109. Erzähl' mir ein Geschichtchen
Erzähl' mir ein Geschichtchen wider den Schlaf und wider
die Langeweile, sagte der Chalife Mamun eines Tages zu Mesrur,
dem obersten Aufseher des Harems. Fürst der Rechtgläubigen,
antwortete Mesrur, für jetzt fällt mir nichts bey, was deiner
Majestät würdig wäre; doch bringe ich dir einen alten Sklaven
vom Hofe deines Vaters, in dessen Gesellschaft dir die Zeit
nicht lang werden soll. Der alte Diener ward vorgeführt,
küsste dreimal die Erde vor den Füßen des Chalifen, und begann
folgende Erzählung:
Der Vater deiner Majestät, weiland Chalife Harun Raschid,
glorreichsten Angedenkens, war ein großer Liebhaber der Jagd.
Den ganzen Tag hindurch gings über Stoppel und Moor, bergauf,
talein, in vollem Rennen. Ich hinter ihm her; oft
verschmachtend vor der Hitze des Tages, vor Müdigkeit und
Hunger. Eines Tages gab mir einer der Höflinge drey in Honig
eingesottene Datteln, eine treffliche Aushülfe, so wider
Hunger als Durst. Deß ward ich froh, und bewahrte meine
Datteln wie einen Talisman wider das Ungemach der Jagd. Ich
erspähte den Augenblick, wo der Chalife ein wenig vorwärts war
und mich nicht zu bemerken schien, um eine der Datteln zum
Munde zu bringen. Aber kaum hatte ich sie über die Lippen
gebracht, so rief mich der Chalife. Ich spie die Dattel aus
und gab meinem Esel die Sporen, um den Chalifen zu erreichen.
– Sage mir, sprach er, hat dein Esel schon alle Zähne, oder
mangelt ihm vielleicht noch einer? – Er hat sie alle
vollgezählt, Fürst der Rechtgläubigen, war meine Antwort.
Eine kurze Weile darauf blieb ich wieder zurück, und
versuchte mein Glück mit der zweiten Dattel. Aber kaum hatte
sie den Mund berührt, so rief mich der Chalife. Ich war
gezwungen, die Dattel wegzuwerfen, und gab meinem Esel die
Sporen. Ist dein Esel arabischer oder ägyptischer Abkunft?
fragte Harun. Er ist aus Jemen, allergnädigster Herr,
erwiderte ich mit verbissenem Unmuth, und kehrte auf meinen
Platz zurück.
Hunger und Durst, nicht gestillt, sondern nur gereizt durch
des Honigs Süßigkeit, plagten mich mehr als zuvor, und ich
versprach mir, wenigstens die dritte Dattel glücklich hinab zu
bringen. Doch der Versuch missglückte. Kaum hatte ich sie
zwischen den Zähnen, so rief mich auch schon wieder der
Chalife, und ich musste in vollem Trab zu ihm vorrennen. Wie
teuer hast du deinen Esel gekauft? fragte Harun. Verdammt,
dachte ich bei mir selbst, sei mein Esel und sein Verkäufer!
und dann mit dem abgemessensten ehrfurchtvollsten Tone: Er
kostet mir grade acht Dukaten, Fürst der Rechtgläubigen. Der
Chalife konnte das Lachen nicht halten, und ich kam Abends
hungriger und durstiger als jemals in den Palast zurück.
Nachdem ich mich durch Speise und Trank gelabet hatte,
wandelte ich herum durch die Gallerien des Palastes, und durch
die hohen Gänge des Harems, aus denen schon der letzte
Schimmer der Abendröte verschwunden war. Lieblicher Gesang
ertönte aus einer der Kammern der Frauen. Ich verfolgte die
Stimme, nnd sah durch das Schlüsselloch den Chalifen, der
seinen Arm um den Nacken der schönen Sängerin geschlungen
hatte. Der Chalife war zudringlich, sie aber bat ihn, sie zu
verschonen, weil, wenn Zobeide, die Gemahlin Harun's, den
geringsten Verdacht hegte, sie auf ewig unglücklich seie, und
den Genuss des Augenblicks mit tausend Martern bezahlen würde.
