Rosenöl
Rosenöl (Hammer-Purgstall)

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1813 n.Chr.

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Rosenöl - Joseph von Hammer-Purgstall

82. Ein ehrwürdiger Greis

Ein ehrwürdiger Greis mit langem Silberbart, in ein weißes Tuch gewickelt, kam im Galopp angeritten auf einem schön aufgezäumten Rappen. An der Brücke hielt er stille, und fing an, Trauer- und Lobgedichte zu rezitieren, zu Ehren der Barmekiden, deren Freigebigkeit und andere Tugenden er bis in den Himmel erhob. Die Wache bemächtigte sich seiner sogleich, und führte ihn dem Chalifen vor, dem er sich mit heiterem und unbefangenem Gemüte darstellte. – Der Chalife fuhr ihn mit zorniger Miene an: Hast du nicht den öffentlichen Ausruf vernommen, der alles Lob der Barmekiden verbietet, und weißt du nicht, dass es sich um dein Leben handelt? Ich weiß es Chalife, deswegen habe ich mir auch dies Lobgedicht zum Schwanengesang gewählt. Ich bin gekommen, um zu sterben; sieh hier mein Reisegeräte. Er schlug das weiße Tuch auseinander, das er um den Leib gewickelt hatte, es war ein Leichentuch, mir dem er sich zu seinem Begräbnisse im voraus versehen.

Harun Raschid verwunderte sich über den so festen und entschiedenen Entschluss, dem Tode entgegen zu gehen, er war neugierig, die Ursachen einer so treuen Anhänglichkeit an das Haus der Barmekiden kennen zu lernen; Er verlangte, der Greis solle ihm seine Geschichte erzählen, und dieser erzählte sie folgendermaßen:

Ich bin, o Fürst der Rechtgläubigen! von Bassora gebürtig, wo ich meinen Vater frühe verlor. Er hatte mir eine sehr ansehnliche Erbschaft hinterlassen, von der ich den möglichst besten Gebrauch machte, zu meinem und meiner Freunde Vergnügen. Eines Tages, als ich mich mit zehn derselben in einem Garten erlustigte, fing Einer an, der Stadt Cairo, dem Nile, und der Insel Rauda eine Lobrede zu halten. Ein Anderer machte eine Beschreibung von Damaskus und seinen herrlichen Umgebungen; ein dritter sang Schiras und die persischen Täler; ein vierter endlich erwähnte Bagdads und seiner Herrlichkeiten. Sogleich vereinigten sich alle zehn im Lobe seiner Palläste und Gärten; sie priesen die Gastfreiheit seiner Einwohner und die Freigebigkeit der Barmekiden. Wir beschlossen einstimmig nach Bagdad zu reisen, und setzten unsern Entschluss ins Werk. Wir stiegen im Safranviertel ab, und brachten beiläufig zwei Monate in Ergötzungen aller Art zu, ohne den Chan zu verlassen, wo wir abgestiegen. – Da sprach ich zu meinen Gefährten: Aber warum sind wir denn nach Bagdad gekommen, wenn wir immer zu Hause sitzen wollen? Eben so gut hätten wir in Bassora bleiben können; ich dächte, es wäre Zeit, uns ein wenig unter die Leute zu mischen, und Bekanntschaften zu machen. – Am folgenden Tage ging ich auch wirklich aus, von meinen Sklaven begleitet.

Kaum war ich durch ein paar Gassen gekommen, als ich einem Menschen begegnete, in ein antiochisches Hemde gekleidet, der einen Stock mit einem großen silbernen Knopfe in der Hand trug. Er grüßte mich, und ich erkannte in ihm einen Sklavenhändler, der alle Jahre seiner Geschäfte wegen nach Bassora kam. Er führte mich zu sich nach Hause, hieß mich auf einen Stuhl, aus Stahl gemacht, niedersitzen, und ließ eine Sklavin herauskommen, die an Schönheit Alles, was ich je gesehen, übertraf. – Bring ihr das Wiegenkind, sagte der Kaufmann zu einem Sklaven. Dieser ging und brachte einen Sack von Goldstoff, aus welchem die schöne Sklavin ihre Laute zog, die sie drückte und herzte, und dann auf den Schoß nahm, als ob es ihr Kind wäre. Sie spielte und begleitete sich selbst mit einer Zauberstimme, welche die Toten zum Leben erwecken konnte. Ich kaufte sie um zehntausend Dukaten. Als ich mit ihr nach Hause gekommen, sprach sie: Ich bin deine Sklavin, mein Herr und Gebieter, aber habe nur ein wenig Geduld. Ich gehörte der Gemahlin Dschafers, des Barmekiden, an, die mich an diesen Sklavenhändler verkauft. Ich bin schwanger, und flehe dich um die einzige Gnade, mich bis nach meiner Entbindung nicht zu berühren. Nach derselben lebten wir in der größten Vertraulichkeit. Ich hatte ein Schiff gemietet auf dem Tigris, an dessen Bord ich die heißesten Tage in angenehmer Kühlung verlebte.

