Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Offensichtliche Bodenschätze

Was die offensichtlichen Bodenschätze – wie etwa Salz und Erdöl – betrifft, so gehören sie nach der in der Rechtswissenschaft [fiqh] vorherrschenden Ansicht zum gemeinschaftlichen Besitz aller Menschen. Der Islam gesteht keinem Einzelnen das Recht zu, sie für sich allein zu beanspruchen und sich als Privateigentum anzueignen, denn sie gehören nach islamischen Maßstäben zum Bereich des “Eigentums der Gemeinschaft“ und unterliegen diesem Prinzip. Den Einzelnen ist es nur erlaubt, ihren persönlichen Bedarf an diesen mineralischen Reichtümern zu decken, ohne den ausschließlichen Anspruch darauf zu erheben oder sich deren natürliche Lagerstätte anzueignen. Auf dieser Grundlage wird es zum alleinigen Recht des Staates – bzw. des Imam, als dem verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] der Menschen, denen diese natürlichen Reichtümer als gemeinschaftliches Eigentum gehören – sie in dem Maße auszubeuten, wie es ihm mit den zur Verfügung stehenden materiellen Voraussetzungen für Produktion und Förderung möglich ist, und ihren Ertrag im Dienste der Allgemeinheit zu verwenden. Dagegen sind private Unternehmen, mit denen Einzelpersonen die Ausbeutung von Bodenschätzen monopolisieren, definitiv verboten! Selbst wenn solche Unternehmen die Ausgrabungen und sonstige Arbeiten durchführen, um die Bodenschätze in den Tiefen der Erde zu entdecken und zu gewinnen, haben sie nicht das Recht, sich Lagerstätten anzueignen und aus dem Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums herauszunehmen, vielmehr ist es lediglich jedem “Ein-Mann-Unternehmen“ gestattet, den persönlichen Bedarf der jeweiligen Einzelperson an dem mineralischen Rohstoff zu decken. Allama al-Hilli schreibt in “Tadhkira“ zur Erläuterung dieses gesetzgeberischen Prinzips hinsichtlich der offensichtlichen Bodenschätze, nachdem er viele Beispiele für solche angeführt hat: „Kein Einzelner kann sich diese Bodenschätze durch Erschließung und Förderungsarbeit aneignen, auch wenn er die gesamte Lagerstätte zugänglich macht.[1] Mit der Lagerstätte meint er die Erdschicht, die diesen Bodenschatz enthält. Es ist dem Einzelnen also nicht erlaubt, sich diese Bodenschätze anzueignen, auch wenn er so tief gräbt, bis er z.B. zu den Ölquellen, d.h. der Schicht in den Tiefen der Erde, die den Bodenschatz enthält, vordringt. Und er schreibt weiterhin in den “Qawa´id“ im Zusammenhang mit der Erörterung der offensichtlichen Bodenschätze Folgendes: „Es gibt zwei Kategorien von Bodenschätzen, offensichtliche und verborgene. Für die offensichtliche Kategorie, d.h. solche, die zur Nutzbarmachung keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand erfordern, wie Salz, Erdöl, Schwefel, Erdwachs, Antimon, Ton Edelsteine, usw. ... ist festgesetzt, dass alle Muslime daran Anteil haben sollen, dass sie also nicht durch Erschließung der Lagerstätte angeeignet werden können, dass sie nicht demjenigen, der sich an einer Lagerstätte etabliert, gehören, dass es nicht zulässig ist, Konzessionen dafür zu vergeben, und dass sie nicht dem Konzessionär gehören. Wer zuerst an einem Fundort solcher Bodenschätze eintrifft, soll nicht belästigt werden, bis er seinen Bedarf gedeckt hat, und wenn zwei gleichzeitig eintreffen, soll gelost werden, falls sie nicht gemeinsam arbeiten können. Es ist auch möglich, die Plätze aufzuteilen oder dem Bedürftigeren den Vortritt zu lassen.“[2]

