Die reine Absicht, ihre Bedeutung, ihr Wesen,
und ihre Grade
Wesen der
reinen Absicht
Jedes Ding, das
durch ein anderes verunreinigt werden kann, heißt rein (halis),
wenn es von einer solchen Beimengung frei ist. Die reinigende
Tätigkeit heißt Reinigung (ihlas).
Allah ta’ala
sagt:
وَدَمٍ لَّبَنًا خَالِصًا سَآئِغًا
„... zwischen
Kot und Blut, reine Milch“;
( Sure 16 Aya 66)
denn die Reinheit
der Milch besteht darin, dass sie nicht durch Blut und Kot
oder eine sonstige Beimischung verunreinigt ist. Der Gegensatz
von ihlas (Läuterung) ist israk (Beigesellung),
wer also nicht muhlis (lauter machend) ist, der ist
Muschrik. Der Schirk hat aber verschiedene Abstufungen, und
dem ihlas in Bezug auf den Tauhid steht gegenüber die
Beigesellung (tasrik) hinsichtlich der göttlichen
Natur. Und wie das Schirk verborgen oder offen sein kann, so
auch der Ihlas. Ihlas und sein Gegenteil [d. h.
Schirk] beziehen sich auf das Herz, und das Herz ist ihr Sitz.
Sie haben statt bei den Zielen und Absichten. Über das Wesen
der Absicht haben wir aber bereits gehandelt und dargetan,
dass sie bedeutet "aus einem Motiv heraus handeln". Ist nun
das Motiv ein einziges, so heißt die ans ihm hervorgehende
Betätigung ihlas in Bezug auf das angestrebte Ziel.
Wer also Almosen
gibt aus bloßer Augendienerei, der ist muhlis, und wer
dabei lediglich die Absicht hat, Allah ta’ala damit
nahe zu kommen, der ist ebenfalls muhlis. Nach dem
herrschenden Sprachgebrauch hat jedoch das Wort ihlas
die spezielle Bedeutung: “Die Befreiung der Absicht, Allah
ta’ala nahe zu kommen, von jeglicher Beimischung“.
So bedeutet ja
auch ilhad "Neigung" überhaupt, aber der Sprachgebrauch
verwendet es in dem speziellen Sinne "Abweichung von der
Wahrheit". Wer aber kein anderes Motiv hat als lediglich die
Augendienerei (riya), dem droht das Verderben. Davon
handeln wir hier nicht, da wir das darauf Bezügliche im Buch
über riya in der Abteilung der "Verderben bringenden
Dinge" (muhlikat) ausgeführt haben. Das Wenigste davon
ist, dass der Heuchler am jüngsten Tag mit vier Namen benannt
wird:
„du Heuchler, du Betrüger, du Götzendiener, du
Ungläubiger.“
(Ibn Abi Dinaya)
Hier handeln wir
von demjenigen, der von der Absicht, Gott nahe zu kommen,
geleitet wird, wobei aber dieser Absicht ein anderes Motiv
beigemengt ist, sei es die Rücksicht auf Menschen oder sonst
ein natürliches Interesse (hazz nafsi). Zum Beispiel es
fastet jemand, weil ihm die mit dem Fasten verbundene Diät gut
tut, er hat aber zugleich die Absicht, damit Gott nahe zu
kommen; oder er lässt einen Sklaven frei, damit er ihn nicht
mehr zu unterhalten und seinen schlechten Charakter zu
ertragen braucht; oder er macht die Wallfahrt, um durch die
Bewegung der Reise seine Gesundheit zu fördern oder um einem
Übel zu entgehen, das ihm zu Hause droht, oder vor einem Feind
in seinem Wohnort zu fliehen oder weil ihm Frau und Kinder
zuwider sind oder viel Mühe machen, so dass er ein paar Tage
Ruhe haben möchte; oder er zieht ins Feld, um sich im Kämpfen
zu üben, oder die Dinge kennen zu lernen, die dazu
erforderlich ist, und die Fähigkeit zu erlangen, ein Heer zu
ordnen und zu führen; oder er betet des Nachts in der Absicht,
den Schlaf zu verscheuchen, um seine Familie und sein Gepäck
zu bewachen; oder er gibt sich dem Studium hin, um dadurch
leichter ein auskömmliches Vermögen erwerben zu können oder in
seinem Kreise geehrt zu werden oder damit sein Grundstück und