Eines Tags erschien ein Staasbote, um mich zu Suleiman es-seini, einem der größten Hofbeamten, zu holen. – Ich höre, sprach er, dass du die und die Sklavin besitzest. Ja! und ihr Kind obendrein; denn sie ward bei mir entbunden, und ich habe sie erst nach ihrer Entbindung berührt. – Schon gut, sprach er, und hieß mich gehen. Gegen Abend bestiegen fünfzig Sklaven mit gezogenen Schwertern mein Schiff und führten mich ab sammt meiner Familie, die aus meiner Mutter, meiner unverheirateten Schwester, aus der Sklavin und ihrem Kinde bestand. Wir stiegen ab im Palast Dschafer des Barmekiden; die Sklavin ward weggeführt, ich aber, meine Mutter, und meine Schwester mit der größten Achtung behandelt.

Indessen ward uns diese ehrenvolle Gefangenschaft gar bald langweilig. Wir gingen eines Tages bis an die alte Brücke, wo der Garten aufhört. Dort fanden wir eine Karawane, die nach Rahba zog, und an die wir uns sogleich anschlossen. Nachdem wir einige Parasangen zurückgelegt, fingen meine Mutter und meine Schwester an zu weinen, von Müdigkeit erschöpft. Drei Reiter, die sich unserer erbarmten, nahmen uns auf ihre Pferde hinter sich, und brachten uns glücklich nach Rahba. Ich durchstrich die Gassen der Stadt, um einen Nahrungszweig zu suchen, und blieb dann vor dem Gewölbe eines ehrwürdigen Greises stehen. – Mein Vater, sagte ich, wie verdienen hier die Fremden ihr Brod? Durch Arbeit, antwortete er, geh nur ins Gewölbe meines Nachbars, des Schmiedes, es wird dir gewiss an Verdienst nicht fehlen. – Aber ich habe nie einen Hammer angerührt! –

Tut nichts zur Sache, wirst es schon lernen. Er gab mir einen Jungen, der mich zum Schmiede führte, und demselben im Namen seines Herrn anempfahl. – Ist gut, sprach der Schmied, hier ist Ambos und Hammer; aber es heißt Tag und Nacht arbeiten, und du erhältst dann alle vier und zwanzig Stunden zwei Dirhem. – Zwei Dirhem waren viel für mich in der Lage, worin ich mich befand. Abends kaufte ich um einen Dirhem Brod, und einen Dirhem Braten, und versorgte damit meine Mutter und Schwester. Nun, Gottlob! so bist du gar zum Schmiedt geworden, sagte meine Mutter weinend. Nach einem leichten Abendmahle kehrte ich zur Esse zurück, meine Schmiedearbeit von neuem zu beginnen. Ich und ein anderer Junge hämmerten Eisen auf dem Ambos.

Mein Mitgeselle, vom Schlaf überwältigt, hob den Hammer nachlässig. Der Meister, ergrimmt über seine Faulheit, rief ihm zu: Taugenichts, wirst du nicht arbeiten, und schleuderte einen glühenden Nagel auf ihn zu, den er so eben aus dem Feuer gezogen. Der Nagel traf ihn an den Schläfen, und der Junge stürzte tot zu Boden. Bey diesem Anblick ergriff der Meister die Flucht, und ließ mich allein in der Werkstätte zurück. Was sollte ich tun als Fremdling in der Stadt, und mitten in finsterer Nacht! Ich verließ die Werkstätte, und wollte forttappen, wie ich konnte; da erblickte ich Fackelschein. Es war die Polizeiwache, so die gewöhnliche Runde machte, und sie kam auf mich zu, ehe ich mich flüchten konnte.

– Was machst du hier zu dieser Stunde? – Ich arbeitete in der Schmiede. – Lass sehen, was – Sie fanden meinen Mitgesellen tot, und ergriffen mich sogleich als den Mörder. Man ließ mich gar nicht zur Rede kommen, und es war mir unmöglich, meine Unschuld zu verteidigen. Ich ward in den Kerker geworfen, und früh Morgens zum Blutgerüste geführt. Meine Mutter und Schwester wussten nichts davon, aber eine Menge Volks, Groß und Klein, begleiteten mich zur Gerichtsstätte.

