|
Über Intention,
reine Absicht
und Wahrhaftigkeit
كتاب النية والإخلاص والصدق
Das 37. Buch von
Ghazalis Hauptwerk
Übersetzt von
Hans Bauer, Halle 1916
Zum Inhaltsverzeichnis |
Einleitung
Im Namen Allahs des
Barmherzigen, des Erbarmers. Wir loben Allah mit dem Lobe des
Dankes, wir glauben an Ihn mit überzeugtem Glauben, wir
bekennen Seine Einheit mit wahrhaftigen Bekenntnis und
bezeugen, dass kein Gott ist außer Allah, dem Herrn der
Welten, dem Schöpfer der Himmel und der Erde, der die
Dschinnen und die Menschen und die nahgestellten Engel
verpflichtet, ihm zu dienen in Lauterkeit gemäß dem
Gotteswort:
„Nichts anderes
ward ihnen geheißen als Allah zu dienen mit lauterer
Religion....“
(Sure 98 Aya 5)
Allah gebührt also nur die lautere und
gediegene Religion, denn Er bedarf weniger als irgendeiner der
Teilnehmerschaft von anderen. Gebeneidet sei sein Prophet
Muhammed, der Herr der Gesandten, und die Propheten insgesamt,
auch seine Familie und seine Gefährten, die Guten und
Lauteren! Die Geistesmänner (arbab al-qulub) wissen durch die
Erleuchtung des Glaubens und das Licht des Qurans, dass es
kein mittel gibt, zur Seligkeit zu Gelangen, außer durch die
Erkenntnis und den Dienst Allahs. Demnach sind die Menschen
alle verloren außer den Erkennenden, und die Erkennenden sind
alle verloren außer den Handelnden, und die Handelnden sind
alle verloren außer denen mit reiner Ab-sicht, und „die
mit reiner Absicht sind in großer Gefahr“.
Das Handeln ohne Intention ist also eitel Plage und die
Intention ohne Lauterkeit ist Augendienerei (riya),
der Heuchelei gleichwertig und mit Sünde gleichbedeutend. Und
die reine Absicht ohne Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit ist
Sonnenstaub. Von jedem Werk, dass mit dem Streben nach etwas
anderen außer Allah vermeugt und verunreinigt ist, sagt ja
Allah der Allerhöchste:
„Wir treten
heran zu den Werken, die sie gewirkt, und machen sie zu
wirbelndem Staub.“ (Sure 25 Aya
23)
Wie kann aber jemand die rechte Intention
haben, ohne deren Wesen zu kennen? Oder wie kann der mit
reiner Absicht bei sich selbst auf Wahrhaftigkeit sehen, wenn
ihr Sinn ihm nicht klar ist? Für jeden, der Allah dienen will,
ist es demnach die erste Pflicht, zunächst die Kenntnis der
Intention sich anzueignen, damit er dieses Wissen dann im
Werke betätige, nachdem er noch das Wesen der Wahrhaftigkeit
und der reinen Absicht kennen gelernt, welche für den Menschen
die beiden Mittel zu Heil und zur Rettung sind. Wir behandeln
also alles, was auf die Wahrhaftigkeit und die reine Absicht
Bezug hat, in drei Kapiteln. Das erste handelt über Wesen und
Bedeutung der Intention (niya), das zweite über die reine
Absicht (ihlas) und was dazu gehört, das dritte über die
Wahrhaftigkeit (sidq) und worin sie besteht.
Fußnoten
Dieser in der vorliegenden Abhandlung unendlich
wiederkehrenden Terminus, der gewöhnlich mit „Heuche-lei“
oder „Scheinheiligkeit“ übersetzt wird, bedeutet
eigentlich das „hinsehen“ auf andere mit dem Wunsch, von
ihnen beachtet und hochgeschätzt zu werden. Unser Autor
definiert im 25. Buch „riya“ als „das Streben nach Ansehen
im Herzen der Menschen dadurch, dass man ihnen seine guten
Eigenschaften zeigt“. So kann man sich z.ß: aus riya
parfümieren, wo also an Heuchelei und Scheinheiligkeit
nicht zu denken ist. Der Sprachgebrauch verwendet
allerdings den Ausdruck, wie der Autor bemerkt,
vorzugsweise für den Fall, dass man sich dieses An-sehen
bei den Menschen durch religiöse Übungen (ibadat) oder
sonstige gute Werke verschaffen will, die einzig und
allein für Allah verrichtet werden sollen. Hier könnte man
also riya mit „Heuchelei“ wiedergeben, wenigsten soweit es
sich um reine riya (al-riya al-mahd) handelt. Zumeist ist
aber, wo von riya die Rede ist, die Absicht, den Menschen
zu gefallen, nicht das hauptsächliche oder einzige Motiv,
sondern nur ein Teilmotiv, durch das die reine Absicht (ihlas)
getrübt wird. Riya steht also im Gegensatz zum Ihlas, wie
bei den christlichen Asketikern die vana oder inanis
gloria (eitle Ruhmsucht) im Gegensatz zur simplex oder
pura intentio. Außerdem dürften diesem Begriff noch am
nächsten kommen die Ausdrücke „ Augendienerei,
Gefallsucht, Rücksicht auf die Menschen“, die wir im
Folgenden nach dem jeweiligen Zusammenhang gebrauchen.
|
|