Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Ableitung der Theorie aus dem Überbau

Nunmehr, nachdem wir die Aspekte des Unterschieds zwischen der islamischen und der marxistischen Theorie so dargelegt haben, wie wir sie sehen und als zutreffend voraussetzen, können wir im Einzelnen die Belege und Indizien für diese Unterschiede aus dem von uns angeführten Überbau aufzeigen, entsprechend unserer Vorgehensweise, die unterliegende Theorie anhand der darauf aufbauenden gesetzlichen Bestimmungen herauszufinden.

Bei allen Abschnitten des vorangegangenen Überbaus lässt sich ein gemeinsames Merkmale feststellen, nämlich dass das bei der produktiven Tätigkeit verwendete Material bereits zuvor Eigentum einer bestimmten Person war. Daher bestätigen sämtliche Abschnitte, dass das Material auch nach seiner Umwandlung während des Produktionsvorganges Eigentum seines bisherigen Besitzers bleibt. So bleibt im Abschnitt 1) die Ware, die von ihrem Besitzer einem Lohnarbeiter übergeben wird, damit dieser sie bearbeitet und umwandelt, sein Eigentum, während der Lohnarbeiter sie sich nicht aufgrund seiner Arbeit aneignen darf, auch wenn er sie umwandelt und ihr einen neuen Wert verschafft, denn sie war bereits zuvor Eigentum einer anderen Person geworden. Der Abschnitt 3) verweist darauf, dass dem Arbeiter, der sich des Landes eines anderen bemächtigt und dort sein Korn aussät, die darauf heranwachsende Kultur gehört, während dem Landbesitzer nichts davon zusteht, da der Ackerbauer Eigentümer des Saatgutes ist, und die Saat das Grundelement des Materials darstellt, welches sich im Verlaufe der landwirtschaftlichen Produktion zu den Kulturen entwickelt. Dagegen gilt das Land, das seiner Natur nach ein an der Produktion beteiligtes materielles Potential ist, in der islamischen Theorie als ein den Ackerbauern dienendes Hilfsmittel, das er vergüten muss, (d.h. er muss dessen Besitzer entschädigen). Der Islam bewertet also das Saatgut und das Land unterschiedlich, indem er das Eigentumsrecht an der Aussaat dem Besitzer des Saatgutes und nicht dem des Landes zuerkennt, obwohl es sich bei beidem um Kapital nach wirtschaftlichem Verständnis und um ein an der Produktion beteiligtes materielles Potential handelt. Dies enthüllt deutlich die von uns zuvor festgestellte Tatsache, nämlich dass dem Besitzer des von der Produktion betroffenen und umgewandelten Rohstoffes jenes Material auch nach seiner Umwandlung deshalb noch gehört, weil es sich um das selbe Material handelt, welches bereits sein Eigentum war, und nicht, weil das Rohmaterial den Charakter von Kapital beim Produktionsprozess hat. Warum sollte sonst der Islam einen Unterschied zwischen dem Saatgut und dem Land machen, und dem Besitzer des Landes das Eigentumsrecht an der Aussaat vorenthalten, während er dieses dem Besitzer des Saatgutes gewährt, obwohl das Merkmal des Kapitals, gemäß der allgemeinen Bedeutung von Kapital, die alle materiellen Produktivkräfte umfasst, beiden gemeinsam ist?

Die Abschnitte 4) und 5) bestätigen beide das sich im Abschnitt 3) manifestierende Prinzip, nämlich dass das Eigentum an den Kulturen bzw. Früchten demjenigen zuerkannt wird, dem das Material gehört, welches sich im Verlaufe der Produktion zu den Kulturen bzw. den Früchten entwickelte, aber weder dem Besitzer des Landes noch dem Eigentümer irgendwelcher sonstigen Hilfsmittel, die an dem Vorgang der landwirtschaftlichen Produktion Anteil haben, und denen dabei die Rolle des Kapitals zufällt. Der Abschnitt 6) spricht das Eigentum an dem Handelsgewinn dem Kapitaleigner zu, falls ein Pachtvertrag [mudhara'a] ungültig ist, und gestattet es dem Agenten nicht, ihn sich ganz oder teilweise anzueignen, denn auch wenn dieser Gewinn – in der Regel – das Ergebnis der Mühe darstellt, die der Agent aufgewendet hat, um Ware einzukaufen und sie den Verbrauchern so gut zugänglich zu machen, dass sie zu einem höheren Preis verkauft werden konnte, so ist diese Mühe doch nicht anders zu bewerten, als die Arbeitsleistung dessen, der Wolle spinnt oder verwebt, die einem Hirten gehört, und hat nach der Theorie keine Auswirkung, da das Objekt der Tätigkeit – das Handelskapital bzw. die Wolle – bereits Eigentum einer anderen Person ist.

Wir müssen uns nun noch speziell mit dem Abschnitt 2) befassen, in welchem von einer Person die Rede ist, die einer anderen Eier raubt und diese zur Produktion von Tieren verwendet, oder Saatgut, und dieses zur Produktion von Getreide nutzt. In dem Abschnitt heißt es, dass nach der in der Rechtswissenschaft [fiqh] vorherrschenden Auffassung das Produkt – die Jungvögel bzw. die Aussaat – dem Besitzer der Eier, bzw. des Saatgutes, gehört, während noch auf eine andere Rechtsmeinung verwiesen wird, die besagt, dass der “Räuber“, der die produktive Tätigkeit ausführt, Eigentümer des Produktes sein soll.