sein Vermögen infolge der hohen Schätzung der Wissenschaft von
der Begehrlichkeit verschont bleibe; oder er gibt sich mit
Unterrichten und Predigen ab, um die Unannehmlichkeit des
Schweigenmüssens los zu werden und die Lust des Fabulierens zu
kosten; oder er geht darauf aus, Gelehrten und Sufis Dienste
zu leisten, um bei ihnen und den anderen Leuten in Achtung zu
stehen oder dadurch einen weltlichen Vorteil zu erlangen; oder
er schreibt ein Koranexemplar ab, um durch die Übung im
Schreiben eine schöne Handschrift zu bekommen; oder er macht
die Wallfahrt zu Fuß, um sich die Kosten für die Mietung eines
Reittieres zu sparen; oder er unternimmt die Waschung (wudu),
um sich zu reinigen oder zu erfrischen, oder die Ganzwaschung
(rusl), um angenehm zu duften; oder er tradiert ein
Hadith, damit er bekannt werde durch seine vollkommenen Isnade;
oder er zieht sich in die Moschee zurück, um die Wohnungsmiete
zu sparen; oder er fastet, damit er nicht so oft zu kochen
braucht oder damit er mehr Zeit für seine Arbeiten erübrigt
und nicht durch das Essen von ihnen abgelenkt wird; oder er
spendet einem Bettler Almosen, um seine zudringliche Bettelei
los zu werden; oder er besuche einen Kranken, damit man auch
ihn besuche, wenn er krank wird; oder er geht mit einem
Begräbnis, damit man auch mit dem der Seinigen gebe, oder er
tut dergleichen, damit sein gutes Werk bekannt und genannt und
er als frommer und würdiger Mann betrachtet werde.
Wenn nun auch
sein eigentliches Motiv das ist, Allah ta’ala nahe zu
kommen, aber eine von diesen Nebenabsichten hinzukommt, durch
welche die Handlung beeinträchtigt wird, so tritt sein Werk
aus der Begriffsbestimmung des ihlas heraus, es hört
auf, rein (halis) zu sein in Bezug auf das Antlitz
Allahs, und es tritt hinzu die "Beigesellung". Allah ta’ala
sagt aber:
„Keiner bedarf
weniger einer Genossenschaft (sirka) als ich.“
Es wird also
durch jedes irdische Gut, in welchem die Natur Befriedigung
findet und zu dem sie hinneigt, sei es groß oder gering, wenn
es bei einem Werke im Spiele ist, die Reinheit dieser Handlung
getrübt und ihr ihlas zerstört. Der Mensch hängt so
sehr an seinen Interessen (husus) und steckt so tief in
seinen Begierden, dass selten eine Handlung oder ein
religiöses Werk von derartigen weltlichen Interessen und
Bestrebungen ganz frei ist.
Deshalb heißt es:
"Wer einen einzigen Augenblick in seinem Leben hat, der ganz
rein auf das Antlitz Allahs gerichtet war, der wird gerettet";
so selten ist die reine Absicht und so schwer ist es, das Herz
von diesem Beiwerk rein zu halten. Halis ist also der
Mensch, für den es kein anderes Motiv gibt als das Streben,
Allah ta’ala nahe zu kommen. Wenn nun jene Interessen
das einzige Motiv bilden, so ist die Schwere des Falles für
den Betreffenden offenkundig; unsere Untersuchung betrifft nur
solche Fälle, bei denen das Grundstreben darauf geht, Allah
nahe zu kommen, wo aber jene Dinge dabei im Spiele sind. Diese
beigemischten Elemente gehören entweder in die Kategorie des "Zusammentref-fens"
(muwafaga) oder der "Genossenschaft" (musaraka)
oder der "Unterstützung" (mu`awana), wie in dem Kapitel
über die Intention dargelegt wurde. Das sinnliche (nafsi)
Motiv wird im Allgemeinen dem religiösen (dini) Motiv
entweder gleich sein oder es ist stärker oder schwächer als
dieses. Jeder Fall ist für sich zu beurteilen, wie im
Folgenden geschehen soll.
