Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Theorie über Verteilung der Produktionsmittel

Bestimmungen

Verteilung der Reichtümer auf zwei Ebenen

In diesem Abschnitt wird eine Anzahl von Termini wiederholt verwendet, deren Bedeutung von Anfang an definiert werden muss:

                a) Das Prinzip der verschiedenen Formen des Eigentums ist ein das Eigentum betreffender islamischer Grundsatz, der an dessen drei legitime Formen glaubt: das Privateigentum, das Eigentum des Staates und das Eigentum der Gemeinschaft.

                b) Das Eigentum des Staates: Damit ist die Aneignung von Vermögenswerten durch die göttlich sanktionierte Autorität, wie sie seinerzeit vom Propheten Muhammad (s.) oder dem Imam (a.) verkörpert wurde, gemeint dergestalt, dass dem verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] die vollständige Kontrolle über Werte selbst, wie z.B. über die Lagerstätten von Bodenschätzen, zusteht, und er entsprechend dem Allgemeinwohl, für das er verantwortlich ist, darüber verfügt.

                c) Das Eigentum der Gemeinschaft bezeichnet solche Güter, die der ganzen Umma, bzw. allen Menschen des islamischen Staates gemeinsam gehören. Ebenso umfasst das “Eigentum der Gemeinschaft“ solche Güter, über die der Staat zwar die Kontrolle (Aufsicht) ausübt, aber nicht frei verfügen darf, weil die ganze Umma, bzw. alle Menschen ein Anrecht auf diese Güter haben, derart, dass der Staat es nutzen und die Kontrolle darüber behalten muss. Wir sprechen auch vom “Eigentum der Gemeinschaft“, wenn eine Synthese von staatlichem Eigentum und dem allgemeinem Recht der Umma oder der Menschen insgesamt darauf, dass die Kontrolle über das jeweilige Gut dem Staat erhalten bleibt, vorliegt. In diesem Sinne entsprechen die in diesem Buch verwendeten Termini “Eigentum des Staates“ bzw. “Eigentum der Gemeinschaft“ ungefähr den Begriffen “spezielle Güter des Staates“ und “öffentliche Güter des Staates“ im Sprachgebrauch moderner Gesetze.

                d) Das Eigentum der Umma ist eine Art von “Eigentum der Gemeinschaft“ und bedeutet, dass irgendwelche Güter der islamischen Umma insgesamt über historische Zeiträume hinweg gehören, wie das für das Eigentum der islamischen Umma an den durch Anstrengung [dschihad] eroberten kultivierten Länderein zutrifft.

                e) Das Eigentum der Menschen ist ebenfalls eine Art “Eigentum der Gemeinschaft“. Wir bezeichnen damit alle Güter, die sich keine Privatperson und keine spezielle Institution aneignen darf, und deren Nutzung jedermann freisteht: Alle derartigen Güter nennen wir “gemeinschaftliches Eigentum der Menschen“. Das “gemeinschaftliche Eigentum aller Menschen“ als Terminus in diesem Buch hat also einen negativen Aspekt, nämlich das Verbot der Aneignung durch eine Privatperson oder durch eine private Institution, und einen positiven Aspekt, nämlich die Erlaubnis der Nutzung für jedermann; dies gilt z.B. für das Meer und die natürlichen Flüsse.

                f) Gelegentlich verwenden wir auch den Begriff kollektives Eigentum als gemeinsamen Oberbegriff für die beiden oben erwähnten Bereiche des staatlichen Eigentums und des “Eigentum der Gemeinschaft“, um den Gegensatz zum privaten Eigentum auszudrücken.

                g) Wenn wir den Begriff Privateigentum in diesem Buch verwenden, so meinen wir damit die ausschließliche Zugehörigkeit bestimmter Güter zu einer Einzelperson oder irgendeiner Institution mit begrenztem Rahmen, die prinzipiell mit dem Recht verbunden ist, andere an deren Nutzung, welcher Art auch immer, zu hindern, es sei denn im Falle einer Notlage oder sonstiger Ausnahmebedingungen. Dies gilt z.B. für das Eigentum des einzelnen Menschen an dem Holz, das er eigenhändig im Wald geschlagen hat, oder an dem Wasser, das er selbst aus dem Fluss schöpft.

                h) Wenn wir in diesem Abschnitt von dem persönlichen Anrecht sprechen, dann meinen wir einen Grad der Zugehörigkeit von Gütern zu einer Person, der sich in analytischer und juristischer Hinsicht von dem Grad der Zugehörigkeit unterscheidet, der durch den Begriff “Eigentum“ ausgedrückt wird. Eigentum bedeutet direkte Aneignung der Güter, dagegen ist mit dem “Anrecht“ eine Zugehörigkeit gemeint, die sich aus einer anderen Zugehörigkeit ergibt und von deren Weiterbestehen abhängig ist; und in gesetzgeberischer Hinsicht gibt das Eigentum dem Eigentümer das Recht, andere von dessen Nutzung auszuschließen, während das “persönliche Anrecht“ nicht diese Implikation hat, vielmehr bleibt für die anderen das Nutzungsrecht in einer Form, die von dem islamischen Recht [scharia] geregelt wird, bestehen.

                i) Die allgemeine Erlaubnis ist eine gesetzliche Bestimmung des islamischen Rechts [scharia], Kraft derer es jedem Einzelnen freisteht, bestimmte Güter zu nutzen und sie sich privat anzueignen. Die Güter, die in diese Kategorie fallen, werden als “allgemein erlaubte Dinge“ angesehen, wie etwa die Vögel in der Luft und die Fische im Meer.[1] (Fußnote des Autors)

