Ethische Interpretation von Eigentum im Islam
Wir haben das
Eigentum und die persönlichen Rechte bis jetzt im Hinblick auf
die allgemeine Theorie des Islam über die Verteilung “dessen,
was vor der Produktion existiert“, untersucht, es handelte
sich also um eine wirtschaftsideologische Erörterung. Im Laufe
der Untersuchung konnten wir eine theoretische Ableitung des
Eigentums und der persönlichen Rechte vorweisen, welche die
Sichtweise der im Islam enthaltenen Wirtschaftsideologie
widerspiegelt. Wir wollen nun die ethische Interpretation von
Eigentum im Islam aufzeigen. Mit der ethischen Interpretation
des Privateigentums meinen wir eine Darlegung der ideellen
Vorstellungen, mit denen der Islam das Eigentum und dessen
Rolle und Zielsetzung belegt, und auf deren Verbreitung unter
den einzelnen Menschen er hinwirkt, damit diese Vorstellungen
zu einer mit dem Eigentum und den persönlichen Rechten der
Individuen verbundenen Kraft werden, die deren Verhalten prägt
und deren Handlungen beeinflusst.
Bevor wir bei
der ethischen Interpretation des Eigentums in die Einzelheiten
gehen, müssen wir in aller Deutlichkeit den Unterschied
zwischen dieser und der ideologischen Interpretation
herausstellen, die wir behandelt haben, indem wir den
wirtschaftlichen Gesichtspunkt der Eigentumsfrage darlegen. Um
uns diese Unterscheidung zu ermöglichen, können wir aus den
Einzelheiten der nachfolgenden ethischen Interpretation von
Eigentum den Begriff der Stellvertreterschaft [al-chilafa]
vorwegnehmen, um dessen Bedeutungsgehalt mit den Prinzipien
der allgemeinen Theorie der Verteilung, auf deren Grundlage
wir die Haltung der islamischen wirtschaftlichen Ideologie zu
den persönlichen Rechten abgeleitet haben, zu vergleichen. Das
Konzept der Stellvertreterschaft verleiht dem Privateigentum
den Charakter der Treuhandschaft [wakala], und macht
den Eigentümer zum von Allah dem Erhabenen, dem das Universum
und alle darin enthaltenen Reichtümer gehören, beauftragten
Treuhänder über die Güter. Und wann immer sich diese besondere
islamische Vorstellung vom Wesen des Eigentums in der
Gedankenwelt eines muslimischen Eigentümers von Gütern
festsetzt und sie beherrscht, wird sie zu einer Kraft, die das
Verhalten prägt, und zu einer strengen Richtschnur, die den
Eigentümer zwingt, die von Allah dem Erhabenen gesetzten
Anweisungen und Grenzen zu respektieren, ebenso wie sich ein
Treuhänder oder Stellvertreter immer nach dem Willen dessen,
der ihn beauftragt bzw. zum Stellvertreter gemacht hat,
richten muss.
Wenn wir
diesen Begriffsinhalt untersuchen, bemerken wir, dass er die
Rechtfertigung von privaten Eigentum aus der Sicht der
Wirtschaftsideologie nicht erklärt, denn das Phänomen des
privaten Eigentums, ob es sich dabei um “Stellvertreterschaft“
oder um sonst irgendetwas handelt, wirft die Frage nach den
ideologischen Rechtfertigungen auf, die es erklären. Denn
warum wird diese Stellvertreterschaft oder Treuhänderschaft
dieser oder jener und keiner anderen Person übertragen? Die
bloße Charakterisierung des Eigentums als Treuhänderschaft ist
keine ausreichende Antwort auf diese Frage, vielmehr finden
wir die Antwort darauf in der wirtschaftsideologischen
Erklärung des privaten Eigentums auf einer bestimmten
Grundlage, etwa auf der Grundlage der Arbeit und der
Verbindung des Arbeitenden mit dem Ergebnis seiner Arbeit.
