Ghazalis Werk
Gazzali İhyau Ulumi'd-Din 1/6 إحياء علوم الدين in Bochum - Bochum-Mitte |  eBay Kleinanzeigen

Über Intention, reine Absicht und Wahrhaftigkeit

كتاب النية والإخلاص والصدق

Das 37. Buch von Ghazalis Hauptwerk

Übersetzt von Hans Bauer, Halle 1916

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Die reine Absicht, ihre Bedeutung, ihr Wesen, und ihre Grade

Wesen der reinen Absicht

Jedes Ding, das durch ein anderes verunreinigt werden kann, heißt rein (halis), wenn es von einer solchen Beimengung frei ist. Die reinigende Tätigkeit heißt Reinigung (ihlas).

Allah ta’ala sagt:

وَدَمٍ لَّبَنًا خَالِصًا سَآئِغًا

„... zwischen Kot und Blut, reine Milch“; ( Sure 16 Aya 66)

denn die Reinheit der Milch besteht darin, dass sie nicht durch Blut und Kot oder eine sonstige Beimischung verunreinigt ist. Der Gegensatz von ihlas (Läuterung) ist israk (Beigesellung), wer also nicht muhlis (lauter machend) ist, der ist Muschrik. Der Schirk hat aber verschiedene Abstufungen, und dem ihlas in Bezug auf den Tauhid steht gegenüber die Beigesellung (tasrik) hinsichtlich der göttlichen Natur. Und wie das Schirk verborgen oder offen sein kann, so auch der Ihlas. Ihlas und sein Gegenteil [d. h. Schirk] beziehen sich auf das Herz, und das Herz ist ihr Sitz. Sie haben statt bei den Zielen und Absichten. Über das Wesen der Absicht haben wir aber bereits gehandelt und dargetan, dass sie bedeutet "aus einem Motiv heraus handeln". Ist nun das Motiv ein einziges, so heißt die ans ihm hervorgehende Betätigung ihlas in Bezug auf das angestrebte Ziel.

Wer also Almosen gibt aus bloßer Augendienerei, der ist muhlis, und wer dabei lediglich die Absicht hat, Allah ta’ala damit nahe zu kommen, der ist ebenfalls muhlis. Nach dem herrschenden Sprachgebrauch hat jedoch das Wort ihlas die spezielle Bedeutung: “Die Befreiung der Absicht, Allah ta’ala nahe zu kommen, von jeglicher Beimischung“.

So bedeutet ja auch ilhad "Neigung" überhaupt, aber der Sprachgebrauch verwendet es in dem speziellen Sinne "Abweichung von der Wahrheit". Wer aber kein anderes Motiv hat als lediglich die Augendienerei (riya), dem droht das Verderben. Davon handeln wir hier nicht, da wir das darauf Bezügliche im Buch über riya in der Abteilung der "Verderben bringenden Dinge" (muhlikat) ausgeführt haben. Das Wenigste davon ist, dass der Heuchler am jüngsten Tag mit vier Namen benannt wird[1]: „du Heuchler, du Betrüger, du Götzendiener, du Ungläubiger.“ (Ibn Abi Dinaya)

