87. Ich befand mich mit Fasl
Ich befand mich mit Fasl, dem Sohne Jahja's, des Barmekiden,
auf einer Jagdpartie, als wir von ferne einen Beduinen auf uns
zureiten sahen. – Der kommt zu mir, sagte Fasl. – Wie so,
fragte ich, und wie weißt du das? – Weil, antwortete er, ihm
Niemand sonst zu Essen geben würde als ich. Der Beduine, als
er die Zelten sah, und den Lärm des Gefolges hörte, glaubte,
dies könne Niemand sein, als der Chalife. Er stieg ab, und
stellte sich dem Barmekiden vor.
Heil dir, Fürst der Rechtgläubigen, und Gottes
Barmherzigkeit und Segen über dich! – Zuviel, zuviel, sprach
Fasl, kürze deine Rede. – Also, Heil dir, Fürst! – Nun hast
du's getroffen, setze dich. Der Beduine setzte sich, und Fasl
fragte ihn: woher kömmst du, Bruder Araber? – Von der
äußersten Spitze Kosaa's. Fasl wandte sich gegen mich, und
fragte mich um die Entfernung zwischen Irak und der äußersten
Spitze Kosaa's. – Es sind, antwortete ich, achthundert
Parasangen. – Und warum, Bruder Araber, kommst du von so weit
her? fragte Fasl weiter. – Ich komme, um die Großen, die
Edeln, die Freigebigen aufzusuchen, deren Ruhm sich bis in
unser Land verbreitet hat; ich meine die Barmekiden. – Bruder
Araber, die Barmekiden sind eine große Familie, deren
jegliches Glied sich durch Züge von Freigebigkeit auszeichnet.
Du musst, wen du suchst, näher bestimmen. – Meine Wahl ist
getroffen, ich komme zum großmütigsten und freigebigsten aus
Allen, zu Fasl, dem Sohne Jahja's, dem Sohne Chaleds; denn wie
ich höre, so ist er stets von einer Schar Dichter, Redner und
Gelehrten umringt. – Bist du denn ein Dichter? – Nein. – Ein
Redner? – Nein. – Ein Gelehrter? – Nichts weniger. – Wie
kannst du denn auf Fasl's Freigebigkeit rechnen, ohne eine
einzige Eigenschaft zu besitzen, die dir hierauf einiges Recht
geben könnte? – Ich habe mein ganzes Vertrauen auf ein
Distichon gesetzt, das ich ihm zu Ehren verfertiget. Nun, lass
hören, und ich will dir im voraus sagen, ob du dir damit etwas
von Fasl verdienen kannst:
Siehe, es war schon längstens verloren auf Erden die
Großmut,
Die Verlorene nahm Fasl als Gast bei sich auf.
Aber, Bruder Araber! wie, wenn Fasl dir sagte, er habe dies
Distichon schon irgendwo gelesen oder gehöret? – So würde ich
ihm auf der Stelle das folgende hersagen:
Seinen Kindern empfahl der Vater der Menschen die Großmut,
Aber Fasl allein hat sie von Adam geerbt.
Aber wie, Bruder Araber! wenn Fasl auch wider dieses
Distichon, als gestohlen, Einwendungen machte? – So würde ich
ihm aus dem Stegreife sagen:
Jahja's Sohn, es gebührt dir vor Allen Ehre und Lobpreis,
Denn die Tugend hast du dir aus dem Himmel geholt.
Diesen Gedanken kleidete der Beduine drei bis viermal in
verschiedenes Silbenmaß ein, worauf sich Fasl zu erkennen gab,
und dann weiter fragte, was er von ihm wünsche? Zehn tausend
Dirhem, sprach der Araber. – Du sollst, sprach Fasl, zehn
tausendmal tausend haben, und befahl seinem Schatzmeister, das
Geld auszuzahlen. Dieser machte Einwendungen wider die
Anweisung, und stellte vor, es sei eine gar zu große
Verschwendung, einem Beduinen hundert tausend Dirhem für ein
Distichon auszuzahlen, das vielleicht obendrein noch gestohlen
sey. – Man müsste versuchen, meinte er, ob der Araber wirklich
aus dem Stegreife zu dichten im Stande sey, und er riet daher
dem Barmekiden, dem Beduinen mit dem Tode zu drohen, wenn er
nicht sogleich etwas improvisierte. Ist er's nicht im Stande,
so schwöre ich, sagte der Schatzmeister, dass ich ihm,
ungeachtet deines Befehles, o Fürst, nur einen Teil der
hundert tausend Dirhem auszahlen werde. Der Barmekide nahm
seinen Bogen und Pfeil, und drohte den Beduinen auf der Stelle
zu durchbohren, wenn er ihm nicht etwas aus dem Stegreife
hersagte. Er improvisierte:
Kühn entschwirre der Pfeil dem goldenen Bogen der Großmut,
Immerhin durchbohr' meine Armut damit.
Fasl konnte sich des Lachens nicht enthalten, und befahl
seinem Wesir, dem Araber zweimal hundert tausend Dirhem
auszuzahlen.
Der Araber konnte nichts als weinen aus Rührung und
Dankbarkeit. – Sind das Freudentränen, fragte Fasl, welche dir
der Glanz des Goldes auspresst? – Nein, wahrlich nicht,
antwortete der Beduine, sondern es sind die Tränen, die mir
der Gedanke abzwingt, dass Menschen wie du in die Finsternis
des Grabes steigen, wo das Licht der Großmut nicht leuchtet.