Somit erkennen wir, dass es zur Formulierung einer allgemeinen
Theorie der Güterverteilung nicht genügt, dem Privateigentum
beispielsweise den Charakter der Treuhänderschaft und
Stellvertreterschaft zuzuschreiben, denn das liefert keine
wirtschaftsideologische Erklärung dieses Phänomens, sondern
schafft lediglich eine besondere Einstellung zum Eigentum, die
darauf beruht, dass es nur als Treuhänderschaft und
Stellvertreterschaft aufgefasst wird. Wenn diese Einstellung
aufkommt und sich durchsetzt und unter den einzelnen
Mitgliedern der islamischen Gesellschaft verbreitet, dann
entwickelt sie eine Kraft, die das Verhalten der Individuen
bestimmt, die psychologischen Wirkungen des Eigentums
verändert, und die Gefühle verwandelt, die der Reichtum in der
Psyche der Reichen hervorruft. Damit wird das Konzept der
Stellvertreterschaft zu einer dynamischen und
richtungweisenden Kraft im wirtschaftlichen Leben der
Gesellschaft.
Die ethische
Interpretation des Eigentums rechtfertigt also solche
Vorstellungen von Eigentum vorauszusetzen, die normalerweise
jedem Muslim durch seinen islamischen Glauben eingegeben
werden, durch die er geistig und seelisch geformt wird, und
die seine Gefühle und Handlungen bestimmen. Die Grundlage
dieser Vorstellungen ist der Begriffsinhalt der
Stellvertreterschaft, auf den wir hingewiesen haben, denn nach
islamischem Glauben gehören alle Güter Allah, Der der wahre
Eigentümer ist, während die Menschen seine Stellvertreter auf
der Erde und seine Treuhänder über alle dort vorhandenen Güter
und Reichtümer sind. So sprach Allah der Erhabene im Qur´an:
„Er ist
es, der euch zu Stellvertretern auf der Erde macht, und wer
nichtmuslimisch ist, der ist es zu seinem eigenen Schaden, und
ihre Ablehnung (des Islam) vermehrt für die Nichtmuslime nur
den Zorn ihres Herrn.“
Allah der
Erhabene ist es, der dem Menschen diese Stellvertreterschaft
verliehen hat, und wenn Er wollte, könnte er sie ihm jederzeit
wieder entziehen, worauf der Qur´an-Vers hinweist:
„Wenn er
will, entfernt er euch vom Antlitz dieser Erde, und setzt nach
euch wen er will als Stellvertreter ein.“
Die Natur der
Stellvertreterschaft verpflichtet den Menschen, die
Anweisungen bezüglich des ihm anvertrauten Reichtums seitens
dessen, der ihm diese Stellvertreterschaft verliehen hat, zu
befolgen. So sprach Allah der Erhabene:
„Seid
überzeugt von Allah und seinem Gesandten und spendet von dem,
zu dessen Stellvertretenden er euch errichtet hat. Denn
denjenigen von euch, die überzeugt sind und spenden, wird ein
großer Lohn zuteil sein.“
Und zu den
Konsequenzen dieser Stellvertreterschaft gehört auch, dass der
Mensch vor demjenigen, der ihn zu seinem Stellvertreter
gemacht hat, verantwortlich ist, und in seinem ganzen
Verhalten und allen Handlungen dessen Kontrolle unterliegt
gemäß Allahs Wort:
„Dann
machten wir euch nach jenen zu Stellvertretern, um zu sehen
wie ihr euch verhalten werdet.“
Die
Stellvertreterschaft gilt im Prinzip für die ganze menschliche
Gemeinschaft, denn sie manifestiert sich in der Praxis darin,
dass Allah der Erhabene alle Reichtümer der Welt geschaffen
und in den Dienst des Menschen gestellt hat, wobei mit “dem
Menschen“ hier der allgemeine Begriff gemeint ist, der
sämtliche Einzelpersonen umfasst. Daher sprach Allah:
„Er
erschuf, was in der Erde ist für euch alle gemeinsam.“
Die Formen der
Zugehörigkeit, wie das Eigentum und die persönlichen Rechte,
stehen für verschiedene Art und Weisen, mit denen die
Gemeinschaft ihre Mission erfüllen kann, nämlich die Welt zu
besiedeln und sich nutzbar zu machen. Allah der Erhabene
sprach:
„Und
er ist derjenige, der euch zu Stellvertretern auf der Erde
errichtet hat und einige von euch über andere um Rangstufen
erhöht hat, um euch durch das zu prüfen, was er euch zukommen
ließ.“
Das Eigentum
und die persönlichen Rechte, die manchen verliehen werden und
anderen nicht, womit sich ihre Ranghöhe bei der
Stellvertreterschaft unterscheiden, ist also eine Art Prüfung
der Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft,
bzw. von deren Kraft, die Bürde der Stellvertreterschaft zu
tragen, und eine motivierende Kraft, die damit verbundenen
Aufgaben zu erfüllen und darin miteinander zu wetteifern. In
diesem Sinne wird das private Eigentum zu einer Methode, mit
der die Gemeinschaft ihre Aufgabe der Stellvertreterschaft
wahrnimmt, und erhält den Charakter einer sozialen Pflicht als
ein Teilbereich der allgemeinen Stellvertreterschaft, nicht
den Charakter einer prinzipiellen Gewalt über bestimmte Güter.