Die reine Absicht
bedeutet die Reinigung (tahlis) des Werkes von all
diesen Beimischungen, seien es viele oder wenige, so dass in
ihr lediglich das Streben, Allah nahe zu kommen, vorhanden
ist, kein anderes Motiv daneben. Solches ist nur denkbar bei
einem, der Allah liebt und ganz von ihm durchdrungen ist, der
von dem Streben nach dem Jenseits so ausgefüllt wird, dass für
die Liebe zur Welt in seinem Herzen kein Platz ist, so dass er
auch nicht das Essen und Trinken liebt, sondern sein Verlangen
darnach dasselbe ist wie sein Verlangen, sein Bedürfnis zu
befriedigen, weil die Natur es einmal so fordert. Er begehrt
also die Speise, nicht weil sie Speise ist, sondern weil sie
ihn kräftigt für den Dienst Allahs, und er möchte gern des
Hungers enthoben sein, um nicht essen zu müssen. Es bleibt in
seinem Herzen keine Lust an etwas Überflüssigem, das nicht
notwendig ist, und auch das Notwendige verlangt er nur
insoweit, als es für seine Religion notwendig ist. Er kennt
kein anderes Streben als nur Allah ta’ala. Wenn ein
solcher Mensch isst und trinkt oder ein Bedürfnis befriedigt,
so ist sein Werk rein, seine Intention echt bei allem Tun und
Lassen. Auch wenn er z.ß: schläft, um sich für den Dienst
Allahs zu kräftigen, ist sein Schlaf Gottesdienst, und er
befindet sich dabei auf der Stufe der Lautergesinnten (muhlisun).
Wer nicht so beschaffen ist, für den ist die reine Absicht
beim Handeln ausgeschlossen, wenige Ausnahmen abgerechnet. Wie
bei jemandem, der von der Liebe zu Allah und dem Jenseits
durchdrungen ist, auch seine gewöhnlichen Betätigungen die
Eigenschaft seiner Willensrichtung (hamm) annehmen und
zur reinen Absicht werden, so nehmen bei dem, der von der
Welt, von Stolz und Herrschsucht und überhaupt von Dingen, die
mit Allah nichts zu tun haben, beherrscht wird, alle seine
Betätigungen diese Eigenschaft an, so dass auch seine
religiösen Handlungen wie Fasten, Gebetsoffizium und andere
nur selten untadelig sein werden. Die Pflege des ihrs besteht
also darin, die Sinnlichkeit (huzuz al-nafs) zu
überwinden, das Verlangen nach dem Irdischen zu unterdrücken
und sich ganz freizumachen für das Jenseits, dergestalt dass
dieses das Herz vollkommen beherrsche. Dann erst wird die
reine Absicht möglich sein. Mit wie vielen Werken müht der
Mensch sich ab in der Meinung, sie seien rein auf Allah
ta’ala gerichtet, und er wird darin betrogen, weil er die
schadhafte Stelle bei ihnen nicht sieht.
So wird
berichtet, dass jemand folgendes erzählte: „Ich
verrichtete das Gebetsoffizium dreißig Jahre lang und zwar
stets in der Moschee in der ersten Reihe, einmal aber kam ich
unverschuldet zu spät und betete dann in der zweiten Reihe. Da
schämte ich mich vor den Leuten, dass sie mich in der zweiten
Reihe sahen. Daraus erkannte ich, dass ich Freude daran hatte,
dass die Leute auf mich in der ersten Reihe sahen und dass
dies der Grund meiner inneren Befriedigung gewesen war, ohne
dass ich es merkte.“
Das sind feine
und schwer bemerkbare Dinge. Selten sind die Werke in dieser
Hinsicht tadellos und selten achtet jemand darauf, es sei
denn, dass Allah ta’ala ihn begnadigt. Die aber darauf
nicht achten, werden am jüngsten Tage all ihre guten Werke als
Übeltaten sehen. Auf sie geht das Wort Allahs:
وَبَدَا لَهُم مِّنَ اللَّهِ مَا لَمْ يَكُونُوا يَحْتَسِبُونَ
وَبَدَا لَهُمْ سَيِّئَاتُ مَا كَسَبُوا
„Und es wird
ihnen vor Allah erscheinen, worauf sie nicht gerechnet, und
erscheinen werden ihnen die Übeltaten, die sie vollbracht“,
(Sure 39 Aya 47-48)
und das andere:
قُلْ هَلْ نُنَبِّئُكُمْ بِالْأَخْسَرِينَ أَعْمَالًا
الَّذِينَ ضَلَّ سَعْيُهُمْ فِي الْحَيَاةِ الدُّنْيَا وَهُمْ
يَحْسَبُونَ أَنَّهُمْ يُحْسِنُونَ صُنْعًا
„Sprich: sollen
wir euch die nennen, deren Werke verloren sind, deren Streben
im irdischen Leben irre ging und die da meinten, recht zu
handeln?“
(Sure 18 Aya 103-104)
Dieser Gefahr
sind von allen Menschen am meisten ausgesetzt die Gelehrten.
