Rückert

Rückerts Gedichte über den Islam

mit ausführlichen Erläuterungen von

Yavuz Özoguz

Inhaltsverzeichnis

Jesdegerd

Yazdegerd III oder im Arabischen Yazdigard ibn Schahriyar ibn Chosrow, aus dem Haus der Sassaniden war von 632 bis 651 n.Chr. der letzte Großkönig Persiens, bevor das Land den Islam annahm.

Unter Yazdegerd kam es 636 n.Chr. zur Schlacht von Quddisiyya (bei Rückert: Kadesia) im heutigen Irak. Der persische General Rostam fiel nach hartem Kampf, und seine Armee wurde von den Muslimen vernichtend geschlagen. Yazdegerd musste fliehen und zog sich in den östlichen Iran zurück, wo er versuchte, eine Widerstand zu organisieren. 642 n.Chr. unterlag jedoch sein den Muslimen zahlenmäßig überlegenes Heer in der Schlacht von Nihawand, womit das Schicksal Yazdegerds entschieden war.

Nach manchen Quellen wurden zwei Töchter Yazdegerds III. zur Zeit Umar ibn Chatabs gefangen genommen und als Sklaven nach Medina gebracht und dort von Imam Ali (a.) befreit. Nach anderen Quellen hatte Imam Ali (a.) zur Zeit seines eigenen Kalifat Huraith ibn Dschabir al-Hanafi als Gouverneur über Teile der östlichen Provinzen eingesetzt, die die Töchter Yazdegerds III. nach Medina schickte. Dort heiratet die älteste Tochter Yazdegerds III. namens Schahrbanu Imam Husain (a.) und wurde Mutter von Imam Zain-ul-Abidien (a.). Auf diesen Aspekt geht Rückert allerdings nicht ein.

Der Hof Yazdegerds verlor das Vertrauen auf die Sieghaftigkeit des Königs, und die Würdenträger wandten sich ab und suchten Arrangements mit den Muslimen zu treffen. Yazdegerd flüchtete immer weiter nach Osten und zog sich nach Merw zurück. 651 n.Chr. wurde Yazdegerd III. bei Merw, wahrscheinlich im Auftrag des dortigen Statthalters getötet.

Nach der Schlacht von Kadesia,

Wo die Araber gesiegt,

Floh der letzte seines Namens,

Und der letzte seines Stammes,

Jesdegerd nach Ehorassan[1].

 

Fünfzehn Jahre war er alt,

Als sie auf den Thron ihn hoben,

Der, seit Parwis ihn verlassen,

Unter keinem von den sechsen,

Die ihm folgten, fest mehr stand;

Unter’m siebenten und letzten,

Jesdegerd, zerfiel er ganz.

 

Fünfzehn Jahre war er alt,

Als sie auf den Thron ihn hoben;

Noch war er nicht zwanzig Jahre,

Als er floh nach Ehorassan.

 

Unstet wandert’ er von einer

Stadt zur andern. Erst in Rei[2]

Weilt’ er, wo das heil’ge Feuer

Aus uralten Zeiten brannte,[3]

Jener heil’gen Feuer eines,

Und das heiligste von allen,

Die jetzt all’ erlöschen sollten

Vor dem höher angefachten

Neuen Glaubensfeuereifer

Des arabischen Propheten.

Überall bis auf die letzte

Spur, bis auf den letzten Funken

Ausgetilgt, und ihre Aschen

Ausgestreut in die vier Winde,

Wurden sie, wohin nur siegreich.

 

Als aus Rei[4] vor diesen Waffen

Jesdegerd entweichen musste,

Trug er jenes Feuer mit,

Erst nach Espahan[5], von dannen,

Als er weiter floh, nach Kerman,

Und von da nach Nischabur,

Und von da zuletzt nach Merw.

 

Hier erbaut’ er seinem Feuer

Einen letzten Feuertempel,

Sammelte sein kleines Häuflein,

Doch die größre Zahl davon

Waren seines Harems Frauen,

Baute Häuser, baute Gärten,

Und begann in engster Grenze

Noch als König sich zu fühlen.

 

Aber an den großen Fagfur

Im entfernten Sina schrieb er

Die Verdrängtheit seiner Lage,

Art und Weise seiner Feinde,

Beistand sich von dort erflehend.[6]

Einen nähern Bundesgenossen

Sucht’ er an der Türken Ehakan,

Jenseit von des Orus Wogen.

Und der Ehakan kam gezogen

Rasch mit kampfbereiter Macht.

Mit den Arabern geschlagen

Ward darauf nicht eine Schlacht,

Sondern an die sechzig Schlachten,

Eine Schlacht an jedem Tag

Durch zwei volle Monate.

 

Jesdegerd in Merw am Flusse

Harret der Entscheidung bange,

Die solange zweifelnd schwankt.

Endlich aber gibt den Ausschlag

Eine nächt’ge Waffentat

Ahnaf’s, des arab’schen Feldherrn.

 

Denn vorm Türkenlager halten

Nacht um Nacht drei Brüder Wache,

Deren Tapferkeit der Kern

Ist des ganzen Türkenheeres.

Aber Ahnaf in der Nacht

Wappnet sich, und ruft den einen,

Der jetzt auf dem Posten steht,

Auf zum Zweitkampf. Und mit Ahnaf

Kämpft der Türk’ und fällt dem ersten gleich.

An die Stelle beider Brüder

Tritt der letzte und erliegt.

Als den Fall von den drei Helden

Sah das Türkenheer am Morgen,

Und der Ehakan, brachen sie

Schnell ihr Lager ab, und zogen

Übern Orus alle heim.