In dem Augenblicke, wo der Scharfrichter das Schwert aufhob, und ich in einem kurzen Gebete meinen Geist dem Herrn empfahl, drängte sich der Schmidt durch die Menge herzu, und schrie laut, dass ich unschuldig, und er der Täter sei. Ich erweckte das Mitleiden des Volks, das mich kurz vorher mit Verwünschungen bedeckt hatte. Der Eine gab mir ein Kleid, der Andere einen Schal, der Dritte einen Ring. Bereichert durch diese Geschenke kehrte ich zu meiner Mutter und Schwester zurück, die viele Tränen vergossen, als sie die Begebenheit vernahmen. Lob dem Herrn, sagten sie, der dich von der Blutstätte gerettet, während wir in den Armen des Schlafes lagen! – Aber was sollen wir länger hier tun? Lass uns alle diese Geschenke verkaufen, und morgen mit der Karawane nach Damaskus abreisen. Der Vorschlag war vernünftig, und wir reisten am folgenden Morgen ab.

Als wir in Damaskus angekommen waren, schlugen wir, wie alle Arme, die keine Wohnung zu bezahlen im Stande sind, unser Lager in der Vorhalle einer Moschee auf. Meine Mutter und Schwester weinten. Ich tröstete sie damit, dass wir ja noch nicht alles uns bestimmte Glück genossen, und also noch manches Gutes zu erwarten haben dürften. Ein Greis, und zwei junge Leute, die eben mit ihrem Gebete fertig geworden, betrachteten uns mit teilnehmender Miene, und fragten uns, wer und woher wir seien. Ich erzählte ihnen ohne Hehl Alles, was mir begegnet. Darob verwunderten sie sich sehr, verließen uns, und kamen bald darauf wieder, uns zu sich zu laden. Wir wurden in einen großen Palast geführt mit fünfzehn Pforten aus Elfenbein, die in goldenen Angeln rollten.

Oberhalb des großen Einganges war mit goldenen Buchstaben geschrieben:

Gastfreundlich Haus! Es soll in dir des Raums allein

Zu wenig für die Gäste sein!

Ein herrlicher Garten umgab den Palast; der Greis saß in einem Köschke zwischen Palmen und Feigenbäumen, und befahl seinen Sklaven, uns sogleich ins Bad zu führen. Das Bad war im Hause. Man gab mir seidene Kleider mit den köstlichsten Wohlgerüchen durchwürzt. Der Greis und seine beiden Söhne baten mich, ihnen noch einmal meine Begebenheiten zu erzählen, was ich gerne tat, und zu ihrer abermaligen großen Verwunderung. Man trug alsdann die Tafel auf, welche die des Chalifen an Verschwendung übertraf.

Nachdem wir die Hände gewaschen hatten, begaben wir uns in einen großen Saal, wo goldene und silberne Trinkgeschirre auf Schenktischen zur Schau standen. Sie waren mit Rosen-Moschus- und Tamarinden-Sorbeten gefüllt. Andere Gefäße waren gefüllt mit Datteln, in Zucker eingemacht, und allen Gattungen von Halwa oder Zuckerwerk. – Mir fehlte nichts zur vollkommenen Zufriedenheit, als meine Mutter und meine Schwester. – Wie groß war meine Freude nicht, als ich dieselben um Mitternacht, wo ich mich zurückzog, auf meinem Zimmer fand. Sie waren in Goldstoff gekleidet, und weinten, aber diesmal aus Freude. Sie erzählten mir, dass bald, nachdem ich fortgegangen, zehn Sklavinnen sie abgeholt, ins Bad geführt, und dann wie mich bewirtet hätten. In der Frühe machte ich dem Alten meine Aufwartung, und dieses Leben lebte ich durch zehn Tage. Am elften fragte mich mein Wirth zum drittenmale um meine Geschichte, und als ich vollendet hatte, sprach er: Sei guten Mutes, mein Sohn, wenn Gott Etwas will, so erleichtert er die Wege dazu. Künftighin bleibst du bey mir, betrachte dies Haus als dein eigenes, mich als deinen Vater, und meine Söhne als deine Brüder. Gib einem von ihnen deine Schwester zur Frau, und ich werde dir meine Tochter geben. Ich bin zu Allem bereit, war meine Antwort.

Nach einer Weile hielten ein Maulesel und vier Pferde im Hofe still. Es war ein Richter und vier Zeugen zur Abfassung der Ehekontrakte. Dieselben wurden aufgesetzt und unterschrieben, und die zwiefache Hochzeit drey Tage hernach vollzogen. So lebte ich fünf Monate lang in Damaskus. Eines Tages, als ich eben durch die Stadt spazieren ging, bemerkte ich eine außerordentliche Bewegung und Tätigkeit auf den Straßen. Ich erkundigte mich um die Ursache, und hörte, Jah'ja, der Sohn Chaleds, der Vater Dschafers, der Barmekide, sei nach Damaskus gekommen. Weh mir! dachte ich, er ist gewiss gekommen mich wegen der Sklavin hinrichten zu lassen! –

Ich fragte überall nach der Ursache seiner Ankunft, und vernahm, er sei gekommen wegen der Luftänderung, welche ihm die Ärzte angeraten; dass er seine Zelte vor der Stadt aufgeschlagen, und daß Alles sich hinbegebe, um ihm aufzuwarten, und an den gewöhnlichen Proben seiner weitberühmten Freigebigkeit Teil zu nehmen.

