweite, Gott zeuget nicht mit
Menschentöchtern, sondern Jesus ist selbst Gott, der in den
Schoß Maria's niederstieg, und sich der Welt offenbarte. Ja
wohl, nahm endlich der dritte, Satan selbst, das Wort: Jesus
ist Gott, aber auch der Geist, der Maria überschattete, war
Gott, wie der im Himmel. Die Versammlung erklärte diese
Meinung als kanonisch, sie nahmen die Boten der Finsternis für
Boten des Lichts, und glauben seitdem irrig an drei Götter in
Einem.
Fußnote: Ebdschedhewes ist der Anfang der arabischen
Abc-formel, mit welcher der erste Unterricht beginnt; der
Lehrer geht mit Jesus auf diese Art das ganze Alphabet durch,
und jeder Buchstabe wird als der Anfangsbuchstabe einer der
Eigenschaften Gottes erklärt.