Vorrede (Band 1)
Der Titel dieser Blätter bemüht sich schon, ihren Inhalt
vollständig auszusprechen; hier also nur wenig Worte zu dessen
Erläuterung. Die Quellen morgenländischer Fabelkunde und
historischer Sagen fließen noch größtenteils unbenutzt und
verborgen, wie der Quell des Lebens im Lande der Finsternis.
Schwer und mühsam ist das Auffinden und der Zugang derselben.
Und hat der Forscher, den nach lebendiger Kenntnis dürstet,
einige derselben durch Anleitung oder Zufall entdeckt, und hat
er sich den Weg dazu gebahnt durch Finsternis und Wüsten, so
mag er sich am Rande derselben auf den Bauch niederlegen, und
die Flut, wie sie fließt, rein und trüb, in langen Zügen
trinken, um seinen brennenden Durst zu löschen. Aber wenig
Dank wird er einernten bei den wählerischen Bewohnern des
Abendlandes, die mit glücklicher Muße und Ruhe in atlantischen
Gärten und attischen Hainen lustwandeln, wenn er ihnen die
Schale, vollgefüllt mit der Flut, wie sie fließt, rein und
trüb darbringt. Ihnen strotzt der Saft in der goldnen Schale
der Frucht der Hesperiden, ihnen strömt die Silberflut des
kastalischen Quells. Es verlangt sie nicht, wie den durstigen
Wandrer, nach vollem Labetrunk, sondern nach höherem und
verfeinertem Genuss aus den Plänen und Rosenhainen des
Morgenlandes.
Wer also vorgedrungen ist durch die Wüsten der
orientalischen Sprachkunde in die grünenden Oase des
Morgenlandes, wo die Quellen lebendiger Erkenntnis strömen,
von Goldsand getrübt, bedeckt mit Rosenblättern, trinke für
sich nach Lust, fülle aber für die Nichtdurstigen seine Schale
nicht mit getrübter Flut, sondern hole aus der Tiefe den
Goldsand herauf, oder schöpfe von der Oberfläche das Rosenöl
ab, das sich von den Blättern in goldnen Tropfen sammelt. Gold
und Rosenöl sind auch dem Nichtdurstigen willkommen.
Das Gold reiner wissenschaftlicher Erkenntnis, das die uns
bekannten Quellen des Morgenlandes mit sich führen,
auszuwaschen, ist dermalen unser Zweck nicht, wohl aber, das
Rosenöl mythologischer Kunde und historischer Sagen, das auf
denselben reichlich schwimmet, aufzusammeln, und ein paar
Fläschchen desselben den Lesern freundlichst darzubringen, als
ein Andenken aus Orient. Wir stehen dafür, dass es nicht
gefälscht ist, und sollte es dennoch (was auch dem besten
Rosenöl begegnet), einigen Lesern Schwindel oder Kopfweh
verursachen, so bitten wir, die Schuld nicht dem Rosenöl,
sondern der Zartheit der eigenen Nerven, die an so starken
Wohlgeruch des Morgenlandes nicht gewöhnt sein dürften,
zuzuschreiben.
Doch genug des Bildes, und nun nur noch einige Worte über
den Innhalt dieses ersten Bändchens.
Die älteste Geschichte ist überall, aber nirgends mehr als
im Morgenlande, Fabel, und fließt zusammen mit der Mythologie
desselben. Ein vollständiges System der arabischen, persischen
und türkischen Mythologie aufzustellen, wird nur dann möglich
sein, wenn alle Quellen bekannt, und die bekannten benutzt
sein werden. Von denjenigen, aus denen der Inhalt dieses
Bändchens gesammelt ist, folgt unten eine umständlichere
Kenntnis, und im Werke selbst ist der Name der Quelle jedes
Mal an den Rand gesetzt.
Über die Methode, die orientalischen Schriftsteller nur
auszugsweise zu benutzen und der Lesewelt genießbar zu machen,
sind jüngst vortreffliche Winke und Beispiele gegeben worden,
welche der Sammler sorgfältig benutzt hat. Deswegen ist in der
Prophetenlegende, welche den Inhalt dieses Bändchens ausmacht,
alles schon Bekannte, worin die arabische, persische und
türkische mit der biblischen Geschichte zusammentrifft,
weggelassen, oder nur in so ferne berühret worden, als es
wegen des Zusammenhangs der Begebenheiten, oder der damit
verbundenen bildlichen Beziehungen unumgänglich nötig war.