Auf das Prinzip des gemeinschaftlichen Eigentums und die Nichtzulässigkeit des privaten Eigentums an offensichtlichen Bodenschätzen weisen noch viele andere Werke der Rechtswissenschaft [fiqh], wie “al-Mabsut“, “al-Muhadhdhab“, “al-Sara´ir“, “Al-Tahrir“, “al-Durus“, “al-Lum´a“ und “al-Rawda“ ausdrücklich hin.[3] In den Büchern “Dschami´al-Schara´i“ und “al-Idah“ heißt es: „Sollte sich eine Person mehr zu nehmen versuchen, als ihrem Bedarf entspricht, dann wird sie daran gehindert.[4] Und in den Büchern “al-Mabsut“, “al-Sara´ir“, “al-Sara´i“, “al-Irschad“ und “al-Lum´a“ finden sich Bestätigungen dieses Verbotes, denn in den besagten Quellen heißt es: „Wer zuerst kommt, darf sich so viel nehmen, wie er benötigt.[5] Allama al-Hilli schreibt in “Tadhkira“: „Dies ist die Meinung der meisten Anhänger unserer Rechtsschule [madhhab], wobei sie uns nicht erläutert haben, ob es sich um den Bedarf eines Tages oder den eines Jahres handelt.“[6] Damit will er sagen: Die Rechtsgelehrten verbieten die Entnahme von mehr Bodenschätzen aus einer Lagerstätte durch eine Person, als es dem jeweiligen persönlichen Bedarf entspricht, wobei sie nicht definiert haben, ob mit “dem Bedarf“, dessen Entnahme zulässig ist, der Bedarf eines Tages oder eines Jahres gemeint ist. Mit diesen Aussagen bestätigt das islamische Recht [scharia] mit unmissverständlicher Deutlichkeit, dass die Ausbeutung jener natürlichen Reichtümer in größerem Umfang durch Einzelpersonen nicht zulässig ist. Und aus dem Buch “Nihayat al-Muhtadsch ila Scharh al-Minhadsch“ geht hervor, dass die offensichtlichen Bodenschätze, d.h. diejenigen, die ohne weitere Behandlung gebrauchsfertig sind, wie Erdöl oder Schwefel, nicht angeeignet werden dürfen, dass an diesen weder durch Etablierung an der Lagerstätte noch durch Konzessionierung Ansprüche begründet werden, und dass, wenn der Fundort begrenzt ist, derjenige, der zuerst kommt, vorgezogen wird, und sich so viel nehmen darf, wie er benötigt; sollte er aber mehr verlangen, dann sei es am besten, ihn daran zu hindern.[7] Und al-Schafi´i schreibt zur Erläuterung des Urteils des islamischen Rechts [scharia] über offensichtliche Bodenschätze: „Es gibt im Prinzip zwei Klassen von Bodenschätzen: Zum einen solche, die wie das Salz in den Bergen gebrauchsfertig vorhanden sind, so dass die Menschen sich davon nehmen können: An diesen kann niemand irgendwelche Konzessionen erwerben, und alle Menschen haben legitime Rechte daran, genauso wie an dem offenen Wasser und an den Pflanzen, die auf Land wachsen, das niemandem gehört. So ersuchte ein gewisser al-Abyad ibn Hammal den Propheten Muhammad (s.), ihm eine Konzession für die Salzlagerstätte von Ma´rib zu erteilen, und der Prophet erteilte sie ihm, oder er beabsichtigte dieses. Da wurde ihm gesagt: 'Es verhält sich hierbei aber wie mit dem reichlich vorhandenen Wasser.' Darauf sagte der Prophet (s.): 'Dann erteile ich die Konzession nicht.' Weiter im Zitat von al-Schafi´i[8]: Das gleiche gilt für alle Lagerstätten von offensichtlichen Bodenschätzen, wie von Erdöl oder Teer oder Schwefel oder Erdwachs oder von offensichtlichen Gesteinen usw., sie gleichen sich in dieser Hinsicht, denn an diesen haben alle Menschen, wie am Wasser und am Weideland, gleich Rechte.[9] Und al-Mawardi schreibt in seinem Werk “al-Ahkam al-Sultaniya“ zum Thema der offensichtlichen Bodenschätze: „Als offensichtlich gelten solche Bodenschätze, bei denen die darin enthaltene Substanz deutlich hervortritt, wie Antimon, Salz, Teer und Erdöl. Bei diesen verhält es sich so wie mit dem Wasser, dessen Konzessionierung nicht zulässig ist, und an dem alle Menschen ein gleiches Anrecht haben, so dass sich jeder davon nehmen darf, der an der Fundstätte eintrifft ... Selbst wenn solche offensichtliche Bodenschätze einzelnen Personen zugeteilt werden, ist diese Konzessionierung nicht rechtlich relevant, so dass der Konzessionär die gleichen Rechte hat, wie jeder andere auch, und alle an der Lagerstätte Eintreffenden daran beteiligt werden. Wenn sie aber der Konzessionär daran hindert, dann handelt er ungesetzlich.[10]

