Gulistan
 

Saadis Verse aus dem Gulistan

übersetzt von Friedrich Rückert

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Fernere (frostige) Bartscherze

21

Magst du geduldig oder ungeduldig sein
Dein Schönheitsreich ist nun im Niederfahren.
Hätt ich das Leben in der Hand, wie du den Bart,
Ich ließ es bis zum jüngsten Tag nicht wieder fahren.
Ich fragt und sprach: was ists mit deiner Wange nur
Daß um den Mund Ameisenheere wogen?
Er lacht': ich weiß nicht, was es ist; sie hat wohl Schwarz
Zur Trauer um die Schönheit angezogen.

22

Wer früh zu deinem Morgengruß erwacht,
Dem wandelt sich der Tag des Heils zur Nacht.
Dir sollt' ein Unhold gleich dir sein gesellt;
Doch wo ist einer gleich dir in der Welt?

23

Der Gartenmauer wird kein Vogel nahn,
Wenn man dein Bildnis hat gemalt daran.
Und wenn dein Platz wird sein in Paradiesen,
So werden andere die Höll' erkiesen.

24

Wie Lilien und Rosen sitzt ein Kreis
Und du dazwischen wie ein dürres Reis,
Wie ein rauher Wind und ein unholder Frost
Wie Schnee gelagert, angesetzt wie Eis.

25

War nicht zwischen uns ein Bund der Treue?
Und du brachst ihn lieblos ohne Scheue.
Einzig hatt' ich dir mein Herz verbunden:
Dacht' ich, daß es dich sobald gereue?
Jetzt auch, komm nur, willst du Frieden machen,
Und sei zwiefach mir geliebt aufs neue.

26

Besser ist sein Aug auf Lanzenspitzen
Als sich sehn im Feindeskreise sitzen;
Lieber magst du tausend Holde meiden
Um nicht sehn zu müssen einen leiden.

27

Man muß das Herz an nichts und niemand binden,
Denn es hält schwer, das Herz dem Band entwinden.

28

Daß jenes Tages da dein Fuß trat in des Todes Dorn
Aufs Haupt mir des Verderbens Schwert gezückt hätt Himmelszorn,
Daß ich an diesem Tag die Welt nicht sehn mußt' ohne dich,
Ich über deinem Grab! o Schmach, daß nicht darunter ich!

29

Gestern durft' ich wie der Pfau im Liebespark mich brüsten,
Heute wind' ich wie die Schlange mich durch Trennungswüsten.

30

Möchten jene, die mich töricht schelten,
Nur einmal dich sehn, mein Herzbezwinger,
Daß bei deinem Anblick statt des Apfels
Unbewußt sie schnitten ihren Finger!

31

Bei dir find' ich für Mitleid keine Stell',
Nur ein mitleidender sei mein Gesell,
Mit dem vereint ich klagen kann; zusammen
Gelegt zwei Scheiter werden besser flammen.

32

Nichts vermag mich deinem Angedenken zu entführen,
Wie die kopfgetroffne Schlange kann ich mich nicht rühren.

33

Sieh' wie anmutig, wie sein Zorn aufbrauset,
Wie er die finstre Braue lieblich krauset.

34

Von deiner Hand an den Mund ein Schlag
Schmeckt besser als mein täglich Brot mir schmecken mag.

35

Die neugereifte Traub ist herb von Schmack,
Wart' ein Paar Tag' und sie wird süß.

36

Alles forschen muß man nicht zu gründlich,
Sünden Edler spähn ist sündlich.

37

Wer selber tat Unehre viel
Dem ist des Andern Ehr' ein Spiel.
Manch guter Mann von fünfzig Jahren
Ist schlecht mit einem schlechten gefahren.

38

O wenn die Liebe nur nach Tadel früge,
Wie gerne hört' ich jedes Tadlers Lüge!

39

Wo Gold erscheint, bückt ihm sich all's,
Die Waage selbst mit ehrnem Hals.

40

Wenn seinen Raub gefaßt der Löwe hält,
Was schadets ihm daß ihn der Hund anbellt?
In Freundesantlitz laß dein Antlitz schaun,
Dann mag dein Feind an seinen Fingern kaun.

41

Wie du des Verdrusses Ärmel über mich ausschüttelst,
Nie werde ich von deinem Saum darum die Hand abziehen.
Wenn von dieser meiner Schuld Befreiung scheint unmöglich,
Doch bei jener deiner Huld ist Hoffnung mir verliehen.

42

Alle seid ihr eignes Fehles Träger,
Seid nicht fremder Fehle Jäger!

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