 

Jesdegerd, in Merw verlassen,

Flieht dem Ehakan nach ins Land

Turkistan, wo er ihn einholt,

Und mit Müh ihn kaum beredet,

Neue Kraft zum Streite sammelnd,

Nochmals für ihn auszuziehn.

Aber als sie vorwärts zogen,

Kamen, nah der Orus Wogen,

Ihnen auf dem Weg entgegen

Die rückkehrenden Gesandten

Jesdergerd’s vom Fagfur Sina’s,

Die von diesem Antwort brachten

Schriftliche, die lautete:

 

Es ist recht, dass gegenseitig

Könige sich Beistand leisten.

Aber wie mir deine Feinde

Deiner Abgesandten Mund

Erschilderte, nach ihren Sitten,

Ihrem Mut und ihrem Glauben,

Seh’ ich, dass ein solches Volk

Muss die ganze Welt bezwingen;

Darum rat ich dir, mit ihnen

Dich im Frieden zu vertragen.

 

Als der Ehakan dieses hörte,

Säumt’ er nicht den Rath des Fagfur

Selber zu benützen; eilig

Kehrt’ er von des Orus Wogen

Wieder um nach Turkistan.

Irrend sucht nun eine Lande,

Das nicht mehr sein eigen war.

 

Einst an eines Flusses Rande,

Zitternd, denn auf seiner Spur

Sind Verfolger, findet er

Einen Fährmann, den er bittet

Schnell hinüber ihn zu führen,

Ihm zum Fährlohn eine goldne

Städtewerthe Spange bietend.

Doch der Fährmann spricht: Mit diesem

Dinge weiß ich nichts zu machen.

Gib mir drei Heller, die mein

Fährlohn sind, so fahr’ ich dich über,

Und wo nicht, so bleibst du hüben.[7]

 

Jesdegerd hat keinen Heller,

Und die Feinde sieht er kommen.

„Kannst du mich nicht überfahren,

Lass mich wenigstens im Schilfe

Deiner Hütte unterkriechen,

Bis vorüber jene sind.“

Ei, das magst du meinethalben.

 

Jene kommen nun und fragen:

Fährmann, hast du keinen hier

Überführen müssen, der

Hohen Lohn dafür dir bot? –

„Keinen solchen, sondern einen,

Der nicht die drei Heller hatte,

Die mein Fährlohn sind; darum

Liegt er noch dort in der Hütte

Unterm Schilf, und wartet wohl,

Bis hier einer kommt vorüber,

Der ihm die drei Heller borgt.“

 

Lachend spricht ein Araber,

Lachend, und zugleich der Armut

Sich erbarmend: Fährmann, hier

Sind drei Heller für den Armen,

Bring hinüber ihn dafür!

 

Also lachend gehen sie weiter,

Und der Fährmann für den Lohn,

Den die Feinde seines Königs

Ihm bezahlten, führt ihn über.

Drüben glaubt er sich gerettet,

Armer König Jesdegerd!

Wenn dich dort die Schimmerreste

Deiner Königsherrlichkeiten

Nicht dem sichern Tod entrissen

Hätten ohne die drei Heller,

Die dir deine Feinde gaben;

Werden (also in den Sternen

Ist es dir geschrieben) hier nun

Diese falschen Herrlichkeiten

Selber dir den Tod bereiten.

 

Nacht wird’s, und ein Obdach sucht er;

Eine Mühle steht am Wasser,

Und er bittet aufzutun.

Mürrisch und verdrossen öffnet

Ihm der mörderische Müller;

Doch im Dunkel sieht er nicht

Seines Gastes Kleider schimmern;

Und so schläft er sicher bis zum

Morgen seinen letzten Schlaf.

Aber mit dem Strahl der Sonne

Wacht die Gier des Müllers auf,

Und des schlafenden Gewänder

Blenden ihn mit goldnem Glanz.

Und mit einem sichern Schlage

Auf das Haupt des schönen blassen

Todesmüden Königsjünglings,

Zu erwecken, in des Todes

Tieferen versenkt er ihn.

 

Friede sei mit Jesdegerd![8]

Einem König, der vertrieben

Irrt in seinem eignen Lande,

Kann nichts sanfteres begegnen,

Als mit einem Schlag aufs Haupt

Aus dem Schlaf in Tod zu sinken.

 

Doch dem mörderischen Müller

Wird das königliche Kleid

Blitzend ein Verräter werden,

Und ein Zeuge seiner Schuld;

Dass er mit verräterischer

Hand des alten Königsstammes

Letzten Zweig, den welkend grünen,

Straflos nicht gebrochen habe.

[1] Chorassan ist eine Provinz im Nordosten des Iran

[2] Rey, eine heutige Ortschaft bei Teheran

[3] Mit Anspielung auf die Zaroastrier

[4] Ray war einstmals eine Nachbarstadt Teherans und historischer Regierungssitz. Im Laufe der Ausdehnung Teherans ist Ray zu einem Stadtteil der Metropole geworden.

[5] Isfahan

[6] Yazdegerd richtete mehrere Hilferufe an das chinesische Kaiserreich der T’ang, die aber aufgrund der Entfernung keine wirksame Unterstützung leisten konnten oder wollten.

[7] Hier wurde offenbar eine Legende der indischen Brahmanen eingebaut oder er deutet den Fluss als Übergang vom Diesseits ins Jenseits, wie es oft in der islamischen Mythologie verwendet wird, wo der Übeltäter dieser Welt auch im Jenseits nicht geschützt ist.

[8] Eine Aussage, die von Muslimen kaum unterstützt werden wird. Es zeigt aber auch, das Rückert eine besondere Nähe zum Persischen hatte.

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