195. Die Einwohner der Stadt Homs
Die Einwohner der Stadt Homs in Syrien waren von jeher
wegen der Einfältigkeit und Originalität ihres Geistes
berühmt. Ein Reisender kam nach Homs. Er hörte den Gebetausruf
von dem Minare verkünden, doch statt der gewöhnlichen Formel:
Ich bekenne, es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist der
Prophet Gottes, hörte er, wie der Ausrufer rief: Ich bekenne,
es ist kein Gott außer Gott, und die Einwohner von Homs
bekennen, Mohammed sei der Prophet Gottes.
Der Reisende, ein Mann von frommem und schlichtem Sinn nahm
sich vor, den Imam der Moschee um den Grund dieser sonderbaren
Neuerung zu befragen. Er suchte ihn auf, und fand ihn in der
Moschee von einer Menge von Leuten umringt, denen er Wein
verkaufte. Das zweite Ärgernis war stärker, als das erste, und
er ging nun zum Richter, um Erkundigung einzuziehen. Er fand
ihn auf ein Sofa hingestreckt mit einem zarten Knäblein an der
Seite. Bey diesem Anblick schrie er laut auf: Dass Gott die
Stadt Homs und alle ihre Einwohner in den Abgrund stürzen möge
ihrer Gottlosigkeit wegen! Der Richter fragte um die Ursache
dieses Fluches. Soll ich der Stadt nicht fluchen, wo der
Gebetausrufer ein Prophetenleugner, der Imam ein Trunkenbold,
und der Richter ein Knabenliebhaber ist! – und er erzählte
dann weiters, was ihm seit seinem Eintritt in die Stadt
begegnet.
Unwissender! fuhr ihn der Richter an, sei ein andermal
behutsamer, und hüte dich vor freventlichen Urteilen, damit
nicht du in den Abgrund der Hölle gestürzt werdest statt der
Einwohner von Homs.
Wisse denn, unser Muezin (Gebetausrufer) ist krank, und in
der ganzen Stadt Homs ist ein einziger Jude, der eine starke
und wohltönende Stimme hat, wie sie das Amt eines Muezin
erfordert. Du siehst wohl von selbst ein, dass der Jude nicht
sagen kann: Ich bekenne, Mohammed ist Gottes Prophet, er sagt
daher, die Einwohner von Homs bekennen es, und das ist die
reine Wahrheit. Wir sehen lieber diese kleine Veränderung der
Formel nach, als dass wir ein ohrenzerreißendes Gekreische
ertragen sollten. – In Betreff des Imams hast du nicht weniger
Unrecht. Die ganzen Einkünfte der Moschee bestehen in
Weingärten, die von Christen gebaut werden; die
Weinverteilung, die du sahst, war nichts, als die Einnahme des
gesetzmäßigen Zehnts, den das Gesetz in der Moschee abzunehmen
nicht verbietet. Dieser kleine Knabe endlich, den du hier
neben mir liegen siehst, ist ein Waise, den ich an Kindesstatt
angenommen, und den ich mit vieler Sorgfalt erziehe. Der
fromme Mann ging von hinnen, fluchend über die Stadt Homs und
ihre Bewohner, und kehrte nie wieder dahin zurück.