Denn das, was sie zur Verbreitung der
Wissenschaft antreibt, ist bei den meisten die Rangsucht, die
Freude, einen Anhang zu haben, und das Vergnügen an
Lobesbezeugungen. Der Teufel macht ihnen da etwas vor und
redet ihnen ein: „Euer Bestreben ist es, die Religion
auszubreiten und die Offenbarung zu verteidigen, die der
hochgebenedeite Gottgesandte gebracht hat.“
Und den Prediger
sieht man für Allah ta’ala wirken, indem er den
Menschen ins Gewissen redet und die Herrschenden ermahnt; er
freut sich darüber, dass die Menschen sein Wort aufnehmen und
zu ihm kommen, bildet sich aber ein, sich darüber zu freuen,
dass er erfolgreich die Sache der Religion verfocht. Wenn aber
unter seinen Kollegen einer auftritt, der schöner predigt als
er, und die Leute bleiben bei ihm weg und gehen zu jenem, so
verdrießt und betrübt ihn das. Wäre jedoch der Beweggrund für
ihn die Religion, so würde er Allah ta’ala dafür
danken, dass er ihm diese Aufgabe abgenommen und einen anderen
damit betraut hat. Aber der Teufel lässt ihn nicht los und
redet ihm ein: „Du bist nur darüber betrübt, dass dein
jenseitiger Lohn geschmälert wird, nicht darüber, dass die
Leute sich von dir weg und einem anderen zuwenden; denn wenn
sie deine Predigt anhören würden, so hättest du den Lohn
dafür. Wenn du nun über den entgangenen Lohn betrübt bist, so
ist das etwas Löbliches.“
Der Arme weiß
nicht, dass es weit verdienstlicher und vorteilhafter für ihn
im Jenseits ist, sich dem Recht zu fügen und die Sache einem
Tüchtigeren zu überlassen als sich allein zu betätigen. Wäre
es wohl eine löbliche oder eine tadelnswerte Betrübnis
gewesen, wenn der selige Umar darüber betrübt gewesen wäre,
dass dem seligen Abu Bakr die Anwartschaft auf die Imamwürde
zukam? Kein religiöser Mann wird zweifeln, dass sie
tadelnswert gewesen wäre. Denn dem Rechte nachzugeben und die
Sache einem, der tüchtiger war als er, zu überlassen, war ihm
dienlicher in religiöser Hinsicht als sich mit Gewalt um das
Wohl der Menschen bemühen zu wollen, trotz des gewaltigen
damit verbundenen Lohnes. Aber der selige Umar freute sich
vielmehr darüber, dass ein besserer als er die Sache allein in
die Hand nahm. Warum freuen sich denn nicht auch die Gelehrten
in einem ähnlichen Fall? Gar mancher Gelehrte lässt sich durch
die List des Teufels betrügen und bildet sich ein, er würde
sich darüber freuen, wenn ein in der Sache tüchtigerer Mann
als er auftreten würde. So etwas sich vorzureden, ohne zuvor
die Probe aufs Exempel gemacht zu haben, ist eitele Unkenntnis
und Täuschung, denn die Natur (nafs) ist leicht
geneigt, solches zu versprechen, bevor die Sache eingetroffen
ist, sobald aber jemand davon betroffen wird, verändert er
sich, weicht zurück und hält sein Versprechen nicht. Das
versteht nur einer, der die Schliche des Teufels und der Natur
kennt und sich viel mit diesen Dingen abgegeben und sie
erprobt hat. Die Erkenntnis des wahren Wesens der reinen
Absicht und des Handelns darnach ist ein tiefes Meer, in dem
die meisten versinken. Es gibt nur ganz wenige und vereinzelte
Ausnahmen, die nämlich, auf welche das Gotteswort sich
bezieht:
إِلَّا عِبَادَكَ مِنْهُمُ الْمُخْلَصِينَ إِلاَّ عِبَادَكَ
مِنْهُمُ الْمُخْلَصِينَ
„Außer Deinen
Dienern unter ihnen, die lauter sind“.
(Sure 15 Aya
40 und Sure 38 Aya 83)
Der Mensch muss
daher mit aller Sorgfalt diesen feinen Dingen nachgehen und
auf sie achten, sonst gerät er in die Gefolgschaft des
Teufels, ohne dass er es gewahr wird.