Harun bot alle seine Beredsamkeit auf, die schöne Sklavin zu
beruhigen, besonders habe es heute keine Gefahr mit Zobeide,
denn sie sei in der Frühe auf ein nah' gelegenes Lustschloss
verreiset. In diesem Augenblicke schlug ich mit einem großen
Knotenstock an die Tür. Die Sklavin fuhr erschrocken auf: Um
Gottes willen, das ist die Prinzessin! Der Chalife suchte sie
erst zu beruhigen, und fragte dann: Wer da?
Es ist, antwortete ich, Ibad, der allergetreuste Sklave
deiner Majestät. Ich hatte heute Früh auf die Frage: ob mein
Esel alle Zähne habe? geantwortet: er habe sie vollzählig; nun
aber, bei genau genommener Einsicht seines Mundes, fand ich
wirklich, Fürst der Rechtgläubigen, dass ihm noch zwei fehlen.
Verdammt sey dein Esel und du, rief der Chalife, lass mich in
Frieden.
Die schöne Sklavin, äußerst furchtsam von Natur, wollte
lange nichts von des Chalifen Anträgen hören. Endlich ließ sie
sich doch nach und nach herbei. Das Gespräch ward lebhafter,
dann einsilbig, und sie waren auf gutem Wege, als ich wieder
und weit stärker als das erstemal, an der Türe klopfte.
Zobeide! Zobeide! rief die schöne Sklavin, und sprang
erschrocken auf. Der Chalife hielt sie beim Saum des Kleides
zurück, zog sie zu sich auf's Sofa nieder, und nachdem er sie
ein wenig beruhiget hatte, fragte er: Wer da?
Dein allergetreuester Sklave Ibad, o Fürst der
Rechtgläubigen. Du fragtest mich: ob mein Esel arabischer oder
ägyptischer Abkunft sei? ich sagte: er sei aus Jemen; aber
nach den genausten eingezogenen Erkundigungen ist er aus
Oberägypten gebürtig. Verflucht sey du und dein Esel! schalt
der Chalife, schere dich fort.
Die schöne Sklavin zitterte noch lange, und es brauchte
viele Mühe und Zeit, bis sie sich wieder den Liebkosungen
Haruns hingab. Endlich wich die Furcht der Begier, und der
Augenblick war da, wo Harun glücklich werden sollte; da schlug
ich zum drittenmale mit Gewalt an die Tür. Die Sklavin konnte
sich nicht fassen vor Schrecken. Mit Mühe hielt sie der
Chalife in seinen Armen zurück. Das ist die Prinzessin ganz
sicher, rief sie, und der Chalife fragte: Wer da?
Dein allergetreuester Sklave Ibad, antwortete ich. Ich
hatte gesagt: mein Esel koste acht Dukaten, daran habe ich
mich gar sehr geirret, denn ich finde nun in meinem
Rechenbuche, er koste nur sieben und einen halben. Geh' zur
Hölle, du und dein Esel![ fluchte der Chalife: dass weder du
noch sein Verkäufer hätte jemals existieren mögen!
Nun wollte die schöne Sklavin von nichts mehr hören. Harun
verschwendete lange seine Beredsamkeit, bis er sie wieder in
Fassung brachte. Endlich gab sie seinen Worten Gehör, und war
daran, seine Wünsche zu erfüllen. Da ertönte mit der ersten
Morgendämmerung von dem Turme der Hofmoschee der Gebetausruf.
Dies war das Signal für den Chalifen, den Harem zu verlassen,
und das Morgengebet zu verrichten. So begab er sich dann
hinweg von der schönen Sklavin unverrichteter Dinge, und so
bezahlte er mir die drei in Honig eingesottenen Datteln.