Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Ethische Interpretation von Eigentum im Islam

Wir haben das Eigentum und die persönlichen Rechte bis jetzt im Hinblick auf die allgemeine Theorie des Islam über die Verteilung “dessen, was vor der Produktion existiert“, untersucht, es handelte sich also um eine wirtschaftsideologische Erörterung. Im Laufe der Untersuchung konnten wir eine theoretische Ableitung des Eigentums und der persönlichen Rechte vorweisen, welche die Sichtweise der im Islam enthaltenen Wirtschaftsideologie widerspiegelt. Wir wollen nun die ethische Interpretation von Eigentum im Islam aufzeigen. Mit der ethischen Interpretation des Privateigentums meinen wir eine Darlegung der ideellen Vorstellungen, mit denen der Islam das Eigentum und dessen Rolle und Zielsetzung belegt, und auf deren Verbreitung unter den einzelnen Menschen er hinwirkt, damit diese Vorstellungen zu einer mit dem Eigentum und den persönlichen Rechten der Individuen verbundenen Kraft werden, die deren Verhalten prägt und deren Handlungen beeinflusst.

Bevor wir bei der ethischen Interpretation des Eigentums in die Einzelheiten gehen, müssen wir in aller Deutlichkeit den Unterschied zwischen dieser und der ideologischen Interpretation herausstellen, die wir behandelt haben, indem wir den wirtschaftlichen Gesichtspunkt der Eigentumsfrage darlegen. Um uns diese Unterscheidung zu ermöglichen, können wir aus den Einzelheiten der nachfolgenden ethischen Interpretation von Eigentum den Begriff der Stellvertreterschaft [al-chilafa] vorwegnehmen, um dessen Bedeutungsgehalt mit den Prinzipien der allgemeinen Theorie der Verteilung, auf deren Grundlage wir die Haltung der islamischen wirtschaftlichen Ideologie zu den persönlichen Rechten abgeleitet haben, zu vergleichen. Das Konzept der Stellvertreterschaft verleiht dem Privateigentum den Charakter der Treuhandschaft [wakala], und macht den Eigentümer zum von Allah dem Erhabenen, dem das Universum und alle darin enthaltenen Reichtümer gehören, beauftragten Treuhänder über die Güter. Und wann immer sich diese besondere islamische Vorstellung vom Wesen des Eigentums in der Gedankenwelt eines muslimischen Eigentümers von Gütern festsetzt und sie beherrscht, wird sie zu einer Kraft, die das Verhalten prägt, und zu einer strengen Richtschnur, die den Eigentümer zwingt, die von Allah dem Erhabenen gesetzten Anweisungen und Grenzen zu respektieren, ebenso wie sich ein Treuhänder oder Stellvertreter immer nach dem Willen dessen, der ihn beauftragt bzw. zum Stellvertreter gemacht hat, richten muss.

Wenn wir diesen Begriffsinhalt untersuchen, bemerken wir, dass er die Rechtfertigung von privaten Eigentum aus der Sicht der Wirtschaftsideologie nicht erklärt, denn das Phänomen des privaten Eigentums, ob es sich dabei um “Stellvertreterschaft“ oder um sonst irgendetwas handelt, wirft die Frage nach den ideologischen Rechtfertigungen auf, die es erklären. Denn warum wird diese Stellvertreterschaft oder Treuhänderschaft dieser oder jener und keiner anderen Person übertragen? Die bloße Charakterisierung des Eigentums als Treuhänderschaft ist keine ausreichende Antwort auf diese Frage, vielmehr finden wir die Antwort darauf in der wirtschaftsideologischen Erklärung des privaten Eigentums auf einer bestimmten Grundlage, etwa auf der Grundlage der Arbeit und der Verbindung des Arbeitenden mit dem Ergebnis seiner Arbeit. Somit erkennen wir, dass es zur Formulierung einer allgemeinen Theorie der Güterverteilung nicht genügt, dem Privateigentum beispielsweise den Charakter der Treuhänderschaft und Stellvertreterschaft zuzuschreiben, denn das liefert keine wirtschaftsideologische Erklärung dieses Phänomens, sondern schafft lediglich eine besondere Einstellung zum Eigentum, die darauf beruht, dass es nur als Treuhänderschaft und Stellvertreterschaft aufgefasst wird. Wenn diese Einstellung aufkommt und sich durchsetzt und unter den einzelnen Mitgliedern der islamischen Gesellschaft verbreitet, dann entwickelt sie eine Kraft, die das Verhalten der Individuen bestimmt, die psychologischen Wirkungen des Eigentums verändert, und die Gefühle verwandelt, die der Reichtum in der Psyche der Reichen hervorruft. Damit wird das Konzept der Stellvertreterschaft zu einer dynamischen und richtungweisenden Kraft im wirtschaftlichen Leben der Gesellschaft.