Hier handeln wir von demjenigen, der von der Absicht, Gott nahe zu kommen, geleitet wird, wobei aber dieser Absicht ein anderes Motiv beigemengt ist, sei es die Rücksicht auf Menschen oder sonst ein natürliches Interesse (hazz nafsi). Zum Beispiel es fastet jemand, weil ihm die mit dem Fasten verbundene Diät gut tut, er hat aber zugleich die Absicht, damit Gott nahe zu kommen; oder er lässt einen Sklaven frei, damit er ihn nicht mehr zu unterhalten und seinen schlechten Charakter zu ertragen braucht; oder er macht die Wallfahrt, um durch die Bewegung der Reise seine Gesundheit zu fördern oder um einem Übel zu entgehen, das ihm zu Hause droht, oder vor einem Feind in seinem Wohnort zu fliehen oder weil ihm Frau und Kinder zuwider sind oder viel Mühe machen, so dass er ein paar Tage Ruhe haben möchte; oder er zieht ins Feld, um sich im Kämpfen zu üben, oder die Dinge kennen zu lernen, die dazu erforderlich ist, und die Fähigkeit zu erlangen, ein Heer zu ordnen und zu führen; oder er betet des Nachts in der Absicht, den Schlaf zu verscheuchen, um seine Familie und sein Gepäck zu bewachen; oder er gibt sich dem Studium hin, um dadurch leichter ein auskömmliches Vermögen erwerben zu können oder in seinem Kreise geehrt zu werden oder damit sein Grundstück und sein Vermögen infolge der hohen Schätzung der Wissenschaft von der Begehrlichkeit verschont bleibe; oder er gibt sich mit Unterrichten und Predigen ab, um die Unannehmlichkeit des Schweigenmüssens los zu werden und die Lust des Fabulierens zu kosten; oder er geht darauf aus, Gelehrten und Sufis Dienste zu leisten, um bei ihnen und den anderen Leuten in Achtung zu stehen oder dadurch einen weltlichen Vorteil zu erlangen; oder er schreibt ein Koranexemplar ab, um durch die Übung im Schreiben eine schöne Handschrift zu bekommen; oder er macht die Wallfahrt zu Fuß, um sich die Kosten für die Mietung eines Reittieres zu sparen; oder er unternimmt die Waschung (wudu), um sich zu reinigen oder zu erfrischen, oder die Ganzwaschung (rusl), um angenehm zu duften; oder er tradiert ein Hadith, damit er bekannt werde durch seine vollkommenen Isnade; oder er zieht sich in die Moschee zurück, um die Wohnungsmiete zu sparen; oder er fastet, damit er nicht so oft zu kochen braucht oder damit er mehr Zeit für seine Arbeiten erübrigt und nicht durch das Essen von ihnen abgelenkt wird; oder er spendet einem Bettler Almosen, um seine zudringliche Bettelei los zu werden; oder er besuche einen Kranken, damit man auch ihn besuche, wenn er krank wird; oder er geht mit einem Begräbnis, damit man auch mit dem der Seinigen gebe, oder er tut dergleichen, damit sein gutes Werk bekannt und genannt und er als frommer und würdiger Mann betrachtet werde.

Wenn nun auch sein eigentliches Motiv das ist, Allah ta’ala nahe zu kommen, aber eine von diesen Nebenabsichten hinzukommt, durch welche die Handlung beeinträchtigt wird, so tritt sein Werk aus der Begriffsbestimmung des ihlas heraus, es hört auf, rein (halis) zu sein in Bezug auf das Antlitz Allahs, und es tritt hinzu die "Beigesellung". Allah ta’ala sagt aber:

„Keiner bedarf weniger einer Genossenschaft (sirka) als ich.“

Es wird also durch jedes irdische Gut, in welchem die Natur Befriedigung findet und zu dem sie hinneigt, sei es groß oder gering, wenn es bei einem Werke im Spiele ist, die Reinheit dieser Handlung getrübt und ihr ihlas zerstört. Der Mensch hängt so sehr an seinen Interessen (husus) und steckt so tief in seinen Begierden, dass selten eine Handlung oder ein religiöses Werk von derartigen weltlichen Interessen und Bestrebungen ganz frei ist.

Deshalb heißt es: "Wer einen einzigen Augenblick in seinem Leben hat, der ganz rein auf das Antlitz Allahs gerichtet war, der wird gerettet"; so selten ist die reine Absicht und so schwer ist es, das Herz von diesem Beiwerk rein zu halten. Halis ist also der Mensch, für den es kein anderes Motiv gibt als das Streben, Allah ta’ala nahe zu kommen. Wenn nun jene Interessen das einzige Motiv bilden, so ist die Schwere des Falles für den Betreffenden offenkundig; unsere Untersuchung betrifft nur solche Fälle, bei denen das Grundstreben darauf geht, Allah nahe zu kommen, wo aber jene Dinge dabei im Spiele sind. Diese beigemischten Elemente gehören entweder in die Kategorie des "Zusammentref-fens" (muwafaga) oder der "Genossenschaft" (musaraka) oder der "Unterstützung" (mu`awana), wie in dem Kapitel über die Intention dargelegt wurde. Das sinnliche (nafsi) Motiv wird im Allgemeinen dem religiösen (dini) Motiv entweder gleich sein oder es ist stärker oder schwächer als dieses. Jeder Fall ist für sich zu beurteilen, wie im Folgenden geschehen soll.

