36. Dschafer Almanßur
Dschafer Almanßur, der Chalife, bat den Richter Ebi Sinli,
ihn öfters mit der Erzählung sonderbarer Fälle, die ihm in
Ausübung seines Amtes aufstießen, zu unterhalten. Eines Tages
nun, als der Richter den Chalifen sehr verdrießlich sah,
erzählte er ihm die folgende Anekdote:
Ein altes Weib mit gekrümmtem Rücken, und das sich kaum auf
ihren Stock gestützt erhalten konnte, kam, Gerechtigkeit zu
begehren wider eine ihrer Verwandten. Ich ließ sie vorrufen.
Es war ein junges rundes Weib, deren Busen und Wuchs dem
Enthaltsamsten den Mund wässern gemacht hätte. Sie setzten
sich beide, und die Alte wollte die Klage beginnen, als die
Junge bat, dass sie am ersten sprechen, und sich entschleiern
dürfe. – Die Alte protestierte dawider, und machte viel
Lärmens. Ich erlaubte der Jungen, sich zu entschleiern und zu
sprechen. Sie lüftete den Schleyer, und beim Propheten! kein
schöneres Gesicht habe ich je gesehen; das Licht des
Paradieses strahlt nicht heller von den Wangen der Huris, als
ihre Schönheit mir in die Augen strahlte. Sie legte ihren
Schleyer auf eine sehr verführerische Weise zurechte, und
begann dann folgendermaßen:
Gott segne den Richter! die Klägerin ist meine Tante, die
nach meines Vaters Tode meine Erziehung übernahm bis ins
heiratmäßige Alter. Sie fragte mich, ob ich mich verehelichen
wollte, und auf mein Ja schlug sie mir einen Wechsler von Kufa
vor, den ich nahm, und glücklich mit ihm zusammenlebte. Meine
Tante, neidisch über das Glück unserer Ehe, war nur darauf
bedacht, dasselbe zu stören. Sie hatte eine Tochter, die eben
mannbar geworden, und die sie meinem Gemahle so oft unter die
Augen führte, bis er dieselbe zur Frau begehrte. Die Tante
willigte in das Begehren, mit dem Bedingniss, dass mein Gemahl
sich von mir scheiden, und mich den Befehlen seiner neuen Frau
unterwerfen sollte. – Wohlan, sprach mein Gemahl: Ich scheide
mich von ihr zum ersten, zum zweiten, zum dritten Male. Er
hielt hierauf Hochzeit mit meiner Base, und von gebietender
Frau war ich nun die Magd meiner Nachfolgerin geworden. Nicht
lange hernach verließ meine Tante das Haus, um besondere
Wirtschaft zu führen, und sie führte mich mit sich hinweg. Ihr
Gemahl, der lange abwesend gewesen war, kam um diese Zeit von
seinen Reisen zurück. Da er mich oft genug sah, verliebte er
sich in mich, und begehrte mich endlich zur Frau. Ich willigte
in sein Begehren mit dem Bedingnisse, dass er sich von meiner
Tante scheiden, und sie mir unterwerfen werde. Dein Wille
geschehe, sprach er, ich scheide mich von ihr zum ersten, zum
zweiten, zum dritten Male. – Nun ging die Wirtschaft anders,
ich herrschte im Hause, und meine Tante musste gehorchen. Bald
darauf starb mein Onkel und zweiter Gemahl, und hinterließ mir
eine Erbschaft von sechstausend Dirhems. Nachdem ich die
Trauer ausgezogen hatte, kam mein erster Gemahl, mich zu
besuchen. Ich habe dich immer, sprach er, wie meine Seele
geliebt; tausendmal habe ich den unglücklichen Tag verwünscht,
wo ich mich von dir getrennt. Ich fliege in deine Arme zurück,
wenn du ein andermal mit mir zusammen leben willst. – Warum
nicht, antwortete ich, aber mit dem Bedingniss, dass du dich
von deiner jetzigen Frau scheidest, und dass dieselbe mir
untergeben sei.
Ich scheide mich, sprach er, von ihr zum ersten, zum
zweiten, zum dritten Male, sie sei künftig deine Magd.
So war ich dann die Gebieterin meiner Base und meiner
Tante, der beiden Gemahlinnen meiner Eheherren.
Alles dies ist wahr, von Wort zu Wort, redete die Alte ein,
sie hat für mich gesprochen und sich selbst angeklagt. Habe
ich denn kein Recht, Genugtuung dafür zu fordern, dass sie mir
und meiner Tochter unsere Männer geraubt, und uns zu ihren
Mägden gemacht hat. Der Fall schien mir sehr verworren, und
ich wusste nicht, wie ich sprechen sollte. Unstreitig war eine
Übertretung des Gesetzes hier mit untergelaufen. Der Oheim
hätte seine Nichte nicht heiraten sollen. Aber er war tot, und
keine Klage konnte daher statt haben wider ihn. Ich entschied,
dass die Alte frei sein, ihre Tochter in die Rechte einer
rechtmäßigen Gemahlin treten, und dieselben mit der jungen
Frau teilen solle.
Dies, o Herr, so endete der Richter Ebi Sinli seine
Erzählung, ist einer der seltsamsten und merkwürdigsten Fälle,
die mir je in Ausübung meines Amtes vorgekommen.