Die ethische Interpretation des Eigentums rechtfertigt also solche Vorstellungen von Eigentum vorauszusetzen, die normalerweise jedem Muslim durch seinen islamischen Glauben eingegeben werden, durch die er geistig und seelisch geformt wird, und die seine Gefühle und Handlungen bestimmen. Die Grundlage dieser Vorstellungen ist der Begriffsinhalt der Stellvertreterschaft, auf den wir hingewiesen haben, denn nach islamischem Glauben gehören alle Güter Allah, Der der wahre Eigentümer ist, während die Menschen seine Stellvertreter auf der Erde und seine Treuhänder über alle dort vorhandenen Güter und Reichtümer sind. So sprach Allah der Erhabene im Qur´an:

Er ist es, der euch zu Stellvertretern auf der Erde macht, und wer nichtmuslimisch ist, der ist es zu seinem eigenen Schaden, und ihre Ablehnung (des Islam) vermehrt für die Nichtmuslime nur den Zorn ihres Herrn.[1]

Allah der Erhabene ist es, der dem Menschen diese Stellvertreterschaft verliehen hat, und wenn Er wollte, könnte er sie ihm jederzeit wieder entziehen, worauf der Qur´an-Vers hinweist:

Wenn er will, entfernt er euch vom Antlitz dieser Erde, und setzt nach euch wen er will als Stellvertreter ein.“[2]

Die Natur der Stellvertreterschaft verpflichtet den Menschen, die Anweisungen bezüglich des ihm anvertrauten Reichtums seitens dessen, der ihm diese Stellvertreterschaft verliehen hat, zu befolgen. So sprach Allah der Erhabene:

Seid überzeugt von Allah und seinem Gesandten und spendet von dem, zu dessen Stellvertretenden er euch errichtet hat. Denn denjenigen von euch, die überzeugt sind und spenden, wird ein großer Lohn zuteil sein.“[3]

Und zu den Konsequenzen dieser Stellvertreterschaft gehört auch, dass der Mensch vor demjenigen, der ihn zu seinem Stellvertreter gemacht hat, verantwortlich ist, und in seinem ganzen Verhalten und allen Handlungen dessen Kontrolle unterliegt gemäß Allahs Wort:

Dann machten wir euch nach jenen zu Stellvertretern, um zu sehen wie ihr euch verhalten werdet.[4]

Die Stellvertreterschaft gilt im Prinzip für die ganze menschliche Gemeinschaft, denn sie manifestiert sich in der Praxis darin, dass Allah der Erhabene alle Reichtümer der Welt geschaffen und in den Dienst des Menschen gestellt hat, wobei mit “dem Menschen“ hier der allgemeine Begriff gemeint ist, der sämtliche Einzelpersonen umfasst. Daher sprach Allah:

Er erschuf, was in der Erde ist für euch alle gemeinsam.“[5]

Die Formen der Zugehörigkeit, wie das Eigentum und die persönlichen Rechte, stehen für verschiedene Art und Weisen, mit denen die Gemeinschaft ihre Mission erfüllen kann, nämlich die Welt zu besiedeln und sich nutzbar zu machen. Allah der Erhabene sprach:

Und er ist derjenige, der euch zu Stellvertretern auf der Erde errichtet hat und einige von euch über andere um Rangstufen erhöht hat, um euch durch das zu prüfen, was er euch zukommen ließ.“[6]

