Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Rolle der Arbeit bei der Güterverteilung

Um die Rolle der Arbeit bei der Güterverteilung zu erkennen, müssen wir den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen der Arbeit und den Werten, die sie hervorbringt, untersuchen. Arbeit wird zur Gewinnung verschiedener Naturprodukte aufgewendet: Bodenschätze werden aus der Erde gefördert, zur Holzgewinnung werden Bäume gefällt, nach Perlen wird im Meer getaucht, Vögel werden aus der Luft erjagt und dergleichen mehr Materialien gewinnt der Mensch aus der Natur durch Arbeit. Die Frage, der wir in diesem Zusammenhang nachgehen, ist die: Welche Art von gesellschaftlichem Charakter gewinnt die Materie durch die menschliche Arbeit? Und welche Art von Beziehungen hat der arbeitende Mensch zu den Werten, die er durch seine Arbeit schafft?

Es gibt eine Sichtweise, die den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen der Arbeit bzw. demjenigen, der sie ausführt, und ihrem Objekt bestreitet, und behauptet, das der Arbeitende lediglich das Recht habe, seine Bedürfnisse zu befriedigen, unabhängig von der von ihm die Gesellschaft dadurch vergilt, dass sie die Befriedigung seiner Bedürfnisse garantiert. Diese Sichtweise entspricht dem Standpunkt der kommunistischen Wirtschaftslehre, denn sie betrachtet die Gesellschaft als ein großes Gebilde, in dem Individuen aufgehen, so dass jeder Einzelmensch den Platz einer Zelle in einem einzigen Organismus einnimmt. Nach dieser Sichtweise, die alle Individuen in dem großen Schmelztiegel der Gesellschaft vereinigt und zu einem riesigen Gebilde zusammenschmilzt, erscheinen die Arbeiten, die von den Einzelpersonen der Gesellschaft verrichtet werden, nicht mehr als Einzelleistungen, denn alle Individuen sind in dem großen Gebilde aufgegangen. Dadurch wird die Verbindung des Arbeitenden mit dem Produkt seiner Arbeit abgeschnitten und die Gesellschaft wird zum eigentlichen Arbeiter und Eigentümer der Produkte der Arbeit aller Einzelpersonen, und denen steht nur die Befriedigung ihrer Bedürfnisse zu, gemäß der kommunistischen Formel – die wir bereits in unserer Untersuchung des historischen Materialismus erwähnt haben[1]: „Jeder nach seinen Fähigkeiten und jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Die Individuen in einer kommunistischen Gesellschaft gleichen also völlig den Teilen, aus denen ein mechanischer Apparat zusammengesetzt ist. Denn jedes Teil im Apparat darf soviel Öl verbrauchen, wie es benötigt, um seine besondere Aufgabe zu erfüllen, so dass alle mechanischen Teile jeweils gleiche Portionen von Öl bekommen, obwohl sie verschieden wichtige und verschieden komplizierte Aufgaben erfüllen. So erhält jedes Mitglied der Gesellschaft nach dem kommunistischen Verteilungssystem Güter “nach seinen Bedürfnissen“, auch wenn sie an der Werte schaffenden Arbeit verschieden großen Anteil haben. Der Einzelne arbeitet also, aber die Früchte seiner Arbeit gehören ihm nicht, bzw. er darf sie nicht beanspruchen, sondern hat nur das Recht, seine Bedürfnisse zu befriedigen, gleichgültig ob diese den Wert seiner Arbeit übersteigen oder geringer sind. Nach diesem Prinzip spielt die Arbeit bei der Verteilung nur eine passive Rolle, denn sie ist nach ihrem kommunistischen Bedeutungsinhalt nur ein Produktionsmittel für Waren und nicht ein Mittel, um deren Verteilung zu regeln, und allein die Bedürftigkeit bestimmt die Art und Weise, in der die Güter an die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden. Deren jeweiliger Anteil an der Verteilung unterscheidet sich also entsprechend ihrer Bedürftigkeit und nicht entsprechend ihrer verschiedenen Arbeitsleistung. Dagegen definiert die sozialistisch-marxistische Wirtschaftslehre die Beziehung des Arbeiters zum Produkt seiner Arbeit im Lichte ihrer besonderen Vorstellung vom Wert und Mehrwert, und vertritt die Ansicht, dass allein der Arbeiter den Tauschwert des Materials schafft, durch die Arbeit, die er darauf verwendet, d.h. die Materie an sich hat angeblich keinen Wert ohne die in ihr verkörperte menschliche Arbeit. Da die Arbeit also die Grundursache für den Wert darstellt, muss die Verteilung der produzierten Werte – in Gestalt verschiedener Sorten von Gütern – auf der Grundlage der geleisteten Arbeit erfolgen, so dass jedem Arbeiter das Produkt seiner Arbeit, bzw. das Material, an das er Arbeit aufgewendet hat, gehört, weil es nur durch seine Arbeit einen Wert erhielt, mit anderen Worten: „Jedem nach seiner Arbeitsleistung“, und nicht nach seinen Bedürfnissen, denn der Arbeiter hat das Recht, die Werte, die er schafft, für sich selbst zu erhalten. Da die Arbeit angeblich der einzige Werte schaffende Faktor ist, ist sie auch das alleinige Kriterium für die Verteilung. Während in der kommunistischen Gesellschaft die Bedürftigkeit das Kriterium für die Verteilung von Gütern sein soll, wird in der sozialistischen Gesellschaft die Arbeit zum grundsätzlichen Kriterium erklärt.