So wird von Imam al-Sadiq (a.) der Ausspruch überliefert:
„Allah
hat euch diesen Überschuss an Gütern nur gegeben, damit ihr
sie der Zweckbestimmung zuführt, die Allah für sie vorgesehen
hat, nicht damit ihr sie hortet.“
Da die
Stellvertreterschaft im Prinzip für die Gemeinschaft gilt, und
das private Eigentum eine Methode darstellt, mit der die
Gemeinschaft die Ziele dieser Stellvertreterschaft erreicht
und deren Mission verwirklicht, endet nicht die Verbundenheit
der Gemeinschaft mit einem Gut und deren Verantwortung dafür,
nur indem es zum Eigentum eines Einzelnen wird; vielmehr muss
sie das Gut vor der Unzurechnungsfähigkeit seines Eigentümers
in Schutz nehmen, wenn dieser nicht über die nötige Vernunft
verfügt, denn der Geistesschwache kann die Rolle der
Stellvertreterschaft nicht angemessen wahrnehmen. Daher sprach
Allah im Qur´an:
„Gebt
den Geistesschwachen nicht euer Vermögen, das Allah zu eurem
Unterhalt bestimmt hat, sondern ernährt und kleidet sie davon,
und redet gut zu ihnen.“
Die Anrede
richtet sich an die Gemeinschaft, denn für diese gilt im
Prinzip die Stellvertreterschaft, und verbietet ihr, den
Geistesschwachen deren Vermögen auszuhändigen; stattdessen
sollen diese Güter verwahrt und für den Unterhalt ihrer
Besitzer verwendet werden. Und obwohl zu der Gemeinschaft von
dem Vermögen der Geistesschwachen gesprochen wird, wird das
Vermögen auch in Beziehung zur Gemeinschaft selbst gesetzt,
indem gesagt wird: „Gebt den Geistesschwachen nicht euer
Vermögen, ...“. Darin liegt ein Hinweis, dass die
Stellvertreterschaft im Prinzip für die Gemeinschaft gilt,
und dass Kraft dieser Stellvertreterschaft die besagten Güter
ihr gehören, auch wenn es sich dabei um Privateigentum
einzelner Personen handelt. Und im weiteren Kontext weist der
Qur´an-Vers auf die Ziele und die Mission dieser
Stellvertreterschaft hin, und beschreibt die Güter mit den
Worten: „...euer Vermögen, das Allah zu eurem Unterhalt
bestimmt hat, ...“. Allah bestimmte diese Güter also für
die Gemeinschaft, d.h. er vertraute sie der Gemeinschaft an,
nicht damit diese sie verschwendet oder zurückhält, sondern
damit sie die Güter angemessen verwendet, nutzbar macht und
bewahrt, und wenn diese Aufgabe von einer Einzelperson nicht
erfüllt werden kann, nimmt die Gemeinschaft ihre Verantwortung
wahr.