Das Eigentum und die persönlichen Rechte, die manchen verliehen werden und anderen nicht, womit sich ihre Ranghöhe bei der Stellvertreterschaft unterscheiden, ist also eine Art Prüfung der Fähigkeiten der einzelnen Mitglieder der Gemeinschaft, bzw. von deren Kraft, die Bürde der Stellvertreterschaft zu tragen, und eine motivierende Kraft, die damit verbundenen Aufgaben zu erfüllen und darin miteinander zu wetteifern. In diesem Sinne wird das private Eigentum zu einer Methode, mit der die Gemeinschaft ihre Aufgabe der Stellvertreterschaft wahrnimmt, und erhält den Charakter einer sozialen Pflicht als ein Teilbereich der allgemeinen Stellvertreterschaft, nicht den Charakter einer prinzipiellen Gewalt über bestimmte Güter. So wird von Imam al-Sadiq (a.) der Ausspruch überliefert:

Allah hat euch diesen Überschuss an Gütern nur gegeben, damit ihr sie der Zweckbestimmung zuführt, die Allah für sie vorgesehen hat, nicht damit ihr sie hortet.

Da die Stellvertreterschaft im Prinzip für die Gemeinschaft gilt, und das private Eigentum eine Methode darstellt, mit der die Gemeinschaft die Ziele dieser Stellvertreterschaft erreicht und deren Mission verwirklicht, endet nicht die Verbundenheit der Gemeinschaft mit einem Gut und deren Verantwortung dafür, nur indem es zum Eigentum eines Einzelnen wird; vielmehr muss sie das Gut vor der Unzurechnungsfähigkeit seines Eigentümers in Schutz nehmen, wenn dieser nicht über die nötige Vernunft verfügt, denn der Geistesschwache kann die Rolle der Stellvertreterschaft nicht angemessen wahrnehmen. Daher sprach Allah im Qur´an:

Gebt den Geistesschwachen nicht euer Vermögen, das Allah zu eurem Unterhalt bestimmt hat, sondern ernährt und kleidet sie davon, und redet gut zu ihnen.“[7]

Die Anrede richtet sich an die Gemeinschaft, denn für diese gilt im Prinzip die Stellvertreterschaft, und verbietet ihr, den Geistesschwachen deren Vermögen auszuhändigen; stattdessen sollen diese Güter verwahrt und für den Unterhalt ihrer Besitzer verwendet werden. Und obwohl zu der Gemeinschaft von dem Vermögen der Geistesschwachen gesprochen wird, wird das Vermögen auch in Beziehung zur Gemeinschaft selbst gesetzt, indem gesagt wird: „Gebt den Geistesschwachen nicht euer Vermögen, ...“. Darin liegt ein Hinweis, dass die Stell­ver­tre­ter­schaft im Prinzip für die Gemeinschaft gilt, und dass Kraft dieser Stellvertreterschaft die besagten Güter ihr gehören, auch wenn es sich dabei um Privateigentum einzelner Personen handelt. Und im weiteren Kontext weist der Qur´an-Vers auf die Ziele und die Mission dieser Stellvertreterschaft hin, und beschreibt die Güter mit den Worten: „...euer Vermögen, das Allah zu eurem Unterhalt bestimmt hat, ...“. Allah bestimmte diese Güter also für die Gemeinschaft, d.h. er vertraute sie der Gemeinschaft an, nicht damit diese sie verschwendet oder zurückhält, sondern damit sie die Güter angemessen verwendet, nutzbar macht und bewahrt, und wenn diese Aufgabe von einer Einzelperson nicht erfüllt werden kann, nimmt die Gemeinschaft ihre Verantwortung wahr.[8] Infolge dessen ist sich der einzelne Muslim beim Umgang mit seinem Vermögen seiner Verantwortung vor Allah dem erhabenen bewusst, denn Allah ist der wahre Eigentümer sämtlicher Güter, und ebenso fühlt er eine Verantwortlichkeit vor der Gemeinschaft, denn dieser ist die Stellvertreterschaft ursprünglich aufgetragen, während das private Eigentum an Gütern nur eine Erscheinungsform und Methode dieser allgemeinen Stellvertreterschaft ist. Daher kann die Gemeinschaft ihm auch den Zugang zu seinem Vermögen verwehren, wenn er aufgrund von Minderjährigkeit oder Geistesschwäche nicht qualifiziert ist, darüber zu verfügen; und sie kann ihn daran hindern, in einer Art und Weise über sein Vermögen zu verfügen, die beträchtlichen Schaden für andere zur Folge hat, oder ihm Einhalt gebieten, wenn er aus seinem Eigentum ein Instrument der Verworfenheit und Verderbnis macht, ebenso wie Allahs Gesandter (s.) dem Samura ibn Dschundab das Handwerk legte, und befahl, dessen private Dattelpalmen zu fällen und fortzuwerfen, als dieser sie zu einem Gegenstand der Verderbnis machte, und ihm sagte: „Du bist ein schädlicher Mann![9]

