Die reine Absicht, ihre Bedeutung, ihr Wesen,
und ihre Grade
Über die
verschiedenen Grade der Beimischungen und
Mängel,
welche die reine Absicht trüben
Die Mängel,
welche die reine Absicht beeinträchtigen, sind teils
offenkundig, teils verborgen; einige sind trotz ihrer
Offenkundigkeit nur geringfügig, andere trotz ihrer
Verborgenheit sehr bedeutend. Die verschiedenen Grade der
Verborgenheit und Offenkundigkeit werden nur durch Beispiele
verstanden. Der offenkundigste Schädling der reinen Absicht
ist die Augendienerei. Wir wollen davon ein Beispiel anführen.
[Erster Grad]
Der Teufel sucht
dem Betenden in der Weise zu schaden, dass er, wenn dieser in
reiner Absicht bei seinem Gebete weilt und es schauen Leute
auf ihn oder es kommt jemand herein, zu ihm spricht:
„Verrichte dein Gebet recht schön, damit dieser Anwesende dich
als würdigen und frommen Mann betrachte und dich nicht gering
schätze und Übles von dir redet.“
Die Folge ist,
dass nun seine Glieder eine fromme Haltung einnehmen, seine
Extremitäten sich nicht rühren und sein Gebet schön ausfällt.
Das ist offenbare Augendienerei (Scheinheiligkeit), die auch
den Anfängern unter den Lehrlingen (muridiin) nicht verborgen
bleibt.
[Zweiter Grad]
Weiß der Lehrling
über diese Schädigung Bescheid und ist er vor ihr auf der Hut,
so dass er darin nicht mehr dem Teufel folgt und auf ihn
achtet, sondern in seinem Gebet fortfährt wie früher, so
stellt er ihm das Gute vor und spricht: „Du dienst als
Muster und Vorbild, man schaut auf dich; von dem, was da tust,
geht eine Wirkung aus, und andere machen es dir nach. So kommt
dir auch der Lohn für ihre Werke zu, wenn du es gut machst,
und die Strafe, wenn du es schlecht machst. Mach also dein
Werk vor ihnen gut, vielleicht ahmen sie dich nach in der
frommen Haltung (Aus) und der schönen Ausführung der
religiösen Handlung.“
Das ist schwerer
zu erkennen wie das erste, und mancher lässt sich dadurch
täuschen, der durch das erste sich nicht täuschen lässt. Aber
auch dies ist pure Augendienerei und verdirbt die reine
Absicht. Denn wenn er die fromme Haltung und die schöne
Ausführung der gottesdienstlichen Handlung für ein so großes
Gut hält, dass er es mit Rücksicht auf andere nicht
unterlassen zu dürfen glaubt, warum hält er diese Unterlassung
für sich selbst angebracht, wenn er allein ist? Der andere
kann ihm doch nicht höher stehen als er sich selbst. Das ist
also reiner Trug. Vorbild ist vielmehr derjenige, der in
seinem Innern gerade ist, dessen Herz entflammt ist, so dass
sein Licht auf andere überströmt; ihm wird dafür Lohn zuteil
werden. Das hier aber ist eitel Heuchelei und Trug. Wer ihn
zum Vorbild nimmt, der wird dafür belohnt, er selbst aber wird
wegen seines Betruges zur Rechenschaft gezogen und dafür
bestraft werden, dass er eine Eigenschaft zur Schau getragen,
die er nicht besitzt.
[Der dritte
Grad]
- er ist noch
feiner als die vorausgehenden - besteht darin, dass der Mensch
sich selbst in dieser Hinsicht prüft und die List des Teufels
bemerkt und weiß, dass es reine Augendienerei ist, für sich
allein sich anders zu betragen als im Beisein von Menschen,
und dass er auch weiß, die reine Absicht besteht darin, sein
Gebet für sich allein ebenso zu verrichten wie in der
Öffentlichkeit, und dass er sich vor sich selbst und seinem
Herrn schämt, im Beisein seiner Geschöpfe eine frömmere
Haltung einzunehmen als er es sonst gewohnt ist; er nimmt sich
daher, wenn er allein ist, zusammen, um sein Gebet recht schön
zu verrichten, so wie er in der Öffentlichkeit es verrichtet
haben will, und er betet dann auch in der Öffentlichkeit
ebenso. Aber das ist gleichfalls versteckte Augendienerei.
Denn er verrichtet sein Gebet für sich nur darum recht schön,
damit es auch in der Öffentlichkeit schön sei; er macht also
tatsächlich keinen Unterschied zwischen beiden, so dass ihn
hier wie dort die Rücksicht auf die Geschöpfe leitet.
Die reine Absicht
ist aber dann vorhanden, wenn es ihm völlig einerlei ist, ob
unvernünftige Tiere oder Menschen ihn beim Beten sehen. Der
eben Beschriebene möchte nur nicht gern sein Gebet vor der
Öffentlichkeit schlecht verrichten, andererseits schämt er
sich vor sich selber, als Scheinheiliger sich zu benehmen; dem
glaubt er nun dadurch abhelfen zu können, dass er auch für
sich allein ebenso betet wie in der Öffentlichkeit. Das ist
aber verkehrt, sondern die Abhilfe besteht darin, dass er
weder für sich noch in der Öffentlichkeit auf die Menschen
achtet, so wie er auch nicht auf leblose Dinge achtet. Eine
solche Person wird sowohl zu Hause wie in der Öffentlichkeit
beherrscht von der Rücksicht auf die Menschen. Das ist so eine
geheime List des Teufels.