Die reine Absicht bedeutet die Reinigung (tahlis) des Werkes von all diesen Beimischungen, seien es viele oder wenige, so dass in ihr lediglich das Streben, Allah nahe zu kommen, vorhanden ist, kein anderes Motiv daneben. Solches ist nur denkbar bei einem, der Allah liebt und ganz von ihm durchdrungen ist, der von dem Streben nach dem Jenseits so ausgefüllt wird, dass für die Liebe zur Welt in seinem Herzen kein Platz ist, so dass er auch nicht das Essen und Trinken liebt, sondern sein Verlangen darnach dasselbe ist wie sein Verlangen, sein Bedürfnis zu befriedigen, weil die Natur es einmal so fordert. Er begehrt also die Speise, nicht weil sie Speise ist, sondern weil sie ihn kräftigt für den Dienst Allahs, und er möchte gern des Hungers enthoben sein, um nicht essen zu müssen. Es bleibt in seinem Herzen keine Lust an etwas Überflüssigem, das nicht notwendig ist, und auch das Notwendige verlangt er nur insoweit, als es für seine Religion notwendig ist. Er kennt kein anderes Streben als nur Allah ta’ala. Wenn ein solcher Mensch isst und trinkt oder ein Bedürfnis befriedigt, so ist sein Werk rein, seine Intention echt bei allem Tun und Lassen. Auch wenn er z.ß: schläft, um sich für den Dienst Allahs zu kräftigen, ist sein Schlaf Gottesdienst, und er befindet sich dabei auf der Stufe der Lautergesinnten (muhlisun). Wer nicht so beschaffen ist, für den ist die reine Absicht beim Handeln ausgeschlossen, wenige Ausnahmen abgerechnet. Wie bei jemandem, der von der Liebe zu Allah und dem Jenseits durchdrungen ist, auch seine gewöhnlichen Betätigungen die Eigenschaft seiner Willensrichtung (hamm) annehmen und zur reinen Absicht werden, so nehmen bei dem, der von der Welt, von Stolz und Herrschsucht und überhaupt von Dingen, die mit Allah nichts zu tun haben, beherrscht wird, alle seine Betätigungen diese Eigenschaft an, so dass auch seine religiösen Handlungen wie Fasten, Gebetsoffizium und andere nur selten untadelig sein werden. Die Pflege des ihrs besteht also darin, die Sinnlichkeit (huzuz al-nafs) zu überwinden, das Verlangen nach dem Irdischen zu unterdrücken und sich ganz freizumachen für das Jenseits, dergestalt dass dieses das Herz vollkommen beherrsche. Dann erst wird die reine Absicht möglich sein. Mit wie vielen Werken müht der Mensch sich ab in der Meinung, sie seien rein auf Allah ta’ala gerichtet, und er wird darin betrogen, weil er die schadhafte Stelle bei ihnen nicht sieht.

So wird berichtet, dass jemand folgendes erzählte: „Ich verrichtete das Gebetsoffizium dreißig Jahre lang und zwar stets in der Moschee in der ersten Reihe, einmal aber kam ich unverschuldet zu spät und betete dann in der zweiten Reihe. Da schämte ich mich vor den Leuten, dass sie mich in der zweiten Reihe sahen. Daraus erkannte ich, dass ich Freude daran hatte, dass die Leute auf mich in der ersten Reihe sahen und dass dies der Grund meiner inneren Befriedigung gewesen war, ohne dass ich es merkte.“

Das sind feine und schwer bemerkbare Dinge. Selten sind die Werke in dieser Hinsicht tadellos und selten achtet jemand darauf, es sei denn, dass Allah ta’ala ihn begnadigt. Die aber darauf nicht achten, werden am jüngsten Tage all ihre guten Werke als Übeltaten sehen. Auf sie geht das Wort Allahs:

وَبَدَا لَهُم مِّنَ اللَّهِ مَا لَمْ يَكُونُوا يَحْتَسِبُونَ   وَبَدَا لَهُمْ سَيِّئَاتُ مَا كَسَبُوا

„Und es wird ihnen vor Allah erscheinen, worauf sie nicht gerechnet, und erscheinen werden ihnen die Übeltaten, die sie vollbracht“, (Sure 39 Aya 47-48)

und das andere:

قُلْ هَلْ نُنَبِّئُكُمْ بِالْأَخْسَرِينَ أَعْمَالًا   الَّذِينَ ضَلَّ سَعْيُهُمْ فِي الْحَيَاةِ الدُّنْيَا وَهُمْ يَحْسَبُونَ أَنَّهُمْ يُحْسِنُونَ صُنْعًا

„Sprich: sollen wir euch die nennen, deren Werke verloren sind, deren Streben im irdischen Leben irre ging und die da meinten, recht zu handeln?“ (Sure 18 Aya 103-104)