Indem der Islam dem privaten Eigentum den Bedeutungsgehalt der Stellvertreterschaft gab, entledigte er es all der ideellen Vorzüge, die ihm im Laufe der Zeit zugewachsen waren, und erlaubte es dem Muslim nicht, es als einen Maßstab des Ansehens und der Wertschätzung von Personen anzusehen, und ihm eine Art “sozialen Wert“ bei den wechselseitigen Beziehungen beizumessen. So wird in einer Überlieferung von Imam Ali ibn Musa al-Ridha (a.) der folgende Ausspruch überliefert:

Wer einem armen Muslim begegnet und ihn in anderer Weise begrüßt, als einen Reichen, dem wird Allah zürnen, wenn er ihm am Tage der Auferstehung begegnet.“

Und der edle Qur´an tadelt in eindringlicher Weise solche Personen, die anderen ihre Wertschätzung und ihr Interesse je nach deren Reichtum bemessen, mit den Worten:

Er runzelte die Stirn und wandte sich ab als der Blinde zu ihm kam. Woher weißt du, ob er sich nicht läutern oder ermahnen lassen wollte, so dass ihm deine Ermahnung nützen würde? Dem Reichen widmest du deine Aufmerksamkeit, obwohl du nicht dafür verantwortlich bist, wenn er sich nicht läutern will, aber wenn ein Armer zu dir kommt, der sich bemüht und Allah fürchtet, dann zeigst du kein Interesse.“[10]

Damit verwies der Islam das Eigentum wieder auf seinen natürlichen Platz und seinen ursprünglichen Bereich, in seiner Eigenschaft als eine Art von Stellvertreterschaft, und fügte es derart in den allgemeinen Rahmen der islamischen Gesellschaftsordnung ein, dass es sich nicht auf andere Lebensbereiche auswirken oder materielle Maßstäbe für Ansehen und Wertschätzung schaffen kann, denn es ist eine Stellvertreterschaft, und kein Recht aus sich selbst heraus.

Aus den eindringlichen Bildern, mit denen sich der edle Qur´an zu den durch Privateigentum hervorgerufenen Gefühlen und zu dessen Auswirkungen auf das menschliche Seelenleben äußert, geht deutlich hervor, dass nach der Sichtweise des Islam das Bewusstsein von Bevorzugung des Reichen und die Versuche, die Bedeutung des privaten Eigentums über seinen ursprünglichen Bereich hinaus auszudehnen, letztlich auf einer falschen Vorstellung vom Eigentum beruhen, nämlich dass man es als Recht an sich, und nicht als eine Stellvertreterschaft, die mit Verantwortung verbunden ist und einen nützlichen Zweck erfüllen soll, ansieht. Zu den eindrucksvollsten dieser Bilder gehört vielleicht die im Heiligen Qur´an beschriebene Geschichte der beiden Männer, von denen Allah einen reich gemacht und als Stellvertreter über zwei Gärten eingesetzt hatte, und – so das Qur´an-Zitat[11]:

Er sprach seinen Nachbarn an und sagte: 'Ich habe mehr Vermögen und Nachkommen als du!'“ (in dem Glauben, dass sein Eigentum diese Art von Hochmut und Selbsterhöhung, mit der er seinem Nächsten begegnete, rechtfertigen würde). Und er betrat seinen Garten sündhaft gegen sich selbst, (denn durch diese Verkennung der Natur und Zweckbestimmung seines Eigentums provozierte er dessen Verlust und Zerstörung). Und er sagte: 'Ich glaube nicht, dass dieser Garten jemals vernichtet wird, und ich glaube nicht, dass die Stunde des jüngsten Gerichts kommen wird: und selbst wenn ich einmal zu meinen Herrn zurückkehren muss, werde ich sicher anstelle dieses Gartens einen besseren finden.' Da sprach sein Nachbar zu ihm: 'Glaubst du denn nicht an den, der dich zuerst aus Staub und dann aus einem Samentropfen erschaffen und zu einem Mann geformt hat? Ich aber weiß, es ist Allah, mein Herr, und ich geselle ihm niemanden zu. Und für dich wäre es das Beste, du würdest, wenn du deinen Garten betrittst, sagen: Wie Allah es will, und es gibt keine Macht außer bei Allah!' Und für dich wäre es das Beste, du würdest, wenn du deinen Garten betrittst, sagen: Was Allah will, geschieht, und es gibt keine Macht außer bei Allah!’“ (und würdest dir bewusst, dass es sich bei deinem Eigentum um eine Stellvertreterschaft handeln, die Allah dir übertragen hat, damit du die damit verbundene Pflicht erfüllst, anstatt Überheblichkeit und Größenwahn zu empfinden und dich von Gefühlen des Hochmutes und der Eitelkeit beherrschen zu lassen), auch wenn du siehst, dass ich weniger Vermögen und Kinder habe als du. Denn vielleicht gibt mir mein Herr dereinst etwas Besseres als deinen Garten, und sendet auf diesen ein Unheil vom Himmel herab, so dass er zu einer öden Fläche wird, und sein Wasser so tief in der Erde versinkt, dass du es nicht mehr erreichst. Und die Früchte des Gartens wurden tatsächlich von einem Unheil erfasst, und der Gartenbesitzer rang die Hände aus Verzweiflung über seine vergeblichen Aufwendungen, während die Reben verwüstet an den Weinstöcken hingen, und sagte: „Hätte ich doch meinem Herrn niemanden zugestellt!

Indem die Bedeutung des privaten Eigentums derart eingeschränkt und es in seinen eigentlichen Bereich verwiesen wird, da es als Stellvertreterschaft aufgefasst wird, verwandelt sich das Eigentum im Islam zu einem Instrument anstelle eines Zieles. So sieht ein Muslim, dessen geistig-seelische Existenz durch den Islam geprägt ist, das Eigentum als ein Mittel zur Verwirklichung des Zieles der allgemeinen Stellvertreterschaft und zur Befriedigung der verschiedenartigen Bedürfnisse aller Menschen an, und nicht als Selbstzweck, derart, dass es mit unersättlicher Gier gesammelt und angehäuft werden sollte. Es gibt einen überlieferten Ausspruch von Allahs Gesandtem (s.), dass er diese zweckbezogene Einstellung zum Eigentum – d.h. dass man es als ein Instrument ansieht – illustriert, nämlich:

Von deinem Vermögen gehört dir nur, was du verzehrt und aufgebraucht hast, oder die Kleidung, die du getragen und abgetragen hast, oder was du für wohltätige Zwecke gespendet und damit für dich bewahrt hast.“

Und in einem anderen überlieferten Zitat sagte er:

Der Mensch soll sagen: ’Mein Vermögen gehört mir nicht [ma li mali]’, denn von seinem Vermögen gehört ihm nur, was er verzehrt und aufgebraucht hat, was er getragen und abgetragen hat, und was er weggegeben und damit an Verdienst erworben hat, alles andere ist vergänglich, und er muss es letztlich den Mitmenschen überlassen.

