101. Einen Menschen, der, ohne geladen zu sein
Einen Menschen, der, ohne geladen zu sein, sich in eine
Gesellschaft einzuschleichen, und durch sein Talent
gesellschaftliche Unterhaltungen zu verschönen, die Ehre,
daran Teil zu nehmen, verdient, einen solchen geistreichen
liebenswürdigen Tischfreund, den mancher mit dem unedeln Namen
eines Schmarozers oder Tellerleckers betiteln würde, heißen
die Araber Tofail; und da besonders unter der Regierung Harums
und Mamun's die Kunst gesellschaftlicher Unterhaltung im
höchsten Flore stand, so sind auch aus dieser Epoche
verschiedene Anekdoten von solchen ungebetenen Gästen auf uns
gekommen.
So lebte in damaliger Zeit zu Kufa ein junger Mensch von
äußerst glücklichen Anlagen und sehr feiner Bildung, die ihn
zum geistreichsten und liebenswürdigsten Gesellschafter
eigneten. Er besaß ein außerordentliches Gedächtnis, und hohe
natürliche Beredsamkeit. Die schönsten Stellen arabischer
Dichter waren ihm geläufig, und in der Geschichte war er
vollkommen bewandert. Es entging ihm keine Gelegenheit, den
Reichtum seiner Belesenheit und seines Witzes geltend zu
machen, überall fand er die glücklichsten Beziehungen und
Anspielungen auf, und über sein ganzes Wesen war eine immer
sich gleiche heitere Laune ausgebreitet.
Er hatte seine schönsten Jahre und sein ganzes Erbe in der
besten Gesellschaft von Kufa verlebt, und da ihm von seinem
Genuss und Reichtum nichts, als das immer rege Spiel seiner
Geisteskräfte, und eine heitere Gemütsstimmung übrig geblieben
war, so beschloss er, nach Bagdad zu reisen, um dort sein
Glück zu versuchen. Er stieg in einem der größten Chane ab,
und mischte sich sogleich in den Zirkel von Fremden und
Einheimischen, die sich mit den Neuigkeiten des Tages
herumtrugen. Für heute gab es nichts Wichtigeres, als dass der
Chalife Mamun beschlossen hatte, diesen Tag mit seinem Bruder
Moteaßem ganz allein, das heißt: bloß im vertrautesten Kreise
des Harems, zuzubringen. Der junge Mensch fasste schnell den
kühnen Entschluss, sich als dritter Mann in die Gesellschaft
des Chalifen und seines Bruders zu stehlen, und auf diese Art
entweder sein Glück zu machen, oder den Kopf zu verlieren.
Sogleich suchte er von seinen Bekannten, deren er eine Menge
in Bagdad antraf, die nötigsten Kleidungsstücke zu einem
glänzenden Hofanzuge zu entlehnen. Von diesem Unter- und
Überrock, von jenem Schal und Turban, vom dritten Gürtel und
Säbel.
Als er sich ausstaffiert hatte, ging er ins Bad, ließ sich
scheren, kneten und durchsalben. Von da begab er sich, ein
wenig vor Sonnenuntergang, grade zum Palaste Moteaßem's, wo er
sich durch den Thorhüter als einen Abgesandten des Chalifen
ansagen ließ. Er kam vor und sprach: Herr! der Fürst der
Rechtgläubigen grüßet dich, und fragt dich: ob du deines
Versprechens, den heutigen Abend allein mit ihm in trauter
Gesellschaft zuzubringen, vergessen habest? – Nein! wahrlich
nein! ich hab' es nicht vergessen; aber mein Nachmittagsschlaf
verspätete mich heute ungewöhnlich. – So eile nun, Herr, denn
der Fürst der Rechtgläubigen hat mir den Auftrag gegeben,
nicht von deiner Seite zu gehen, bis ich dich in seine
Gegenwart gebracht.
Moteaßem befahl die Pferde vorzuführen, wusch, kleidete und
parfümierte, und machte sich auf den Weg, in Begleitung des
Jünglings, den er für einen der vertrautesten Tischgenossen
des Chalifen ansah, und mit dem er sich sehr gerne unterhielt;
so schön und süß war seine Rede, so einnehmend seine Sitte.
Sie kamen bis an das Thor des Palastes, wo der Jüngling mit
Moteaßem abstieg, und mit ihm das innerste Gemach des Chalifen
betrat. Dort setzte er sich nieder, als ob er längstens da zu
Hause gewesen wäre, zwischen Moteaßem und den Chalifen, der
ihn für einen der vertrautesten Tischgenossen und
Gesellschafter seines Bruders hielt. Das Gespräch begann, und
der Jüngling wußte so geschickt den Ball der Rede zu schlagen,
dass der Chalife und Moteaßem mit Vergnügen dem
hochschwebenden Fluge desselben zusahen. Vom Größten bis zum
Kleinsten, vom Ernstesten bis zum Leichtesten, Alles umfaßte
sein Geist, über Alles goss er das Schimmerlicht seines Witzes
aus, und ordnete die mannigfaltigsten Einfälle zu einem
schönen Ganzen. Seine Worte waren so viele durchbohrte Perlen,
die er an dem Faden des Gespräches zum schönsten Hals- und
Armschmucke zusammen zu reihen wusste. Der Chalife war
entzückt über seinen unbekannten Gast, und konnte seinem
Bruder, der ihm denselben mitgebracht hatte, nicht genug Dank
wissen. Er erwartete mit Ungeduld die Gelegenheit, ihm
denselben zu bezeigen. Indessen kam die Stunde des Essens. Die
Tafel ward aufgetragen, und nach aufgehobenem Tische befahl
Mamun, dass die Sklavinnen des Harems unentschleiert vortreten
sollten.