Der Islam unterscheidet sich sowohl von der kommunistischen als auch von der sozialistischen Wirtschaftslehre. Er widerspricht dem Kommunismus, die die Verbindung zwischen der Arbeit des Einzelnen und ihrem Produkt abschneidet und den Schwerpunkt auf die Gemeinschaft als alleinigen Eigentümer der Produkte der Arbeit aller Individuen legt, da der Islam die Gemeinschaft nicht als ein großes, hinter den Einzelpersonen verborgenes Wesen, das sie in diese oder jene Richtung manipuliert, ansieht, sondern die Gemeinschaft für nichts weiter als eine große Anzahl von Individuen erachtet, als Menschen, die agieren und arbeiten, und es keinesfalls möglich ist, die Verbindung zwischen dem Arbeitenden und dem Ergebnis seiner Arbeit abzuschneiden. Der Islam unterscheidet sich ebenfalls von der sozialistischen Wirtschaftslehre, die behauptet, dass der einzelne Mensch der Materie erst durch seine Arbeit zu ihrem Tauschwert verhilft, denn die Rohmaterialien der Natur, wie Holz oder Bodenschätze oder sonstige natürliche Reichtümer erlangen ihren Wert – nach islamischer Sichtweise – nicht durch die Arbeit, sondern jeder Artikel erlangt seinen Weg durch die allgemeine Nachfrage nach ihm in der Gesellschaft, wie wir das in unserer Untersuchung des historischen Materialismus verdeutlicht haben. Die Arbeit ist nach islamischer Sicht der Grund dafür, dass der Arbeitende sich das Produkt seiner Arbeit aneignen darf, und dieses Privateigentum auf der Grundlage von geleisteter Arbeit ist Ausdruck der Anerkennung des natürlichen Wunsches im Menschen, das Ergebnis seiner Arbeit zu besitzen. Diese Neigung geht auf das Gefühl jedes einzelnen Menschen zurück, über seine eigene Arbeitsleistung zu bestimmen, denn dieses Gefühl lässt naturgemäß den Wunsch entstehen, auch über die Ergebnisse und Gewinne der Arbeit zu verfügen. Insofern ist das Privateigentum auf der Basis eigener Arbeit ein Recht des Menschen, das auf seine ursprünglichen Gefühle zurückgeht, und selbst diejenigen Gesellschaften, von denen uns der Kommunismus weismachen will, sie hätten das Privateigentum abgeschafft, streiten das Recht auf Eigentum auf der Grundlage von Arbeit, als eine ursprüngliche Neigung im Menschen, nicht ab, sondern in solchen Gesellschaften hat die Arbeit einen kollektiven Charakter, so dass das auf ihrer Grundlage definierte Eigentum ebenfalls kollektiven Stempel trägt.

Die Tatsache bleibt bestehen, dass sich der natürliche Wunsch nach Eigentum auf der Grundlage von Arbeit auf keinen Fall verändern lässt, auch wenn sich die Art des Eigentums je nach Art der geleisteten Arbeit, die individuell oder kollektiv sein kann, unterscheiden mag. Die Arbeit ist also nach islamischer Sicht die Grundlage für die Aneignung einer Sache durch den Arbeitenden, und nach diesem Prinzip ist sie ein wesentlicher Faktor des islamischen Verteilungssystems, denn jeder Arbeitende erhält die Werte, die er aus der Natur durch Arbeit gewinnt, und darf sie sich nach dem Prinzip, dass Arbeit die Bedingung für Eigentum ist, aneignen.

So können wir abschließend die verschiedenen ideologischen Standpunkte hinsichtlich der sozialen Beziehungen zwischen dem arbeitenden Menschen und dem Produkt seiner Arbeit zusammenfassen: Das kommunistische Prinzip in diesem Zusammenhang besagt: Die Arbeit bedingt das Eigentum der Gemeinschaft, nicht das des Einzelnen. Und das sozialistische Prinzip: Die Arbeit bedingt den Wert des Materials und folglich dessen Aneignung durch den Arbeitenden. Und das islamische Prinzip: Die Arbeit bedingt die Aneignung des Materials durch den Arbeitenden, aber nicht dessen Wert. Wenn also ein Arbeiter Perlen aus dem Meer herausholt, gibt er ihnen durch diese Arbeit nicht ihren Wert, aber er darf sie sich aneignen.

[1] Das erfolgt in einem Teil des Buches, das hier nicht übersetzt wurde.

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