Dieser Gefahr sind von allen Menschen am meisten aus­gesetzt die Gelehrten. Denn das, was sie zur Verbreitung der Wissenschaft antreibt, ist bei den meisten die Rangsucht, die Freude, einen Anhang zu haben, und das Vergnügen an Lobesbezeugungen. Der Teufel macht ihnen da etwas vor und redet ihnen ein: „Euer Bestreben ist es, die Religion auszubreiten und die Offenbarung zu verteidigen, die der hochgebenedeite Gottgesandte gebracht hat.“

Und den Prediger sieht man für Allah ta’ala wirken, indem er den Menschen ins Gewissen redet und die Herrschenden ermahnt; er freut sich darüber, dass die Menschen sein Wort aufnehmen und zu ihm kommen, bildet sich aber ein, sich darüber zu freuen, dass er erfolgreich die Sache der Religion verfocht. Wenn aber unter seinen Kollegen einer auftritt, der schöner predigt als er, und die Leute bleiben bei ihm weg und gehen zu jenem, so verdrießt und betrübt ihn das. Wäre jedoch der Beweggrund für ihn die Religion, so würde er Allah ta’ala dafür danken, dass er ihm diese Aufgabe abgenommen und einen anderen damit betraut hat. Aber der Teufel lässt ihn nicht los und redet ihm ein: „Du bist nur darüber betrübt, dass dein jenseitiger Lohn geschmälert wird, nicht darüber, dass die Leute sich von dir weg und einem anderen zuwenden; denn wenn sie deine Predigt anhören würden, so hättest du den Lohn dafür. Wenn du nun über den entgangenen Lohn betrübt bist, so ist das etwas Löbliches.“

Der Arme weiß nicht, dass es weit verdienstlicher und vorteilhafter für ihn im Jenseits ist, sich dem Recht zu fügen und die Sache einem Tüchtigeren zu überlassen als sich allein zu betätigen. Wäre es wohl eine löbliche oder eine tadelnswerte Betrübnis gewesen, wenn der selige Umar darüber betrübt gewesen wäre, dass dem seligen Abu Bakr die Anwartschaft auf die Imamwürde zukam? Kein religiöser Mann wird zweifeln, dass sie tadelnswert gewesen wäre. Denn dem Rechte nachzugeben und die Sache einem, der tüchtiger war als er, zu überlassen, war ihm dienlicher in religiöser Hinsicht als sich mit Gewalt um das Wohl der Menschen bemühen zu wollen, trotz des gewaltigen damit verbundenen Lohnes. Aber der selige Umar freute sich vielmehr darüber, dass ein besserer als er die Sache allein in die Hand nahm. Warum freuen sich denn nicht auch die Gelehrten in einem ähnlichen Fall? Gar mancher Gelehrte lässt sich durch die List des Teufels betrügen und bildet sich ein, er würde sich darüber freuen, wenn ein in der Sache tüchtigerer Mann als er auftreten würde. So etwas sich vorzureden, ohne zuvor die Probe aufs Exempel gemacht zu haben, ist eitele Unkenntnis und Täuschung, denn die Natur (nafs) ist leicht geneigt, solches zu versprechen, bevor die Sache eingetroffen ist, sobald aber jemand  davon betroffen wird, verändert er sich, weicht zurück und hält sein Versprechen nicht. Das versteht nur einer, der die Schliche des Teufels und der Natur kennt und sich viel mit diesen Dingen abgegeben und sie erprobt hat. Die Erkenntnis des wahren Wesens der reinen Absicht und des Handelns darnach ist ein tiefes Meer, in dem die meisten versinken. Es gibt nur ganz wenige und vereinzelte Ausnahmen, die nämlich, auf welche das Gotteswort sich bezieht:

إِلَّا عِبَادَكَ مِنْهُمُ الْمُخْلَصِينَ   إِلاَّ عِبَادَكَ مِنْهُمُ الْمُخْلَصِينَ     

„Außer Deinen Dienern unter ihnen, die lauter sind“. (Sure 15 Aya 40 und Sure 38 Aya 83)

Der Mensch muss daher mit aller Sorgfalt diesen feinen Dingen nachgehen und auf sie achten, sonst gerät er in die Gefolgschaft des Teufels, ohne dass er es gewahr wird.

Fußnote

[1] Verzeichnet im Kitab is-Sunnati wal-Ihlas

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