Wir sahen in diesem Abschnitt, der die beiden Auffassungen vorstellte, dass deren Gegensätzlichkeiten darauf zurückzuführen ist, dass die Rechtsgelehrten die Art der Beziehung zwischen dem Ei und dem daraus geschlüpften Vogel, und desgleichen die Beziehung zwischen dem Saatkorn und der daraus hervorgegangen Saat, unterschiedlich definieren. Wer glaubt, dass es sich jeweils um ein und dieselbe Sache handelt, und dass jeweils nur ein gradueller Unterschied zwischen beiden besteht, wie etwa der Unterschied zwischen Holzbrettern und einem daraus gefertigten Bett, der entscheidet sich für die erstere Auffassung, und erachtet die Person, welcher die Eier oder das Saatgut geraubt wurden, als den Eigentümer des Produktes. Wer aber der Meinung ist, dass der Grundstoff – die Eier oder das Saatgut – bei dem Produktionsvorgang jeweils eliminiert wird und dass es sich bei dem Produkt nach allgemein üblicher Sichtweise um eine neue Sache handelt, welche aufgrund der Mühe und Arbeit des “Räubers“, die er für den Produktionsvorgang aufwendet, entsteht, während von dem Grundstoff nur noch unbrauchbare Reste verbleiben, der erachtet den “Räuber“ als Eigentümer des Produktes, weil es eine neue Sache ist, die dem Besitzer der Eier oder des Saatgutes noch nicht gehört hat. Der Arbeitende hätte also – selbst wenn er den Grundstoff geraubt hat – aufgrund seiner Arbeit das Recht, sie sich anzueignen.

Es kommt hier nicht darauf an, den Widerspruch zwischen diesen beiden Auffassungen mit den Mitteln der islamischen Rechtsgelehrsamkeit zu lösen und die jeweiligen Gesichtspunkte genau zu untersuchen, sondern wir beabsichtigen uns deren theoretischen Gehalt zunutze zu machen, um unsere These über den ideologischen Gehalt der islamischen Verteilungstheorie zu untermauern. Denn dieser Rechtsstreit enthüllt mit größerer Deutlichkeit die Tatsache, die sich auch aus den anderen Abschnitten des Überbaus erkennen lässt, nämlich dass dem Besitzer der Wolle das Eigentumsrecht an dem Tuch, und dem Besitzer jeglichen Materials das Eigentumsrecht an jenem Material, auch nachdem es in einem weiteren Produktionsvorgang verarbeitet wurde, nicht deshalb zuerkannt wird, weil die Wolle oder das Rohmaterial eine Art von Kapital beim Prozess des Spinnens und Webens oder sonst einem Produktionsprozess darstellt, sondern aufgrund des Prinzips der Beständigkeit des Eigentums, welches besagt, dass jemand, dem ein Grundstoff gehört, sein Eigentumsrecht daran bewahrt, solange das Material weiterexistiert und die Rechtfertigungen für sein Eigentum im Sinne des Islam bestehen bleiben. Denn wenn die Rechtsgelehrten verschiedener Meinung darüber sind, wem das aus den Eiern oder dem Saatgut hervorgegangene Produkt gehört, so machen sie ihren rechtlichen Standpunkt jeweils davon abhängig, wie sie die Natur der Verbindung zwischen dem Grundstoff und dem Produkt einschätzen. Das bedeutet, dass derjenige, der dem Beraubten das Eigentum an dem Produkt zuspricht, dieses nicht aufgrund eines kapitalistischen Verständnisses tut, sich also nicht deshalb für das Eigentumsrecht des Besitzers der Eier oder des Saatgutes entscheidet, weil dieser der Eigentümer des Kapitals oder einer Art von Kapital beim Produktionsprozess ist, denn wenn das die Grundlage seiner Bevorzugung wäre, dann würden die Rechtsgelehrten nicht zu unterschiedlichen Rechtsaussagen kommen, je nachdem, ob sie den Grundstoff und das Produkt als ein und dieselbe Sache oder als verschiedene Dinge erachten, da der Grundstoff auf jeden Fall ein Kapital beim Produktionsvorgang darstellt, ob er dabei aufgebraucht wird, oder in dem Produkt, das aus der Arbeit hervorgeht, verkörpert bleibt.

Nach kapitalistischen Kriterien müssten die Rechtsgelehrten dem Eigentümer des Grundstoffes – der Eier oder des Saatgutes – das Eigentumsrecht an dem daraus entstandenen Produkt zuschreiben, unabhängig davon, in welcher Beziehung letzteres zu dem Grundstoff steht. Tatsächlich aber billigen sie dem Eigentümer des Grundstoffes – wie z.B. des Saatgutes – nur dann das Eigentum an dem herangewachsenen Getreide zu, wenn sich eine allgemeine Überzeugung feststellen lässt, dass es sich bei dem Produkt um denselben Grundstoff in einem bestimmten Zustand der Weiterentwicklung handelt. Damit wird deutlich bestätigt, dass die Zuneigung der produzierten Ware an den Eigentümer des Materials anstelle des Arbeiters auf dem von uns als “Beständigkeit des Eigentums“ bezeichneten Phänomen beruht, und sich ihre islamische Rechtfertigung nicht aus der kapitalistischen Sichtweise herleitet, welche besagt, dass die produzierte Ware dem Eigentümer des Kapitals gehört, während der Arbeiter ein Werkzeug des Kapitals ist, das von diesem den Lohn für seine Arbeit empfängt. So verstehen wir deutlich das Ausmaß des theoretischen Unterschiedes zwischen der islamischen Begründung der Tatsache, dass dem Besitzer des Rohmaterials für eine Produktion das Eigentum an dem produzierten Gut zuerkannt wird, und deren Erklärung auf der Grundlage einer kapitalistischen Sichtweise.

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de