54. Harun Raschid war sterblich
Harun Raschid war sterblich in eine seiner Sklavinnen
verliebt, die das Unglück hatte, am rechten Arm gelähmt zu
sein. Alle Ärzte Bagdads hatten ihre Kunst umsonst an ihr
versucht. Endlich erschien ein fremder Greis, der dem Chalifen
versprach, die Sklavin zu heilen, wenn er erlauben wolle, dass
ein Fremder sie in seine Arme schließe. Die Bedingnis war
schwer; der Chalife schwankte lange zwischen Liebe und
Eifersucht. Es sei denn! rief er aus, ich gebe sie dem
Fremdling Preis, nur dass sie geheilt werde. Der Greis brachte
den Fremdling, und in Gegenwart des Chalifen wollte er sich
die Freiheit herausnehmen, ihr den Gürtel zu lüften.
Da wirkte die Gewalt weiblicher Scham mit solcher Stärke,
dass sie durch außerordentliche Anstrengung der Willenskraft
die Hand bewegte, um den Fremdling zurückzustoßen. Die Heilung
war vollbracht, doch konnte der Chalife seinen Verdruss darob
nicht bergen, dass ein Fremder in's Innerste des
Frauengemaches eingeführt, und das Geheimnis des Harems
entheiligt worden sei.
Der Greis befahl dem Fremden seine Kleider abzulegen, und
siehe da, es war eine Matrone; so dass durch des Arztes
Weisheit die Sklavin und des Harems Ehre zugleich gerettet
worden waren.