119. In den Tagen des ägyptischen Sultans
In den Tagen des ägyptischen Sultans, Achmed. Ibn Tulmis,
der auf den Bau der großen nach seinem Namen benannten Moschee
in Kairo allein hunderttausend Dukaten verwendet hatte, trug
sich folgende Begebenheit zu:
Ein armer Mann lebte in der Nähe dieser Moschee, deren
reichliche Stiftungen damals alle ähnliche Anstalten an
Reichtum übertrafen. Die Einkünfte der Alemas und
Moscheediener beliefen sich monatlich auf zehntausend Dukaten,
außer hundert Dukaten, die als Almosen zur täglichen
Verheilung unter die Armen bestimmt waren.
Dieser arme Mann nährte sich mit seinem Weibe und einer
Tochter von Wollenspinnerei. Eines Tags bat die Tochter, ihre
Eltern auf den Markt begleiten zu dürfen, wo sie Wolle
einkaufen sollten. Die Eltern nahmen das Mädchen mit, als sie
aber an das Thor Balbil's gekommen waren, hatten sie ihre
Tochter im Gedränge verloren, zu nicht geringer Bestürzung.
Das Mädchen von außerordentlicher Schönheit und Unschuld
wusste nicht, wohin sie sich wenden sollte, als eben der Emir
Balkil zum Thore herausritt.
Er sah sie, verliebte sich auf der Stelle, und ließ sie in
sein Haus bringen, wo er sie seinen Sklavinnen übergab, dass
sie dieselbe waschen, kleiden, und mit köstlichen Wohlgerüchen
durchdüften sollten. Dann zwang er sie mit Gewalt in sein
Bette, und zerstörte an ihr, was an den Huri's des Paradieses
unzerstörbar ist. Die Eltern suchten indessen ihre Tochter auf
allen Orten, und kehrten verzweiflungsvoll mit leeren Händen
und tränenvollen Augen nach Hause zurück.
Als es finster war, klopfte Jemand an der Tür, und eine
Stimme erscholl: Ich bin der Emir Balkil, der deine Tochter
geraubt, und ihre Jungfrauschaft genossen hat. Ich dächte, du
ließest mir nun das Mädchen, ohne viel Lärmens zu machen, denn
besser wird sie dir schwerlich Jemand bezahlen, als ich. Der
arme Mann wollte nichts von den Vorschlägen hören, und sank
sinnlos zur Erde. Als er sich erholt hatte, ging er hin zum
ersten Gebetausrufer der Moschee Ibn Tulun's. Es war seine
Amtspflicht, nicht nur das Gebet, sondern auch andere
außerordentliche Kundmachungen von dem Minare auszurufen. Als
ein besonderer Freund des Vaters des Mädchens stieg er nun
aufs Minare gerade gegegenüber dem Palast des Sultans1, und
rief die Schandtat aus mit lauter Stimme, so dass sie zu des
Sultans Ohren kam.
Achmed Ben Tulmi ließ erst die Eltern des Mädchens, und
dann den Emir rufen. Viel Glück zur Hochzeit! redete er den
letzten an. – Ich verstehe dich nicht, o Herr! – Wie so?
Kannst du leugnen, dass dieses die Eltern deiner Braut seyen?
Du, fuhr er dann fort, sich zu dem Vater des Mädchens wendend,
vermählest deine Tochter diesem meinem Mameluken mit einer
Morgengabe von tausend, und mit einem Heiratsgute von
zehntausend Dukaten. Die Zeugen erschienen, der Ehekontrakt
ward aufgesetzt, und unterfertiget nach aller Form.
Als die Zeugen abgetreten waren, befahl der Sultan, dem
Emir den Kopf abzuschlagen. Der Befehl ward vollstreckt, und
der Kopf rollte blutig auf dem Marmorboden hin. Deine Tochter
hat ihren Gemahl geerbt, sagte der Sultan, sie ist nun die
Frau seines ganzen Vermögens. Die Eltern dankten, und gingen,
und in ganz Kairo erscholl der Ruf von Achmed, des Sohns
Tulmis, strenger Gerechtigkeitsliebe. Leider! dass er ihr
nicht immer treu geblieben, sondern in der Folge dem Volke
Anlass genug gab, über seine Tyrannei zu schreien.