Die Sage beginnt mit der Schöpfung der Welt und geht
herunter bis zu Mohammed, mit dem das Licht des Islam's und
das der historischen Wahrheit erscheinet. Auch in dieser
Beziehung heißen die Jahrhunderte vor ihm nicht mit Unrecht
die Zeiten der Finsternis und Unwissenheit.
Die mangel- und fabelhafte Geschichte der vier alten
persischen Dynastien und einiger arabischen Könige
ausgenommen, enthalten die klassischen Geschichtswerke der
Perser und Araber in diesem Zeitraume fast nichts als die
Legenden der Propheten, deren der Koran erwähnt, und deren an
der Zahl, den Sohn Abdallah's mit inbegriffen, fünfundzwanzig
sind.
Aber diese Legende selbst ist nicht unmerkwürdig, wegen des
Gepräges des orientalischen Genius, wegen der darauf
gegründeten Mythologie der Perser, Araber und Türken, und
wegen der vielfachen bildlichen Vorstellungen und noch
lebendigen Sagen, die damit verflochten sind. Diese
herauszuheben, diese, so viel als möglich, in ihr eigenes
Gewand zu kleiden und so darzustellen, dass sie dem Leser
lebendig ins Auge springen, war das Hauptaugenmerk des
Übersetzers, der zwar einerseits vielen Auswuchs
weggeschnitten, andrerseits aber manche Bilder und
Beziehungen, die im Originale nur mit ein paar Worten
angedeutet sind, besserer Verständlichkeit wegen,
ausführlicher entwickelt hat.
Hieraus erhellet schon, dass die Übersetzung, wie wohl an
vielen Stellen wörtlich getreu, an vielen andern eine
möglichst frei ist. Auch erklärt sich hieraus das
Missverhältnis der Ausdehnung der verschiedenen Abschnitte.
Denn dort, wo die arabische, persische und türkische
Geschichte ganz mit der biblischen zusammen traf, schien es
genug, nur ein paar Worte zu sagen, um in der Reihe der fünf
und zwanzig Propheten selbst keine Lücke zu lassen. Bei andern
hingegen, wo die Sage neue Umstände enthielt, oder auch, wo
dem Übersetzer mehrere Quellen zu Gebote standen, ist er um so
viel ausführlicher, und er steht nicht gut dafür, dass, wenn
ihm zum Beispiel alle siebzig Foliobände der Geschichte
Salomons zu Händen gekommen wären, aus deren Auszügen allein
nicht ein Buch entstanden wäre.
Von Mohammed selbst, dem Siegelring des Prophetenzyklus,
wird mit Vorbedacht kein biographischer Beitrag gegeben, weil
sein historisch – wahrer Lebenslauf eben so wenig, als die
historisch – wahren Lebensläufe der vor ihm genannten
Propheten, in den Plan dieses Werks gehört, und weil auf der
andern Seite die von ihm erzählten Wunder viel zu kindisch und
märchenhaft sind, als dass sie nach den patriarchalischen
Sagen der Vorzeit noch einiges Interesse erwecken könnten.
Überdies sind dieselben auch schon aus Maraccius zur Genüge
bekannt.
Um jedoch auch einen Schattenriss seines Genius
mitzuteilen, macht die Glaubenslehre von den letzten Dingen,
in so weit dieselbe auf den Koran und die mündliche
Überlieferung des Propheten gegründet und zum noch bestehenden
Dogma des Islams erwachsen ist, den Beschluss. Die erhaltenen
Überlieferungen sind um so sorgfältiger gesammelt und um so
treuer übersetzt, je weniger dieselben bekannt sind. Denn wenn
wir gleich das geschriebene Wort Mohammeds, den Koran, kennen,
so sind die Sammlungen seiner mündlichen Aussprüche bis jetzt
im Abendlande fast gänzlich unbekannt. Und doch ist das eine,
wie das andere, Grundfeste des Islams, nur mit dem
Unterschied, dass der Moslim den Koran für Gottes, und nur die
mündliche Überlieferung für des Propheten Wort hält. Der erste
ist für uns höchst merkwürdig als gesetzgebendes Dichterwerk
und als Bibelübersetzung, aber auch Mohammeds Prophetenworte
und Tischreden müssen gekannt sein, um seinen Genius ganz zu
würdigen.
Eine gewählte Sammlung derselben ist ein noch
unbefriedigter Wunsch, dessen Erfüllung vielleicht von dem
Beifall, den die hier mitgeteilten finden werden, abhängt.