Infolge dessen ist sich der einzelne Muslim beim Umgang mit
seinem Vermögen seiner Verantwortung vor Allah dem erhabenen
bewusst, denn Allah ist der wahre Eigentümer sämtlicher Güter,
und ebenso fühlt er eine Verantwortlichkeit vor der
Gemeinschaft, denn dieser ist die Stellvertreterschaft
ursprünglich aufgetragen, während das private Eigentum an
Gütern nur eine Erscheinungsform und Methode dieser
allgemeinen Stellvertreterschaft ist. Daher kann die
Gemeinschaft ihm auch den Zugang zu seinem Vermögen verwehren,
wenn er aufgrund von Minderjährigkeit oder Geistesschwäche
nicht qualifiziert ist, darüber zu verfügen; und sie kann ihn
daran hindern, in einer Art und Weise über sein Vermögen zu
verfügen, die beträchtlichen Schaden für andere zur Folge hat,
oder ihm Einhalt gebieten, wenn er aus seinem Eigentum ein
Instrument der Verworfenheit und Verderbnis macht, ebenso wie
Allahs Gesandter (s.) dem Samura ibn Dschundab das Handwerk
legte, und befahl, dessen private Dattelpalmen zu fällen und
fortzuwerfen, als dieser sie zu einem Gegenstand der
Verderbnis machte, und ihm sagte: „Du bist ein
schädlicher Mann!“
Indem der
Islam dem privaten Eigentum den Bedeutungsgehalt der
Stellvertreterschaft gab, entledigte er es all der ideellen
Vorzüge, die ihm im Laufe der Zeit zugewachsen waren, und
erlaubte es dem Muslim nicht, es als einen Maßstab des
Ansehens und der Wertschätzung von Personen anzusehen, und ihm
eine Art “sozialen Wert“ bei den wechselseitigen Beziehungen
beizumessen. So wird in einer Überlieferung von Imam Ali ibn
Musa al-Ridha (a.) der folgende Ausspruch überliefert:
„Wer
einem armen Muslim begegnet und ihn in anderer Weise begrüßt,
als einen Reichen, dem wird Allah zürnen, wenn er ihm am Tage
der Auferstehung begegnet.“
Und der edle
Qur´an tadelt in eindringlicher Weise solche Personen, die
anderen ihre Wertschätzung und ihr Interesse je nach deren
Reichtum bemessen, mit den Worten:
„Er
runzelte die Stirn und wandte sich ab als der Blinde zu ihm
kam. Woher weißt du, ob er sich nicht läutern oder ermahnen
lassen wollte, so dass ihm deine Ermahnung nützen würde? Dem
Reichen widmest du deine Aufmerksamkeit, obwohl du nicht dafür
verantwortlich bist, wenn er sich nicht läutern will, aber
wenn ein Armer zu dir kommt, der sich bemüht und Allah
fürchtet, dann zeigst du kein Interesse.“
Damit verwies
der Islam das Eigentum wieder auf seinen natürlichen Platz und
seinen ursprünglichen Bereich, in seiner Eigenschaft als eine
Art von Stellvertreterschaft, und fügte es derart in den
allgemeinen Rahmen der islamischen Gesellschaftsordnung ein,
dass es sich nicht auf andere Lebensbereiche auswirken oder
materielle Maßstäbe für Ansehen und Wertschätzung schaffen
kann, denn es ist eine Stellvertreterschaft, und kein Recht
aus sich selbst heraus.