Sie sangen und spielten. Da war kein Ton und keine Weise,
in welcher der Jüngling unerfahren gewesen wäre, was dann die
Hochachtung des Chalifen für ihn nicht wenig erhöhte. –
Endlich kam der Augenblick, wo ein dringendes Bedürfnis den
jungen Menschen zwang, sich zu entfernen. Er wusste wohl, daß
er, so bald er den Rücken gewendet hätte, auch entdeckt sein
würde, und hielt sich für verloren; indessen hatte er doch
Muth genug, wieder zurück zu kommen. Während seiner
Abwesenheit hatten sich Mamun und Moteaßem zugleich mit Fragen
angefallen, wer denn des andern Freund und Tischgenosse sei?
Keiner wusste Bescheid, und nun war der ungeladene Fremdling
entdeckt.
Mamun fuhr im ersten Zorne gewaltig auf, und ordnete die
Sklavinnen des Harems sogleich hinweg. Als der Jüngling
zurückkam, die Mädchen auf der Flucht und den Chalifen voll
Grimmes erblickte, wandte er sich mit festem und ruhigem Ton
an den Bruder des Chalifen. Ebi Ishak (dies war sein Vorname),
redete er ihn an, das ist wider dein gegebenes Wort, so sind
wir nicht eins geworden, dass du mir wieder einen deiner
gewöhnlichen Streiche spielen, und dem Fürsten der
Rechtgläubigen, der Himmel weiß was für Mücken in den Kopf
setzen sollst. Dann fuhr er fort, sich gegen Mamun wendend: So
macht er mir's immer, Herr, und stürzt mich durch seine
Scherze in Abgründe, aus denen ich mich oft nur mit tausend
Noth rette. – Dann wieder zu Moteaßem: So höre doch auf, und
mache des Scherzes ein Ende; ich beschwöre dich beim Haupte
des Fürsten der Rechtgläubigen. Mamun, als er so viel
Festigkeit und Zuversicht sah, wusste selbst nicht, wie er
dran sei, und wer von Beiden die Wahrheit rede, der
Tischgenosse oder Moteaßem. Er beschwur diesen, ihm doch die
Wahrheit zu gestehen, und Moteaßem schwur hoch und heilig,
dass er den jungen Menschen heute zum erstenmale gesehen habe.
Dieser hingegen strafte ihn mit Beteuerungen, und
umständlichen Details von Orten und Gelegenheiten, wo sie
beisammen gewesen seyn sollten, zu Lügen. Mamun musste lachen,
und wusste sich nicht anders aus dem Zweifel zu helfen, als
dass er dem jungen Menschen Verzeihung verhieß, wenn er ihm
die Wahrheit gestehen wollte. Er gestand, und Mamun gefiel
sich so gut in seiner Gesellschaft, dass er die Sklavinnen des
Harems wieder zurück bringen ließ. Dann begehrte er, er solle
ihm ohne Hehl das Merkwürdigste erzählen, was ihm auf seinem
Wege von Kufa nach Bagdad begegnet. Sogleich improvisierte der
Jüngling:
Ich hatte eine lange Nacht
Im Karawanserai durchwacht.
Ich dachte über Manches her und hin,
Ich fand nicht Ruhe noch Gewinn.
Auf einmal öffnet sich das Thor,
Ich horchte hin mit leisem Ohr;
Es war des Wärters Weib, sie sprach:
Bist du umsonst die Nacht durch wach,
So brich mir meinen Lohn nicht ab,
Und gib mir, was noch Jeder gab.
Du lässt die kleine Zelle leer,
Die Zeiten leider, sind so schwer;
Drum zahle du auch mir den Lohn,
Das Übrige versteht sich schon.
Der Chalife lachte, als ob er bersten wollte, und stampfte
vor Vergnügen mit den Füßen auf die Erde. Nun, ist dir kein
weiteres Abenteuer begegnet? Ja, Herr! Kaum hatte ich das
Karawanserai verlassen, als ich auch den Weg verloren hatte,
und mich in der Notwendigkeit sah, Alle, die mir begegneten,
um die rechte Straße zu fragen. Dies gab mir ein Paar Verse
ein, die ich vor mich hin in den Bart brummte:
Beklagenswert ist wohl des Fremdlings Loos,
Der sich hinauswagt in die Welt, die weite;
Er fragt und fleht umsonst so Klein und Groß;
Dass Jemand ihn die wahre Straße leite.
Ein schönes Mädchen, das eben vorbeiging, antwortete
sogleich aus dem Stegreife:
Die Führerin, o Fremdling! will ich sein,
Und gerne dich die wahre Straße leiten,
Doch wiss', der Weg ist eng, dass Thor ist klein,
Es brauchet festen Fuß, nicht auszugleiten.
Zugleich warf sie mir in einem Papier zehn Silberstücke zu,
mit denen ich in den Stand gesetzt ward, meine Schuld in den
Karawanserais abzutragen, und meine Reise weiter fortzusetzen.
Mamun war so zufrieden mit dem gesellschaftlichen Talente
des Jünglings, daß er ihm hundert tausend Silberstücke
auszahlen ließ, und ihn unter die Zahl seiner vertrautesten
Tischgenossen ausnahm. Er ward berühmt unter dem Namen: Tofail
Moteaßem, und verfertigte mehrere kleine Gedichte, moralischen
und ästhetischen Inhalts, deren eines Mamun auf den Vorhang
des Harems sticken ließ1.
Fußnote 1: Die Mode, Verse und Sprüche über die Thüren zu
schreiben und in die Vorhänge zu sticken, hat sich noch bis
heut' im Morgenlande, und besonders im Serail von
Konstantinopel, wo manche Inschriften mit Perlemutter in Holz
eingelegt, oder mit Perlen in Seide eingestickt sind, bis zur
Verschwendung erhalten.