Ich verfügte mich nach Hause, erzählte den Frauen meines Harems, was ich so eben gehört, und machte ihnen den Vorschlag auszugehen, um Jah'ja den Barmekiden kennen zu lernen. Sie begleiteten mich, und als wir ins Zelt traten; fand ich eben meinen Schwiegervater mit seinen Söhnen, die dort ihre Aufwartung machten. Wer bist du mein Sohn, fragte Jah'ja? Ich bin, antwortete ich, ein armer Fremdling, ich bin der Mann von Bassora, deinem Sohne nicht unbekannt. Bey diesen Worten stieß Jah'ja einen großen Schrei aus. Gelobt sei der Herr! rief er, der uns die Gelegenheit an die Hand gebt, das dir zugefügte Unrecht wieder gut zu machen. Deine Sklavin ist mit einem Sohne von dir entbunden worden, den der meinige aufzieht, und mit Geschenken überhäuft. Diese Nachricht machte das Maß meiner Freude voll. Jah'ja blieb vierzig Tage in Damaskus. Am ein und vierzigsten zog ich mit ihm nach Bagdad. Die Großen der Stadt kamen uns entgegen, und wir stiegen in Jah'jahs Palast ab.

Abends begaben wir uns Alle nach dem Palast des Wesirs Dschafer. Er fragte seinen Vater, wer ich sei. – Ein Mensch, antwortete er, der sich über dich zu beklagen hat, und am Tage des Gerichtes von dir Rechenschaft fordern wird. Gott sei mein Zeuge, sprach der Wesir, dass ich mein Lebetag gegen Niemanden wissentlich ungerecht war als gegen den Mann von Bassora, dem ich seine Sklavin weggenommen. – Nun das ist derselbe. – Dschafer tat einen lauten Schrei, nahte sich mir alsdann, und sprach, deine Sklavin, die von dir schwanger war, als sie zu mir kam, ist unberührt geblieben, du sollst sie sogleich sehen mit ihrem Kinde.

Man führte mich in einen abgesonderten Flügel des Palastes, wo ich meine Sklavin fand, von cirkaßischen und nubischen Mädchen umgeben, welche das Kind besorgten. Sie selbst, von Edelsteinen strahlend, saß auf einer Art von Thron. Sie flog in meine Arme, bestätigte die Wahrheit der Worte Dschafers, und erzählte mir tausend Züge der größten Freigebigkeit und Großmut, womit er sie behandelt hatte. Der Wesir selbst überhäufte mich an diesem Tage mir Geschenken von Kleidern, Pferden und Sklaven von zehntausend Dukaten wert. Desgleichen überhäufte er mit Geschenken meinen Schwiegervater und seine Söhne, und erlaubte uns nicht Bagdad zu verlassen.

Er ließ mir Rechnung ablegen von der Verwaltung meiner Güter in Bassora, über die er seit dem Tage, wo ich unsichtbar geworden, einen eigenen Verwalter gesetzt hatte, und seit jenem Tage bis zu seinem Tode habe ich seiner innigsten Freundschaft genossen. – Denkst du wohl, o Fürst der Rechtgläubigen, noch weiters, dass dein Verbot mir Furcht einflößen, und die Stimme der Dankbarkeit in meinem Herzen ersticken könne?

Der Chalife, gerührt, blieb lange Zeit in tiefes Stillschweigen versenket, die Reue über Dschafers Hinrichtung fiel schwer auf sein Herz.

Er befahl, dem Greis ein Ehrenkleid anzuziehen, und zehntausend Dukaten auszuzahlen. – Nicht wahr, Fürst der Rechtgläubigen, wenn ich dir diese Geschichte nicht erzählt hätte, würdest du mir das Lob von Dschafers Freigebigkeit nach seinem Tode nicht verziehen haben? – Und siehe, das Geschenk selbst, das ich von dir erhalte, ist nichts als eine Wirkung der Freigebigkeit Dschafers, indem ich dasselbe ohne die Erzählung seiner schönen Tat nicht erhalten hätte.

Der Chalife weinte, und ließ den Leib Dschafers begraben.

Sein Grab ward nicht weniger besucht als sein Palast, als er noch lebte.

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