Aus den
eindringlichen Bildern, mit denen sich der edle Qur´an zu den
durch Privateigentum hervorgerufenen Gefühlen und zu dessen
Auswirkungen auf das menschliche Seelenleben äußert, geht
deutlich hervor, dass nach der Sichtweise des Islam das
Bewusstsein von Bevorzugung des Reichen und die Versuche, die
Bedeutung des privaten Eigentums über seinen ursprünglichen
Bereich hinaus auszudehnen, letztlich auf einer falschen
Vorstellung vom Eigentum beruhen, nämlich dass man es als
Recht an sich, und nicht als eine Stellvertreterschaft, die
mit Verantwortung verbunden ist und einen nützlichen Zweck
erfüllen soll, ansieht. Zu den eindrucksvollsten dieser Bilder
gehört vielleicht die im Heiligen Qur´an beschriebene
Geschichte der beiden Männer, von denen Allah einen reich
gemacht und als Stellvertreter über zwei Gärten eingesetzt
hatte, und – so das Qur´an-Zitat:
„Er
sprach seinen Nachbarn an und sagte: 'Ich habe mehr Vermögen
und Nachkommen als du!'“
(in dem Glauben, dass sein Eigentum diese Art von Hochmut und
Selbsterhöhung, mit der er seinem Nächsten begegnete,
rechtfertigen würde). „Und er betrat seinen Garten
sündhaft gegen sich selbst“, (denn durch diese
Verkennung der Natur und Zweckbestimmung seines Eigentums
provozierte er dessen Verlust und Zerstörung). „Und er
sagte: 'Ich glaube nicht, dass dieser Garten jemals vernichtet
wird, und ich glaube nicht, dass die Stunde des jüngsten
Gerichts kommen wird: und selbst wenn ich einmal zu meinen
Herrn zurückkehren muss, werde ich sicher anstelle dieses
Gartens einen besseren finden.' Da sprach sein Nachbar zu ihm:
'Glaubst du denn nicht an den, der dich zuerst aus Staub und
dann aus einem Samentropfen erschaffen und zu einem Mann
geformt hat? Ich aber weiß, es ist Allah, mein Herr, und ich
geselle ihm niemanden zu. Und für dich wäre es das Beste, du
würdest, wenn du deinen Garten betrittst, sagen: Wie Allah es
will, und es gibt keine Macht außer bei Allah!'“
Und für dich wäre es das Beste, du würdest, wenn
du deinen Garten betrittst, sagen: Was Allah will, geschieht,
und es gibt keine Macht außer bei Allah!’“ (und
würdest dir bewusst, dass es sich bei deinem Eigentum um eine
Stellvertreterschaft handeln, die Allah dir übertragen hat,
damit du die damit verbundene Pflicht erfüllst, anstatt
Überheblichkeit und Größenwahn zu empfinden und dich von
Gefühlen des Hochmutes und der Eitelkeit beherrschen zu
lassen), „auch wenn du siehst, dass ich weniger Vermögen
und Kinder habe als du. Denn vielleicht gibt mir mein Herr
dereinst etwas Besseres als deinen Garten, und sendet auf
diesen ein Unheil vom Himmel herab, so dass er zu einer öden
Fläche wird, und sein Wasser so tief in der Erde versinkt,
dass du es nicht mehr erreichst. Und die Früchte des Gartens
wurden tatsächlich von einem Unheil erfasst, und der
Gartenbesitzer rang die Hände aus Verzweiflung über seine
vergeblichen Aufwendungen, während die Reben verwüstet an den
Weinstöcken hingen, und sagte: „Hätte ich doch meinem Herrn
niemanden zugestellt!’“
Indem die Bedeutung des privaten
Eigentums derart eingeschränkt und es in seinen eigentlichen
Bereich verwiesen wird, da es als Stellvertreterschaft
aufgefasst wird, verwandelt sich das Eigentum im Islam zu
einem Instrument anstelle eines Zieles. So sieht ein Muslim,
dessen geistig-seelische Existenz durch den Islam geprägt ist,
das Eigentum als ein Mittel zur Verwirklichung des Zieles der
allgemeinen Stellvertreterschaft und zur Befriedigung der
verschiedenartigen Bedürfnisse aller Menschen an, und nicht
als Selbstzweck, derart, dass es mit unersättlicher Gier
gesammelt und angehäuft werden sollte. Es gibt einen
überlieferten Ausspruch von Allahs Gesandtem (s.), dass er