Die Verteilung von Reichtümern erfolgt auf zwei Ebenen: Erstens als Verteilung der materiellen Produktionsmittel und zweitens als Verteilung der produzierten Güter. Zu den Produktionsmitteln gehören: Land, Rohstoffe und Instrumente, die zur Herstellung der verschiedenen Waren benötigt werden, denn alle diese Faktoren haben an der landwirtschaftlichen oder der industriellen Produktion oder an beiden Anteil. Und zu den produzierten Gütern zählen die Waren, die durch menschliche Arbeit an der Natur gewonnen, bzw. durch den kombinierten Einsatz der materiellen Produktionsmittel hergestellt werden. Es gibt also primäre Vermögenswerte, nämlich die Produktionsmittel, und sekundäre Vermögenswerte, nämlich die Waren und Artikel, die der Mensch durch den Gebrauch jener Produktionsmittel gewinnt. Und eine Erörterung der Verteilung muss beide Arten von Reichtümern umfassen, die primären und die sekundären Reichtümer, die Produktionsmittel und die produzierten Waren.

Es ist einleuchtend, das die Verteilung der grundlegenden Produktionsmittel dem Produktionsprozess selbst vorausgeht, denn die einzelnen Menschen führen ihre produktiven Aktivitäten in Abhängigkeit von der Art und Weise, in der die Gesellschaft die Produktionsmittel unter ihnen verteilt hat, aus. Die Verteilung der Produktionsmittel geschieht also vor der Produktion, aber die Verteilung der produzierten Güter hängt mit dem Produktionsprozess zusammen und baut darauf auf, denn sie behandelt die Ereignisse, die aus der Produktion hervorgehen.

Wenn die kapitalistischen Wirtschaftstheoretiker im Rahmen ihrer “politischen Ökonomie“ die Güterverteilung unter den Bedingungen des Kapitalismus untersuchen, dann betrachten sie nicht den gesamten Reichtum der Gesellschaft einschließlich der Produktionsmittel, sondern untersuchen lediglich die Verteilung der produzierten Werte, d.h. des Sozialproduktes, und nicht die des gesamt-gesellschaftlichen Reichtums. Mit dem Sozialprodukt meinen sie die Gesamtheit der produzierten Waren und Dienstleistungen, oder präziser formuliert, den Geldwert der gesamten Produktion, z.B. eines Jahres. Eine Studie über die Güterverteilung bedeutet in der “politischen Ökonomie“ also die Untersuchung der Verteilung dieser Geldwerte auf die Elemente, die an der Produktion beteiligt waren, so dass der Anteil, der jedem dieser Produktionsfaktoren, dem Kapital, dem Land, dem Organisator und dem Arbeiter jeweils zusteht, in Form von Zinsen, von Ertrag, von Gewinn und von Lohn definiert wird. In diesem Sinne war es natürlich, vor der Verteilung die Produktion zu untersuchen, denn wenn man unter der Verteilung lediglich die Aufteilung des Geldwertes der produzierten Waren an die Quellen und Faktoren der Produktion versteht ... dann handelt es sich um einen Vorgang, der erst nach der Produktion einsetzt, denn solange eine Ware noch nicht produziert ist, kann von deren Verteilung, bzw. der Verteilung von deren Gegenwert in Geld, keine Rede sein.

Auf dieser Grundlage bemerken wir, dass die “politische Ökonomie“ die Produktion als primäres Untersuchungsobjekt ansieht, also zunächst die Produktion untersucht, und dann zu den Problemen der Verteilung übergeht. Dagegen behandelt der Islam die Probleme der Verteilung in einem weiteren Rahmen und mit einem umfassenderen Verständnis, denn er beschränkt sich nicht darauf, die Verteilung der produzierten Güter zu regeln, und vernachlässigt nicht den tieferen Aspekt der Verteilung, nämlich die Verteilung der Produktionsmittel, wie das der ideologische Kapitalismus macht, der es zulässt, dass immer die Stärksten sich der Produktionsmittel bemächtigen, und zwar nach dem Motto des wirtschaftlichen Liberalismus, der die Stärksten begünstigt und ihnen den Weg zur Monopolisierung der Natur und ihrer Ressourcen bereitet. Vielmehr greift der Islam aktiv in die Verteilung der Natur und der in ihr enthaltenen Produktionsmittel ein, und teilt sie in verschiedene Kategorien ein, wobei jede Kategorie jeweils einem bestimmten Bereich zugeordnet wird, sei es dem Privateigentum, dem “Eigentum der Gemeinschaft“, dem Eigentum des Staates oder den “allgemein erlaubten Dingen“... und er setzt Regeln für diese Aufteilung fest, genauso wie die Verteilung der produzierten Güter nach bestimmten Prinzipien erfolgt, und entwirft im Rahmen dieser Prinzipien die Einzelheiten seines Verteilungssystems. Aus diesem Grund ist die Verteilung der Ausgangspunkt oder das vorrangige Thema der islamischen Wirtschaftslehre, und nicht, wie in der traditionellen “politischen Ökonomie“, die Produktion, denn die Verteilung der Produktionsmittel selbst geht der Produktion voraus, und jede Regelung im Zusammenhang mit dem eigentlichen Produktionsprozess oder der Verteilung der produzierten Waren ist sekundär. Wir werden nun damit beginnen, den Standpunkt des Islam zur Verteilung der grundsätzlichen Produktionsquellen, d.h. zur Verteilung der Natur und der in ihr enthaltenen Reichtümer, darzulegen.

[1] Die hier klein gedruckte Passage ist im Original eine Fußnote des Autors und wurde hier nur aus Übersichtlichkeitsgründen in den Text integriert.

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