Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Das wirtschaftliche Problem aus islamischer Sicht und seine Lösungsmöglichkeiten

Was ist “das wirtschaftliche Problem“?

Alle geistigen Strömungen, die sich mit dem wirtschaftlichen Bereich beschäftigen, sind sich einig, dass es im wirtschaftlichen Leben ein Problem gibt, mit dem man fertig werden muss, und sie unterscheiden sich – im Folgenden – hinsichtlich der Definition der Natur dieses Problems und der allgemeinen Methode, es anzugeben. So glaubt die kapitalistische Weltanschauung mit Blick auf die Begrenztheit der Natur, dass das wirtschaftliche Grundproblem im verhältnismäßigen Mangel an natürlichen Ressourcen besteht; denn weder die Erdoberfläche, auf der der Mensch lebt, noch die vielfältigen in der Erde verborgenen Reichtümer lassen sich vermehren, während die vitalen Bedürfnisse des Menschen sich kontinuierlich weiterentwickeln, entsprechend dem Fortschritt und dem Aufblühen der Zivilisation, was die Natur unfähig machen soll, allen diesen Bedürfnissen jedes einzelnen Menschen nachzukommen. Dies führe unter den Individuen zum Konkurrenzkampf um die Befriedigung ihrer Bedürfnisse, wodurch das “wirtschaftliche Problem“ entstehe. Das “wirtschaftliche Problem“ besteht also nach kapitalistischer Sichtweise darin, dass die natürlichen Ressourcen des Reichtums nicht mit der Zivilisation Schritt halten können, d.h. nicht die Befriedigung aller Bedürfnisse und Wünsche, die im Laufe der Weiterentwicklung der Zivilisation neu entstehen, gewährleisten können. Und der Marxismus vertritt die Ansicht, dass das “wirtschaftliche Problem“ immer in dem Problem des Widerspruchs zwischen Produktionsweise und Verteilungssystem besteht. Befinden sich diese beiden aber im Einklang miteinander, herrsche Stabilität im wirtschaftlichen Leben, welcher Art die Gesellschaftsordnung, die sich aus der gegenseitigen Abstimmung von Produktionsweise und Verteilungssystem ergibt, auch sein mag.

Der Islam hingegen schließt sich nicht der Auffassung des Kapitalismus an, das Problem sei das der Natur und ihres Mangels an Ressourcen, weil er glaubt, dass die Natur sehr wohl in der Lage ist, allen Bedürfnissen, deren Nichtbefriedigung zu wirklichen Schwierigkeiten im menschlichen Leben führen würde, gerecht zu werden. Ebenso wenig glaubt der Islam, das Problem bestünde in dem Widerspruch zwischen Produktionsweise und Verteilungssystem, wie es der Marxismus behauptet. Das Problem ist – vor allen Dingen – das Problem des Menschen selbst, nicht der Natur und nicht der Produktionsweise. Dies stellt der Islam mit folgenden Sätzen aus dem Heiligen Qur´an fest:

Allah ist es, der die Himmel und die Erde für euch erschuf und Wasser vom Himmel herabgesandt hat, um ihre Früchte zu eurem Lebensunterhalt hervorzubringen. Und Er machte euch die Schiffe dienstbar, damit ihr nach Seinem Befehl auf dem Meer fahrt, und die Flüsse, und die unermüdliche Sonne und den Mond, und die Nacht und den Tag, und Er gab euch alles, worum ihr ihn batet. Und wenn ihr die Wohltaten Allahs zählen wollt, so gelingt es euch nicht. Wahrlich, der Mensch ist sehr ungerecht und undankbar.[1]

Diese edlen Sätze stellen klar, dass Allah der Erhabene dem Menschen in dieser weiträumigen Welt alles, was gut und nützlich für ihn ist, angehäuft und ihm reichliche Ressourcen zur Erleichterung seines Lebens und zur Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse zur Verfügung gestellt hat aber der Mensch durch seine Ungerechtigkeit und seine Undankbarkeit die Gelegenheit, die Allah ihm gewährt, zunichte macht: Wahrlich, der Mensch ist frevelhaft und undankbar.[2] Die Ungerechtigkeit des Menschen in seinen Handlungen und seine Undankbarkeit gegenüber den göttlichen Wohltaten sind also die beiden Grundursachen des “wirtschaftlichen Problems“ im Leben des Menschen.

Die Ungerechtigkeit des Menschen verkörpert sich auf wirtschaftlicher Ebene in Form schlechter Systeme der Verteilung von Gütern, und die Undankbarkeit gegenüber Allahs Wohltaten in Form von Vernachlässigung der (konstruktiven) Nutzung der Natur und einer negativen Haltung ihr gegenüber. Wenn also die Ungerechtigkeit in den sozialen Beziehungen, welche die Verteilung von Gütern regeln, eliminiert wird, und alle Kräfte des Menschen zur Nutzung und Ausbeutung der Natur mobilisiert werden, gibt es auf der wirtschaftlichen Ebene kein wirkliches Problem mehr. Der Islam verbürgt die Eliminierung von Ungerechtigkeit durch die Lösungen, die er für das Problem der Verteilung und des Austausches von Gütern anbietet, und er schafft Abhilfe für das Problem der Undankbarkeit mit den Konzepten und Bestimmungen, die er für den Bereich der Produktion einführte.

Wir werden im Folgenden erläutern, was nach islamischer Sichtweise mit den erstgenannten Ursachen der sozialen Frage im Zusammenhang steht, nämlich die Ungerechtigkeit auf dem Gebiet der Güterverteilung und des Warentausches. Mit der Haltung des Islam gegenüber der zweiten Ursache des Problems, nämlich der Undankbarkeit des Menschen für die Wohltaten Allahs, werden wir uns in einem späteren Kapitel befassen[3], in dem wir die islamische Einschätzung von Produktion allgemein und seine diesbezüglichen Bestimmungen und Konzepte darlegen.

[1] Heiliger Qur´an 14:32-34

[2] Heiliger Qur´an 14:34

[3] Siehe Kapitel: “Warum produzieren wir?“

 

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de