Der Islam tritt der “Zielvorstellung“ vom Eigentum – d.h. dass man es als Ziel ansieht – nicht nur dadurch entgegen, dass er dessen Bedeutungsgehalt wieder zurechtrückt und ihm alle Vorzüge außerhalb seines ursprünglichen Bereiches abspricht, sondern er setzt bei der Bekämpfung dieser Einstellung auch positive Akzente, indem er dem Muslim einen weiteren Horizont eröffnet, als den begrenzten, vergänglichen und befristeten materiellen Bereich, und eine längere Perspektive, als die kurze Zeitspanne, die mit dem Tod endet, und dem Muslim Gewinne einer anderen Art verspricht, die für denjenigen, der daran glaubt, dauerhafter, verlockender und von größerem Nutzen sind. Auf der Grundlage dieses Glaubens an die unvergänglichen jenseitigen Gewinne kann das private Eigentum gelegentlich zu einer Entbehrung und einem Verlust werden, nämlich wenn es einen Menschen daran hindert, diese Gewinne zu erlangen, wie auch der Verzicht auf ein bestimmtes Eigentum eine gewinnbringende Handlung sein kann, wenn er zu einer Vergeltung durch bedeutendere Gewinne im jenseitigen Leben führt. Es leuchtet ein, dass der Glaube an diese Vergeltung und an die weiter gefassten Dimensionen von Gewinn und Profit eine bedeutende aktive Rolle bei der Unterdrückung der mit dem Eigentum in Zusammenhang stehenden egoistischen Antriebe und bei der Umwandlung der Vorstellung vom Eigentum als Ziel in die Vorstellung vom Eigentum als Mittel spielt. Und es gibt zu diesem Thema folgende Qur´an-Verse:

Was immer ihr für gute Zwecke aufwendet, das wird Er ersetzen, und Er ist der beste Versorger.“[12]

Was ihr an Gutem tut, das tut ihr für euch selbst, ihr tut es nur, um Allah näher zu sein, und alles, was ihr für gute Zwecke aufgewendet habt, wird euch zurückerstattet, wobei euch kein Unrecht getan wird.“[13]

Und das, was ihr an Gutem für eure Seelen vorausschickt, werdet ihr bei Allah als besseren und größeren Lohn finden.“[14]

An jenem Tage wird jede Seele vorfinden, was sie an Gutem getan hat.“[15]

Und was sie an Gutem tun, wird ihnen niemals bestritten; und Allah kennt die Gottesehrfürchtigen.“[16]

Und der edle Qur´an vergleicht die Sichtweise, die auch solche Gewinne und Verluste berücksichtigt, die allein mit den Maßstäben der vergänglichen Sinneswahrnehmung nicht zu messen sind, mit der verengten Sichtweise des Kapitalismus, die nur über diese Maßstäbe verfügt, so dass sie sich ständig durch das Gespenst der Armut bedroht fühlt, und vor dem bloßen Gedanken zurückschreckt, das private Eigentum für allgemeinere und umfassendere Zwecke in den Dienst zu stellen, als für die von den gierigen Antrieben des Egoismus vorgegebenen, denn für sie erscheint hinter dieser Art von Denkweise das schreckliche Gespenst der Armut. Der Qur´an bringt diese verengte kapitalistische Denkweise in Zusammenhang mit dem Satan und sagt:

Der Satan verheißt euch Armut und befiehlt euch Schändliches, während Allah euch seine Vergebung und Gunst verheißt, und Allah ist umfassend und allwissend.“[17]

[1] Heiliger Qur´an 35:39

[2] Heiliger Qur´an 6:133

[3] Heiliger Qur´an 57:7

[4] Heiliger Qur´an 10:14

[5] Heiliger Qur´an 2:29

[6] Heiliger Qur´an 6:165

[7] Heiliger Qur´an 4:5

[8] Wir gehen hier beim Verständnis des Verses auf einen der möglichen Aspekte ein, den die klassischen Qur´an-Ausleger in ihren Interpretationswerken aufzeigen. (Fußnote des Autors)

[9] Das Ereignis wird ausführlich behandelt im Kapitel: “Die Einschränkung der Nutzungsvollmacht des Eigentümers“.

[10] Heiliger Qur´an 80:1-10; entgegen mancher Interpretation war es nicht der Prophet (s.) der jene Tat begangen hat!

[11] Heiliger Qur´an 18:34-42

[12] Heiliger Qur´an 34:39

[13] Heiliger Qur´an 2:272

[14] Heiliger Qur´an 73:20

[15] Heiliger Qur´an 3:30

[16] Heiliger Qur´an 3:115

[17] Heiliger Qur´an 2:268

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