Gemäß den von uns angeführten Schriften der Rechtswissenschaft [fiqh] unterliegen also die offensichtlichen Bodenschätze dem Prinzip des “Eigentums der Gemeinschaft“. Hierbei unterscheidet sich das gemeinschaftliche Eigentum von dem an den in kultiviertem Zustand eroberten Ländereien, welche bereits besprochen wurde, denn das gemeinschaftliche Eigentum an solchem Land entsteht als Folge einer politischen Handlung, welche die Umma ausführt, nämlich der Eroberung. Es wurde für keinen anderen Zweck erobert, daher wird es zum gemeinschaftlichen Eigentum der islamischen Umma allein. Dagegen haben auf die besagten Bodenschätze alle Menschen ein gleiches Anrecht, was sich aus vielen Werken der Rechtswissenschaft [fiqh] entnehmen lässt, in denen das Wort “Mensch“ anstelle des Wortes “Muslim“ verwendet wird, wie in den Büchern “al-Mabsut“, “al-Muhadhdhab“, “al-Wasila“, “al-Schara´ir“ und “al-Umm“. Nach Ansicht der Verfasser dieser Werke besteht also kein Grund, die Bodenschätze allein den Muslimen vorzubehalten, sie sind also gemeinschaftliches Eigentum der Muslime und aller, die unter deren Obhut leben.

[1] “Tadhkirat al-Fuqaha“ des Allama al-Hilli al-Hasan ibn Yusuf, Band 2

[2] “Qawa´id al Ahkam“ des Allama al-Hilli, Seite 222 der Steindruck-Auflage, “Kitab Ihya al-Mawat“, 2. Thema

[3] Siehe dazu “Miftah al-Karama“ des Sayyid al-Amili, Band 7, Seite 29

[4] “Miftah al-Karama“, Band 7, Seite 43

[5] “Miftah al-Karama“, Band 7, Seite 43

[6] Tadhkirat al-Fuqaha“, Band 2. “Kitab Ihya al-Mawat“, zweites Thema

[7] “Nihayat al-Muhtadsch ila Scharh al-Minhadsch“, Band 5, Seite 346

[8] Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass eine von al-Schafi’i verwendete Überlieferung aus der Sicht des Autors nicht unbedingt authentisch sein muss. Der Autor Muhammad Baqir Sadr gibt hier die Argumentationslinie von al-Schafi’i wieder, ohne dass er sie selbst übernimmt.

[9] “Al-Umm“, Band 2, Seite 131

[10] “Al-Ahkam al-Sultaniya“ des Abu al-Hasan Ali ibn Muhammad al-Mawardi, Seite 189-190

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