diese zweckbezogene Einstellung zum Eigentum – d.h. dass man
es als ein Instrument ansieht – illustriert, nämlich:
„Von deinem Vermögen gehört dir
nur, was du verzehrt und aufgebraucht hast, oder die Kleidung,
die du getragen und abgetragen hast, oder was du für
wohltätige Zwecke gespendet und damit für dich bewahrt hast.“
Und in einem anderen überlieferten Zitat
sagte er:
„Der Mensch soll sagen: ’Mein
Vermögen gehört mir nicht [ma li mali]’,
denn von seinem Vermögen gehört ihm nur, was er verzehrt und
aufgebraucht hat, was er getragen und abgetragen hat, und was
er weggegeben und damit an Verdienst erworben hat, alles
andere ist vergänglich, und er muss es letztlich den
Mitmenschen überlassen.“
Der Islam tritt der “Zielvorstellung“ vom
Eigentum – d.h. dass man es als Ziel ansieht – nicht nur
dadurch entgegen, dass er dessen Bedeutungsgehalt wieder
zurechtrückt und ihm alle Vorzüge außerhalb seines
ursprünglichen Bereiches abspricht, sondern er setzt bei der
Bekämpfung dieser Einstellung auch positive Akzente, indem er
dem Muslim einen weiteren Horizont eröffnet, als den
begrenzten, vergänglichen und befristeten materiellen Bereich,
und eine längere Perspektive, als die kurze Zeitspanne, die
mit dem Tod endet, und dem Muslim Gewinne einer anderen Art
verspricht, die für denjenigen, der daran glaubt, dauerhafter,
verlockender und von größerem Nutzen sind. Auf der Grundlage
dieses Glaubens an die unvergänglichen jenseitigen Gewinne
kann das private Eigentum gelegentlich zu einer Entbehrung und
einem Verlust werden, nämlich wenn es einen Menschen daran
hindert, diese Gewinne zu erlangen, wie auch der Verzicht auf
ein bestimmtes Eigentum eine gewinnbringende Handlung sein
kann, wenn er zu einer Vergeltung durch bedeutendere Gewinne
im jenseitigen Leben führt. Es leuchtet ein, dass der Glaube
an diese Vergeltung und an die weiter gefassten Dimensionen
von Gewinn und Profit eine bedeutende aktive Rolle bei der
Unterdrückung der mit dem Eigentum in Zusammenhang stehenden
egoistischen Antriebe und bei der Umwandlung der Vorstellung
vom Eigentum als Ziel in die Vorstellung vom Eigentum als
Mittel spielt. Und es gibt zu diesem Thema folgende
Qur´an-Verse:
„Was immer ihr für gute Zwecke
aufwendet, das wird Er ersetzen, und Er ist der beste
Versorger.“
„Was ihr an Gutem tut, das tut ihr
für euch selbst, ihr tut es nur, um Allah näher zu sein, und
alles, was ihr für gute Zwecke aufgewendet habt, wird euch
zurückerstattet, wobei euch kein Unrecht getan wird.“
„Und das, was ihr an Gutem für eure
Seelen vorausschickt, werdet ihr bei Allah als besseren und
größeren Lohn finden.“
„An jenem Tage wird jede Seele
vorfinden, was sie an Gutem getan hat.“
„Und was sie an Gutem tun, wird
ihnen niemals bestritten; und Allah kennt die
Gottesehrfürchtigen.“
Und der edle Qur´an vergleicht die
Sichtweise, die auch solche Gewinne und Verluste
berücksichtigt, die allein mit den Maßstäben der vergänglichen
Sinneswahrnehmung nicht zu messen sind, mit der verengten
Sichtweise des Kapitalismus, die nur über diese Maßstäbe
verfügt, so dass sie sich ständig durch das Gespenst der Armut
bedroht fühlt, und vor dem bloßen Gedanken zurückschreckt, das
private Eigentum für allgemeinere und umfassendere Zwecke in
den Dienst zu stellen, als für die von den gierigen Antrieben
des Egoismus vorgegebenen, denn für sie erscheint hinter
dieser Art von Denkweise das schreckliche Gespenst der Armut.
Der Qur´an bringt diese verengte kapitalistische Denkweise in
Zusammenhang mit dem Satan und sagt:
„Der Satan verheißt euch Armut und
befiehlt euch Schändliches, während Allah euch seine Vergebung
und Gunst verheißt, und Allah ist umfassend und allwissend.“