70. Asmai, der Hofdichter
Asmai, der Hofdichter und Günstling Harun Raschids,
erzählt, er habe eines Tages, als er in der Moschee von
Bassora sein Gebet verrichtete, einen Mann mit zwei seiner
Töchter angetroffen, der auf eine ganz neue und unerhörte Art
bettelte. Die eine hatte er am rechten, die andere am linken
Arm, und schrie dabei beständig:
Schämt Euch nicht, Mädchen, lasst Euch sehn,
Dass es Euch möge wohl ergehn!
Auf diese Art hatte er sich bald so viel zusammengebettelt,
dass er sich ein Haus kaufen konnte in Bassora, wo er ganz
gemächlich lebte, und seiner witzigen Einfälle und treffenden
Reden wegen viel besucht ward. Harun Raschid, ein großer
Liebhaber lustiger Einfälle und witziger Worte, ließ ihn zu
sich an Hof kommen, und fragte ihn, ob er kein Bedürfnis
fühle. Kein anderes, antwortete der Araber, als das, deine
Majestät zu lobpreisen. O, lass das Lob, sprach Harun, ich
muss dessen täglich so viel hören, dass mir die Ohren davon
gellen, ich möchte lieber eine Satire, als ein Lobgedicht. Der
ausgewählteste Kreis der trautesten Gesellschaft des Chalifen
fand sich eben bei ihm versammelt. Das waren der Wesir
Dschafer, der Barmekide, mit seinem Bruder Fasl, dem
Großkanzler, und ihrem Vater. Dann Fasl, der Sohn Rebii's,
Said Ibn Moslim Albahili, Hilal, der Günstling, Ahmed, der
Geheimschreiber, und Mesrur, der Oberste der Eunuchen. Bei wem
soll ich anfangen, fragte der Araber. Das ist gleichviel,
sagte der Chalife, wo du willst. Er richtete das Wort an Said
Ibn Moslim Albahili, dessen Freigebigkeit nicht sehr zu rühmen
war, und der große Ländereien in Ägypten besaß:
Dein Geiz ist ohne Maß und Ziel,
Denn bist du gleich der Herr vom ganzen Nile,
So gönnst du doch des Wassers nicht so viel,
Dass man darin den Leib abspüle.
Said, wütig vor Zorn, zog sein Schwert, und wollte über Abu
Faraon (dies war der Zuname des witzigen Kopfes) herfallen;
aber der Wesir und die ganze Gesellschaft hielten ihn zurück,
und sagten, man müsste einem Dichter solche Freiheiten zu gute
halten.
Nun wandte er sich an Fasl, den Sohn Rebii's, der viel zu
versprechen und wenig zu halten gewohnt war:
Gleich Strömen fließet deine Rede fort.
Allein der Wille ist ins trockne Herz gebrochen.
O Schade, dass noch niemals deinem Wort
Die Tat entsprochen.
Fasl erhob sich voll Zornes, zog sein Schwert und wollte
den Stichredner in Stücke zerhauen. Aber der Chalife und die
ganze Gesellschaft riefen ihm zu: Sachte, sachte, einem
Dichter muss man so was verzeihen.
Nun kam die Reihe an Mesrur, den Vorsteher des Harems, und
geheimen Scharfrichter des Chalifen.
Ey, der liebenswürdigen Gestalt!
Schmutzig, runzlicht, schwarz und alt.
Macht er im Harem den Schäfer,
Itzt entkriechet er dem Mist als Käfer,
Wenn man ihn als Henker ruft,
Fliegt er wie ein Rabe in der Luft.
Mesrur zog sein Schwert, und hätte sein Amt als
Scharfrichter an Abu Faraon vollzogen, wenn nicht der Chalife
und die ganze Gesellschaft ihn daran gehindert hätten. Sachte,
sachte! riefen sie ihm zu; einem Dichter muss man so was
verzeihen.
Nun redete er den Geheimschreiber an:
Ihr ganzes Geheimnis, Herr Sekretär,
Ist wahrlich zu finden gar nicht schwer;
Wir wissen, dass unter der Löwenhaut
Ein Paar von langen Ohren graut.
Ahmed stürmte mit dem bloßen Schwerte auf ihn los. Der
Chalife, der sich vor Lachen kaum halten konnte, rief ihm mit
der ganzen Gesellschaft zu: Sachte, sachte! einem Dichter muss
man so was verzeihen.
Abu Faraon richtete sich gegen den Günstling des Chalifen:
Ich ruf' ihn aus; wer legt mir einen Both?
Er kann zwar weder lesen, schreiben, tanzen, singen.
Doch weiß er Euch im Fall der Noth
Als ausgelernet umzuspringen.
Der junge Mensch rannte mit gezücktem Dolch auf ihn los,
und hätte ihn durchbohrt, wenn nicht der Chalife und die ganze
Gesellschaft ihm zugerufen hätte: Er solle sich niedersetzen,
einem Dichter müsse man so was verzeihen.
Nun redete Abu Faraon die drei Barmekiden zugleich an:
Die Barmekiden sind
Der Wohltat Quell, wie jeder weiß,
Doch was aus dieser Quelle rinnt,
Ist Völkerschweiß.
Die drei Barmekiden sprangen auf und wollten den Dichter in
Stücke zerhauen. Aber der Chalife, vor Lachen berstend, rief
ihnen zu, sich niederzusetzen, einem Dichter müsse man so was
verzeihen.
Nun war Niemand übrig, als Harun selbst. Abu Faraon, sprach
er, sag mir auch eine Stichrede, denn des Lobes habe ich bis
zum Eckel, und ich möchte gar zu gerne einmal, der
Abwechselung willen, Bitterkeiten statt Süßigkeiten kosten.
Abu Faraon ließ sich nicht zweimal auffordern. Er sprach:
Du meinst, dass deine Hand die Welt regieret,
Da irrst du in der Tat,
Du bist Nichts als die Puppe, deren Draht
Die Hand der Großen führet.
Wiewohl der Chalife die Satire selbst herausgefordert
hatte, so war sie ihm doch so fremd und schmerzte ihn so tief,
dass er mit bloßem Schwert den Dichter zusammengehauen hätte,
wenn ihm nicht die ganze Gesellschaft in den Arm gefallen wäre
mit dem einstimmigen Ruf: Sachte, sachte! einem Dichter muss
man so was verzeihen.
Harun ging in sich, und Abu Faraon ward reichlich belohnt.