[Vierter Grad]
noch feiner und
verborgener. Es wird jemand von anderen beim Beten beobachtet.
Der Teufel kann nicht zu ihm sagen: „Betrage dich recht
fromm aus Rücksicht auf sie“; denn er weiß wohl, dass
er diesen Kniff kennt. Darum sagt er zu ihm: „Denke an
die Größe und Majestät Allahs und wer du bist, der vor ihm
steht, und schäme dich, dass Allah auf dein Herz sieht,
während er zerstreut ist.“ Er sammelt sich
infolgedessen innerlich und nimmt äußerlich eine fromme
Haltung an in der Meinung, dass solches wirklich reine Absicht
sei, während es nichts wie Trug und Täuschung ist. Denn wenn
seine fromme Haltung von der Betrachtung der göttlichen
Majestät käme, so könnte er diese Erwägung auch, wenn er
allein ist, anstellen, und sie wäre nicht gerade dann
vorhanden, wenn andere Menschen da sind. Dass er von diesem
Mangel frei ist, lässt sich daran erkennen, dass ihm dieser
Gedanke beim Alleinsein ebenso vertraut ist wie in der
Öffentlichkeit und dass die Gegenwart von anderen Menschen auf
die Vergegenwärtigung dieses Gedankens ebenso wenig von
Einfluss ist wie die Gegenwart eines Tieres. So lange er bei
seinem Verhalten einen Unterschied macht, ob ein Mensch oder
ein Tier auf ihn sieht, steht er noch außerhalb der Reinheit
des ihres, innerlich beschmutzt mit dem versteckten
Götzendienst der Augendienerei.
„Diese Abgötterei
ist im Menschenherzen verborgener als
der schwarzen Ameisentritt in finsterer Nacht auf hartem
Gestein“, wie es in der Überlieferung heißt. Nur der
ist vor dem Teufel sicher, der genau zusieht und das Glück
hat, von Allah behütet, begnadigt und geleitet zu werden;
sonst geht der Teufel denen, die dem Dienste Allah sich
widmen, ständig zur Seite, ohne einen Augenblick von ihnen
abzulassen, um sie zur Augendienerei zu verleiten in jeder
einzelnen Betätigung, sogar im Schminken der Augen, im
Schneiden des Schnurbartes, im Parfümieren am Freitag und im
Tragen der Kleider. Diese Dinge sind zu bestimmten Zeiten
Sunna, aber die Sinnlichkeit (nafs) hat daran eine
geheime Befriedigung, weil sie die Aufmerksamkeit der Menschen
auf sich ziehen und die Natur sich daran gewöhnt hat. Da tritt
nun der Teufel für diese Übungen ein und spricht: „Das
ist eine Sunna, die du nicht unterlassen darfst“, und
so lässt sich das Herz innerlich dazu bestimmen, durch jene
geheime innere Neigung, oder diese ist wenigstens beigemischt,
und es trifft infolgedessen auf sie die Bestimmung ihres nicht
zu; denn was von all diesen Mängeln nicht frei ist, ist nicht
"rein". Ebenso verhält es sich mit dem, der sich zurückzieht
in eine vielbesuchte, schmucke, schöngebaute Moschee, in der
die Natur sich behaglich fühlt; der Teufel ermuntert ihn dazu
und stellt ihm die vielen Vorzüge der "Zurückgezogenheit" vor,
während in Wirklichkeit das heimliche Motiv in seinem Innern
das Behagen an der Form der Moschee ist und die Befriedigung,
die seine Natur dabei genießt. Das zeigt sich darin, dass er
mehr Neigung für die eine Moschee oder Örtlichkeit hat als für
eine andere, weil die erstere schöner ist. All das ist eine
Vermengung mit natürlichem Beiwerk und sinnlichem Schmutz und
verdirbt das Wesen der reinen Absicht. So sind auch die
fremden Bestandteile, die man dem reinen Golde beimengt,
verschieden dem Grade nach, manchmal überwiegend, manchmal
geringer, aber immerhin noch leicht erkennbar, manchmal aber
so fein, dass nur ein gewiegter Münzkenner sie bemerkt; die
Falschheit des Herzens dagegen, die List des Teufels und die
Schlechtigkeit der sinnlichen Natur (nafs) sind viel
versteckter und feiner. Deshalb heißt es: „Zwei Rakas
bei einem Wissenden sind bes-ser als ein Jahr lang
Gottesdienst bei einem Unwissenden“;
damit ist
derjenige Wissende gemeint, der die feinen Mängel der
Handlungen genau kennt, um sich von ihnen frei zu halten.
Denn der
Unwissende sieht bei den religiösen Handlungen nur auf das
Äußere und lässt sich dadurch täuschen, so wie der Tölpel bei
einem gefälschten Dinar auf die rote Farbe und die Rundung
sieht, und er ist doch unecht und an sich wertlos, so dass ein
Karat reines Gold, das ein Münzkenner begutachtet hat, besser
ist als ein Dinar, den ein unverständiger Laie für gut
befindet. Derselbe Unterschied besteht bei den religiösen
Übungen, ja er ist noch viel bedeutender. Es ist unmöglich,
alle Stellen, an denen in die verschiedenen Arten von
Handlungen eine Schädigung eindringen kann, im Einzelnen
aufzuzählen. Man benutze die von uns angeführten Beispiele;
dem Verständigen genügt ein weniges und er braucht nicht viel,
den Toren bringt auch das Viele nicht zum Ziel, es wäre daher
unnütz, ins Einzelne zu gehen.